Georg Cremer, Nils Goldschmidt et al.: Soziale Dienstleistungen
Rezensiert von Prof. Dr. Harald Christa, 07.08.2013

Georg Cremer, Nils Goldschmidt, Sven Höfer: Soziale Dienstleistungen. Ökonomie, Recht und Politik.
UTB
(Stuttgart) 2012.
250 Seiten.
ISBN 978-3-8252-3665-6.
D: 24,99 EUR,
A: 25,70 EUR,
CH: 35,90 sFr.
Reihe: UTB M (Medium-Format).
Thema
Soziale Dienstleistungen gelten als einer der größten Wirtschaftszweige in Deutschland. Alleine in der Freien Wohlfahrtspflege sind über 1,5 Millionen Beschäftigte tätig, Freie Träger sind hierzulande einer der größten nichtstaatlichen Arbeitgeber mit einem geschätzten Umsatz von über 40 Milliarden Euro. Der Gesamtumsatz sozialer Dienstleistungen beträgt jedoch ein Vielfaches, denn sie werden darüber hinaus auch in staatlichen und gewerblichen Trägerkontexten erbracht. Unter Berücksichtigung von demographischen Entwicklungen und weiteren sozialen Verwerfungen können wir davon ausgehen, dass vor allem der Sektor der personenbezogenen sozialen und gesundheits- bzw. pflegewirtschaftlichen Dienste weiter expandieren wird. Umso erstaunlicher ist es, dass das weite Feld der sozialen Dienstleistungen theoretisch und empirisch bis dato nur am Rande wissenschaftlich untersucht worden ist.
Entstehungshintergrund
Georg Cremer, Nils Goldschmidt und Sven Höfer möchten mit ihrer Publikation eine analytische Lücke schließen und thematisieren soziale Dienstleistungen unter dem besonderen Fokus von Ökonomie, Recht und Politik.
- Georg Cremer ist Generalsekretär und Vorstand für Sozial- und Fachpolitik des Deutschen Caritasverbandes sowie außerplanmäßiger Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg.
- Nils Goldschmidt ist Professor für Wirtschaftswissenschaften und ihre Didaktik an der Universität Siegen.
- Sven Höfer ist Professor für Rechtswissenschaft an der Hochschule Esslingen.
Aufbau und Inhalt
Das Buch enthält elf Kapitel, ein Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Sachregister.
- In ihrer Einführung nehmen die Autoren eine systematische Hinführung zu Thema und Ziel des Buches vor, Georg Cremer, Nils Goldschmidt und Sven Höfer skizzieren dabei auch die Besonderheiten von Dienstleistungen und grenzen das Feld der sozialen Dienstleistungen gegenüber anderen Branchen ab.
- Im Anschluss daran werden Entwicklungslinien unserer Deutschen Dienstleistungs- bzw. Sozialdienstleistungsgesellschaft im Kontext spezifischer historischer Wandlungsprozesse dargestellt.
- Unter dem Stichwort »Ordnungspolitik und Recht: Gestaltung der Marktwirtschaft« werden dann wichtige Elemente der sozialen Marktwirtschaft dargelegt. Dabei wird auch das »Soziale« an bzw. in der sozialen Marktwirtschaft erläutert.
- Die »Marktfähigkeit« sozialer Dienstleistungen wird im vierten Kapitel geprüft. Dabei wird zunächst geklärt, ob soziale Dienstleistungen öffentliche oder private Güter sind, es werden daran anschließend die Besonderheiten der (vermeintlichen) »Märkte« sozialer Dienstleistungen sowie die Konsequenzen für eine entsprechende effiziente Gestaltung aufgezeigt.
- Im fünften Kapitel werden die Marktakteure im Bereich der sozialen Dienstleistungen sowie deren Interessen skizziert. Adressaten, Leistungserbringer und Kostenträger sowie deren Nutzenvorstellungen und Rechtsbeziehungen werden dabei nachvollziehbar und klar herausgearbeitet.
- Besonders interessant für Leserinnen und Leser aus dem Sektor der sozialen Arbeit sollte das im sechsten Kapitel dargelegte »sozialrechtliche Dreiecksverhältnis« sein. Neben dem Grundgedanken werden Vertragsverhältnis- und Rechtsbeziehungen zwischen Nutzer und Leistungserbringern dargelegt und es wird hier Wert auf die Frage gelegt, ob ein solcher »Markt« korporativ oder wettbewerblich ausgestaltet ist bzw. sein sollte.
- Das siebte Kapitel widmet sich dem sogenannten »Persönlichen Budget« und damit einer vergleichsweise innovativen Form der Finanzierung sozialer Arbeit. Das Persönliche Budget ist bislang lediglich im Rahmen von SGB IX verbindlich niedergelegt und folgt dem Grundgedanken, dem Nutzer bzw. der Nutzerin einer sozialen Dienstleistung ein Maximum an »Konsumfreiheit« zu gewährleisten. Das obengenannte »sozialrechtliche Dreiecksverhältnis« wurde vom Gesetzgeber hier einer erheblichen Modifikation unterzogen. Die Autoren prüfen in diesem Kapitel auch die Wirkungen aus Sicht der Nutzer, der Leistungserbringer und der Leistungsträger.
- Eine weitere (vermeintlich) innovative, in jedem Falle aber alternative, Form der Finanzierung sozialer Arbeit (übrigens bereits in den achtziger Jahren von Sozialökonomen wie Herder-Dorneich diskutiert) wird im achten Kapitel mit dem »Gutschein« thematisiert. Ausgehend von Grundgedanken der Gutscheine werden von den Autoren Ziele, Möglichkeiten der Ausgestaltung und Wirkungen vor allem mit Bezug auf Kindertageseinrichtungen dargelegt.
- Ebenfalls spannend für einige Sektoren der sozialen Arbeit dürfte der von Georg Cremer, Nils Goldschmidt und Sven Höfer vorgenommene Diskurs zu »Ausschreibungen sozialer Dienstleistungen nach Vergaberecht« sein. Dies betrifft unter anderem die offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die typischerweise nach den Vorgaben der Zuwendungsfinanzierung gefördert werden. Auch hier erfolgen eine Darlegung des Grundgedankens sowie eine Bewertung aus Sicht der Nutzer, der Leistungserbringer sowie der Leistungsträger.
- In einigen wenigen Regionen bzw. Kommunen bereits realisiert ist die »Sozialraumbudgetierung«. Der zehnte Abschnitt dieser Publikation schildert die Grundidee sozialräumlicher Arbeit und entsprechend ausgerichteter Finanzierungsmodi, die Ziele, die Möglichkeiten der Ausgestaltung sowie eine Bewertung aus Sicht der Hauptakteure.
- Ein »Ausblick« beschließt dieses Buch. Hauptprobleme der Zukunft soziale Arbeit bzw. sozialer Dienstleistungen werden in diesem Kapitel mit Verweis auf den demographischen Wandel, die Gewinnung qualifizierten Personals, die Verbindung mit nicht-beruflichen Hilfesystemen, die hohe staatliche Verschuldung, aber auch mit im Hinblick auf auch die notwendige interkulturelle Öffnung, angezeigte Milieusensibilitäten und den neuen Präventionsgedanken angesprochen.
Diskussion
Georg Cremer, Nils Goldschmidt und Sven Höfer haben das Forschungs- und Praxisfeld der sozialen Dienstleistungen nach aktuellem wissenschaftlichem Stand analysiert. Hervorzuheben ist, dass sie bei der Wahl ihrer Schwerpunkte auch schwierigen bis unbequemen Fragestellungen nicht aus dem Weg gegangen sind. Dies zeigt beispielsweise der Umstand, dass sie das sehr kontrovers diskutierte Feld der »Gutscheine« im sozialen Bereich ebenso wenig ausgespart haben wie institutionenökonomische Sichtweisen auf personenbezogene soziale Dienstleistungen. Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann dass von den Autoren der Sektor der sozialen Dienstleistungen sehr breit interpretiert worden ist. Die Heterogenität der diversen Teilbranchen ist bereits beachtlich. Aussagen über ein Feld, das nicht nur die verschiedenen Felder der Jugendhilfe, der Hilfen für ältere Menschen und der Hilfen für Menschen mit Behinderung umfasst, sondern auch noch die Gesundheitswirtschaft, die ambulante wie stationäre Pflege, diverse Hilfen für Menschen mit Migrationshintergrund sowie die Hilfen für Arbeitslose und Menschen in besonderen Lebenslagen, lassen sich insbesondere (institutionen-) ökonomisch nur eingeschränkt vornehmen.
Diese Anmerkungen sollen allerdings nicht den insgesamt sehr guten Eindruck von dieser Publikation und auch nicht den Verdienst von Georg Cremer, Nils Goldschmidt und Sven Höfer schmälern, zwar zum Teil herausfordernde, aber eben auch anschlussfähige Thesen formuliert zu haben. Den Sektor der sozialen Dienstleistungen konzentriert und gemäß neuerer Theorien ökonomisch, rechts- und politikwissenschaftlich zu untersuchen, ist unseres Erachtens eine sehr wichtige Aufgabe, mit der vorliegenden Publikation haben die Autoren einen guten Anfang gemacht und sollten in der dann tiefer gehenden Diskussion um die Ausgestaltung sozialer Dienstleistungen in jedem Falle berücksichtigt werden.
Fazit
Guter Einstieg in die Diskussion um Eigenarten und Potenziale der Ausgestaltung sozialer Dienstleistungen.
Rezension von
Prof. Dr. Harald Christa
Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Hochschule Dresden mit Schwerpunkt Sozio-Marketing, Strategisches Management, Qualitätsmanagement/ fachliches Controlling.
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