Elke Heidrun Schmidt: Altersbilder in der Erwachsenenbildung
Rezensiert von Prof. Dr. habil. Klaus R. Schroeter, 02.06.2014
Elke Heidrun Schmidt: Altersbilder in der Erwachsenenbildung. Ältere Menschen im Spiegel westdeutscher Volkshochschulprogramme ; Längsschnittuntersuchungen 1950 - 2000.
Verlag Dr. Kovač GmbH
(Hamburg) 2013.
392 Seiten.
ISBN 978-3-8300-6725-2.
D: 98,80 EUR,
A: 101,60 EUR.
Schriftenreihe Studien zur Erwachsenenbildung - Band 36.
Thema
Nicht erst seit dem letzten Altenbericht der Bundesregierung ist das Thema der Altersbilder in aller Munde. Vorstellungen von Alter und Altsein hat es wohl seit jeher gegeben und nicht erst seitdem das Alter zu einer eigenständigen Lebensphase erkoren wurde. Die vielen kulturhistorischen und philosophischen Forschungen zum Alter deuten darauf hin, dass Altersbilder immer auch Ausdruck der jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen und ihrer Deutungsmuster sind und es entsprechend gesellschaftlich und kulturhistorisch bedingt ist, welche Altersbilder dominieren. Das Vertrackte an den Altersbildern ist jedoch, dass die keineswegs eindeutig, sondern in der Regel mehrdeutig und ambivalent sind. Das gilt gleichermaßen für alltägliche, wissenschaftliche und auch wissenschaftlich veralltäglichte Vorstellungen vom und über das Alter. Folglich mangelt es auch nicht an Kommentaren, Berichten und Forschungen zu diesen und über diese Vorstellungen, so dass sie in endlosen Schleifen neu beforscht, medial gefiltert und im Alltag neu interpretiert werden. Auf diese Weise werden dann zugleich auch stets neue Altersbilder konturiert, die aber ihrerseits nicht nur Abbildungen alltäglicher, medial inszenierter oder wissenschaftlich erkundeter Altersvorstellungen sind. Vielmehr erzeugen sie gleichsam eine Alterswirklichkeit, weil sie als angenommene oder abgelehnte Deutungsmuster in die alltägliche Praxis greifen, wenn etwa Leitbilder wie die des „aktiven“, „erfolgreichen“ oder „produktiven Alterns“ auf die sozialpolitische Agenda gehoben werden oder wenn wir – uns gegen Altersstereotype wendend – nur die anderen, nicht aber uns selbst als alt begreifen. Insofern macht es durchaus Sinn, sich einmal eingehend mit den Fragen zu beschäftigen, „[w]elche Altersbilder … in veröffentlichten Angeboten von Volkshochschulen zu Altersbildung auf(scheinen), und wie … sich diese Altersbilder im Zeitverlauf entwickelt (haben)“ und „[i]n welchem Verhältnis … diese Altersbilder zu bekannten Alterstheorien, zu öffentlichen und zu wissenschaftlichen – insbesondere erwachsenenbildungswissenschaftlichen – Diskursen (stehen)“ (S. 30). Und genau das ist das Anliegen der hier zu besprechenden Qualifikationsarbeit.
Autorin
Zur Autorin werden keine weiteren Angaben gemacht.
Entstehungshintergrund
Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine vom Fachbereich Sozialwissenschaften der Technischen Universität Kaiserslautern angenommene Dissertation.
Aufbau und Inhalt
Das vorliegende Werk von Elke Heidrun Schmidt rückt auf der Grundlage einer qualitativen Inhaltsanalyse exemplarischer VHS-Programmankündigungen die in den Angeboten der Altersbildung „aufscheinenden Altersbilder“ (S. 18) und deren Entwicklung in den Mittelpunkt der Untersuchung. Die Autorin fragt danach, wie sich die „Auffassungen über die Bildungsbedürfnisse und das Lernen Älterer seit ihrer Entdeckung als Zielgruppe der Erwachsenen“ (S. 16) entwickelt haben und von welchen Altersbildern die für die Programmausrichtung an Volkshochschulen verantwortlichen Personen geleitet werden.
Das Buch gliedert sich nebst Verzeichnissen, Vorbemerkungen und Anmerkungsapparat in insgesamt sechs Kapitel.
Das erste Kapitel skizziert auf der theoretischen Folie von Konstruktivismus, Symbolischem Interaktionismus und Deutungsmusteransatz den „Forschungsgegenstand, Forschungsfragen und Forschungsdesign“.
Im zweiten Kapitel wird der Forschungsstand zu den „Auffassungen, Theorien und Bilder[n] vom Alter“ synoptisch zusammengetragen. Die Autorin greift hier auf eine Reihe unterschiedlicher Theorien zurück und betrachtet diese hinsichtlich ihrer Aussagen zu Bildungsfähigkeit, -bedürftigkeit und -bereitschaft Älterer. Man mag sich jedoch darüber wundern, warum derart prominente Alternstheorien wie z.B. der Altersstratifikationsansatz, die Modernisierungstheorie, die Ansätze zur Politischen Ökonomie des Alters oder auch die verschiedenen Theorieangebote zur Kritischen Gerontologie oder zur Feministischen Gerontologie nicht in den Kanon der Betrachtung einbezogen wurden. Gleiches gilt für die verschiedenen Ausprägungen des Generationenansatzes, der Lebenslauftheorie und der Lebensverlaufsansätze. Auch die wurden schon vor dem Jahre 2000 (als dem letzten Jahr des hier in Augenschein genommenen Untersuchungszeitraumes) im alternswissenschaftlichen Diskurs diskutiert. Es wäre vielleicht einer Überprüfung wert gewesen, ob auch Vorstellungen aus diesen Theoriearchitekturen in den VHS-Programmankündigen durchschimmern, zumindest dürften sie für Altersbildungsfragen nicht irrelevant sein.
Im dritten Kapitel wird die als Längsschnittstudie durchgeführte Programmanalyse (hier: die Auswertung von in Arbeitsplänen veröffentlichten Veranstaltungsangeboten von zehn Volkshochschulen) und das entsprechende Auswertungsverfahren näher vorgestellt.
Im anschließenden vierten Kapitel werden die in den Programmankündigungen auftretenden Altersbilder von der Autorin in einem Typenkatalog erfasst (S. 183ff.). Sie zeigt, wie Anfang der 1970er-Jahre mit den zunehmenden Aktivierungsmaßnahmen eine Zäsur in den VHS-Angeboten einsetzte. Die vormals oft rein unterhaltenden, betreuenden und patronisierend-abgrenzenden Angebote wurden fortan mehrheitlich durch klientelisierte Angebote ersetzt, die z.B. psychologischen Beistand beim Übergang ins Alter oder Hilfestellung bei der Entwicklung von Coping-Strategien für den zu erwartenden Rollenverlust im Alter anboten. Schmidt zeigt dann weiter, wie gegen Ende der 1970er-Jahre die auslaufenden segregierenden Veranstaltungsangebote „zugunsten von Angeboten mit intergenerationellen Aspekten“ verschwanden und von auf „erlernen“, „entwickeln“ und „verbessern“ abzielenden Angeboten ersetzt wurden. (S.194)
Bis Anfang der 1970er-Jahre – so zeigt die Autorin – dominierte ein defizitäres Altersbild, in dem ältere Menschen als weitgehend passiv, lernunfähig, sozial funktionslos und körperlich regressiv wahrgenommen wurden. Die Angebote für ältere Menschen hatten eher kustodialen und patronisierenden Charakter und zielten vor allem auf Betreuung, Unterhaltung und Beschäftigung. Anfang bis Mitte der 1970er-Jahre (1973-1977) setzte ein allmähliches Umdenken ein, Alte wurden sodann als aktivierungsfähig und teilhabewillig wahrgenommen, sodass in der Folge Angebote entstanden, „die auf aktives Beteiligtsein“ und „persönliche Weiterentwicklung, auf Lernen abzielen.“ (S. 197) Bemerkenswert erscheint weniger die Beobachtung, dass sich die Hinwendung von der Defizit- zur Aktivitätsperspektive nicht abrupt, sondern gewissermaßen schleichend vollzog, als vielmehr die Erkenntnis, „dass sich alle gravierenden Ablösungen und Neuerungen im Jahrzehnt von 1970 bis 1980“ vollzogen haben und „dass die Zeit nach 1980 hinsichtlich der aus den Angebotstexten aufscheinenden Vorstellungen vom Alter keinen einzigen wirklich neuen Aspekt hervorgebracht hat.“ (S. 198).
Das fünfte Kapitel ist mit 130 Seiten zugleich das umfänglichste Kapitel, in dem uns die Autorin durch eine fünf Dekaden (1950 bis 2000) umfassende Zeitreise führt. In chronologischer Reihung werden uns hier die sich verändernden Altersbilder in der allgemeinen gesellschaftlichen Wahrnehmung wie auch im speziellen erwachsenenbildungswissenschaftlichen Altersdiskurs in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vor Augen geführt. Dazu wird dann jeweils aufgezeigt, wie sich diese Bilder und Diskurse tendenziell in der Angebotspraxis der Volkshochschulen niederschlugen.
Die Ergebnisse sind wenig überraschend: In den 1950er-Jahren dominierte ein defizitär geprägtes Altersbild, und auch nach der großen Rentenreform von 1957 wurde das Alter (vor allem das der entberuflichten Männer) weiterhin mit „Funktionslosigkeit“ verbunden, so dass „Ältere nicht als Adressaten von Bildungsmaßnahmen wahrgenommen w[u]rden“ (S. 232).
Die 1960er-Jahre verkörpern zwar in vielerlei Hinsicht einen gesellschaftlichen Aufbruch, aber das Alter blieb davon weitgehend unbetroffen. Trotz Lohnzuwächsen und vermehrter Konsummöglichkeiten wurde das Alter weiterhin als eine Zeit des Verlustes angesehen. Mit dem 1962 in Kraft getretenen Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wurde zwar der Weg zur Entstehung von Altentagesstätten geebnet, aber die angebotenen „Hilfen für Ältere“ verharrten weiterhin im Kanon kustodialer Angebote, „ganz so, als seien die Ältesten nicht (mehr) Teil der Gesellschaft, in deren Prozesse nicht eingebunden und als hoffnungslos Gestrige nicht einmal mehr passiv miterlebend am aktuellen Geschehen interessiert“ (S. 248). Die im Diskurs der Erwachsenenbildung zaghaft aufkeimenden Vorstellungen von der „Erziehungs-“ und „Lernfähigkeit“ der Älteren – die sich bereits Ende der 1950er-Jahre durch die neu verwandten Begriffe des „life-long-learning“, der „éducation permanente“ oder der „Gerontagogik“ ankündigten – vermochten jedoch noch nicht, in die Angebotspraxis der Volkshochschulen diffundieren.
Auch in den 1970er-Jahren wurde das Alter in der Öffentlichkeit nach wie vor als problembehaftet dargestellt und wahrgenommen, auch wenn im wissenschaftlichen Diskurs die aktivitäts- und subjektorientierten Ansätze langsam Platz griffen. Und so blieben die Älteren auch in der Teilnehmerschaft der Volkshochschulen vorerst weiterhin eine Randgruppe.
In den 1980er-Jahren schien das Bild der Älteren in der öffentlichen Darstellung, vor allem in der Werbung, in einem deutlich positiveren Licht. Selbsthilfe- und Seniorenorganisationen (Graue Panther, BAGSO), Verbände (Deutsche Seniorenliga e.V.) und Parteien (Die Grauen) nahmen sich verstärkt der Altersfrage an, in der Wissenschaft gewannen Kompetenzmodelle und der Blick auf das Differenzielle Altern an Kontur und in der Erwachsenenbildungswissenschaft setzte eine durch die „Hinwendung zum Teilnehmer“ gekennzeichnete „reflexive Wende“ (S. 286) ein. Gleichwohl bleibt mit Erstaunen festzustellen, „dass zu keiner Zeit ein Angebot angetroffen wird, das den Terminus des ‚erfolgreichen‘ oder ‚gelingenden‘ Alterns verwendet“ (S. 296), obwohl der Wissenschaftsdiskurs hierzu in dieser Zeitspanne längst eingesetzt hatte.
Die 1990er-Jahre verhandelten das Alter weniger als ‚Schicksal‘, sondern vor allem als ‚Aufgabe‘ und ‚Chance‘, aber auch als ‚Risiko‘. Dabei wurden auch alarmistische Visionen von einem ‚Generationenkampf zwischen den Generationen‘ heraufbeschworen, wenngleich derartige Katastrophenszenarien vonseiten der Wissenschaft nicht geteilt wurden. Im gerontologischen Diskurs der Erwachsenenbildung rückte indes vermehrt der Blick auf die subjektorientierten Ansätze und auf die individuellen Lebenswelten und Biographien älterer Menschen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. In der Praxis der Volkshochschulen schlägt sich die differenzierte Wahrnehmung der Lebensproblemlagen Älterer in erweiterten Themenangeboten (u.a. Wohnen im Alter, Gedächtnistraining, Wechseljahre) nieder (S. 319).
Im abschließenden sechsten Kapitel werden die zuvor geschilderten Ergebnisse noch einmal in Kürze zusammengetragen und mögliche Schlussfolgerungen für eine Altenbildung im 21. Jahrhundert formuliert. Schmidt konstatiert treffend, dass sich zwar eine zunehmend differenzierte Betrachtung des Alters durchgesetzt hat, aber dass trotz aller Heterogenität des Alters die Hochaltrigen als homogene Gruppe mit identischen Problemlagen wahrgenommen werden (S. 344). Im prospektiven Blick auf eine künftige Altersbildung weist die Autorin darauf hin, dass das kalendarische Alter ein „wenig geeignetes Kriterium der Zuordnung von Menschen zu Bildungsmaßnahmen“ sei und hält es für denkbar, „dass die Älteren- und Altersbildung auf lange Sicht in einer allgemeinen ‚Menschenbildung‘ aufgeht, die das Alter im Zuge eines ‚age mainstreaming‘ mitdenkt.“ (S. 350). Sie plädiert – gerade auch im Hinblick auf die von ihr in ihrer Untersuchung vorgefundene Bedeutungslosigkeit der emanzipativen Ansätze in der Altersbildung – für eine „emanziaptorische“ Altersbildung, die sich weniger an der Kompensation der negativen Begleiterscheinungen, sondern vielmehr an den „neuen Freiheitsgraden“ des Alterns auszurichten hätte (S. 352). Im Bezug zu der in der Sozialen Gerontologie anzutreffenden Vorstellung von einer altersintegrierten Gesellschaft sieht sie eine künftige Aufgabe der Altersbildung darin, „eine Didaktik für eine intergenerative und zugleich transkulturelle Bildung zu entwickeln“, die gleichermaßen die Lernunterschiedlichkeiten Jüngerer und Älterer als auch die „unterschiedlichen epochalen Herkunftskulturen und die aus ihnen hergeleiteten erworbenen Deutungsmuster“ (S. 355) zu berücksichtigen hat.
Diskussion und Fazit
Elke Heidrun Schmidt zeichnet in ihrer Studie in groben Zügen die Wirkung gesellschaftlicher Altersbilder und erwachsenenbildungswissenschaftlich gefilterter Theorien zum Alter auf die Planung von Altersbildungsangeboten der Volkshochschulen nach. Das klingt zugegebenermaßen wenig spektakulär und eher nach Fleißarbeit. Dennoch ist das nicht klein zu reden. Kritik lässt sich immer anbringen, so wäre hier mit Recht einzuwenden, dass die Vorstellung von einem „erfolgreichen Altern“ (succesful ageng) in den USA bereits Ende der 50er-Jahre einsetzte. Diese Überlegungen diffundierten allerdings erst deutlich später in den deutschsprachigen Raum. Ähnliches gilt auch für andere Theorien (s.o.). Dass die Autorin diese Entwicklungen nicht rezipiert hat, mag dadurch erklärbar sein, dass sie durch die Filterung des (deutschsprachigen) Diskurses der Erwachsenenbildung fielen. Ein Hinweis auf diese Filterung wäre indes gewiss nicht schädlich gewesen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Schmidt mit ihrem Werk einen eindrücklichen Nachweis über die Entwicklung der Altersbilder in der Erwachsenenbildung und deren Wirkung auf die Angebotsstruktur der VHS-Programme aufgezeigt hat – nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Rezension von
Prof. Dr. habil. Klaus R. Schroeter
Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW)
Hochschule für Soziale Arbeit,
Institut Integration und Partizipation
Professur für Altern und Soziale Arbeit
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Es gibt 12 Rezensionen von Klaus R. Schroeter.
Zitiervorschlag
Klaus R. Schroeter. Rezension vom 02.06.2014 zu:
Elke Heidrun Schmidt: Altersbilder in der Erwachsenenbildung. Ältere Menschen im Spiegel westdeutscher Volkshochschulprogramme ; Längsschnittuntersuchungen 1950 - 2000. Verlag Dr. Kovač GmbH
(Hamburg) 2013.
ISBN 978-3-8300-6725-2.
Schriftenreihe Studien zur Erwachsenenbildung - Band 36.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15411.php, Datum des Zugriffs 09.11.2024.
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