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Wolfgang Klug, Patrick Zobrist: Motivierte Klienten trotz Zwangskontext

Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 29.01.2014

Cover Wolfgang Klug, Patrick Zobrist: Motivierte Klienten trotz Zwangskontext ISBN 978-3-497-02409-4

Wolfgang Klug, Patrick Zobrist: Motivierte Klienten trotz Zwangskontext. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2013. 166 Seiten. ISBN 978-3-497-02409-4. 26,90 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-497-02593-0 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Thema

Unfreiwillige Klienten in Zwangskontexten, fehlende Motivation, Widerstand – Soziale Arbeit trifft häufig auf diese ungünstige Ausgangssituation im Rahmen verordneter Pflichtkontakte. Die Veröffentlichungen zu dieser Thematik haben in den letzten Jahren zugenommen (z. B. www.socialnet.de/rezensionen/5143.php oder www.socialnet.de/rezensionen/14341.php ), die Motivationsentwicklung bei scheinbar „unmotivierten“ Klienten wird in ihrer Bedeutung mittlerweile erkannt, erste Konzepte und methodische Ansätze wurden entwickelt. Wolfgang Klug und Patrick Zobrist führen in die theoretischen Grundlagen der Motivationsförderung ein und legen auf dieser Grundlage ein Praxismanual zur Motivationsförderung in unterschiedlichen Zwangskontexten Sozialer Arbeit vor. Das modularisierte Programm bietet konkrete Interventionsmöglichkeiten und umfangreiches Arbeitsmaterial, das durch Online-Arbeitsblätter ergänzt wird.

Autoren

Prof. Dr. Wolfgang Klug, Dipl. Sozialpädagoge lehrt Soziale Arbeit an der katholischen Universität Eichstätt/Ingolstadt. Patrick Zobrist, Dipl. Sozialarbeiter ist Dozent und Projektleiter im Department Soziale Arbeit an der Hochschule Luzern. Beide Autoren sind langjährig mit der Thematik Soziale Arbeit im Zwangskontext, u. a. Bewährungshilfe, Psychiatrie und der Frage der Motivationsförderung befasst.

Aufbau

Das Arbeitsbuch führt in einem einführenden Abschnitt in die theoretischen Grundlagen der Motivationsforschung ein und bietet in einem zweiten Abschnitt ein modularisiertes Praxismanual zur Motivationsförderung in Zwangskontexten Sozialer Arbeit.

Theoretische und methodische Grundlagen

Wolfgang Klug beschäftigt sich zunächst mit dem Begriff des Zwangskontextes. In Abgrenzung zu engeren Definitionsvorschlägen, beschreibt er den Begriff nicht als all die Kontakte „die nicht von Klienten selbstinitiiert sind“ (16), sondern als die Situationen die „mit rechtlichen Vorgaben zu tun (haben), die die Klienten unter Androhung von empfindlichen Konsequenzen zwingen, in Kontakt mit Sozialer Arbeit zu treten“ (17). Anlass für den hier verwendeten Begriff des Zwangskontextes ist also gesetzlicher Zwang, etwa bei Fällen der Bewährungshilfe, oder die Mitwirkungsverpflichtung bei Leistungsentscheidungen. Die Folgen aus diesen Konstellationen beschreibt Klug ausführlich: fehlende Motivation, Widerstand, Scheitern der Beratungsbemühungen. Im Weiteren erfolgt dann eine Einführung in aktuelle Theorien und Definitionsansätze der Motivationsforschung. Motivation wird hier allgemein definiert als „die aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzugs auf einen positiv bewerteten Zielzustand“ (18), der abhängig ist von inneren Zielen, äußeren Umgebungsfaktoren und der damit zusammenhängenden subjektiven Beurteilung der Situation. „Unmotivierte“ Klienten kann es demnach nicht geben. Allenfalls Klienten, deren Motivation in eine andere Richtung weist und deren Haltungen und Handlungen dann ggf. Gegenstand externer Kontrolle werden.

Motivationsentwicklung

Gegenstand dieses Kapitels sind Erklärungsansätze zur Motivationsentstehung. Klug führt hier in zentrale psychische Bedürfnisse (in Anlehnung an Grawe), die Bedeutung von Kongruenz- und Konsistenzbedürfnissen, die Rolle kognitiver Vorgänge für die Motivationsentstehung, den Einfluss sozialer Interaktionsmerkmale und die Wirkung von Ressourcen bei der Motivationsentstehung ein. Bedeutsam sind dabei die möglichst genaue Einschätzung der aktuellen Motivationslage und die Erfassung der vorhandenen Ressourcen, die zur Bewältigung einer Problemlage zur Verfügung stehen (Ressourcentaxonomie). Unter Rückgriff auf das Rubikon-Modell von Heckhausen beschreibt er unterschiedliche Phasen Motivationsentwicklung, insbesondere den Übergang „vom Wollen zum Handeln“. Können Klienten die Folgen ihrer Haltungen einschätzen ist ein möglicher Zugang zur Motivationsentwicklung eröffnet: Fachkräfte können in dieser Phase „möglichst intensiv und ausgiebig die verschiedenen Optionen mit dem Klienten zusammen … betrachten“ (39) und deren Folgen gemeinsam benennen.

Motivationsveränderung

In Anlehnung an das Transtheoretische Modell (TTM) von Prochaska beschreibt Klug Veränderungsmotivation als dynamisches und damit veränderbares Phänomen. Auch das TTM geht von mehreren Entwicklungsstufen der Motivationsentstehung aus, u. a. eine Grundstufe der Absichtslosigkeit, eine Phase der Absichtsbildung, der dann Phasen der Vorbereitung, Umsetzung, Stabilisierung und dauerhaften Veränderung folgen. Klug beschreibt dieses Modell anhand der Veränderungsstadien mittels typischer Klientenaussagen. Dadurch wird verdeutlicht, dass eine exakte Erfassung der unterschiedlichen Motivationsstufen unabdingbar ist, um stufengerechte Interventionen durchführen zu können. Entsprechend führt der Autor in die Grundlagen der Motivationsdiagnostik ein, benennt die Grundlagen klärungsorientierter Veränderungsstrategien und darauf aufbauend handlungsorientierte Vorgehensweisen, die konkrete Schritte und Maßnahmen umfassen.

Werte und Ziele

Der kurze Abschnitt zu Werten und Zielen in Zwangskontexten greift das Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung der Klienten und unverrückbaren Kontroll- und Steuerungsaufgaben seitens der Sozialen Arbeit auf. Die Überlegungen lassen sich in zwei Aussagen zusammenfassen:

  1. Kontrolle und Zwang sind in manchen Situationen (Gefahrenabwehr, Opferschutz) unausweichliche Realität.
  2. Wenn Zwang und Kontrolle Gegenstand des Kontaktes zwischen Berater und Klient sind, ist dieser als Realität zu benennen und hinsichtlich Grenzen und Konsequenzen klar zu benennen.

Beziehungsgestaltung und Gesprächsführung

Bevor im abschließenden sechsten Kapitel die theoretischen und methodischen Aspekte des einführenden ersten Abschnitts zusammen gefasst werden, werden in Kapitel fünf spezielle Aspekte der Beziehungsgestaltung sowie Methoden und Techniken der Gesprächsführung vorgestellt. Klug geht dabei auf die Bedeutung der Person des Beraters und der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Beziehungsgestaltung (allgemein und in Zwangskontexten) ein und definiert Grundzüge einer motivorientierten Beziehungsgestaltung. Die Ausführungen orientieren sich an der Methode der Motivierenden Gesprächsführung nach Miller & Rollnick, ergänzend werden Ansätze und Elemente aus der konfrontativen Pädagogik, der systemischen Therapie und allgemeine therapeutische Erkenntnisse zum Phänomen Widerstand referiert. Widerstand wird in fast allen Therapieschulen, in integrativen Ansätzen und in motivorientierten Beratungsansätzen als wertvoller Ansatz zur Veränderungsbereitschaft definiert und liegt auch dem hier definierten Beratungsverständnis zugrunde.

Praxismanual Motivationsförderung

Das hier vorgestellte Praxismanual erhebt nicht den Anspruch ein auf seine Wirksamkeit hin untersuchtes Arbeitsinstrument zu sein. Es strukturiert vielmehr die Vielzahl unterschiedlicher Diskussionsbeiträge, methodischer Hinweise und Konzepte und führt diese in einem systematisierten Ablauf in Modulform zusammen. Die Autoren verlassen sich dabei auf die Erkenntnis, dass ein derart manualisiertes Vorgehen wirksamer ist, als unstrukturierte Vorgehensweisen. Die fünf hier vorgestellten Module bauen aufeinander auf und vollziehen den Dreischritt Diagnostik-Durchführung-Evaluation. Die Module im Einzelnen:

  1. Orientierung – Erfassung der Situation, Auftrags- und Rollenklärung, soziale Netzwerkdiagnostik und Motivationsdiagnostik
  2. Klärung des Veränderungsthemas – Benennung der verschiedenen, ggf. gegensätzlichen Perspektiven und Problembenennungen, Förderung der differenzierten Problemwahrnehmung („Problemeinsicht“)
  3. Stärkung der Veränderungsbereitschaft – Klärung übergeordneter Perspektiven, Benennung der beim Klienten ggf. vorhandenen Ambivalenzen, Entwicklung von Zuversicht und Selbstvertrauen
  4. Zielentwicklung und Planung – Entwicklung realistischer und subjektiv bedeutsamer Veränderungsziele, Ressourcenklärung und -förderung, Planung der Teilschritte und Maßnahmen
  5. Monitoring – Verstärkung von Veränderungshandlungen, Arbeit an Schwierigkeiten, v. a. in Bezug auf Aufrechterhaltung der der Veränderung, Benennung und Arbeit mit Rückfällen.

Die einzelnen Module werden durch umfangreiches Material, Fallfragen, Hinweise zur Einbeziehung des sozialen Umfelds, Teamarbeit und Fallreflexion ausführlich vorgestellt. Daneben werden mögliche und innerhalb des jeweiligen Moduls sinnvolle Kommunikationshinweise, großteils unter Fallbezug in unterschiedlichen Zwangskontexten und konkrete Fragestellungen zur fachlichen Reflexion gegeben.

Zielgruppe

Praktiker in psychosozialen Zwangskontexten, die mit strukturierten Mitteln an der Motivationsentwicklung ihrer unfreiwilligen Klientel arbeiten möchten

Diskussion

Klug und Zobrist treten an die vielfältigen Befunde der Motivationsforschung und Methodendiskussion zu Zwangskontexten in der Sozialen Arbeit in einem modularisierten Arbeitsmanual für die tägliche Beratungspraxis umzusetzen. Dazu wurden ausgewählte Theorien und Methodenfragmente zusammengefügt, wenn diese für die Zwecke der Sozialen Arbeit dienlich erschienen. Die Auswahl und Betonung einzelner Bausteine erscheint weitgehend sinnvoll und auch überzeugend. So eröffnet die Sichtweise auf die Motivationsthematik als biopsychosoziales Phänomen die Möglichkeit, Motivationsentwicklung nicht alleine als Entwicklungsaufgabe der Klienten zu sehen, sondern als interaktives Geschehen mit vielfältigen sozialen Bezügen aufzufassen. Damit gewinnt die Frage der Beziehungsgestaltung in Zwangskontexten an Bedeutung, welche eben nicht nur auf einer praktisch-zielorientierten (allgemeinen) Ebene angesiedelt ist, sondern weitergefasst komplementäre und störungsspezifische Merkmale und Prinzipien aufweist. Der Theorie- und Methodenbezug weist allerdings Lücken auf. So hätte der Bezug zum Zürcher Ressourcen Modell (das hier völlig unerwähnt bleibt) eine stärkere Orientierung in Bezug auf Selbstmotivierung und Empowermentprozesse erlaubt. Die Autoren haben für die Gestaltung des Praxismanuals einige Verkürzungen und Vereinfachungen vorgenommen. Insbesondere die Etablierung konkreter Stufen der Motivationsentwicklung, in deren Abhängigkeit bestimmte Interventionen formuliert werden, wirkt deutlich schematisch und bedarf im Einzelfall einer konkreten Anpassung, wozu Klug und Zobrist auch aktiv auffordern.

Das Praxismanual bietet sicher eine grundlegende Orientierung im Feld der „Unfreiwilligkeit“, bedarf aber ebenso sicher einer bewussten und behutsamen Interpretation. Es fehlt ein Kapitel zur Klientengeschichte in Zwangskontexten und zur Macht-Abhängigkeitsdiskussion in der Sozialen Arbeit. Das Kapitel „Werte und Ziele“ reisst diese Thematik nur an, benennt lediglich das Transparenzgebot hinsichtlich bestehender Kontroll- und Zwangsaufgaben und möglicher Konsequenzen. Eine ausführliche Vertiefung und Verankerung der Thematik an ethischen Aspekten Sozialer Arbeit wäre hilfreich und wünschenswert gewesen. Auffallend ist die starke Bezugnahme zum Beratungsansatz des Motivational Interviewing. Wesentliche Bausteine des MI sind in das modularisierte Programm aufgenommen worden.

Die Stärke des Manuals ist, den komplexen Prozess der Motivationsentwicklung stärker zu strukturieren. Hier liegt allerdings die Gefahr einer technisierenden Bearbeitung komplexer Situationen und Beratungseinheiten. Klug und Zobrist weisen auf dieses Phänomen mehrfach hin und betonen die Notwendigkeit eines flexiblen Umgangs mit dem Manual. Darüber hinaus wird es notwendig sein das vielfältige Material an konkrete Beratungssituationen anzupassen und auszuarbeiten. Dafür ist mit dem Modulhandbuch allerdings eine gute Basis gelegt.

Das Praxismanual zur Motivationsförderung begreifen die Autoren als methodischen Vorschlag, der sicher auf erwiesene theoretische Grundlagen zurück greift, diese jedoch nicht systematisch aufgreift, sondern eher eklektizistisch bündelt. Allerdings erscheinen der Aufbau und die Struktur des Manuals logisch, strukturiert und zielorientiert. Es bedarf einer forschungsbasierten Überprüfung und Evaluation, ob diese Bündelung von Theorien und Methodenansätzen in der Übersetzung als Handlungsmanual tragen. Die im Buch und online verfügbaren Arbeitsblätter bedürfen ebenfalls der Anpassung in den konkreten Arbeitszusammenhängen, wozu die Autoren einladen. Der Einsatz manualisierter Instrumente in der psychosozialen Fallarbeit verleitet generell zu einem technischen Arbeitsstil, so dass die Anwendung des Manuals, v. a. in der Implementierungsphase einer selbstkritischen Haltung bedarf. Dabei erscheint relevant, ob eigene fachliche Standards und die Fähigkeit zu auch intuitivem Vorgehen einer zu starken Orientierung an technisch-operationalisierter Methodik untergeordnet werden. Die Autoren haben dafür in den einzelnen Modulen sog. „Denkpausen“ in Form von Hilfestellungen für eine selbstkritische Überprüfung des Beratungsprozesses eingebaut.

Fazit

Eine wertvolle Zusammenführung der aktuellen Forschungs- und Theoriediskussion zur Motivationsentwicklung in unfreiwilligen Beratungskontexten. Das Praxismanual ist logisch strukturiert, die Verknüpfung mit theoretischen Grundlagen, aus denen die einzelnen Handlungsschritte abgeleitet werden ist durchwegs gut erkennbar und umfassend. Das Praxismanual bedarf der konkreten Transformation in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern und Beratungsanlässen.

Für eine längerfristige Wirksamkeitsüberprüfung stehen fundierte Evaluationsstudien noch aus. Die Autoren verstehen ihr Praxismanual als Diskussionsvorschlag, der einer Wirksamkeitsüberprüfung in der Praxis bedarf. Eine solche Überprüfung hat das Manual unbedingt verdient! Die dabei gewonnenen Erkenntnisse, auch Berichte zum Einsatz des Manuals in der Praxis, sollten dann in einer zweiten Auflage aufgegriffen werden.

Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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ISSN 2190-9245