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Sozialpsychologie Mannheim (Hrsg.): Ich, du, wir und die anderen

Rezensiert von Matthias Meitzler, 02.10.2013

Cover  Sozialpsychologie Mannheim (Hrsg.): Ich, du, wir und die anderen ISBN 978-3-7799-2882-9

Sozialpsychologie Mannheim (Hrsg.): Ich, du, wir und die anderen. Spannendes aus der Sozialpsychologie. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2013. 200 Seiten. ISBN 978-3-7799-2882-9. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 28,50 sFr.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-7799-2972-7 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Thema

Als Wissenschaft vom Erleben und Verhalten in sozialen Kontexten beschäftigt sich die Sozialpsychologie klassischerweise mit den Auswirkungen der faktischen, vorgestellten oder erschlossenen Anwesenheit anderer Personen auf das Individuum. Weil Menschen soziale Produkte sind, ist auch die Art und Weise, wie sie ihren Alltag wahrnehmen, wie sie Eindrücke bilden und bewerten, wie sie denken, fühlen und handeln etc. nicht bloß Resultat subjektiver Dispositionen, sondern immerzu von dem Umfeld geprägt, in dem sie aufwachsen, leben und interagieren. In unterhaltsamer Form möchte das vorliegende Buch Einblicke in einzelne Bereiche des sozialpsychologischen Forschungsfeldes geben.

Herausgeber

Unter dem Label „Sozialpsychologie Mannheim“ wird der Band von einem neunköpfigen Team herausgegeben. Dieses setzt sich aus derzeitigen und ehemaligen Sozialpsychologen am Lehrstuhl für Sozialpsychologie und am Lehrstuhl für Mikrosoziologie und Sozialpsychologie der Universität Mannheim zusammen.

Entstehungshintergrund

Der Sammelband steht im Zusammenhang mit dem von der Universität Mannheim betriebenen Online-Portal „Forschung erleben“ (www.forschung-erleben.uni-mannheim.de/), auf dem im wöchentlichen Turnus ein kurzer Artikel erscheint, der sich mit einem aktuellen sozialpsychologischen Thema befasst. Das Ziel der Website und des Buches besteht darin, durch eine starke Alltagsnähe grundlegende Erkenntnisse aus der Sozialpsychologie über die Mauern des wissenschaftlichen „Elfenbeinturms“ zu tragen und einem breiteren Publikum in allgemeinverständlicher Form zugänglich zu machen. Die Autoren richten sich vor allem an eine Leserschaft, die sich mit diesem Bereich noch wenig bzw. gar nicht beschäftigt hat. Nicht nur um einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn geht es offenbar, sondern auch darum, „wie man durch das Wissen um menschliches Denken, Fühlen und Handeln das eigene Leben bereichern oder erleichtern kann.“ (7)

Aufbau

Neben Vorwort, Einleitung und Schlusswort besteht das Buch aus insgesamt zehn Kapiteln, die sich jeweils einem anderen Teilaspekt der Sozialpsychologie widmen. Die Kapitel sind drei unterschiedlichen Themenblöcken zugeordnet, welchen je ein knapper Einleitungstext vorangestellt ist:

  1. Ich und meine Welt
  2. Ich und meine Nächsten
  3. Ich innerhalb und außerhalb von Gruppen

Einige der Autoren sind an mehreren Beiträgen beteiligt. In die einzelnen Aufsätze sind außerdem noch Kurzartikel anderer Autoren eingeflochten, die passende Studien und deren Ergebnisse vorstellen.

Inhalt

In der Einleitung beschreiben Ulrike Rangel und Anne Landhäußer in aller Kürze den allgemeinen Gegenstand der Sozialpsychologie und zeigen auf, wodurch diese sich von anderen psychologischen Teildisziplinen abgrenzt. Überdies werden Voraussetzungen, die Durchführung und potenzielle Probleme sozialpsychologischer Experimente erörtert.

Bianca von Wurzbach beschäftigt sich im darauf folgenden Artikel mit der Wahrnehmung der sozialen Umwelt. Diese ist nicht schlichtweg als objektive Wirklichkeit gegeben, sondern wird anhand (subjektiver wie sozialer) Determinanten konstruiert. Der Text beleuchtet vor allem den Einfluss von Erwartungen, von der Motivation und vom situativen Kontext. Daran knüpft der Aufsatz von Katharina Zimmer unmittelbar an: Nicht zuletzt Gefühle und Emotionen leisten einen entscheidenden Beitrag dazu, wie Menschen die sie umgebende soziale Welt wahrnehmen und bewerten, wie sie sich in ihr verhalten, Kontakte mit anderen Menschen schließen, Entscheidungen treffen und sich an Zurückliegendes erinnern. Dies kann sowohl zum eigenen Vor- als auch zum Nachteil geschehen.

Der Beitrag von Jana Janssen blickt auf das interessante Wechselspiel von Denken und Handeln vor dem Hintergrund von Entscheidungsprozessen. Nicht immer stehen ausreichend Zeit und kognitive Ressourcen zur Verfügung, um alle Argumente für oder gegen eine Entscheidung systematisch abzuwägen, weshalb andere Indikatoren, wie z. B. Gefühle, als Orientierungsmaßstäbe herangezogen werden. Neben der Differenzierung von Entscheidungsfindung als einzelnes Individuum und in der Gruppe werden u. a. Strategien aufgezeigt, anhand derer kognitive Leistungen optimiert werden können.

Die nächsten beiden Kapitel sind jeweils von Christiane Schoel verfasst. Zunächst geht es um sozialpsychologische Betrachtungsweisen der Paarbildung. Interpersonale Attraktion, Wahrnehmung von Ähnlichkeit(en), Schönheitsideale und Geschlechtsspezifika sind bei der Selektion des potenziellen Partners – sei dies für eine längerfristige Partnerschaft oder bloß für eine flüchtige sexuelle Begegnung – von besonderer Relevanz. Im anschließenden Text stehen Liebe und Partnerschaft im Vordergrund. Angeleitet von der Frage, was eine Partnerschaft ausmacht, werden u. a. die von Mary Ainsworth bekannten Bindungstypen vorgestellt und unterschieden. Die Autorin zeigt ebenso den Einfluss von normativ geprägten Rollenschemata auf die Beziehung, sowie typische Paarkonflikte und mögliche Umgangsstrategien. Angesichts der steigenden Scheidungsquote und der im Durchschnitt generell kürzer werdenden Dauer von Partnerschaften ist es nicht uninteressant, auch einen Blick auf deren Ende zu werfen – welche Auswirkungen hat eine Trennung etwa auf das Selbstkonzept?

Janin Roessel beschäftigt sich mit interpersonalem Hilfeverhalten und möglichen Hemmungsfaktoren: Was führt dazu, dass Menschen in eine Notsituation eingreifen und was begünstigt es, dass sie tatenlos zusehen? Gibt es so etwas wie eine „hilfsbereite Persönlichkeit“? Welche Rolle spielen Eigennutz, Empathie und situative Komponenten für die Motivation einer fremden Person zu helfen? Welche gesellschaftlichen Faktoren wirken sich dabei aus und welchen Einfluss kann Hilfeverhalten für die eigene Gesundheit haben?

Der Beitrag von Jennifer Eck beleuchtet das Phänomen des Lügens und seine soziale Bedeutung. Unterschieden wird zwischen eigennützigem Lügen (zur Schaffung eines persönlichen Vorteils bzw. zur Vermeidung psychologischer Kosten) und altruistischem Lügen (im Dienste des Wohlergehens anderer), was zeigt, dass die Lüge, trotz ihrer negativen Konnotation im Alltagsverständnis, auch „Ausdruck von Menschlichkeit und Rücksichtnahme“ (124) sein kann. Daneben wird der Frage nachgegangen, ob unehrliches Verhalten ein Charaktermerkmal oder doch eher das Ergebnis einer dafür prädestinierenden Situation darstellt.

Einer der zentralen Gegenstände der Sozialpsychologie ist die Untersuchung von Gruppenprozessen. Diesem Aspekt ist der letzte Themenblock gewidmet. Bianca von Wurzbach befasst sich mit dem Leben in der Gruppe. Dabei spürt sie u. a. der Frage nach, durch welche Merkmale sich eine Gruppe konstituiert, worin ihre Funktion liegt, wodurch sich die Eigengruppe von einer Fremdgruppe abgrenzt, und welchen Einfluss die Anwesenheit einer Gruppe generell auf das eigene Denken und Handeln ausübt. Auch auf mögliche Konsequenzen einer Exklusion aus der Gruppe und auf die Bedeutung von Kollektivität im Zeitalter der Individualisierung geht die Autorin ein.

Mit Stereotypen und der damit verbundenen Diskriminierung setzt sich Anne Landhäußer auseinander. Den Fokus richtet sie dabei auf die Entstehung, Wirksamkeit, Resistenz und auf Überwindungschancen. Letztere seien etwa durch die vermehrte Herstellung von Kontakten zu Mitgliedern der stereotypisierten Gruppe möglich. In Anlehnung an Thomas Pettigrew werden Kontaktbedingungen identifiziert, die erfüllt sein müssen, damit es zum Abbau von Vorurteilen kommen kann: Statusgleichheit, gemeinsame übergeordnete Ziele, Kooperation, Unterstützung durch Autoritäten, Freundschaftspotenzial und die Wahrnehmung des Fremden als ein prototypisches Mitglied seiner Gruppe. Zu betonen ist schließlich, dass Stereotype durchaus auch positiv gewendet sein können – wenngleich dies nicht zwingend heißt, dass sie auch vom Gegenüber als positiv angenommen werden.

Der anschließende Artikel von Bianca von Wurzbach und Anne Landhäußer thematisiert den sozialen Wandel, der dazu führt, dass „typische“ Gruppen, wie beispielsweise die Familie oder die Schulklasse, sich strukturell verändern. Von gesellschaftlichen Transformationsprozessen ist darüber hinaus auch die Art und Weise der Nachrichtenvermittlung betroffen. Die beiden Autorinnen nehmen den Einfluss von Medien auf das menschliche Zusammenleben in der „Informationsgesellschaft“ unter die Lupe. Dieser steht indes nicht per se nur für Gefahren; vielmehr ist hierbei eine differenzierte Sichtweise gefragt.

Herbert Bless und Dagmar Stahlberg haben das Schlusswort, in dem sie noch einmal eindringlich darauf aufmerksam machen, dass zur Erklärung (zwischen-)menschlichen Verhaltens situative Einflüsse gegenüber personalen Faktoren auffallend häufig unterschätzt werden.

Diskussion

Man mag als Wissenschaftler von diesem Buch halten, was man will: Der anfangs formulierte Anspruch, einen Sammelband zu gestalten, der ausgewählte Kernelemente der sozialpsychologischen Forschung einer breiten Leserschaft kompakt, amüsant und alltagsnah näherbringt, wurde zweifelsohne konsequent verfolgt. Insofern hat das Buch sein Versprechen einer lebendigen, anschaulichen und kurzweiligen Stoffaufbereitung eingelöst. Begünstigt wird dies ebenfalls durch die zahlreich aufgeführten Beispielexperimente (die Bandbreite erstreckt sich von den „Klassikern“ bis hin zu weniger bekannten Studien) sowie durch eine übersichtliche Struktur, in der man sich leicht zurecht findet. Es wäre also keineswegs überraschend, wenn es vielen Lesern – insbesondere jenen, die sich zuvor mit diesem Gebiet noch nicht beschäftigt haben – schwer fällt, das Buch aus der Hand zu legen. Noch dazu sind die Texte mit auflockernden Illustrationen versehen, wobei der Band auch ohne sie sicherlich nicht an Qualität eingebüßt hätte. Für Laien, die an selektiven, unterhaltsamen Einblicken in die Sozialpsychologie interessiert sind, stellt sich das Buch in jedem Fall als eine Bereicherung heraus. Und auch Studierenden kann es, wenn es parallel zu ihrer Pflichtliteratur gelesen wird, als etwas leichtere Kost „für Zwischendurch“ durchaus empfohlen werden. Wer hingegen mehr als das erwartet, wird aller Voraussicht nach enttäuscht. Der universitäre Entstehungskontext irritiert insofern, als sich der im Buch immer wieder angestrebte Entertainment- bzw. Edutainmentaspekt mit diversen Anforderungskriterien für Wissenschaftlichkeit schwer vereinbaren lässt. Stattdessen soll der Band „Gesprächsstoff für die nächste Party liefern und so manche überraschende Selbsterkenntnis vermitteln“ (7). Neben moralischen Appellen, bewusst salopp gehaltenen Formulierungen und Alltagsfloskeln werden so manche Pauschalismen aufgegriffen, die zwar die Verständlichkeit und Übertragbarkeit auf den eigenen Alltag erhöhen, der Komplexität und Diskursivität des Gegenstandes aber oftmals nicht gerecht werden. Gewiss, manches davon muss wohl mit einem Augenzwinkern gelesen werden: „Wir sollten also Personen, die eine Sonnenbrille tragen, vielleicht nicht alles glauben, was sie erzählen, wenn es sich bei der Sonnenbrille um eine Fälschung handelt“ (127). Obschon es im Dienste der Übersichtlichkeit notwendig erscheint, manches auszuklammern, kann der Band mit einer solchen Konzeption letztlich nur grobe, holzschnittartige Einblicke in die Themenfelder und Studien der Sozialpsychologie geben. Dort herrscht bei Weitem nicht eine solche Einigkeit über Theorien und Methoden, wie sie in dieser simplifizierten, insgesamt etwas unkritisch daher kommenden Überblicksdarstellung suggeriert wird. Ausführlichere Verweise auf vertiefende Literatur zu den einzelnen Themen kämen jenen Lesern gelegen, die nicht nur am gegenwärtigen Status quo der Forschung interessiert sind, sondern auch an den Entstehungshintergründen und an profunderen Nachforschungen. Bei all der geäußerten Kritik ist an dieser Stelle aber noch einmal hervorzuheben, dass man sie den Autoren im Grunde nicht vorwerfen kann, solange man die am Anfang dargelegten Ambitionen berücksichtigt und das Buch in die Reihe der populärwissenschaftlichen Schriften einordnet.

Fazit

Zu empfehlen ist der Sammelband insbesondere denjenigen, die sich einen ersten Eindruck von der Thematik machen möchten. Um eine Einführung in die Sozialpsychologie, die notwendigen wissenschaftlichen Standards genügt, handelt es sich hingegen nicht. Zur Vertiefung bzw. zur Klausurvorbereitung für Studierende sei stattdessen auf einschlägige Lehrbücher verwiesen, in denen auch die für das sozialpsychologische Studium unumgänglichen statistischen Methoden berücksichtigt werden.

Rezension von
Matthias Meitzler
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Es gibt 14 Rezensionen von Matthias Meitzler.

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Zitiervorschlag
Matthias Meitzler. Rezension vom 02.10.2013 zu: Sozialpsychologie Mannheim (Hrsg.): Ich, du, wir und die anderen. Spannendes aus der Sozialpsychologie. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2013. ISBN 978-3-7799-2882-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15201.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.


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