Alexander Hensel, Roland Hiemann et al. (Hrsg.): Politische Kultur in der Krise
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 02.07.2014
Alexander Hensel, Roland Hiemann, Daniela Kallinich, Robert Lorenz, Katharina Rahlf (Hrsg.): Politische Kultur in der Krise.
ibidem-Verlag
(Hannover) 2014.
420 Seiten.
ISBN 978-3-8382-0576-2.
D: 39,90 EUR,
A: 41,00 EUR,
CH: 47,00 sFr.
Reihe: Göttinger Institut für Demokratieforschung: Jahrbuch des Göttinger Instituts für Demokratieforschung - 2013.
„Unter der Hülle formal intakter Institutionen brodelt es gewaltig“
Über Krisen wird allenthalben und allerorten informiert, attackiert und fabuliert. Krisenszenarien werden beredet, beschrieben und gemalt. Bewältigungsstrategien werden erdacht, angepriesen und belacht. Ganze Büchereien sind gefüllt mit seriöser wie populistischer und kassandrischer Literatur. Die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen reichen von fachspezifischen bis interdisziplinären Forschungen. Im Internet-Rezensionsdienst von Socialnet.de finden sich zahlreiche Rezensionen, die zu Krisensituationen und -analysen Stellung beziehen (z. B.: Herfried Münkler, Hrsg., Handeln unter Risiko. Gestaltungsansätze zwischen Wagnis und Vorsorge, 2010, www.socialnet.de/rezensionen/10384.php; Markus Weingardt, Hrsg., Vertrauen in der Krise, www.socialnet.de/rezensionen/14664.php; Tilman Moser, Geld, Gier & Betruf. Wie unser Vertrauen missbraucht wird, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/13080.php; siehe auch: www.socialnet.de/materialien/168.php).
Entstehungshintergrund und Herausgeberteam
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Göttinger Instituts für Demokratieforschung geben mittlerweile seit vier Jahren ein Jahrbuch heraus, in dem sie einen Querschnitt ihrer Forschungsarbeiten, einschließlich der Beiträge von Freunden und Gästen des Instituts, vorlegen. Es sind jeweils Zusammenfassungen von Ergebnissen, die teilweise auch im Blog des Instituts vorgestellt werden. Damit bereits wird die Philosophie des Göttinger Instituts erkennbar: Es ist die öffentliche Präsentation von kurzen Texten, „die gesellschaftliche und politische Phänomene prägnant und verständlich auf den Punkt bringen“. Die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen Alexander Hensel, Roland Hiemann, Daniela Kallinich, Robert Lorenz und Katharina Rahlf geben das Jahrbuch heraus.
Dem Rezensenten sei es erlaubt, anerkennend dem Göttinger Institutsleiter Franz Walter auf die Schultern zu klopfen (vgl. dazu auch: Franz Walter, Baustelle Deutschland. Politik ohne Lagerbindung, 2008, www.socialnet.de/rezensionen/7405.php). Die Herausgabe der Jahrbücher durch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeugt von der durchaus im akademischen Bereich nicht selbstverständlichen Bereitschaft und Fähigkeit, Kooperation und Innovation zuzulassen und zu fördern.
Aufbau und Inhalt
Die Berichte der insgesamt 54 Autorinnen und Autoren werden in die folgenden Kapitel gegliedert: Politische Kultur in der Krise – Bürgerproteste in Deutschland – Demokratie in der Debatte – Niedersachsen wählt – Politische Parteien – Medien. Kultur. Debatte – Ein Blick zurück – Die Republik vor der Wahl. Zu den einzelnen Themenbereichen werden jeweils kurzgehaltene, meist zwei- bis dreiseitige Texte vorgestellt. Sie lesen sich wie eine Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Befindlichkeiten und Imponderabilien, etwa, wenn Franz Walter feststellt: „Wie die Gesellschaft, so die Politik“; Johanna Klatt über die vermeintlich „Alternativlosen“ resümiert; sich Daniela Kallinich über die Tendenzen von gesellschaftlichen „Rechtsrucken“ auslässt; Danny Michelsen über „Populismus als Krisensymptom“ forscht; Jens Gmeiner über das Wirken von Evangelikalen in den USA berichtet; Samuel Salzborn die jüngste Entwicklung in Ungarn analysiert; David Bebnowski über die „Ideologie der Antiideologen“ schreibt; Christoph Schmitz nach den Ursachen über das Ausbleiben von Anti-Überwachungsprotesten fragt; Jöran Klatt die Argumentationsmuster in Bildungsprotesten anschaut; wenn Stine Marg die Frage stellt: „Wünschen sich Bürger mehr Beteiligung?“; Matthias Micus über den Wandel des Berufs des Politikers nachdenkt; Robert Pausch im Kapitel „Niedersachsen wählt“ den Wahlabend der niedersächsischen CDU beobachtet; wenn im Kapitel „Politische Parteien“ Oliver D´Antonio den Wandel der politischen Rolle der FDP analysiert; Adrian Haack die politischen Parteien auf EU-Ebene betrachtet; Maria Sulimma aus Anlass des Frauen(kampf)tages zur Sexismus-Debatte Stellung bezieht; wenn mit dem „Blick zurück“ Franz Walter einen Vergleich von August Bebel und Willy Brandt wagt; oder wenn im Kapitel „Die Republik vor der Wahl“ Saskia Richter über den „Wutbürger“ redet; Julika Förster mit dem Schlagwort „Grüne Glücksphilosophie“ den Wahlkampf der Grünen betrachtet; Julia Kiegeland über die Relevanz des Internets zur Bundestagswahl 2013 forscht; oder wenn Sören Messinger über den Einfluss des Wahlrechts auf den Ausgang der Bundestagswahl informiert.
Die ausgewählten, hier nur stichwortartig angedeuteten Forschungsarbeiten und Zwischenberichte aus dem reichen Feld der virtuellen und publizierten Institutsveröffentlichungen zeigen die Bandbreite der im Göttinger Institut für Demokratieforschung (www.demokratie-goettingen.de) geleisteten Aktivitäten. Im Anhang wird neben dem Autorenverzeichnis auch eine Publikationsliste aus dem Jahr 2013 vorgelegt, ebenfalls werden Unterrichtsmaterialien angeboten, die in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für Politische Bildung und dem Niedersächsischen Kultusministerium als Download zur Verfügung stehen.
Fazit
Es ist bezeichnend und stilbildend, dass das Herausgeberteam das Jahrbuch mit vier Plakatabbildungen einleiten, auf denen Kinder im Alter zwischen sieben und elf Jahren jeweils mit eigenen Worten den Anfangssatz „Demokratie ist…“ kindgemäß ergänzen. Die aus dem didaktischen Projekt des Instituts ausgewählten Fotos (Kinderstimmen-Ausstellung des Kinderdemokratie-Projekts), wie auch die weiteren Abbildungen zeigen, dass die Forschungsarbeiten zur Demokratie- und Politischen Bildung eingebunden sind in den Theorie-Praxis-Zusammenhang. Und ein weiteres wird mit dem Jahrbuch erkennbar: Die resignativ wirkende Aussage des Institutsleiters – „So ist die Politik. So ist aber auch die deutsche Gesellschaft im Jahr 2013“ – enthält für diejenigen, die sehen und hören wollen, einen unüberhörbaren und unübersehbaren Aufforderungscharakter: Der zôon politikon (Aristoteles) ist aufgrund seiner Vernunftbegabung und der ihm gegebenen Fähigkeit, aktiv-gerecht in Gemeinschaft mit den Mitmenschen zu leben, sowie der Kompetenz, zwischen Gut und Böse wertend unterscheiden zu können, aufgefordert, politisch, also human zu leben und zu handeln.
So dürften die Forschungsberichte und Analysen über den Ist- und Aktualitätszustand und die „Fragilität demokratischer Systeme“ in Deutschland, Europa und den USA für die Politikforschung und -praxis, wie auch für die schulische und außerschulische Politische Bildung von Interesse sein.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 02.07.2014 zu:
Alexander Hensel, Roland Hiemann, Daniela Kallinich, Robert Lorenz, Katharina Rahlf (Hrsg.): Politische Kultur in der Krise. ibidem-Verlag
(Hannover) 2014.
ISBN 978-3-8382-0576-2.
Reihe: Göttinger Institut für Demokratieforschung: Jahrbuch des Göttinger Instituts für Demokratieforschung - 2013.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15086.php, Datum des Zugriffs 16.01.2025.
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