Rezensionswesen. Erkundungen in einer Forschungslücke
Rezensiert von Dr. Nicolai Hannig, 13.12.2013

Rezensionswesen. Erkundungen in einer Forschungslücke.
Böhlau Verlag
(Wien Köln Weimar) 2013.
266 Seiten.
ISBN 978-3-205-78935-2.
D: 49,20 EUR,
A: 49,20 EUR,
CH: 65,90 sFr.
Reihe: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung - 121/1.
Thema
Viel Dummheit und Gewissenlosigkeit steckt in Rezensionen. Dieser Ansicht war zumindest der österreichische Politiker, Jurist und Wissenschaftler Josef Redlich, als er sich in seinen Tagebüchern von 1903 über diese Textform ärgerte. Man solle sie besser gar nicht erst lesen, diese „literarischen Kryptogramme“. Auf der anderen Seite gab es aber auch genügend Zeitgenossen Redlichs, die in der Buchbesprechung, die Inhaltswiedergabe mit kritischer Würdigung verband, beileibe nichts kryptisches, sondern vielmehr eine außerordentlich anspruchsvolle und kunstfertige Gattung sehen. Auch die Gegenwart kennt dieses Spannungsverhältnis: So gibt es Wissenschaftler/innen, die ihre Rezensionen in Publikationsverzeichnissen verstecken und zum Teil nicht ausweisen. Andere wiederum schreiben erst gar keine. Ihnen stehen Kollegen und Kolleginnen gegenüber, für die das Rezensieren fest zum wissenschaftlichen Alltag gehört. Es dürfte nicht zuletzt dieser Grundkonflikt zwischen Anerkennung und Diskreditierung sein, der das Rezensionswesen auch als historischen Gegenstand so interessant macht. Dazu kommen die vielen verschiedenen Akteure, die Rezensionen miteinander verbinden: Verlage und Autoren, Rezensenten und deren Publikationsorgane, sowie das Publikum selbst. Ferner prägen Rezensionen Netzwerke, begründen ideologische Beziehungen und bestimmen Reputationen. Der 121. Band der Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (MIÖG) widmet sich nun genau diesen Konstellationen, und zwar in geschichtswissenschaftlicher Perspektive.
Aufbau und Inhalt
Die etwas vage Einleitung der beiden Wiener Historiker Martin Scheutz und Andrea Sommerlechner changiert zwischen Problemaufriss, Vorstellung der folgenden empirischen Studien und eigenem Fallbeispiel. Aussagekraft und Bedeutung, die das Rezensionswesen als Gegenstand historischer Forschung entfalten kann, werden zunächst nur angedeutet.
Auch das Fallbeispiel zu dem Tiroler Rechthistoriker Nikolaus Grass, wie er seit den 1950er Jahren das Rezensionswesen für sich instrumentalisierte, um ein Netzwerk ihm gewogener Kollegen aufzubauen, lässt nur schemenhaft das Potential tiefergehender Analysen erkennen. Wesentlich dichter sind hingegen die folgenden fünf empirischen Beiträge.
Ines Peper untersucht zunächst protestantische Rezensionszeitschriften im Kontext der österreichischen Gelehrtenwelt des frühen 18. Jahrhunderts. Dabei weist sie beispielsweise überzeugend nach, wie sich ein spezifisches Kritikverständnis genauso wie ein Anspruch auf Unparteilichkeit als Selbstverpflichtung des Rezensionswesens herausbildete. Ihr Titel, der auf die stets etwas unglückliche Spiegel-Metapher zurückgreift, indem er formuliert, die Gelehrtenwelt im „Spiegel der Rezensionszeitschriften“ beleuchten zu wollen, konzeptualisiert den Gegenstand des Beitrages jedoch insgesamt zu passiv. Die eigentlich spannendere Perspektive, inwiefern nämlich Rezensionen und ihre Publikationsforen intellektuelle Debatten prägten und in vieler Hinsicht erst herstellten, verschleiert er eher. Letztlich bleibt daher unklar, wie genau der Einfluss der neuen Gattung Rezensionszeitschrift gegenüber älteren Formen wie den Messkatalogen (nicht „Messekatalogen“ S. 8), die Neuerscheinungen lediglich bibliographisch verzeichneten, einzuschätzen ist.
Im zweiten Beitrag analysiert Thomas Wallnig mit der „Banzer Zeitschrift“ das katholische Pendant zu den zuvor untersuchten protestantischen Rezensions-Blättern. Sie erschien zwischen 1772 und 1798 als Rezensionsjournal, herausgegeben von Benediktinern der fränkischen Abtei Banz, und war damit wohl einzige Vertreterin ihrer Gattung. Wallnig profiliert die Zeitschrift zunächst in den Kontexten katholischer Aufklärung sowie als „antischolastisches Bildungsprogramm“ (S. 29). Dabei sieht er nicht zuletzt in ihrer Aufmachung eine enge Anlehnung an protestantische Rezensionsjournale der Zeit. Dass dies keine unbedingt neue Erkenntnis ist, weiß der Verfasser. Daher geht seine Untersuchung auch über jene Befunde hinaus und konstatiert zum einen, dass die Banzer Zeitschrift doch lange Zeit ein eher heterogenes Forum monastischer, verlegerischer, obrigkeitlicher und gelehrter Akteure blieb, die so ihre „Anliegen in den Referenzraum einer mehr oder weniger gelehrten Öffentlichkeit projizieren konnten“ – und dies vor allem im Gegensatz zu anderen Fachzeitschriften, die sich mehr und mehr am staatlichen Bildungsmonopol orientierten.
Christine Otter wendet sich im dritten Aufsatz „Zwischen Referat und Recension“ den Literaturberichten der MIÖG im Zeitraum von 1880 bis 1900 zu. Rezensionen begreift sie als integrale Bestandteile der Wissenschaftskommunikation und macht sie so zu historischen Quellen. Zu begrüßen ist, dass auch sie zusätzlich auf Aktenmaterial aus der Redaktion sowie auf Briefnachlässe zurückgreift, um die Eigenarten des Rezensionswesen um die Jahrhundertwende besser kontextualisieren zu können. So gelingt es ihr schließlich auch, über bisher eher sprachwissenschaftliche und semantische Studien hinauszugehen und Rezensionen als Vehikel zur Professionalisierung der Geschichtswissenschaft sehen. Die häufig langen bis zu 20 Seiten langen „Literaturberichte“ erinnern dabei nur entfernt an das, was wir gegenwärtig als Rezension erkennen würden, kamen sie in ihrer Gestalt doch oftmals eher in Form längerer Referate und Zusammenfassungen ausländischer Forschungstendenzen daher.
Martin Scheutz nähert sich der Geschichte des Rezensionswesens mithilfe des Ehr-Begriffs und verfolgt damit auf gelungene Weise indirekt auch eine emotionshistorische Perspektive. Denn die Gattung der Rezension, so Scheutz, lasse sich als Teil eines Ehrdiskurses um Wissenschaftlichkeit verstehen, der seinen Ursprung in den Konfliktkulturen der Frühen Neuzeit finde (S. 64). Damit weist er in seiner Thesenbildung deutlich über die Befunde seines Vorgängerbeitrages hinaus, indem er eben nicht bei der Professionalisierungsthese stehen bleibt, sondern kreativ das Potential der Quellengattung Rezension weiter auslotet. Nachdem der Verfassungshistoriker Gustav Turba 1914 ein Werk des Grazer Neuzeitlers Heinrich Srbik kritisch besprochen hatte, setzte sich eine ebensolche Ehrdebatte in Gang. Sribik sah sich veranlasst, schleunigst zu reagieren, und das auf drastische Weise: In einem Brief Anfang Juli 1914 beschrieb er seine Reaktion, womöglich in semantischer Anlehnung an die Stimmung während der Julikrise: „Die schweren Schnitte mit Arteriendurchschlag und Knochensplitter sitzen, hoffe ich, in ziemlicher Anzahl bei ihm“. Gemeint war sein Rezensent Turba.
Abgeschlossen wird der Thementeil des Zeitschriftenbandes mit einem Beitrag von Ursula Klingenböck, die textlinguistische und -pragmatische Überlegungen zu Rezensionen am Beispiel der MIÖG von 1920-1939 anstrengt. Im Rückgriff auf die Soziologie Pierre Bourdieus beschreibt die Autorin das Rezensionswesen als „rezensives Feld“, auf dem die Relation von Mächtigen zu weniger Mächtigen die Spielregeln bestimme. Spielregeln wären in diesem Fall etwa Kriterien der Rezensenten- und Buchauswahl, aber auch die Orientierung an oder die Missachtung von Gepflogenheiten der Kritik, des Lobes und der Bewertung. In welcher Verbindung dabei ihre überzeugenden textpragmatischen Befunde etwa zum Loben und Schmähen, zu deren Verschärfung und Abschwächung oder zu den soziologischen Überlegungen am Ende des Beitrages stehen, wird jedoch nicht immer klar. Eher scheinen sie bereits bekannte Soziologien des Rezensionswesens nochmals zu verifizieren.
Diskussion
Insgesamt begründet sich auch genau hierin ein Kritikpunkt an dem Themenheft der MIÖG. Alle Beiträge sind fundiert recherchiert und argumentieren auf einer dichten Quellenbasis. Allerdings gelingt es den Beiträgen insgesamt nur an einzelnen Stellen, Rezensionen als vielversprechende, neue Quellengattung zu konzeptualisieren. Die Fallstudien fördern letztlich viele überzeugende Erkenntnisse zutage, etwa über die Professionalisierung und Standardisierung von Wissenschaftsdisziplinen, die allerdings schon aus anderen Zusammenhängen bekannt sind. Eine „Forschungslücke“, wie es der Titel andeutet, lässt sich so sicherlich schließen. Neue Anschlussmöglichkeiten finden Forscher hierin aber nur bedingt.
Eine Ausnahme bildet da sicherlich der Beitrag von Martin Scheutz, dem es gelingt, seine Erkundungen in vergangenen Rezensionswelten in breitere kultur- und sozialhistorische Kontexte zu überführen. Auch der Fragenkatalog am Ende des Thementeils, in dem ausgewählte Redaktionen wissenschaftlicher Zeitschriften Auskunft über ihre Rezensionspraxis geben, bietet sich als Grundlage weiterer Auseinandersetzungen mit gegenwärtigen Rezensionskulturen an.
Fazit
Es bleibt zu hoffen, dass die Beiträge dazu ermuntern, das Rezensionswesen nicht nur in seinen gegenwärtigen Tendenzen, etwa der Entwicklung von Online-Plattformen oder der Einbindung in das Web 2.0, zu reflektieren. Auch die vergangenen Rezensionskulturen sind es allemal Wert, genauer untersucht zu werden, geben sie doch Auskunft über Wissenschafts- und Disziplinenverständnis, Reputationskonflikte, Sprachpragmatik und auch Marktmodelle. Der 121. Band der MIÖG schlägt hierfür erste Schneisen.
Rezension von
Dr. Nicolai Hannig
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