von Andrea Batzel, Thorsten Bohl et al.: Evaluation des Tübinger Theatercamps "Stadt der Kinder"
Rezensiert von Prof. Dr. Hans Wolfgang Nickel, 27.11.2013
von Andrea Batzel, Thorsten Bohl, Doreen Bryant: Evaluation des Tübinger Theatercamps "Stadt der Kinder". Ein Ferienprojekt zur Förderung von Sprache und sozialer Kompetenz.
Schneider Verlag Hohengehren
(Baltmannsweiler) 2013.
164 Seiten.
ISBN 978-3-8340-1180-0.
Reihe: Schul- und Unterrichtsforschung - Band 16.
Thema
Sehr deutlich benennt der Buchtitel das beherrschende Thema: „Evaluation des Tübinger Theatercamps ‚Stadt der Kinder’“. Es geht also vor allem um die Evaluation, deren Fragestellungen, Formen und Ergebnisse. Weniger zu erfahren ist von dem im Untertitel genannten eigentlichen „Ferienprojekt zur Förderung von Sprache und sozialer Kompetenz“.
Autorinnen und Autor
Andrea Batzel, M.A., arbeitet in der Tübinger Forschungsgruppe ‚Analyse und Förderung effektiver Lehr-Lernprozesse’; Thorsten Bohl ist Professor für Schulpädagogik, Doreen Bryant Professorin für germanistische Linguistik und Sprachheilpädagogik, beide an der Universität Tübingen. Für einzelne Artikel wird die „Mitarbeit“ von fünf weiteren AutorInnen verzeichnet; es sind „Lehramtsstudierende“, die „an der Fragebogenerhebung … beteiligt“ waren und „im Rahmen dieses Projektes ihre Abschlussarbeiten verfassten“ (aus dem „Vorwort der Forschergruppe“, S. 7).
Die praktische Durchführung des Feriencamps wurde ermöglicht durch die Mitwirkung von „20 Studierenden, die die Kinder über neun Tage hinweg intensiv in den jeweiligen Kleingruppen begleiteten und dabei für die Sprachförderung, Theaterinszenierung und vieles mehr verantwortlich waren“ (7 f). „Die theaterpädagogische Verantwortung“ – was immer das bedeutet – „lag bei Herrn Volker Schubert“ (6), Theaterpädagoge am Landestheater Tübingen (LTT).
Entstehungshintergrund
Der „Abschlussbericht zur Evaluation“ (7) und seine Veröffentlichung stehen im Zusammenhang mit der „Robert Bosch Stiftung“ und ihrer Förderung des Projekts;
Förderung ist zu rechtfertigen; Überlegungen und Ergebnisse, vorgelegt in Texten, Grafiken, Zahlen, sollen für weitere Unternehmungen zur Verfügung stehen.
Aufbau
Nach der knappen „Einleitung“ (9 f) folgen die
- „Theoretische Verortung der Konzeption“ (11 ff),
- „Theoretische Grundlagen“ (30 ff) und
- die Diskussion von „Forschungsfragen“ (56 ff).
- Ausführlich wird die „Methode“ der Evaluation (!) erläutert (60 ff), werden
- „Ergebnisse“ mitgeteilt (84 ff) – das umfangreichste Kapitel.
- Die abschließende „Diskussion“ (142-149) behandelt „Grenzen der Evaluation“, bringt eine „Zusammenfassung der Ergebnisse“ und nennt knapp eine „Perspektive für zukünftige Pfingstcamps“ (149).
Auch der Aufbau des Buches macht also deutlich, dass die Veröffentlichung vor allem die Evaluation des Theatercamps behandelt.
Inhalt
Zur Geschichte von Feriencamps. Das Forscherteam war ausgegangen von „US-amerikanischen Ergebnissen zu Kompetenzverlusten während der dreimonatigen Sommerferien“ (9), die schon ab 1916 zur Einrichtung von „Summer Schools“ führten. Dreierlei sollte damit erreicht werden: „die Prävention von strafbarem Verhalten, die Förderung einer positiven Einstellung der Schülerinnen und Schüler zu sich selbst und zum Lernen sowie die Eingrenzung und Vorbeugung von Lerndefiziten“ (11). Dabei ist der „Kompetenzverlust nicht auf Intelligenz, Geschlecht oder Ethnizität der Schülerinnen und Schüler zurückzuführen. Prädikatoren für die differenzielle Leistungsentwicklung sind die Mutter- bzw. Familiensprache der Kinder und der sozioökonomische Hintergrund …“ (12). Für „Kinder der Mittelschicht“ ließen sich „über die Sommerferien … sogar Lerngewinne in den Bereichen Lesen und Wortschatz“ aufweisen (12).
Deutsche Untersuchungen zeigten, „dass die Entstehung bzw. die Vergrößerung von Leistungsdisparitäten auch in Deutschland vom sozialen Umfeld der Kinder beeinflusst ist.“ So „wiesen Kinder aus sozial benachteiligten Familien einen größeren Leistungsverlust über die Sommerferien auf als Kinder aus Familien mit hohem sozioökonomischen Status. Für Kinder mit Migrationshintergrund konstatierten Becker et al. (2008) einen noch ungünstigeren Verlauf der Lesekompetenzentwicklung …“ (13).
Ab 2004 führte das amerikanische Vorbild der Sommerschulen zu ähnlichen „Unterstützungsmaßnahmen für Kinder mit Förderbedarf“ in Deutschland, beginnend mit dem Bremer Jacobs Sommercamp. „Die drei wesentlichen Bestandteile des Camps waren das theaterpädagogische Programm, der Unterricht in Deutsch als Zweitsprache und die Freizeit- und Betreuungskomponente, die durch das Gesamtthema ‚Die Kofferbande auf Reisen’ miteinander verbunden waren“ (14). „Als Ferienangebote konzipiert, stehen“ in diesen Camps „auch Spiel und Spaß im Fokus, zudem sollen durch die Einbettung in motivierende, meist theaterpädagogische Lernarrangements überfachliche Ziele wie beispielsweise die Förderung der Lernfreude erreicht werden. Die meisten Angebote dieser Art … zielen vor allem auf umfangreiche Sprachförderung“ (9).
Inzwischen haben sich die Maßnahmen vervielfacht; bisher wurden sie durchgeführt mit Kindern von der 3. bis zur 9. Klasse. Die „sprachintensiven Situationen können verschiedener Gestalt sein. In vielen Ferienprogrammen sind sie theaterpädagogisch gerahmt“ (15).
Basierend auf amerikanischen und deutschen Vorerfahrungen „wurde in Tübingen ein Sprachfördercamp mit theaterpädagogischen Elementen als Kooperationsprojekt zwischen der Stadt Tübingen, dem Landestheater Tübingen und dem Deutschen Seminar der Universität Tübingen konzipiert. Dazu wurde auf der Basis von Evens Dramagrammatik ein dramapädagogisches Sprachförderkonzept neu entwickelt“ (9).
Theaterpädagogik. Die „Entwicklung zur Theaterpädagogik als ästhetische Kommunikation birgt vor allem im Hinblick auf die nachfolgenden Bezüge von Sprachförderung großes Potenzial. … Der Aspekt der Mimesis, der Nachahmung von Wirklichkeit, wird im Sprachlernprozess zu einer Möglichkeit, gezielten oder spontanen sprachlichen Aufforderungen Raum zu geben“. Was hier, sprachlich ungeschickt, ausgedrückt werden soll und auf „Theaterpädagogik als relativ junge Disziplin“ (16) bezogen wird, findet sich schon bei Luther in dessen Tischreden: „Comödien zu spielen soll man um der Knaben in der Schule willen nicht wehren, sondern gestatten und zulassen, erstlich dass sie sich üben in der lateinischen Sprache …“.
Und auch der ergänzende Hinweis, „Die ‚Total Physical Response’-Methode (TPR-Methode) im Sprachenlernen beschäftigt sich mit der Körperlichkeit von Sprache bzw. mit der Verbindung von physischer Aktion und Lernen“ (17), lässt sich bei protestantischen Schulmeistern, etwa Christian Weise, konkreter und sprachmächtiger nachlesen: „Über dieß wie könte ich einen zukünfftigen Cavallier von meiner Hand wegziehen lassen / wenn er zwar das Gemüthe mit Lateinischen Gedancken / hingegen die Zunge mit keiner anständigen Beredsamkeit / viel weniger das Gesichte und den Leib zu keiner Leutseligen Mine disponirt hätte?“ So Weise, Autor von mehr als 50 Stücken für das Schultheater, in der Widmung an seine „Patronen“ zum „Trauer-Spiel von dem neapolitanischen Haupt-Rebellen Masaniello“ [1] - uraufgeführt 1682 auf der Schulbühne des Zittauer Gymnasiums, das Weise seit 1678 als Rektor leitete.
Die theaterpädagogische Praxis des Camps. Das Tübinger Pfingstcamp brachte zwei Wochen lang „66 Kinder im Alter von acht bis elf Jahren“ (17) „täglich von 9 bis 17 Uhr im Camp“ mit 20 Studierenden zusammen. Die Studierenden hatten im Laufe eines „zweisemestrigen vorbereitenden Seminars … mehrere dramapädagogische Einheiten zu zielsprachlichen Strukturen“ konzipiert und „im Rahmen des Kurses diskutiert und ausprobiert“ (18). Für die Theaterarbeit im Camp gab es „eine vorgegebene Rahmenhandlung … Das Ende der Geschichte war zunächst offen gehalten und sollte mit den Kindern weiterentwickelt werden. … In den von den Studierenden geleiteten Workshops am Vormittag wurde ein dramapädagogischer Ansatz verfolgt. Die Studierenden konzipierten im Hinblick auf das Alter, die kognitiven Fähigkeiten und den Sprachstand ihrer Gruppe dramapädagogische Einheiten, die auf spielerische Art Sprachstrukturen beinhalteten. … In den ersten Tagen des Pfingstcamps bauten die Kinder in ihren Workshopgruppen mit Holz, Folien und Baumaterial eine eigene Hütte“ (19) – „ihr späteres Bühnenbild“ (20).
„Die Nachmittage des Camps dienten vor allem der dramaturgischen Theaterarbeit. … In einer internen Präsentation am Ende der ersten Woche hatte jede Gruppe die Möglichkeit, ihren Abschnitt der Geschichte zu präsentieren. … Von den Studierenden wurde im Anschluss an die Präsentation dramaturgisch ausgewertet und entschieden, welche der präsentierten Ideen weiter ausgearbeitet werden sollten. Hierbei wurden Teile gekürzt, Rollen wurden vergeben und auch gestrichen – ein Prozess, der auch zur Inszenierung und Stückentwicklung im Theater gehört. ( [2]) … Wie die Beschreibung der Konzeption zeigt, lag der Focus des Tübinger Pfingstcamps auf der Sprach- und Persönlichkeitsförderung im Sinne der ästhetischen Bildung. … Gerade durch die intensive und erlebnisreiche Gemeinschaft wurde ein konstanter sprachlicher Input gegeben. … Das Ziel der Sprachförderung war in der Planung der Workshops vordergründig. ( [3]) Gleichzeitig lief jedoch jede Sprachfördereinheit auf das Ziel der Inszenierung zu“ (20).
Die „Sprachförderkonzeption des Tübinger Pfingstcamps“ (21 ff) oder Probleme mit der Sprache. „Maßgebend für den Bildungserfolg ist der Erwerb des im Unterricht verwendeten (schriftnahen) Registers. Es ist dieses hohe Sprachregister mit all seinen Facetten, das im Focus … stand. Die gesamte Arbeit am Theaterstück… bot hierfür ein ideales Setting. … Die Sprachförderarbeit lanciert eine spezifische registeranhebende Inputanreicherung und bindet Phasen der expliziten Grammatikvermittlung und der Sprachreflexion in den dramapädagogischen Prozess ein“ (21). Verehrte AutorInnen: der letzte Satz mag ja inhaltlich richtig sein, ist aber, wenn überhaupt deutsch, nicht deutsche Sprache, sondern höchstens deutsche (wissenschaftliche?) Schreibe.
Weiter im Text: Besondere Schwierigkeiten gibt es, weil einige Kinder „neben den sprachlichen Problemen auch Verhaltensauffälligkeiten aufweisen. Man muss sich methodisch sehr strecken, um auch diese Kinder ins Boot zu holen. Und die Angebote müssen attraktiv genug sein, damit sie dem Boot nicht gleich wieder entspringen“ (23). Bleibt die Frage: Wie kann man sich methodisch strecken, um jemanden ins Boot zu holen?
Weiter: da gibt es die Gruppe der ‚Hammer’ (andere Gruppen heißen Zauberer, Wahrsager, Agenten). Dieser „Gruppe der ‚Hammer’ … wurde aufgrund des … fortgeschrittenen Sprachlevels die Szene der Gerichtsverhandlung anvertraut, die sprachlich recht hohe Anforderungen stellt“. Aufgrund des „fortgeschrittenen Sprachlevels“ ein falscher Plural? Oder stammen die Kinder wirklich aus Hamm in Westfalen? Oder ist ‚die Hammer’ ein schwäbischer Plural von ’der Hammer’? Oder soll es „Gruppe ‚der Hammer’“ heißen statt „Gruppe der ‚Hammer’“? Jedenfalls: Da ist Sprachförderung nötig!
Zurück zu den Verfahrensweisen! Die gerade genannte Gerichtsverhandlung wurde theaterpädagogisch geschickt vorbereitet: eine „vorgegebene Struktur (z.B. Ich habe gehört, dass der Krug gestohlen wurde.)“ – also eigentlich ein vorgegebener Satz! – sollte „mit emotionaler Steigerung“ wiederholt bzw. „emotional anders“ gestaltet werden (25). Nach weiteren Übungen besuchen die Kinder als Zeitungsreporter dann die von den studentischen Betreuern gespielte Gerichtsverhandlung. „Die Reporterinnen und Reporter hören dabei Konstruktionen der wörtlichen Rede und müssen diese ihrem Berufsstand entsprechend nun verwandeln in indirekte Rede“ (26). „Es ist beeindruckend, mit welcher Ernsthaftigkeit sich die Kinder in diesem Kontext jedem einzelnen Reporterheft zuwenden und über sprachliche Strukturen reflektieren. Mit großem Stolz stehen die Kinder am nächsten Morgen vor dem an der Wand angebrachten Zeitungsauszug und repetieren dabei erneut die Konstruktion der indirekten Rede“ (27). Allerdings: im „Zeitungsauszug“ zu lesen ist ein Text, der von keiner Zeitung gedruckt, sondern sofort im Papierkorb landen würde! Soweit zum „Beispiel einer dramagrammatischen Sprachfördereinheit“ (24 ff). Es ist schon grotesk, wenn Darstellung wie Evaluation eines Sprachförderungsprojekts mit sprachlichen Mängeln aufwarten.
„Theoretische Grundlagen“ (30 ff). Es geht zunächst wieder um „Kinder mit Migrationshintergrund“ – dabei eine bemerkenswerte Aussage, die nur zu unterstreichen ist: „Mangelnde Sprachkenntnisse werden somit nicht als ausschließliches Defizit der Kinder (und ihrer Familien) gesehen, sondern auch als nicht eingelöster Förderbedarf innerhalb des Schulsystems“ (36).
Fundiert werden dann „Lern- und leistungsrelevante Personenmerkmale“ (40 ff) wie „Soziale Kompetenz und sozial kompetentes Verhalten“ (48 ff) diskutiert. „Die referierten Ergebnisse geben Hinweise für eine effektive Konzeptionierung des Camps. … Personen, die sich autonom und kompetent in Situationen erleben und sozial eingebunden sind, zeigen eher Interesse für den Lerngegenstand“ (47). „Somit würde es sich positiv auf die Leistung der Kinder auswirken, wenn es während des Pfingstcamps gelänge, die Lernfreude bezogen auf das Fach Deutsch zu steigern und die Leistungsangst zu verringern“ (48). Ausführlicher diskutiert werden auch die Möglichkeiten des Rollenspiels, z.B. das „Ausagieren von Handlungsalternativen“ (54). „Theaterspiel weist Parallelen zum Rollenspiel auf. Die Kinder schlüpfen in eine Rolle und agieren in dieser eventuell anders als außerhalb dieser Rolle.“ Im Tübinger Camp war „die Rollenhandlung nicht von vorneherein festgelegt. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass die künstlerische Gestaltung im Zentrum des Theaterspielens standen (sic!)und nicht das Ausagieren verschiedener Handlungsalternativen“ (54). Leider wenig wird mitgeteilt über die Entwicklung der Szenen und der Inszenierung; nur knapp wird hingewiesen auf das „Muster einer Heldenreise“ (28); der Titel des Camps (und der Inszenierung?) „Stadt der Kinder“ wird nicht erklärt.
Forschungsfragen und Methode (56 ff). Die Evaluation des Pfingstcamps hat zwei zentrale Ziele: - Erfassung von Wirkungen des Pfingstcamps – Erfassung von Meinungen aller mittelbar und unmittelbar Beteiligten“ (56). Dazu gibt es eine umfangreiche Datenerhebung mit vielen Fragebogen: Elternfragebogen, Studentenfragebogen, Lehrerfragebogen; ferner Interviews mit Studierenden, leitfadengestützte Experteninterviews; aufbereitet meist in Texten, Zahlen und Grafiken.
Ergebnisse (84 ff.) „Am besten konnte nach Aussage der Studierenden durch das Theaterspielen die Teamfähigkeit der Kinder gefördert werden … In vier Interviews wurden Schwierigkeiten in Bezug auf die enge Verknüpfung von Sprachförderung und Theaterpädagogik geäußert, da die Kinder nicht immer konzentriert mitgearbeitet haben und die Förderung aufgrund des anspruchsvollen Konzeptes im Vergleich zu anderen Angeboten manchmal zu kurz kam.“ (92). Aus einem Interview: „Aber durch dieses Theater konnte man sehr gut so ne Sinnhaftigkeit konstruieren … Und die Kinder haben irgendwie halt keine Lust irgendwas zu machen, wo sie den Sinn nicht sehen“ (93) [4]. Dazu ein anderes Interview: „Also ich würde sagen, durch unseren Fokus auf Relativsatzstruktur (.) würd ich sagen, dass die Kinder mit Deutsch als Zweitsprache in diesem Bereich auf jeden Fall mehr profitiert haben“ (97). „Die Wirkung des Pfingstcamps in Bezug auf den Zugewinn an sprachlicher und sozialer Kompetenz bei den Kindern sehen die Studierenden im Vergleich zu ihrem persönlichen Nutzen etwas weniger positiv …“ (94). „Des war schon eine schöne Erfahrung, ähm die ich wirklich auch die Spiele und die Sachen die Improsachen, die wir da gemacht haben, wirklich dann benutzen werde.“ – „Also erst mal vor (.) Kindergruppen reden, Kindergruppen anleiten. So was habe ich vorher noch nie gemacht. Ähm.“ (95) „Also diese Grundidee ‚Sprachförderung durch Theaterarbeit’ finde ich absolut großartig und halt sie für sehr wertvoll“ (104).
„In Bezug auf die Lernfreude ließ sich nach dem Pfingstcamp keine signifikante Veränderung feststellen… Ebenfalls keine signifikante Veränderung ließ sich nach Aussage der Kinder in Bezug auf die Mitarbeit und die Einstellung zum Fach Deutsch feststellen“ (117). „Viele Lehrkräfte haben keine Bewertung vorgenommen“ (118). „Besonders wenig hat sich nach Ansicht der Lehrkräfte daran geändert, wie viel Bedeutung die Kinder dem Deutschunterricht beimessen“ (120). „Die Lehrkräfte konnten überwiegend keine fachlichen Verbesserungen feststellen …“ (122). Dabei „bewerten die Kinder das Theaterspielen und seine Einbettung in die Konzeption des Pfingstcamps positiv. … Die Umsetzung der Geschichte im Theaterstück wurde überwiegend positiv bewertet“ (126).
„Kindern (sic!), denen es gelang, im Pfingstcamp neue Freundschaften zu schließen und diese eventuell auch nach dem Pfingstcamp aufrechtzuerhalten, gaben auch eher an, mit dem Pfingstcamp zufrieden zu sein“ (134). „Dabei zeigte sich, dass sich Kinder, die in ihrer Freizeit Beschäftigungen nachgehen, die als bildungsförderlich (lesen) und kreativ (musizieren) gelten, mehr auf das Pfingstcamp freuten als Kinder, die andere Freizeitbeschäftigungen favorisieren“ (137).
In der abschließenden „Diskussion“wird „nochmals auf drei die Analyse begrenzenden (sic!) Aspekte hingewiesen … : 1. Fehlende Kontrollgruppe 2. Vergleichsweise kurzer Ferienzeitraum … 3. Dadurch bedingt geringere Förderpotenziale“ (142).
In der „Zusammenfassung der Ergebnisse“ heißt es, durch einen geschwärzten Kasten hervorgehoben: „Trotz der hohen Erwartungen bzw. großen Vorfreude konnten Kinder und Eltern zufriedengestellt werden, was keineswegs selbstverständlich ist. Dies kann als ein bemerkenswerter Erfolg benannt werden“ (143) – eine Formulierung, die so klingt, also solle der Erfolg herbeigeschrieben werden. Die für Camps allerdings übliche „Verknüpfung von Theater und Sprachförderung war nach Ansicht der Studierenden und Mitarbeitenden eine besondere Stärke der Konzeption“ (144). Ähnlich wurden auch „die Erwartungen der Kinder hinsichtlich der Theateraufführung am Ende des Camps übertroffen“ (147).
Das vom Umfang her imponierende Zahlenwerk (einschl. Tabellen, Grafiken), Pflichtaufgabe nach einer Drittmittelförderung, wird deutlich in den Vordergrund gestellt - verständlich: es soll (und muss auch) imponieren. Es liefert jedoch, soweit ich sehe, keine besonderen oder überraschenden Fakten, keine großartigen Erfolge, sondern vermittelt vor allem Meinungen. Durchaus positiv allerdings das Votum der Studierenden für die Möglichkeit, direkte Erfahrungen mit Kindern in einem Praxisprojekt machen zu können; im Profit für sie scheint mir der eigentliche Erfolg des Tübinger Camps zu liegen.
Diskussion
Nimmt man das Buch insgesamt in den Blick, so liefert es zunächst eine gute Grundlage zum Verständnis von Ferienprojekten und zur dringend notwendigen Förderung von Sprache und sozialer Kompetenz: einmal durch die zumindest interessante (Vor-)Geschichte der amerikanischen Summer Schools (ab 1916!) und ähnlicher „Unterstützungsmaßnahmen für Kinder mit Förderbedarf“ (14) in Deutschland ab 2004; dann durch die fundierte Darstellung „Lern- und leistungsrelevante Personenmerkmale“ (40 ff) wie die Ausführungen zu „Soziale Kompetenz und sozial kompetentes Verhalten“ (48 ff).
Die zentrale Thematik jedoch, die „enge Verknüpfung von Sprachförderung und Theaterpädagogik“ (92), also die Kombination einer Tätigkeit (Theater spielen) mit einem Ziel (Sprache lernen), wird zwar benannt, aber weder klar dargestellt noch problematisiert. Schlimmer: das spielerisch-theatrale „Tun“ erscheint in doppelter Terminologie unter zwei Begriffen – Theaterpädagogik und Dramapädagogik – und es gibt keine Mitteilung darüber, was denn eigentlich unter theaterpädagogisch bzw. dramapädagogisch verstanden wird, geschweige denn, eine Diskussion der beiden „Konzepte“. Es sieht schlicht so aus, als werde der DaF-Begriff „dramapädagogisch“ (vom Englischen her bestimmt) mit dem allgemeinpädagogisch akzentuierten „spielpädagogisch / theaterpädagogisch“ gleich gesetzt.
Schauen wir zunächst auf den Sprachgebrauch des Buches; ich beginne mit Theater und Theaterbegriffen. Da gibt es häufig die einfache und wohl auch klar konkret gemeinte Alltagsvokabel „Theaterspiel“ (54) bzw. „Theaterspielen“ (21, 92, 123, 124,125, 126, 127, 138), dazu manchmal „Theaterelemente“ (125, 147), außerdem noch Aufführung, Theateraufführung, Theaterinszenierung, Theaterarbeit und die dubiose „dramaturgische Theaterarbeit“ (20). Es gibt einige Male den Fachbegriff „Theaterpädagogik“ (16, 95), dazu „theaterpädagogisches Ferienangebot“ (17), „enge Verknüpfung von Sprachförderung und Theaterpädagogik“ (92) bzw. „Verknüpfung von Theater und Sprachförderung“ (144). Inhaltlich wird wenig zur Theaterpädagogik mitgeteilt; sie schrumpft zusammen auf Brecht, Boal, Ästhetik (s.o.). Die das Camp betreuenden Studierenden sind zwar begeistert von „Spielen“ und „Theater“, haben jedoch kaum theaterpädagogische Kenntnisse [5] und genieren sich nicht, den Kindern Unsinn vom Theater zu erzählen (vergl. Fußnote 2). Professionelle Theaterpädagogen waren an dem Projekt, so scheint es, nicht beteiligt. -
Im Wortumkreis Dramapädagogik gibt es „auf der Basis von Evens Dramagrammatik ein dramapädagogisches Sprachförderkonzept“ (9, auch 105) bzw. „Sprachförderung mit dramapädagogischen Mitteln“ (145). Konzipiert wurden für das Camp „mehrere dramapädagogische Einheiten zu zielsprachlichen Strukturen“ (18) bzw. „dramapädagogische Einheiten, die auf spielerische Art Sprachstrukturen beinhalteten“ (19). Dazu der oben schon zitierte schreckliche Satz: „Die Sprachförderung lanciert eine spezifische registeranhebende Inputanreicherung und bindet Phasen der expliziten Grammatikvermittlung und der Sprachreflexion in den dramapädagogischen Prozess ein“ (21). Zur „Sprachförderkonzeption“ des Camps gibt es eine „Illustrierung“ (21 ff); dabei wird Schewe (s.u.) kurz genannt; ausführlicher vorgestellt wird Susanne Even mit ihrem Buch ‚Drama Grammatik. Dramapädagogische Ansätze für den Grammatikunterricht Deutsch als Fremdsprache (2003)’ (22). Das von ihr vorgelegte „dramagrammatische Phasenmodell“ ergänzt, so wird mitgeteilt, die drei Stufen Schewes durch „explizite Grammatikvermittlung (Phase 3) und Sprachreflexion (Phase 5)“ (23). Dann folgt das „Beispiel einer dramagrammatischen Sprachfördereinheit … geeignet, um für eine graduelle Registeranhebung zu sensibilisieren“ (24).
Nun ist der Begriff ‚Dramapädagogik’nicht durchaus neu; er findet sich bereits bei Manfred Schewe in seiner einflussreichen Publikation „Fremdsprache inszenieren. Zur Fundierung einer dramapädagogischen Lehr- und Lernpraxis“, 1993. Schewe ist stark von englischen Autoren beeinflusst; angeregt wurde er zum Beispiel von Alan Maley / Alan Duff (Drama techniques in language learning: a resource book of communication activities for language teacher, Cambridge 1982; ein deutscher Titel von Alan Maley/Alan Duff, München 1985, trägt die Überschrift ‚Szenisches Spiel und freies Sprechen im Fremdsprachenunterricht“) [6].
Nun ist der Sinninhalt des englischen Wortes „drama“ (das wir bei Schewe, Even, Maley, Duff usw. finden) anders als das deutsche ‚Kunst’-Wort Drama (mit dem zumeist der Text eines Theaterstücks, also ein ‚Kunst’-Werk gemeint ist) noch nahe an der griechischen Wortbedeutung – im Griechischen heißt ‚drama’ zunächst Tat, Handlung, dann erst Schauspiel; noch weiter entfernt vom Theater ist das zu ‚drama’ gehörende Verb ‚drao’: 1. tun, Dienste leisten, 2. ausführen, vollbringen, verüben. Entsprechend zielt der englische Wortgebrauch auf ‚doing’, nicht auf ‚reading and writing’: „drama a Greek word, meaning a dead or act. Peter Slade interprets ‚drama’ as ‚doing’“ [7]. Auch bei Schewe ist dieser Begriff von ‚drama’ gemeint [8]. Ob das auch für die „Evaluation des Tübinger Theatercamps“ gilt, ist nicht zu ersehen; der Text bringt keine Klärung; er formuliert nicht einmal Diskussionsbedarf.
Fazit
Das Buch „Evaluation des Tübinger Theatercamps“ ist aufschlussreich bei Interesse an empirischer Forschung, bei Interessen im Bereich Pädagogik und Sprachlernen; es kann mit Einschränkung anregend sein für die Organisation von Feriencamps; es ist kaum oder gar nicht ertragreich für den Bereich Theaterpädagogik. Hier gibt es eher Fehlinformationen und sagt nichts über den Zusammenhang von Theatermachen und Sprachlernen, auch nichts über Dramapädagogik und ihr Verhältnis zur Theaterpädagogik.
[1] Christian Weise: Masaniello, hg. und mit einem Nachwort von Fritz Martini, Reclam 1972 (Druckausgabe Zittau 1683).
[2] Theaterpädagogische Termini (dramaturgische Theaterarbeit, dramaturgisch ausgewertet, Inszenierung, Stückentwicklung, Ziel der Inszenierung …, auch Protagonist auf S. 54) werden meist ungenau, manchmal sinnwidrig gebraucht. Manchmal wird geradezu ein falsches Bild von Theater vermittelt: „Und auch wenn wir an der Sprache gearbeitet haben, dann konnte man immer wieder sagen: Ja im Theater spricht man aber nicht so und im Theater macht man das anders, im Theater spricht man nur vollständige Sätze. Und das ist halt super, weil das ist quasi die Begründung“ (93).
[3] Gemeint ist wahrscheinlich nicht „vordergründig“, sondern stand im Vordergrund.
[4] „… irgendwas zu machen, wo sie …“ (93) – ein gutes Beispiel zum Verhältnis von Relativsätzen zu Studierenden. Oder auch: „wir haben halt diese Sprachspiele mit denen gemacht, wo wir die Strukturen ihnen halt in die Hand gegeben haben“ (97).
[5] „So was habe ich vorher noch nie gemacht “ (95).
[6] Ich vermute, dass auch Susanne Even mit ihrer Dramagrammatik in dieser Tradition steht; jedenfalls begegnen die SchülerInnen auch bei ihr der Grammatik nicht nur kognitiv, sondern emotional-körperlich, interaktiv-sozial; die Begegnung hat weniger mit Kunst zu tun als mit Spiel.
[7] So erläutert Hilton Francis in seinem „Vocabulary of Educational Drama, a glossary of terms having special usage and significance“, 1973.
[8] Zur weiteren terminologischen Verwirrung trägt eine Wiener Sonderentwicklung bei. 2004 gab sich der „Landesverband Wien für Schulspiel, Jugendspiel und Amateurtheater“ den Namen „ATHEATERWIEN – Landesverband für außerberufliches Theater, Darstellendes Spiel & Dramapädagogik“; dabei wird „Dramapädagogik“ als eine „ganzheitliche Unterrichtsform für alle Schularten“ bestimmt. ATHEATERWIEN bietet „Aus- und Weiterbildung von LehrerInnen für Darstellendes Spiel an Wiener Schulen in Zusammenarbeit mit den Pädagogischen Instituten“ sowie „Ergänzende Fortbildung im Bereich Dramapädagogik als ganzheitliche Unterrichtsform für alle Schularten“ und ist überdies „Dachverband der außerberuflichen Theatergruppen in Wien“.
Rezension von
Prof. Dr. Hans Wolfgang Nickel
Institut für Spiel- und Theaterpädagogik der Universität der Künste Berlin
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Zitiervorschlag
Hans Wolfgang Nickel. Rezension vom 27.11.2013 zu:
von Andrea Batzel, Thorsten Bohl, Doreen Bryant: Evaluation des Tübinger Theatercamps "Stadt der Kinder". Ein Ferienprojekt zur Förderung von Sprache und sozialer Kompetenz. Schneider Verlag Hohengehren
(Baltmannsweiler) 2013.
ISBN 978-3-8340-1180-0.
Reihe: Schul- und Unterrichtsforschung - Band 16.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15103.php, Datum des Zugriffs 07.10.2024.
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