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Adelheid Wimmer, Walter Buchacher et al.: Das Beratungsgespräch

Rezensiert von Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle, 27.11.2013

Cover Adelheid Wimmer, Walter Buchacher et al.: Das Beratungsgespräch ISBN 978-3-7093-0376-4

Adelheid Wimmer, Walter Buchacher, Gerhard Kamp, Josef Wimmer: Das Beratungsgespräch. Skills und Tools für die Fach-Beratung. Linde Verlag (Wien) 2012. 252 Seiten. ISBN 978-3-7093-0376-4. D: 24,90 EUR, A: 24,90 EUR, CH: 43,70 sFr.
Reihe: Linde international.

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Autorin und Autoren

Dr. Adelheid Wimmer, Juristin, Organisationsberaterin und Psychotherapeutin, ist seit mehr als zehn Jahren in der Aus-, Weiterbildung und Supervision von Fachberatern tätig. Sie führt eine eigene Consulting-Firma. Prof. Dr. Walter Buchacher und Prof. Dr. Josef Wimmer lehren Humanwissenschaften an der PH Salzburg und sind als Trainer, Coaches und Weiterbildner in einer gemeinsam geleiteten Coaching- und Weiterbildungsfirma tätig. Gerhard Kamp ist Physiker, Berater und Coach und Mitarbeiter von Adelheid Wimmer.

Thema

In modernen Gesellschaften steigen die Komplexitäten und Ungewissheiten der Lebensverhältnisse und in der Folge wachsen auch die Herausforderungen an Kompetenzen der individuellen Lebensführung. Die hieraus erwachsenden Unsicherheiten und Fragen schaffen einen seit Jahren ständig wachsenden Bedarf an professioneller Beratung in allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens. Er führt zu einer starken Ausweitung von Beratung auch jenseits traditioneller Beratungsprofessionen und zur Allgegenwart von Beratung in westlichen Gesellschaften und all ihren Lebens- und Arbeitswelten. Vom Callcenter eines Internetproviders über die Kundenarbeit in öffentlichen Verwaltungen bis zu den Führungsetagen der großen Konzerne findet Beratung, Coaching oder Consulting in allen Schattierungen statt. Häufig finden sich Bindestrich-Beratungen – Fach-, Prozess-, psychosoziale, kollegiale, kooperative, Führungskräfte-, Selbst- und Zeitmanagement-, Erfolgs- und Strategieberatung in Kombination mit Themen aus den jeweiligen Arbeits- oder Lebenswelten – nicht selten wird dabei ein theoretisch nicht immer fundierter Consulting-, Coaching-, Counselling- oder gar Therapiebegriff in Marketingabsicht okkupiert – die Provenienz vieler Konzepte ist psychotherapeutisch, die Adaptionen für nichttherapeutische Kontexte häufig gewagt oder unzureichend reflektiert, die Übergänge und Grenzen zwischen den Formaten von Beratung fließend und teils nur unzureichend geklärt.

Coaching und Beratung sind ein riesiger Markt – nur ein willkürlich aus einer kleinen Internetrecherche herausgegriffenes Beispiel: Die deutsche Bundesregierung gab in der Legislaturperiode 2009 - 2013 970 Millionen Euro für externe Berater aus (SPIEGEL Online 2013). Qualität, theoretisch-methodische Fundierung und Wirkungen von Beratung können bei einer solchen Heterogenität kaum anders als stark variieren, denn auch psychosozial nicht vorgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Dienstleistungsberufen haben heute häufig funktionelle Beratung neben ihren Kerntätigkeiten (Verkauf, Technik, Verwaltung) zur Aufgabe – Berater und Beratung sind weder eine professionsgeschützte Tätigkeit noch ein solche Funktion – anders als im Bereich der Psychotherapie, wo mit Psychologieberufe- oder Psychotherapeutengesetzen Profile, Anforderungen und Standesordnungen in den letzten Jahren zunehmend Klarheit schufen.

Fachberatung ist nun im Beratungsboom der letzten 20 Jahre ein ebenso weitverbreitetes wie unbeleuchtetes Konzept. Zu den Schlagworten „Fachberatung“ oder „Expertenberatung“ existieren in der deutschen Version von Wikipedia keine eigenständigen Artikel, die Suche im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek und im Verzeichnis lieferbarer deutscher Bücher bringt dürftige Ergebnisse und das mittlerweile dreibändige Handbuch der Beratung (Nestmann/Engel & Sickendiek 2007, 2013) nennt weder Fach- noch Expertenberatung im Stichwortverzeichnis. Das erstaunt angesichts der Verbreitung auch des Phänomens Fachberatung.

Für eine entstehende Beratungsprofession im Allgemeinen und die Soziale Arbeit im Besonderen könnte daher ein Buch zum Thema einigen Erkenntnisgewinn versprechen, da in nahezu allen Arbeitsfeldern neben Prozess- oder psychosozialer Beratung auch Fach-/Expertenberatung von Klienten und Fachkräften eine bedeutsame Rolle spielt: Beratungsfelder wie z.B. Sozialversicherungs-, Opfer-, sexualpädagogische, Gesundheits- oder AIDS-beratung beinhalten häufig nennenswerte, aber in der fachlich Diskussion unterrepräsentierte fachberaterische Dimensionen.

Das Buch vom Wimmer/Wimmer/Buchacher & Kamp (im Folgenden „Wimmer et al.“) schließt auf den ersten Blick eine wirkliche Lücke in der Literatur. Wie der Untertitel ausführt, geht es jedoch weniger um eine systematisch-theoretische Reflexion oder Verortung, stattdessen will es „Skills und Tools“ für die Fachberatung vermitteln. Damit schliesst es sich einem Trend an. Tools-Orientierung (als Folge von Evidenzbasierung und Manualisierung in der Psychotherapie oder als Modeströmung im Coaching) hat eine erhebliche Verbreitung erfahren, wie die fast 20-bändige Reihe „Therapie-Tools“ von Beltz (z.B. Neudeck & Mühlig 2013; Bertolino 2013; Petermann & Petermann 2013) oder die vielen bei GABAL erschienenen „Meine hundert besten Tools für…“-Bücher (z.B. Hofert 2013 oder Klein 2012) zeigen.

Das hier rezensierte Buch schöpft dem Anschein nach wie andere dieser Ratgeber auch aus den Ausbildungs- und Beratungserfahrungen der Autoren zu nützlichen Modellen für die Fachberatung.

Aufbau und Inhalt

Eine Einleitung oder Einbettung in einen fachlichen Diskurs oder den Entstehungs- bzw. Verwendungskontext seitens des Autorenteams findet sich nicht. Das Buch gliedert sich in sieben Hauptkapitel, die die Inhalte präsentieren. Den Schluss bildet ein kurzer Ausblick zur Zukunft der Fachberatung, auf den das Autorenverzeichnis, die Literatur und ein fünfseitiges Stichwortverzeichnis folgen.

Die Theoriebausteine, Modelle, Skills und Tools werden durch 107 meist ganzseitige Flipchartphotos veranschaulicht.

Kapitel 1 – Was ist Fachberatung klärt den Begriff der Fachberatung und verortet diese in einer Systematik von Fach-, Prozess- und psychosozialer Beratung. Danach werden die Aufgaben, Felder und Spezifika sowie erforderliche Kompetenzen zur Fachberatung erläutert. Beratung als Vertragsverhältnis, Überweisungskompetenzen und Grenzen der Beratung werden hier anschaulich beschrieben.

Kapitel 2 beschreibt für die Fachberatung nötige psychologische Aspekte der Beratung. Dabei wird eine Vielzahl bereits bekannter Modelle vor allem aus der Hamburger Kommunikationspsychologie von F. Schulz von Thun, der Themenzentrierten Interaktion und Transaktionsanalyse kurz und tool-artig vermittelt. Pro Modell stehen selten mehr als eineinhalb bis zwei Seiten zur Verfügung. Literaturhinweise ergänzen diese kursorischen Ausführungen zur Kommunikationspsychologie.

Kapitel 3 – Praxis der Beratung - beschreibt ein Prozessgestaltungsmodell zur Fachberatung, die wichtigsten Grundsätze für die Gestaltung des Beratungsprozesses, die Rollen des Fachberaters und einige Basics zur Gesprächsführung. Dabei wird nicht zwischen Beratungsprozess und Gesprächsprozess unterschieden, das Prozessmodell gilt für beide Ebenen der Fachberatung.

Kapitel 4 – Gesprächsführung in der Beratung führt eine Vielzahl von Modellen und Tools zum Verständnis und zur Gestaltung von Beratungsgesprächen in der Fachberatung auf. Auch hier findet sich eine Mischung aus bekannten Inhalten der Kommunikationspsychologie z.B. zu aktivem Zuhören, Verständlichkeit in der Informationsvermittlung, Metakommunikation, Umdeutungen, Verhandlungsstrategien wie dem Harvard-Modell u.v.m. Alle Modelle werden auf typische Konstellationen der Fachberatung bezogen und konkretisiert. Die Anweisungen zu „richtigem“ Beraterverhalten sind direktiv, einfach und gut verständlich, könnten aber in ihrer Rezepthaftigkeit zu einer Art von Anwendung führen, die Probleme erzeugt statt sie zu lösen. Das ist nur eine der Grenzen eines solchen Buchs zum Selbstlernen.

Kapitel 5 – Visualisierung und andere kreative Techniken in der Beratung beschreibt weitere aus Beratung, Selbst- und Change Management bekannte Instrumente wie Brainstorming, Punktbewertungstechniken, Skalierungen, die SOFT-Analyse oder die Arbeit mit Timelines zur Visualisierung in der Fachberatung.

Kapitel 6 öffnet den Notfallkoffer für schwierige Situationen. In diesem werden zehn „schwierige“ Arten von Klienten beschrieben und kommunikative Mittel zur Bewältigung typischen Problemverhaltens dieser Klienten aufgezeigt. Dabei sind keine psychologischen Hintergrundmodelle erkennbar, die einer simplifizierend-personifizierenden Sicht „schwieriger“ Klienten entgegenwirken würden – eine Relativierung schwierigen Klientenverhaltens im Sinne eines person-in-environment-Modells fehlt. Auch wenn die Mittel praktisch und vermutlich oft hilfreich sein mögen, strapazieren Sie die Komplexität der Konstellationen von Klient und Berater, Situation und Kontext, Beratungsanliegen und Auftrag schon stark. Das Kapitel beschreibt Problemverhalten und Reaktionsmuster für Berater auf Ratgeberniveau und ich fragte mich beim Lesen, ob diese Art von Rezepten, die ja immer auch Deutungsmuster problematischen Verhaltens von Klienten strukturiert, nicht mehr schaden als nützen.

Kapitel 7 – Die Person des Fachberaters zeigt Mittel und Möglichkeiten zum Selbstmanagement und zur Selbstfürsorge von Fachberatern auf. Von der Rollenklärung über das Pareto-Prinzip, Hilfen zu Zeitfressern bis zu Entspannungsmöglichkeiten werden Fachberater in 14 Teilkapiteln zu effizienterem und nachhaltigem Umgang mit sich und ihrer Beratungstätigkeit angeregt. Auch hier finden sich viele bekannte Werkzeuge aus Selbst- und Zeitmanagement, die wiederum für Fachberater konkretisiert und mit verhaltensnahen Arbeitsregeln und Anweisungen versehen werden.

Den Abschluss des Buchs bildet ein kursorisches Kapitel zur Zukunft der Fachberatung, danach finden sich Literatur, einige Angaben zu den Autoren sowie das Stichwortverzeichnis.

Diskussion

Das Buch gehört zur großen Gruppe der Ratgeber und Tool-Bücher für Beratung, Coaching, Training und Weiterbildung. Es bildet vermutlich das Lehrmittel und die Grundlage für die Weiterbildungsveranstaltungen der Autoren. Die Leistung des Buchs ist es, für nicht psychologisch oder psychosozial vorgebildete Berater viele bekannte Modelle aus Kommunikationspsychologie und Selbstmanagement auf die Fachberatung zuzuschneiden, gut verständlich, aber teils auch arg rezept- und holzschnittartig zu vermitteln. Eine weitere Leistung des Buchs ist, neben den Tools auch Haltungen und Prozessgestaltungselemente der Fachberatung verständlich zu vermitteln. Angesichts der Flut von Modellen bleibt allerdings fraglich, was und wie gut verstanden Leserinnen und Leser all die Inhalte behalten und mehr als nur technizistisch nutzen können.

In Verbindung mit den Weiterbildungen der Autoren und als deren Lehrmittel verdichtet das Buch die ihnen wichtigen Inhalte und ist sicher nützlich. Als selbständiges Fachbuch wird die Kluft von Wissen und Handeln (Mandl & Gerstenmaier 2000) für Nur-Leser allerdings ziemlich breit bleiben. Es bleibt fraglich, wie der weite Weg vom Wissen zum Handeln (Wahl 1991) allein mit dem Buch beschritten werden kann.

Bedauerlich ist, dass beratungspsychologisch versierte Fachkräfte unter der Flut von altbekannten Modellen die interessanten und kompetenten Ausführungen zur Fachberatung einigermaßen suchen müssen und das Spezifische der Fachberatung in dieser Flut versinkt. Die 107 Flipcharts zu den bekannten Modelle wirken – der Leser möge selbst entscheiden - wahlweise sympathisch altmodisch oder ärgerlich handgestrickt, sowohl die Modelle wie auch deren Visualisierungen sind aber sicher zu zahlreich. Statt der vielen Flipcharts hätten sich kognitive Landkarten angeboten, die die größeren Zusammenhänge visualisieren und ein bisschen professionellere Graphik hätten dem Buch sicher genützt. Ein Stück mehr theoretische Reflexivität und Orientierung am Beratungsdiskurs hätten dem Buch sicher weitere Lesergruppen beschert.

Fazit

Das Buch ist gut geeignet als Ratgeber für Fachberaterinnen und -berater, für die die bekannten Modelle aus Kommunikationspsychologie, des Selbst- oder Change-Managements noch neu sind und die in die Fachberatung erst einsteigen. Als Ratgeber für Neueinsteiger bleibt jedoch das Risiko, die Vielzahl der vermittelten Modelle oberflächlich, holzschnittartig oder rezepthaft „anzuwenden“. Für Fachkräfte der Sozialen Arbeit findet sich nur wenig Neues und die Preziosen, die mir zur Fachberatung innovativ schienen, müssen mühsam unter der Flut altbekannter Modelle der Kommunikationspsychologie ausgegraben werden. Da auch der fachliche Diskurs und eine systematische Einbettung der Fachberatung in die Beratung fehlt, lohnt sich das Buch für Fachkräfte aus psychosozialen Berufen mit Interesse an Fachberatung kaum.

Literatur

  • Bertolino, Bob (2013). Therapie-Tools Lösungsorientierte Therapie und Beratung für Kinder, Jugendliche und Familien. Weinheim: Beltz.
  • Klein, Susanne (2012). 50 Praxistools für Trainer, Berater, Coaches. Offenbach: GABAL.
  • Hofert, Svenja (2013). Meine 100 besten Tools für Coaching und Beratung. Offenbach: GABAL.
  • Mandl, Heinz & Gerstenmaier, Jochen (Hrsg.). (2000). Die Kluft zwischen Wissen und Handeln: Empirische und theoretische Lösungsansätze. Göttingen: Hogrefe.
  • Nestmann, Frank/Engel, Frank & Sickendiek, Ursel (2007; 2013). Das Handbuch der Beratung. 3 Bd.e. Tübingen: DGVT-Verlag.
  • Neudeck, Peter/Mühlig, Stephan & Berndt, Christina (2013). Therapie-Tools Verhaltenstherapie: Therapieplanung, Probatorik, Verhaltensanalyse. Weinheim: Beltz.
  • Petermann, Ulrike & Petermann, Franz & Schultheiss, Jan (2013). Therapie-Tools Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Weinheim: Beltz.
  • SPIEGEL Online (2013). Spendable Ministerien.
  • www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/bundesregierung-beauftragte-berater-fuer-eine-milliarde-euro-a-921241.html. Zugriff am 18.11.13.
  • Wahl, Diethelm (1991). Handeln unter Druck: Der weite Weg vom Wissen zum Handeln bei Lehrern, Hochschullehrern und Erwachsenenbildnern. Weinheim: DeutscherStudienVerlag.

Rezension von
Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Olten/Schweiz
Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement
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Es gibt 38 Rezensionen von Wolfgang Widulle.

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ISSN 2190-9245