Elisabeth Aebi, Luc Ciompi et al. (Hrsg.): Soteria im Gespräch
Rezensiert von Prof. Dr. Annemarie Jost, 30.08.2013

Elisabeth Aebi, Luc Ciompi, Hartwig Hansen (Hrsg.): Soteria im Gespräch. Über eine alternative Schizophreniebehandlung. Paranus Verlag (Neumünster) 2013. Erweiterte Neu- Auflage. 192 Seiten. ISBN 978-3-940636-26-3. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 28,50 sFr.
Thema
Soteria steht für eine wegweisende alternative Schizophreniebehandlung, die von einem Team um den Schweizer Professor Luc Ciompi 1984 in Bern begonnen wurde, nachdem er bei einer Studienreise das gleichnamige milieutherapeutische Projekt von Loreen Mosher in San Francisco kennengelernt hatte.
Autoren und Entstehungshintergrund
Es handelt sich um eine Neuauflage des 1993 im Psychiatrieverlag erschienen gleichnamigen Buches, das lediglich um drei neue Vorworte und ein aktualisiertes Literaturverzeichnis ergänzt wurde. Elisabeth Aebi hat im Zuge ihrer Forschungsarbeiten an der sozialpsychiatrischen Universitätsklinik in Bern das Soteria Projekt begleitet und mit Bewohnern der Soteria einzeltherapeutisch gearbeitet. Gemeinsam mit Hartwig Hansen vom Psychiatrieverlag hat sie für das vorliegende Buch Interviews mit Patienten, Angehörigen und Mitarbeitern der Soteria geführt. Der Begründer Luc Ciompi schildert seine konzeptionellen Überlegungen und stellt am Ende des Buches die bis 1993 abgeschlossenen Forschungsergebnisse zur Soteria dar. Leider werden keine weiteren Forschungsergebnisse der letzten 20 Jahre ergänzt.
Aufbau
Zu Beginn wird das Soteria Konzept im Interview mit Luc Ciompi und in den Kapiteln von Elisabeth Aebi vorgestellt. Es folgen ausführliche Schilderungen sowohl von ehemaligen als auch von 1993 noch aktiven Betreuern, von ehemaligen Bewohnern, Angehörigen und dem Supervisor des Teams. Weiterhin kommen noch externe Fachleute zu Wort.
Inhalt
Ursprünglich war das Projekt stark daran interessiert, eine medikamentenfreie Behandlung der Schizophrenie auszuprobieren. Man schuf ein Behandlungsmilieu, das eine behutsame und kontinuierliche mitmenschliche Stützung durch wenige ausgewählte Bezugspersonen bot. Mit den Angehörigen arbeitet man wertschätzend zusammen. Das Projekt ist in einem freundlichen älteren Haus mit Garten angesiedelt, das als offene Wohngemeinschaft mit maximal acht 17 -35 jährigen Bewohnern und zwei ständig anwesenden Betreuern geführt wird. Für Menschen mit einer akuten Psychose steht ein weiches Zimmer zur Verfügung. Das erste Team war stark getragen vom Pioniergeist, aber es gab mit den Jahren auch Zwischenfälle mit Aggressionen und Suizidversuchen. Die Interviews machen sowohl die hohen Anforderungen an die Betreuer als auch die sehr unterschiedlichen Erfahrungen der Bewohner deutlich. Manche konnten von einer akuten Psychose rasch genesen, andere hielten sich viele Monate im Projekt auf, manche mussten verlegt werden. Die Behandlung ist in vier Phasen gegliedert:
- Die akute Phase findet in der Regel im so genannten weichen Zimmer statt. Die Betreuer haben hier die Aufgabe, empfänglich zu sein für das, was vom Bewohner kommt, ihn zu begleiten und von überstarken Reizen abzuschirmen. Die Hälfte der Betreuer sind psychiatrisch ausgebildet, die anderen sind Laien mit hohem Einfühlungsvermögen, jedoch ohne einschlägige Ausbildung.
- Die zweite Phase besteht aus einer behutsamen Aktivierung, in der die Bewohner sich am gemeinsamen Haushalt und an der Gartenarbeit beteiligen, ohne jedoch ein festes therapeutisches Programm zu absolvieren. In dieser Phase haben die Bewohner die Möglichkeit, das einschneidende Erlebnis der Psychose zu verarbeiten.
- Im weiteren Verlauf geht es um die soziale und berufliche Integration mit Probeurlauben.
- In der vierten Phase wird den Bewohnern eine Nachbetreuung mit dem Ziel der Rückfallverhütung und der psychosozialen Stabilisierung angeboten.
Die Evaluationen der ersten Jahre zeigen in Übereinstimmung mit den Ergebnissen aus Kalifornien, dass eine Behandlung in der Soteria gleiche objektive Behandlungsergebnisse wie eine konventionelle psychiatrische Behandlung erreicht, allerdings mit viel weniger Medikamenten und wesentlichen subjektiven Vorteilen. Nur ist die Behandlung durch den personellen Aufwand die längere durchschnittliche Behandlungsdauer erheblich teurer als die konventionelle Behandlung.
Diskussion
„In der Soteria arbeiten bedeutet auch Eintauchen in eine andere Welt, eine Welt, in der oft Bedrohliches ungebremst einbricht, gewohnte Regeln der Verständigung versagen. Es entsteht eine Verwirrung, die schwer zu ertragen ist. Angst und Leiden der Bewohner und Bewohnerinnen werden am eigenen Leib spürbar.“
Soteria fordert die konventionelle Psychiatrie heraus. Auch 20 Jahre nach dem ersten Erscheinen hat das Buch wenig an Aktualität verloren. Allerdings wäre es schön gewesen, wenn die Entwicklungen von Soteria Projekten in Deutschland in den letzten 20 Jahren und weitere Evaluationen noch ergänzend das Buch aufgenommen worden wären.
Fazit
Die Neuauflage des vor zwanzig Jahren erschienenen Buches gibt Gelegenheit, das spannende Projekt Soteria in seinen vielen Facetten kritisch zu beleuchten, die Aufbruchstimmung nachzuempfinden, aber auch die Grenzen und die hohen Anforderungen an die Mitarbeiter zu verstehen. Allerdings fehlt eine Ergänzung des Buches im Hinblick auf die Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre. Leider bleiben Soteria Projekte die große Ausnahme in einer von medikamentösen Behandlungsmethoden dominierten Psychiatrie. Die Recovery Bewegung kann aus dem Soteria Projekt viele Anregungen beziehen.
Rezension von
Prof. Dr. Annemarie Jost
Professorin für Sozialpsychiatrie an der Fakultät 4 der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg
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