Ulrich Deinet: Innovative Offene Jugendarbeit
Rezensiert von Prof. Dr. Eva Christina Stuckstätte, 21.08.2013

Ulrich Deinet: Innovative Offene Jugendarbeit. Bausteine und Perspektiven einer sozialräumlichen Offenen Kinder- und Jugendarbeit.
Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2013.
261 Seiten.
ISBN 978-3-8474-0022-6.
D: 29,90 EUR,
A: 13,30 EUR.
Reihe: Soziale Arbeit und sozialer Raum - Band 3.
Thema
Ulrich Deinet verfolgt mit seinem neuen Buch „Innovative Offene Jugendarbeit“ die Absicht, aktuelle Herausforderungen sowie die Innovationspotentiale des Handlungsfeldes „Offene Kinder- und Jugendarbeit“ (im Nachfolgenden nur Jugendarbeit genannt) umfassend darzustellen. Die fachlichen Auseinandersetzungen orientieren sich hierbei an den Diskussionen um den Stellenwert der Jugendarbeit vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, sich wandelnder jugendlicher Freizeitkulturen, Veränderungen in der Schullandschaft sowie spezifischer Veränderungen im Feld selbst. Das Buch thematisiert sowohl theoretische als auch methodische Grundlagen der Offenen Jugendarbeit und der eng mit ihr verbundenen Sozialraumorientierung und bietet zu fast allen diskutierten Aspekten Praxisbeispiele. Das Buch stellt in Teilen eine Zusammenschau von Texten des Autors dar, die in den letzten fünf Jahren zu unterschiedlichen Aspekten des Themas in anderen Publikationen erschienen sind. Diese Beiträge wurden allerdings erweitert und aktualisiert.
Aufbau
Das Buch umfasst 16 Beiträge, die von Ulrich Deinet sowie Co- bzw. Mitautoren verfasst wurden (Katja Müller, Christian Reutlinger, Richard Krisch, Christina Muscutt etc.). Inhaltlich gliedert sich das Buch in vier Themenfelder.
Inhalt
1. Ausgangslage. Mit zwei Beiträgen wird in das Thema Offene Jugendarbeit vor aktuellen Herausforderungen eingeführt. Empirische Grundlagen zur aktuellen Struktur des Handlungsfeldes (Finanzen/Personal/Ausbildung) werden ebenso diskutiert wie die Folgen des demographischen Wandels und der veränderten Schullandschaft für die Offene Jugendarbeit. Im zweiten Beitrag wird erörtert, inwieweit das (erneute) Finden professioneller Raumsensibilität – als Alleinstellungsmerkmal der Offenen Jugendarbeit – eine aktuelle Herausforderung darstellt. In diesem Beitrag werden insbesondere theoretische Grundlagen zu den Aspekten Raum und Aneignung ausgeführt.
2. Sozialräumliche Konzeptentwicklung und Methoden der Lebensweltanalysen. Die Beiträge drei bis fünf sind vorrangig methodisch orientiert. Hier werden ein Modell sozialräumlicher Konzeptentwicklung vorgestellt sowie Techniken sozialräumlicher/ lebensweltlicher Analysen im spezifischen Kontext Schule (Nadelmethode, Cliquenraster etc.). Christina Muscutt stellt zudem dar, wie die bereits etablierten qualitativen Methoden der Sozialraumanalyse um quantitative erweitert und „virtuelle Räume“ erforscht werden können.
3. Konzeptionelle Differenzierungen. In den Beiträgen sechs bis zwölf wird das Innovationspotential der Offenen Jugendarbeit im Kontext unterschiedlicher Handlungsfelder diskutiert. Zunächst werden die Begriffe Aneignung und Bildungsraum theoretisch und in Bezugnahme auf Praxisbeispiele erläutert. Die weiteren Beiträge erörtern die Schnittstellenfunktion der Offenen Jugendarbeit zur Gemeinwesenarbeit, aufsuchenden Arbeit und Schule sowie zu den Hilfen zur Erziehung, Bildungslandschaften und Gesundheit/Ernährung.
4. Qualitätsentwicklung und Praxisforschung. Im abschließenden Teil thematisieren die Beiträge 12 bis 16 Fragen der Qualitätsentwicklung und Praxisforschung. Hierbei wird im Schwerpunkt Bezug genommen auf Herausforderungen der Qualitätsentwicklung auf Einrichtungs- und kommunaler Ebene. Zum einen werden methodische Anregungen vermittelt, zum anderen die Notwendigkeit der Qualitätsentwicklung und Praxisforschung zur Profilierung des Handlungsfeldes diskutiert. Zudem werden die Chancen und Grenzen partizipativer Qualitätsentwicklungsprozesse erörtert. Abschließend resümiert Ulrich Deinet gemeinsam mit Michael Janowicz das Innovationspotential der Offenen Jugendarbeit und die Notwendigkeiten eines stetigen Theorie-Praxis-Transfers.
Diskussion
Das Buch stellt einen guten „rund-um-Blick“ auf die aktuellen Herausforderungen im Handlungsfeld der Offenen Jugendarbeit dar. Ein Buch mit diesem Anspruch thematisiert zwangsläufig sowohl Bekanntes als auch Neues. Die theoretischen Grundlagen zum Thema Raum und Aneignung sowie zu den Methoden der qualitativen Sozialraum- bzw. Lebensweltanalyse sind an anderer Stelle bereits in ähnlicher Form publiziert worden und somit einigen Lesern ggf. bekannt. Neue Anreize und Ideen liefert das Buch insbesondere zu folgenden Themen:
Erforschung virtueller Netzwerke (Beitrag fünf). Dieser Beitrag erläutert zum einen, wie die bekannten Methoden der Sozialraum- bzw. Lebensweltanalyse weiterentwickelt wurden, um mit ihnen virtuelle Welten Jugendlicher zu erforschen. Diskutiert werden die Methoden jedoch eher in einem Forschungskontext und weniger als partizipative Möglichkeiten der Offenen Jugendarbeit.
Hilfreich zur besseren Einordnung des methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit sind die begrifflichen Klärungen der Fachtermini Sozialraumorientierung und Gemeinwesenarbeit (Beitrag sieben).
Interessante Hinweise zur Gestaltung der Kooperation zwischen Offener Jugendarbeit und den Hilfen zur Erziehung gibt der Beitrag acht. Die Ideen des Autors, über die Offene Jugendarbeit fallunspezifische Informationen über das Feld des eigenen Handelns zu erlangen sowie Jugendarbeit als Kooperationspartner für die Weiterentwicklung der Familien- oder Elternarbeit zu gewinnen, sind für die aktuellen Diskurse in den Hilfen zur Erziehung sehr gewinnbringend.
Der Beitrag zehn – Gesundheit und Ernährung – greift ein relevantes gesellschaftliches Thema auf. Dieses wird allerdings weniger wissenschaftstheoretisch, sondern fachpraktisch diskutiert (Handlungsfelder und Organisationsformen).
Der Beitrag zwölf – Bildungslandschaft – gibt einen guten Überblick über die unterschiedlichen Organisationsformen der Bildungslandschaften und diskutiert diese kritisch. Die Bedeutung der Erweiterung lokaler Bildungslandschaften um Akteure, die Orte zur non-formalisierten und informellen Bildung zur Verfügung stellen, wird anhand der Rolle der Offenen Jugendarbeit als Brückenbauer deutlich. Offen bleibt allerdings, wo oder wie sich die Grenzen lokaler Bildungslandschaften ziehen lassen, wenn sämtliche Akteure, die Orte zur informellen Bildung bieten, einbezogen werden sollen. An dieser Stelle zeigt sich deutlicher Handlungsbedarf zur Profilierung der Konzepte, die aber nicht Aufgabe der Offenen Jugendarbeit ist.
Die Beiträge zur Qualitätsentwicklung (13-15) behandeln das Thema recht allgemein und können auch auf andere Handlungsfelder der Sozialen Arbeit übertragen werden. Dennoch liefern sie relevantes Wissen für Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit zum Aufbau von entsprechenden Organisationsentwicklungsprozessen.
Der abschließende Beitrag Innovationen (16) beschreibt den aktuellen Status der Offenen Jugendarbeit zutreffend. Er stellt nochmal deutlich heraus, dass Offene Jugendarbeit Erziehung, Bildung und Betreuung ist, nicht aber Prävention. Im Buch wird diese fachliche Positionierung des Autors immer wieder erkennbar. Die Funktion Offener Jugendarbeit als zentraler Akteur an den Schnittstellen von öffentlichem Raum, Schule, Freizeit und Familie wird nochmals nachvollziehbar herausgearbeitet. Der Autor endet mit wichtigen Empfehlungen, die Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit helfen sollen, sich in den z.T. hart umkämpften Auseinandersetzungen um Mittel der Kinder- und Jugendhilfe klar positionieren und Alleinstellungsmerkmale der Offenen Jugendarbeit benennen zu können. Hiermit eng verbunden sind für ihn notwendige Entwicklungen auf der Organisations- und Fachkräfteebene (Anpassung der Angebote an Rahmenbedingungen, klares Einrichtungsprofil, ansprechendes Erscheinungsbild der Einrichtung, Personalentwicklung etc.).
Das Buch erfüllt den selbstgestellten Anspruch, die Innovationsmöglichkeiten im Handlungsfeld der Offenen Jugendarbeit aufzuzeigen. Es ist ein wichtiges Grundlagenwerk zur Positionierung der Offenen Jugendarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe, ohne auf (selbst-)kritische Anfragen zu verzichten. In der Gesamtschau bleibt – wie in vielen Publikationen – der Begriff der Sozialraumorientierung hier und da etwas unklar. Zum einen wird nachvollziehbar dafür plädiert, ihn über ein rein geographisches Grundverständnis hinaus zu verstehen. Gleichzeitig wird er in vielen Beiträgen eben nur in diesem Kontext verhandelt. Letzteres dürfte als Spiegel gelebter Praxis zu verstehen sein. Das Buch ist inhaltlich sehr gut strukturiert und lässt sich gut lesen.
Fazit
Das Buch ist für unterschiedliche Zielgruppen interessant. Aufgrund der Fülle theoretischer und methodischer Grundlagen ist es als Lehrbuch für die Ausbildung angehender SozialarbeiterInnen gut einsetzbar. Fachkräften der Offenen Jugendarbeit stellt das Buch viele methodische Anreize zur Erweiterung ihres Handlungsrepertoires zur Verfügung. Diese beziehen sich nicht nur auf die direkte Arbeit mit den Jugendlichen, sondern auch auf Prozesse der Organisationsentwicklung (Erweiterung des Handlungsrahmens um neue Schnittstellen sowie Qualitätsentwicklungsprozesse). Die Organisationsentwicklungsthemen dürften auch für Führungs- und Leitungskräfte freier und öffentlicher Träger zur Weiterentwicklung des Handlungsfeldes interessant sein. Aber auch Kooperationspartnern der Offenen Jugendarbeit – z.B. schulischen Fachkräften oder kommunalpolitischen Akteuren – kann das Buch einen guten Einstieg in das Handlungsfeld ermöglichen, nicht zuletzt auch deshalb, weil es sich durch seine gute Strukturierung auch in thematischen Ausschnitten gut lesen lässt.
Rezension von
Prof. Dr. Eva Christina Stuckstätte
Katholische Hochschule NRW (Abteilung Münster)
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Es gibt 1 Rezension von Eva Christina Stuckstätte.
Zitiervorschlag
Eva Christina Stuckstätte. Rezension vom 21.08.2013 zu:
Ulrich Deinet: Innovative Offene Jugendarbeit. Bausteine und Perspektiven einer sozialräumlichen Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2013.
ISBN 978-3-8474-0022-6.
Reihe: Soziale Arbeit und sozialer Raum - Band 3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15163.php, Datum des Zugriffs 11.12.2023.
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