Hilde Fritz, Gottfried Orth: Gewaltfreie Kommunikation in der Schule
Rezensiert von Dr. Georg Singe, 26.07.2013
Hilde Fritz, Gottfried Orth: Gewaltfreie Kommunikation in der Schule.. Wie Wertschätzung gelingen kann. Ein Lern- und Übungsbuch für alle, die in Schulen leben u. arbeiten. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2013. 180 Seiten. ISBN 978-3-87387-943-0. 19,90 EUR.
Thema
Das Buch stellt eine Anwendung des Ansatzes der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg im Kontext von schulischen Bildungsprozessen dar. In der Kommunikation zwischen Kolleginnen und Kollegen sowie mit Schülerinnen Schülern wird der Ansatz als wertvolle Ressource für ein gelingendes Lernen und Lehren im Unterricht entfaltet. Das Hauptanliegen der Autoren besteht darin, dass im gegebenen Zwangskontext der Schule eine Kommunikation möglich wird, in der Wachstum sowohl für das Individuum als auch für die Schulgemeinschaft möglich wird. So kann Schule „menschenfreundlicher, leichter, angstfreier, erfolgreicher, schöner“ (S. 9) werden.
Autoren
Dr. Gottfried Orth ist Professor für Evangelische Theologie und Religionspädagogik an der TU Braunschweig. Er ist Mitglied im Team des ORCA-Instituts für Konfliktmanagement und Training. Als Leiter des Projektes „Gewaltfreie Kommunikation – Theologie, Religionspädagogik, Schule und Kirche“ an der TU in Braunschweig widmet er sich der Erforschung gewaltfreier Sprache und der Traditionsbildung innerhalb von Theologie und Kirche sowie dem Aufbau einer „Forschungs- und Kooperationsstelle Gewaltfreie Kommunikation“ im Verbund mit der Evangelischen Erwachsenenbildung und mehreren Schulen.
Hilde Fritz arbeitet als Förderschullehrerin und Mitglied des Schulleitungsteams an der Albert-Schweitzer-Schule in Gießen. Ihre langjährigen Erfahrungen und Ausbildungen im Bereich der Gewaltfreien Kommunikation, der Sprachheilpädagogik und Ausländerpädagogik, der Systemischen Beratung und des Darstellenden Spiels bilden den umfassenden praktischen und theoretischen Hintergrund ihres Ansatzes. Beide Autoren bieten Fort- und Weiterbildungen im Bereich Gewaltfreier Kommunikation an.
Entstehungshintergrund
Im Vorwort erläutern die Autoren, dass ihre Publikation auf dem Hintergrund des eigenen Lernweges und der umfassenden Erfahrungen mit Gewaltfreier Kommunikation in Klassen, Seminaren und Kursen eine Einladung darstellt, sich mit dem Ansatz zu beschäftigen und ihn im Alltag der Schule auszuprobieren. Beide Autoren haben bereits 2008 ein gemeinsames Buch zum Thema ethisches Lernen und Lehren in der Schule herausgegeben, in dem, wie sie in der Einleitung schreiben, schon vieles vom Ansatz der Gewaltfreien Kommunikation aufgenommen ist, obgleich beide erst in diesem Jahr von der Arbeit Marshall Rosenbergs angesteckt wurden.
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich in siebzehn Kapitel.
Nach der Einleitung und einem Kapitel über eigenen Erfahrungen mit der Gewaltfreien Kommunikation, wird das Konzept systematisch entfaltet, um in die spezifischen Haltungen und Methoden einzuführen. So bildet das zweite und dritte Kapitel mit Schwerpunkten der Differenzierung von Bedürfnissen, Gefühlen und Strategien und einem methodischen Teil des Erlernens und des Einübens dieser Grundlagen den Kern der Einführung in den Ansatz der Gewaltfreien Kommunikation. Dabei wird bei der Darstellung der Grundbedürfnisse auf die Gliederung des lateinamerikanischen Ökonoms und Trägers des alternativen Nobelpreises Manfred Max-Neefs zurückgegriffen. Die Umgangs- und Ausdrucksformen der Gefühle in Verbindung mit den Grundbedürfnissen werden auf der Basis der umfassenden Arbeiten von Gerlinde Fritsch dargestellt. Das vierte Kapitel führt in das Thema Wertschätzung, Empathie und Selbstempathie ein. Diese Grundhaltungen werden im fünften Kapitel auf dem Hintergrund eines neuen Umgangs mit Macht vertieft, bei dem die Bevorzugung einer schützenden vor einer strafenden Anwendung von Macht im Vordergrund steht. Das sechste Kapitel widmet sich umfassend den methodischen Möglichkeiten, Wertschätzung auszudrücken.
Alle Inhalte der Kapitel sind mit umfangreichen Beispielen erläutert. Viele praktische Übungen helfen, das Gelesene zu lernen und in der Alltagskommunikation der Schule auszuprobieren. Kleinere literarische, poetische und wissenschaftliche Texte vertiefen die Themen und regen an, über die Ästhetik, die Philosophie und die religiösen Wurzeln der Gewaltfreiheit zu reflektieren. Auch diese Texte lassen sich praxisnah im schulischen Unterricht einsetzen und ermöglichen eine Heranführung an das Thema und dessen Vertiefung.
Im zweiten Teil des Buches werden ab dem siebten Kapitel schulische Themen aufgegriffen, um die Relevanz und die Wirksamkeit des Ansatzes an konkreten Beispielen aufzuzeigen. So widmet sich ein Kapitel dem Thema Fehlerfreundlichkeit, ein anderes der grundlegenden Haltung des Bittens statt des Forderns. Die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer gegenüber den Schülern wird ebenso eigens reflektiert wie deren Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern. Die Chancen der Gewaltfreien Kommunikation werden für Settings wie die Durchführung von Einzelgesprächen mit Schülerinnen und Schülern, eines Klassenrates oder auch einer Klassenkonferenz in eigenen Kapiteln bearbeitet. So wird deutlich, dass der Ansatz umfassend den Schulalltag prägen kann. Zum Ende des Buches findet sich im sechzehnten Kapitel eine Dokumentation eines Einführungstages mit einer Schulklasse zum Thema der Gewaltfreien Kommunikation samt der dabei eingesetzten Materialien. Im letzten Kapitel finden sich Lösungsvorschläge zu den vielfältigen Übungen der einzelnen Kapitel, die als Anregung zur Reflexion des eigenen oder Gruppenlernprozesses dienen.
Ein umfassendes Literaturverzeichnis rundet das Fachbuch ab und lädt zur Vertiefung einzelner Themen ein. Das Buch ist auch als E-Book erhältlich.
Diskussion
Den Autoren ist es gelungen, ein fundiertes Lern – und Übungsbuch für die Anwendung der Gewaltfreien Kommunikation in der Schule vorzulegen. Die zentralen Themen werden systematisch aufgearbeitet und auf dem Hintergrund aktueller Herausforderungen des schulischen Alltags praxistauglich dargestellt. Auf dem Hintergrund des Konzeptes von Marshall Rosenberg werden die praktischen Ansätze für die Arbeit in der Schule entwickelt. Für die wissenschaftliche Fundierung wird von den Autoren der neurobiologische Ansatz von Gerald Hüther, der klassische Ansatz der Montessori Pädagogik und das Konzept der befreienden Bildungsarbeit nach Paulo Freire genutzt, um die Zielsetzung der Gewaltfreien Kommunikation als Chance für die Umgestaltung des Schullebens zu begründen. Der Untertitel des Buches „Wie Wertschätzung gelingen kann“ ist programmatisch für das gesamte Werk. Mit sehr viel Engagement und Feinfühligkeit werden die oftmals schwierigen Situationen, denen Lehrerinnen und Lehrer in der Schule ausgesetzt sind, zur Sprache gebracht. In der Hoffnung auf die innere Kraft der Gewaltfreiheit werden Lösungen beschrieben, in denen Autonomie und Verbundenheit keine Gegensätze bilden, Bedürfnis- und Gefühlsorientierung im Kontext von schützender und nicht bestrafender Macht eine neue Kultur der Wertschätzung hervorbringt. So kann es gelingen, Konflikte in der Schule gewaltfrei zu lösen sowie innere und äußere Wachstumsprozesse zu ermöglichen.
Fazit
Das Lern- und Übungsbuch ist eine hervorragende Einführung für Lehrerinnen und Lehrer, die sich mit dem Ansatz der gewaltfreien Kommunikation im schulischen Kontext auseinandersetzen wollen. Viele der Übungen und Methoden lassen sich auf andere Kontexte des Lehrens und Lernens übertragen. So ist diese Publikation auch für Fachkräfte aus Pädagogik und Sozialer Arbeit eine wertvolle Grundlage, um mit dem Ansatz zu arbeiten. Die Leserinnen und Leser dürfen schon gespannt sein, wenn im Sommer im gleichen Verlag vom Autorenteam eine weitere Veröffentlichung in der Reihe „Kommunikation. GFK & Schule“ mit dem Titel „Bitten statt Fordern“ erscheint.
Rezension von
Dr. Georg Singe
Dipl.-Sozialarbeiter, Dipl.-Theologe, Systemischer Familientherapeut, Supervisor und Lehrtherapeut (DGSF)
Dozent an der Fakultät I für Bildungs- und Gesellschaftswissenschaften, Fachbereich Soziale Arbeit der Universität Vechta
Website
Mailformular
Es gibt 26 Rezensionen von Georg Singe.
Zitiervorschlag
Georg Singe. Rezension vom 26.07.2013 zu:
Hilde Fritz, Gottfried Orth: Gewaltfreie Kommunikation in der Schule.. Wie Wertschätzung gelingen kann. Ein Lern- und Übungsbuch für alle, die in Schulen leben u. arbeiten. Junfermann Verlag GmbH
(Paderborn) 2013.
ISBN 978-3-87387-943-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15152.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.