Ellen M. Zitzmann: Opfer Mann?
Rezensiert von Armin Eberli, 10.09.2013
Ellen M. Zitzmann: Opfer Mann? Männer im Spannungsfeld von Täter und Opfer.
Tectum-Verlag
(Marburg) 2012.
133 Seiten.
ISBN 978-3-8288-3086-8.
D: 24,90 EUR,
A: 24,90 EUR,
CH: 30,90 sFr.
[Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag / Reihe Sozialwissenschaften] Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag, Reihe Sozialwissenschaften - Band 55.
Thema
Männer sind mehrfach gefährdet im Bezug auf Gewaltausübung, Opferwerdung, Suizidhandlung, Vereinsamung und niedrigerer Lebensdauer. Dies obwohl sie dem vermeintlich privilegierten und „starken“ Geschlecht angehören. Wie lässt sich dies erklären? Thematisiert werden, neben verschiedenen Männlichkeitsmodellen, kriminologischen Theorien und neuro-psychologischen Ansätzen auch sozial-psychologische Forschungsexperimente und männliche Kriminalisierungs- und Viktimisierungsrisiken in ausgewählten Männerkulturen.
Autorin
Ellen M. Zitzmann ist nach dem Studium der Sozialpädagogik in den USA Studien mit dem Schwerpunkt Conflict Anallysis and Transformation nachgegangen. Sie absolvierte ein Masterstudium in internationaler Kriminologie an der Universität Hamburg mit dem Schwerpunkt männliche Gewalt, Täterschaft und Opferwerdung.
Aufbau und Inhalt
Nach einem persönlichen Impuls der Autorin, einer Einleitung und einer kurzen Diskursbeschreibung wird im ersten Kapitel auf die aktuelle Männerforschung eigegangen. Männerforschung wird hier verstanden als „interdisziplinäre Forschung über Männer als Geschlechtswesen, männliche Lebenswelten, Männer und Männlichkeiten“ (Brandes 2002, zitiert in Zitzmann 2012, S. 12). Männerforschung als ein Teilbereich der Geschlechterforschung bzw. der gender studies. Die Autorin stellt drei theoretische Grundlagen dar:
- Psychoanalytischer Ansatz
- Rollentheoretischer Ansatz
- Anthropologisch, historisch und soziologischer Ansatz.
Nach der Diskussion der genannten Grundlagen und einem Überblick der deutschen und amerikanischen Männerforschung bezieht sich die Autorin auf repräsentative Studien aus Deutschland.
Im zweiten Kapitel Männlichkeit: Entstehung, Macht, Geschlecht wird nach einer kurzen Einleitung das Männlichkeits-Konzept aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Hauptsächlich bezieht sich die Autorin dabei auf die renommierte Männerforscherin Raewyn Connel. Anschließend werden die folgenden vier Männlichkeitskonzepte dargestellt:
- das Patriarchats-Konzept nach Jeff Hearn und David Morgan
- das Habitus-Konzept nach Pierre Bourdieu
- das Konzept der hegemonialen Männlichkeit nach Raewyn Connell und
- Doing gender / Doing masculinity nach dem Soziologen Michael Meuser.
Das dritte Kapitel Männliche Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung befasst sich mit dem lebenslangen Prozess der Sozialisation, in welchem Verhaltensweisen und Beziehungsmuster vermittelt und internalisiert werden. Es geht dabei um Soziales Lernen, also das Lernen am Modell. Im ersten Unterkapitel bezieht sich die Autorin auf das Konzept Nicht-Nicht-Mann welches Hagemann-White seit den 1980er Jahren entwickelt hat. Das Konzept wird nachvollziehbar und verständlich dargestellt. Dabei wird auch auf die Kritik gegen das Konzept eingegangen. Als zweiten Aspekt wird in der Folge das Konzept der Entgrenzung von Männlichkeit nach Lothar Böhnisch aufgezeigt. Böhnisch beschäftigt sich mit dem männlichen Prinzip der Externalisierung und Abspaltung.
Im vierten Kapitel Männliche Trias: Devianz, Delinquenz, Viktimisierung kommt die Autorin zum eigentlichen Kern ihrer Ausführungen. Sie bezieht sich auch dabei auf den Prozess der Sozialisation. Im ersten Unterkapitel wird der Gewaltbegriff definiert und diskutiert. Dabei wird zwischen direkter personaler und indirekter struktureller Gewalt unterschieden. Das zweite Unterkapitel behandelt den Themenbereich Täterschaft und Opferwerdung. Die Autorin bezieht sich dabei auf Hellfelddaten, die Dunkelfeld-Jugendstudie „Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt“ des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen und die Studie „Männer – die ewigen Gewalttäter“ des Genderforschers Peter Döge. Weiter thematisiert werden die Auswirkungen von innerfamiliären Gewalt- und Missbrauchserfahrungen und deren Konsequenzen auf die männliche Sozialisation. Im dritten Unterkapitel werden Theorien abweichenden Verhaltens aufgezeigt. Nach kurzer Einleitung mit Bezug zu den Theorien des Soziologen Siegfried Lamnek wird ein historischer Überblick gegeben um dann verschiedene kriminologische Theorien und Ansätze wie z.B. dem Labeling Approach, aufzuzeigen. Anschließend stellt die Autorin im vierten Unterkapitel verschiedene sozialpsychologische Forschungsexperimente vor. Darunter auch das Standford-Prison-Experiment.
Im fünften Kapitel befasst sich die Autorin mit Männerkulturen und Männlichkeitsdarstellungen. Schwerpunkte werden mit den Themen
- Reproduktion hegemonialer Männlichkeit,
- Männliche Ehre und Ehrbedrohung und
- Militärische Männerkultur
gesetzt. Diese Themen bilden gleichzeitig die drei Unterkapitel dieses fünften Kapitels. Im Zusammenhang mit der Reproduktion hegemonialer Männlichkeit wird das Konzept Accomplishing gender vorgestellt und der Einfluss von Peergroups dargestellt. Ein besonderer Schwerpunkt legt die Autorin anschließend auf die Erfahrungen von Männern im Strafvollzug. Im zweiten Unterkapitel wird der Zusammenhang zwischen Habitus und der männlichen Ehre herausgearbeitet und das Modell Culture of Honor, entwickelt von Richard E. Nisbett und Dov Cohen, erläutert. Zudem werden gewaltlegitimierende Normen dargestellt. Erwartungsgemäß thematisiert die Autorin auch das Phänomen des Ehrenmords.
Am Schluss des Buches wagt die Autorin einen Ausblick in die Zukunft und stellt im Resümee zusammenfassend ihre wichtigsten Erkenntnisse dar.
Diskussion
Der Autorin gelingt es, in einer gut verständlichen Sprache, das Thema von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Dabei sind die verschiedenen beruflichen Hintergründe der Autorin sehr hilfreich. Sie bezieht eine große Anzahl relevanter Theorien, Ansätze und Modelle mit ein. Hilfreich und spannend ist die Darstellung der aktuellen Männerforschung. Neben den, vielen Leserinnen und Lesern sicherlich hinlänglich bekannten Theorien, wie Sozialisation, Habitus-Konzept usw. werden auch kriminalistische Theorien und Erkenntnisse dargestellt. Dies ist meines Erachtens die große Bereicherung durch die Auseinandersetzung mit den Ausführungen der Autorin. Als hilfreich erachte ich die Übersichtliche Gestaltung des Buches. Dadurch kann das Buch, trotz des relativ schmalen Umfanges, im Sinne eines „Nachschlagewerkes“ immer wieder von Nutzen sein.
Fazit
Braucht es noch ein weiteres „Männerbuch“? Mancher Leserin und manchem Leser mag wohl beim Titel des besprochenen Buches dieser Gedanke durch den Kopf gegangen sein. In Bezug auf das besprochene Buch lautet die Antwort ganz klar, Ja. Aus verschiedenen Perspektiven wird das Thema wissenschaftlich fundiert beleuchtet und diskutiert. Ein wichtiges Buch zu einem nach wie vor wichtigen Thema!
Rezension von
Armin Eberli
dipl. Sozialpädagoge/Sozialarbeiter, MAS Leadership und Change-Management. Dozent, Standortleiter Zürich und Mitglied Leitung HF von Agogis, www.agogis.ch
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Es gibt 15 Rezensionen von Armin Eberli.
Zitiervorschlag
Armin Eberli. Rezension vom 10.09.2013 zu:
Ellen M. Zitzmann: Opfer Mann? Männer im Spannungsfeld von Täter und Opfer. Tectum-Verlag
(Marburg) 2012.
ISBN 978-3-8288-3086-8.
[Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag / Reihe Sozialwissenschaften] Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag, Reihe Sozialwissenschaften - Band 55.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15046.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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