Wolfgang Schlicht, Nadja Schott: Körperlich aktiv altern
Rezensiert von Prof. Dr. Michael Brömse, 22.11.2013
Wolfgang Schlicht, Nadja Schott: Körperlich aktiv altern.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2013.
180 Seiten.
ISBN 978-3-7799-1573-7.
D: 24,95 EUR,
A: 25,70 EUR,
CH: 35,50 sFr.
Reihe: Grundlagentexte Gesundheitswissenschaften.
Thema
Die zentrale Ausgangsfrage dieses Buches lautet: „Kann das Altern ‚gelingen’, indem körperliche Aktivität dazu beiträgt, dass Morbiditätsjahre komprimiert, vorzeitige Mortalität verhindert, kognitive Leistungsfähigkeit stabilisiert, Lebensqualität und Wohlbefinden gar gesteigert werden kann?“ (S. 10) – Angesichts vieler sich auf den Erhalt spezifisch der geistigen Leistungsfähigkeit im Alter beschränkenden Studien bildet die Untersuchung von Wolfgang Schlicht und Nadja Schott also eine Erweiterung des Blickfeldes: Sie betont Aspekte der körperlichen Aktivität und namentlich auch des Sports in ihrer Bedeutung für die Gesamtentwicklung alter Menschen. Dabei wird ein „ökologischer Rahmen“ (S. 11ff) zugrunde gelegt, in welchem die Wechselwirkung zwischen der Entfaltung körperlicher Aktivität im Alter und den Bedingungen der äußeren Umwelt in den Blick genommen werden.
Autorin und Autor
Nadja Schott, Jahrg. 1967, Dr. phil., ist Professorin für Sport und Gesundheitswissenschaften an der Universität Stuttgart. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Motorische Prozesse und deren Wechselwirkung mit Kognitiven Prozessen im Lebenslauf.
Wolfgang Schlicht, Jahrg. 1952, Dr. phil., ist Professor für Sport und Gesundheitswissenschaften an der Universität Stuttgart und Leiter der MASTER:ONLINE Akademie der Universität Stuttgart. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Prävention, Gelingendes Altern, Wohlbefinden, Ambulantes Assessment und Evaluation.
Aufbau und Inhalt
Kap. 1, „Aktivität und Altern“, (S. 7-15) enthält eine Einführung in die Thematik des Buches. Dabei werden einige wichtige Informationen zum empirischen Rahmen vermittelt, etwa zur Steigerung der Lebenserwartung und Lebensqualität in den vergangenen Jahrzehnten, zur aktuellen Kategorisierung von Alternsphasen und zum „Ökologischen Rahmen“ (S. 11ff) als Bedingungsfaktor des Alternsprozesses.
Kap. 2, „Körperliche Aktivität“, (S. 16-31) definiert zunächst den Leitbegriff des Kapitels als „übergeordnete Kategorie für eine Vielzahl von Bewegungen, die mit großen Muskelgruppen ausgeführt werden“ (S. 16), differenziert dies dann in unterschiedliche Bezugsebenen und gibt erste Hinweise auf den Forschungsstand der physiologischen Wirkungszusammenhänge von körperlicher Aktivität. – In 2.1 (S.19ff) geht es um die Messbarkeit von körperlich-sportlicher Aktivität. – Der Abschnitt 2.2 (S. 23ff) geht der Frage nach, wie aktiv ältere Menschen sind und worin die Einschränkungen körperlicher Aktivität im Alter bestehen. – Auf den Aspekt von gesamtbiografischen Bezügen körperlicher Aktivität im Alter geht Abschnitt 2.3 (S. 29ff) ein.
Kap. 3, „Alter, Altern und gelingend Altern“ (S. 32-55) diskutiert vor allem den Begriff des „Gelingens“ vor dem Hintergrund der bestehende Alternstheorien. Dabei erlangen drei Dimensionen des Gesundheitsbegriffs wesentliche Bedeutung: Die somatische, die psychische und insbesondere die subjektive Dimension. Vor diesem Hintergrund werden in 3.1 (S. 34ff) Veränderungen der motorischen und kognitiven Leistungsfähigkeit im Alter im Sinne von Verlust- und Gewinnbilanzen betrachtet. Der Abschnitt 3.2 (S. 48ff) stellt dann die seit den 50er Jahren entwickelten Theorien zum „Gelingenden Alter“ (engl.: „successfull ageing“) vor.
Kap. 4, „Umwelt“ (S. 56-80) geht auf fördernde und behindernde Wirkungen von Landschaft, Wohnsituation u.ä. auf die nur „in der Person liegenden“ (S. 56), die Aktivität alter Menschen betreffenden Motivations- und Willensprozesse ein. – In diesem Zusammenhang werden zunächst – als Gastbeitrag des Tübinger Sportwissenschaftlers Ansgar Thiel, Altersbilder vorgestellt (4,1; S. 60ff), und zwar einmal als „Altersstereotype“ (S. 61ff), dann als „Selbstbild im Alter“ (S. 64ff). Weiter geht es um die Zusammenhänge von „Altersselbstbild und individueller Handlungskompetenz“ (S. 69f), von „Alter und Gesundheit“ (S. 70ff) von „Alter und Körperbild“ (S. 73ff) und schließlich von „Alter, Körperbild und Sport“. (S. 76f). – Eine weitere Umweltvariable bildet der Soziale Status (4.2, S. 78f)
Kap. 5, „Wirkungen körperlich aktiven Verhaltens“ (S. 81-129). In diesem Kapitel tragen die Autoren die verfügbaren Ergebnisse der entsprechenden medizinischen, psychologischen und sozialwissenschaftlichen Forschungsgebiete zusammen. Dabei geht es zunächst um Zusammenhänge von Aktivität, Krankheit und vorzeitigem Versterben (S. 85ff), wobei hypothetische Zusammenhänge (S. 85ff) und Möglichkeiten der Risikominderung von Morbidität und Mortalität durch körperliche Aktivität (S. 88ff) beleuchtet werden. Weitere Abschnitte befassen sich mit Möglichkeiten der Steigerung von Muskelkraft und der Minderung von Gebrechlichkeit (S. 96ff), mit Möglichkeiten des Erhalts und der Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit und schließlich mit den sich daraus ergebenden Affektiven Wirkungen (S. 117ff). Diese betreffen einerseits die Steigerung des subjektiven Wohlbefindens (S. 121ff), andererseits die erfolgreiche Gestaltung sozialer Kontakte im Alter. Dass letztere mit zunehmendem Alter numerisch eher abnehmen, ist weniger als Regression zu deuten als vielmehr im Sinne eines zunehmend selektiven Verhaltens, bei dem soziale Netze „bereinigt“ werden. (S. 127)
Kap. 6, „Interventionen in das Aktivitätsverhalten“ (S. 129-138). In diesem Kapitel geht es um Handlungsaspekte begleitender Personen- und Berufsgruppen, die entweder die Fortsetzung einer aktiven Lebensweise unterstützen oder – etwa bei alten Menschen mit einer gewohnheitsmäßig sitzenden Lebensweise – eine Veränderung der bisherigen Lebensweise anregen.
Kap. 7, „Eine Verhaltensauffälligkeit: Stürze“ (S. 139-146). Es wird gezeigt, dass Stürze einerseits Indikator einer inaktiven Lebensweise sein können, andererseits aber – einmal eingetreten – eine Angstspirale auslösen können, die eine bisher unproblematische körperliche Aktivität behindert. – Hierzu werden in 7.1 (S. 143ff) unterschiedliche Settings von Interventionen auf ihre Effektivität hin überprüft.
Kap. 8, „Risiken frühzeitig erkennen“ (S. 147-158). Es werden verschiedene Testverfahren vorgestellt, mittels derer sich Risiken erkennen lassen, die bei einer Veränderung der bisher sitzenden Lebensweise etwa durch Teilnahme an Trainings- und Aktivierungsprogrammen auftreten. Dabei geht es um ein Erkennen von verborgenen medizinisch-gesundheitlichen Gefährdungen aber auch von mentalen Aspekten wie Ungeübtheit, mangelndem Gleichgewichtsgefühl und ähnlichen Faktoren.
Schluss (S. 159f). Die Autoren kommen hier zu dem abschließenden Ergebnis: „In der gesamten Literatur zur Intervention in das Gelingen des Alterns gibt es keine Belege für ein weiteres Verhalten, das derart umfassend, wenn auch zum Teil mit nur moderater Wirkung, auf Körper, Geist und Seele wirkt und dabei noch so einfach zu realisieren ist, wie körperliche Aktivität.“
Ein sehr umfangreiches Literaturverzeichnis, das die einschlägigen Forschungsaspekte umfassend dokumentiert, schließt den Band ab. (S. 161-192)
Zielgruppe
Das Buch ist ein überaus wichtiger Beitrag im Rahmen einer ressourcenorientierten gerontologischen und geragogischen Diskussion. Für Studierende, Lehrende und Forschende im Bereich der Alternswissenschaften, der Heilpädagogik und der Sozialen Arbeit ist es von größtem Gewinn. Auch da, wo wissenschaftlich fundierte Konzeptarbeit für die Gestaltung von Lebensweisen im Alter im ambulanten und stationären Bereich geleistet wird, ist die Lektüre sehr empfehlenswert.
Diskussion
Der Aspekt der körperlichen Aktivität und namentlich des Sports nimmt in der herkömmlichen gerontologischen Forschung einen eher geringen Raum ein. Dass dies ein wirkliches Defizit ist, wird bei der Lektüre des Buches von Wolfgang Schlicht und Nadja Schott deutlich. Der Zusammenhang von gelingendem Altern und dem Erhalt der Fähigkeit zu körperlicher Aktivität und Leistungsfähigkeit wird hier überzeugend aufgezeigt. Beeindruckend ist dabei der immens breite Forschungshintergrund, den die Autoren in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Dadurch werden zum einen die Begründungszusammenhänge evident aufgewiesen, zum andern werden für Leserinnen und Leser konkrete Möglichkeiten aufgezeigt, einzelne Aspekte selbständig zu vertiefen und zu erweitern. Hervorzuheben ist auch, dass die Verdichtung der einbezogenen Forschungsergebnisse der Lesbarkeit des Buches keinen Abbruch tut. Das Literaturverzeichnis ist für sich genommen eine hilfreiche Quellensammlung für alle, die in diesem Bereich an Weiterarbeit interessiert sind.
Fazit
Das Buch schließt eine Lücke und ist für alle, die in den Alternswissenschaften studierend, lehrend oder forschend tätig sind, unbedingt empfehlenswert.
Rezension von
Prof. Dr. Michael Brömse
Fachhochschule Hannover, Fakultät V (Diakonie, Gesundheit und Soziales)
Es gibt 35 Rezensionen von Michael Brömse.
Zitiervorschlag
Michael Brömse. Rezension vom 22.11.2013 zu:
Wolfgang Schlicht, Nadja Schott: Körperlich aktiv altern. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2013.
ISBN 978-3-7799-1573-7.
Reihe: Grundlagentexte Gesundheitswissenschaften.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15122.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.
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