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Stefan Bestmann: Finden ohne zu suchen (sozialräumliche Kinder- und Jugendhilfe)

Rezensiert von Dipl.-Soz. Willy Klawe, 21.02.2014

Cover Stefan Bestmann: Finden ohne zu suchen (sozialräumliche Kinder- und Jugendhilfe) ISBN 978-3-658-00434-7

Stefan Bestmann: Finden ohne zu suchen. Einzelfallunspezifische Arbeit in der sozialräumlichen Kinder- und Jugendhilfe. Springer VS (Wiesbaden) 2013. 282 Seiten. ISBN 978-3-658-00434-7. D: 39,95 EUR, A: 41,07 EUR, CH: 50,00 sFr.
Reihe: Research.

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Thema

Die Orientierung an den Bedingungen und Ressourcen des Sozialraumes gehört schon seit einigen Jahren zum selbstverständlichen Fokus sozialräumlicher Erziehungshilfen. Selbst dort, wo „Sozialraumorientierung“ nicht nach der „reinen Lehre“ mit einem Sozialraumbudget, einem Sozialraum-Team und kooperativen Entscheidungsstrukturen verbunden wird, ist dieser Fokus als zusätzliche Unterstützungsressource präsent. Gemessen an der von Altmeister Wolfgang Hinte postulierten Trias von fallspezifischer, fallübergreifender und fallunspezifischer Arbeit findet hierbei das professionelle Handeln allerdings vorwiegend auf den ersten beiden Ebenen statt – fallunspezifische Arbeit genießt, übrigens häufig auch bei der Umsetzung der „reinen Lehre“, dagegen immer noch eher wenig Aufmerksamkeit. Dies könnte sich nach der Lektüre des vorliegenden Bandes von Stefan Bestmann indes deutlich ändern. Seine durch eigene empirische Befunde unterlegte Ausdeutung und Konkretisierung dieser „dritten Dimension“ macht die Funktion und Reichweite dieser Handlungsebene im Feld der Erziehungshilfen anschaulich und nachvollziehbar.

In seiner Einleitung weist der Autor darauf hin, dass bereits zu Beginn des sozialräumlichen Diskurses die Plausibilität und Notwendigkeit dieser Handlungsebene umstritten waren – und es letztlich heute noch sind. Bestmann greift diesen kontroversen Diskurs auf, verortet ihn im Kontext der theoriegeleiteten Begründung einer sozialraumorientierten Erziehungshilfe und möchte seine Studie als Beitrag zur Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit als Handlungswissenschaft verstanden wissen. Er soll „…den fachlichen Diskurs zur Gestaltung der Jugendhilfe anregend…(unterstützen) und zugleich eine begriffliche wie auch handlungsbezogene Klärung der im Fachkonzept der Sozialraumorientierung immanenten fallunspezifischen Arbeit…(anbieten).“ (16) Oder, wie es der Autor an anderer Stelle formuliert: „Das Hauptanliegen der vorliegenden Forschungsarbeit besteht darin, aufgrund der teilweise unscharfen Rezeption des Fachbegriffes der fallunspezifischen Arbeit eine Gegenstandsklärung auf der Grundlage einer exemplarisch empirischen Untersuchung zu formulieren.“ (239)

Aufbau und Inhalt

Neben der bereits erwähnten Einleitung gliedert sich der vorliegende Band in vier Kapitel.

Im ersten Abschnitt „Theoretischer Rahmen des Fachkonzeptes der Sozialraumorientierung“ bemüht sich der Autor, „…die gesellschaftliche wie auch professionsbezogene Kontextualisierung des Fachkonzeptes der Sozialraumorientierung (…) nachvollziehbar zu machen und damit den Kerngegenstand dieser Forschung, also die Handlungsdimension fallunspezifischer Arbeit zu beschreiben und zu begründen.“ (18) Ausgehend von einem Professionsverständnis das Soziale Arbeit als „personenbezogene soziale Dienstleistung“ (ebd.) und ihren AdressatInnen als selbstbestimmte Subjekte versteht, entfaltet Bestmann differenziert und prägnant Zielsetzung, Entwicklung und den aktuellen Stand des Fachkonzeptes Sozialraumorientierung und verortet es zwischen Gemeinwesenarbeit, Lebensweltorientierung und Lösungsfokussierung. Orientiert am Stuttgarter Modell (Hinte) skizziert er anschaulich die relevanten Eckpunkte seiner Umsetzung und referiert pointiert die gegen dieses Konzept vorgebrachten professionellen und sozialpolitischen Einwände.

Der „Genese des Begriffes „fallunspezifische Arbeit““ ist der dann folgende zweite Abschnitt gewidmet. Laut Gutachten der KGST ist damit „die Aneignung von Kenntnissen über den sozialen Raum, die Einbindung in das Netz der Fachkräfte im Wohnquartier, der Aufbau von Kontakten zu Institutionen außerhalb des sozialen Bereichs, zu Vereinen, Bürgergruppen usw.“ gemeint (74) Die Fachkräfte erhalten so „Informationen über die Lebenswelten der dort lebenden Menschen, die sich in der Form in einem angebotsorientierten Aufbau Sozialer Arbeit nicht artikulieren.“(75)

In seinen weiteren Ausführungen zur Rezeption und Weiterentwicklung des Begriffes im dritten Abschnitt beschreibt der Autor einerseits anschaulich und konkret Beispiele seiner praktischen Umsetzung und dafür entwickelter methodischer Instrumente. Andererseits arbeitet er auch die Bedeutung fallunspezifischer Arbeit als „Einsparungspotenzial“ heraus, denn sie hat „…letztlich das Ziel, die fallabhängige und fallübergreifende Arbeit überflüssig zu machen.“ (85) Auch in diesem Kapitel gibt der Autor den kritischen Einwendungen gegen die Handlungsebene fallunspezifische Arbeit angemessenen Raum und erörtert überzeugend deren Implikationen und Konsequenzen. Eine dieser Konsequenzen ist, dass bislang wenig empirische Studien darüber vorliegen, auf welche Weise und mit welchen Wirkungen fallunspezifische Arbeit vor Ort umgesetzt wird. Aus Sicht Bestmanns liegt dies u.a. auch daran, „dass mit dem Begriff der fallunspezifischen Arbeit eine Breite und gleichsam Unschärfe formuliert ist, die einerseits im Fachdiskurs eine Kritik am Konzept der Sozialraumorientierung nicht stringent argumentieren lässt aufgrund des diffusen Gegenstands und anderseits diese Unschärfe vor allem die Messung der Wirkung…behindert und so eine Evaluation erschwert.“ (92 f)

Kern und Schwerpunkt der vorliegenden Publikation ist das Kapitel 4, in dem der Autor seine eigene exemplarisch-empirische Untersuchung der Praxis fallunspezifischer Arbeit vorstellt und „Beschreibungen des fallunspezifischen Arbeitsansatzes auf den zentralen Qualitätsdimensionen (…) der Struktur, des Prozesses und des Outcome nachvollziehbar (herausarbeitet)“ (96) Der Autor erläutert zunächst Forschungsansatz, Fragestellung und methodisches Vorgehen und beschreibt dann systematisch Anlässe, Inhalte und Themen fallunspezifischer Arbeit. In seinen weiteren Ausführungen charakterisiert er die Rollen und Funktionen der maßgeblichen Akteure, mögliche im Quartier vorfindbare Ressourcen und geht ausführlich auf das methodische Handeln der Fachkräfte und die hierfür erforderlichen Kompetenzen ein. Neben dem Abbau von blockierenden Selbst- und Fremdbildern, gegenseitiger Wertschätzung, einer ressourcenorientierten Haltung, einem bedarfsorientierten Zugang und einer reflexiven Rollenwahrnehmung arbeitet er die Fähigkeit Dekonstruktions- und Öffnungsprozesse einzuleiten und zu begleiten als eine zentrale methodische Kompetenz heraus. Diese bezieht sich auf die Ebene

  • „des Raums (Öffnen von örtlichen Bezügen)
  • der Menschen (Dekonstruktion von Zielgruppenbeschreibungen)
  • der Themen (Öffnung von thematischen Individualisierungen) sowie
  • der Prozesse (Öffnung von Ergebnis und Struktur).“ (243)

Dazu kommen die Fähigkeit Netzwerke zu knüpfen und auszubauen sowie fachliche Kooperationen ergebnisorientiert zu gestalten.

Nach dieser ausführlichen und detaillierten Beschreibung resümiert der Autor Ziele und Effekte fallunspezifischer Arbeit und umreißt die dafür notwendigen strukturellen Rahmenbedingungen. Mit sechs Projektbeispielen fallunabhängiger Arbeit schließt Bestmann dieses Kapitel ab.

In seiner abschließenden Diskussion fasst der Autor seine empirischen Befunde in einem „Modell zentraler Prinzipien fallunspezifischer Arbeit“ (239) prägnant und überzeugend zusammen und bildet diese in einer Matrix anschaulich ab. Aus seiner Sicht umfasst fallunspezifische Arbeit „diejenige Arbeit, in der die sozialräumlichen Ressourcen nicht konkret in der einzelfallspezifischen Arbeit eingesetzt, sondern entdeckt, kontaktiert, gefördert bzw. aufgebaut werden……(sie ist) demzufolge eine sozialräumlich orientierte Netzwerk- und Strukturarbeit, die wiederum Rückwirkungen auf die in einem Sozialraum lebenden und agierenden Menschen haben kann und damit entweder die einzelfallspezifische Arbeit unterstützt oder gar grundsätzlich präventiv wirkt…“ (251)

Fazit

Die vorliegende Arbeit gibt einen systematischen und anschaulichen Einblick in die (mögliche) Praxis der fallunspezifischen sozialräumlichen Arbeit im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Sie trägt zur Klärung der Ziele und Funktionen dieser Handlungsdimension sozialräumlicher Arbeit bei und hilft, die eingangs erwähnte Trias der Handlungsebenen, auch theoretisch klarer zu profilieren. Grundsätzliche, auch im Buch detailliert dargestellte, fachliche und sozialpolitische Einwände gegen ein sozialraumorientiertes Handlungskonzept in den Erziehungshilfen räumt es indes nicht aus, was freilich auch nicht der Anspruch des Verfassers war. Aber es hilft denjenigen Leserinnen und Lesern, die sich entweder theoretisch in sozialräumliche Handlungskonzepte einarbeiten wollen wie auch denen, die nach Formen und Methoden ihrer Konkretisierung suchen. Der an einigen Stellen des Textes gelegentlich „überpräzise“ und um jeden Preis auf wissenschaftliche Absicherung bedachte Sprachduktus ist wohl dem wissenschaftlichen Entstehungskontext der Studie geschuldet, macht die Lektüre stellenweise allerdings etwas mühsam und ermüdend.

Rezension von
Dipl.-Soz. Willy Klawe
war bis März 2015 Hochschullehrer an der Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie Hamburg. Jetzt Wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Instituts für Interkulturelle Pädagogik (HIIP, www.hiip-hamburg.de)
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Es gibt 62 Rezensionen von Willy Klawe.

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Zitiervorschlag
Willy Klawe. Rezension vom 21.02.2014 zu: Stefan Bestmann: Finden ohne zu suchen. Einzelfallunspezifische Arbeit in der sozialräumlichen Kinder- und Jugendhilfe. Springer VS (Wiesbaden) 2013. ISBN 978-3-658-00434-7. Reihe: Research. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15090.php, Datum des Zugriffs 28.11.2023.


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