Ulrich Duchrow: Gieriges Geld
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 02.10.2013
Ulrich Duchrow: Gieriges Geld. Auswege aus der Kapitalismusfalle ; befreiungstheologische Perspektiven. Kösel-Verlag (München) 2013. 287 Seiten. ISBN 978-3-466-37069-6. 19,99 EUR.
Was fehlt, ist die politische Tat
Über die Gier, die Menschen antreibt, um ein materielles
Immer-Mehr zu erlangen, wird vielfach spekuliert, vermutet, geklagt
und argumentiert. Die katastrophalen und unverantwortlichen
Auswirkungen auf individuelles, gesellschaftliches, lokales und
globales Dasein der Menschen werden aufgezeigt und angeprangert.
Argumente und Analysen werden seit Jahrzehnten vorgelegt.
Intellektuell, moralisch, psychologisch, theoretisch und praktisch
sind es die Fingerzeige und mahnenden Worte und Taten, die uns darauf
aufmerksam machen, dass eine gerechtere (Eine?) Welt nicht nur
möglich, sondern auch notwendig ist, damit die Menschheit sich human
weiterentwickeln und existieren kann (vgl. dazu u. a.: Paul
Collier, Der hungrige Planet. Wie können wir Wohlstand mehren,
ohne die Erde auszuplündern, 2011,
www.socialnet.de/rezensionen/13125.php;
Entstehungshintergrund und Autor
Materialismus- und Kapitalismuskritik ist zwangsläufig System- und Konsumkritik; was bedeutet, dass der kritische Umgang mit den Ressourcen der Erde (eigentlich) Bestandteil der dem Menschen angeborenen Vernunftbegabung sein sollte. Dass dies in der Möglichkeitsform formuliert wird, heißt allerdings auch, dass das Wirken des menschlichen Verstandes nicht per se und auch nicht gottgegeben ist, sondern der Anstrengung und intellektuellen Anstrengung bedarf. Zwar ist die Erkenntnis, „das Mehr wird, wenn wir teilen“, mittlerweile sogar nobelpreiswürdig geworden (Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/11224.php); doch die lokal- und globalgesellschaftliche Wirklichkeit hinkt erheblich hinter den Erkenntnissen hinterher.
Der Heidelberger Philosoph und Befreiungstheologe Ulrich Duchrow appelliert mit seinem Buch „Gieriges Geld“ an die religiös gläubigen Menschen überall in der Welt. Er ist davon überzeugt, dass, wenn „auch nur eine wachsende Minderheit in den Glaubensgemeinschaften sich auf ihre Quellen zurückbesinnen und an der Seite der geschundenen Menschen und Erde handeln würde, sähe die Welt schon morgen anders aus“. Gier, als Denk- und Verhaltensweise, ist menschengemacht. Die Krisen, die die Menschheit bedrohen – von der Umwelt-, bis zur Finanzkrise – beruhen auf der „Sucht der Gier“, die durch eine neue Kultur einer „humanen Empathie“ (Jeremy Rifkin) überwunden werden muss. Die allzeit bereite Frage „Rechnet sich das für mich?“ muss umgewandelt werden in die Erkenntnis, dass es eines klaren, mitfühlenden Sehens und Verstehens bedarf, dass ein klares Urteilen über Alternativen angesagt und ein klares Handeln notwendig ist, um einen Perspektivenwechsel zustande zu bringen. Mit diesen Grundkategorien eines christlichen, befreiungstheologischen Bewusstseins – Sehen, Urteilen, Handeln – argumentiert der Autor, dass „die Umsetzung dieser Erkenntnisse (zwar) nicht das Paradies auf Erden bringen, aber vielleicht die Hölle, in der ein Viertel der Weltbevölkerung leben muss und die dabei ist, den Erdball zu verschlingen, zurückdrängen (würde)“. Welche Triebfedern und Einflüsse gehen dabei von den Gottes- und Menschenbildern aus, wie sie sich im religiösen Verständnis entwickelt haben? (vgl. dazu auch: Richard Edtbauer / Alexa Köhler-Offierski, Hrsg., Welt- Geld – Gott, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/14494.php).
Aufbau und Inhalt
Ulrich Duchrow gliedert seine Reflexionen in vier Teile.
- Im ersten Teil geht es um die Nachschau über „strukturelle, kulturelle und persönliche Gier in Antike und Moderne“;
- im zweiten Kapitel werden „befreiende Religionen und Philosophien in der Antike“ thematisiert;
- der dritte Teil schließt an mit Informationen und Aspekten zu „befreiende(n) Theologien und Spiritualität heute“; und
- im vierten Teil diskutiert der Autor „Handeln in der Krise der westlichen Zivilisation“.
Die Frage, „wie das Geld an die Macht kam“, lässt sich anhand der geldökonomischen und geldzivilisatorischen Entwicklungen beantworten. Das „gierige Geld“ zeigt sich dabei „nicht nur in einem moralischen Mangel von einzelnen Individuen…, sondern sie hat Wurzeln in der marktförmigen Geldwirtschaft selbst“. Geld strebt zu mehr Geld, diese Teufelsspirale des finanzmarkt- und giergetriebenen Kapitalismus wird historisch und aktuell hergeleitet.
Der historische Blick auf Religionen und religiöse Entwicklungen in der Menschheit wird im philosophischen Diskurs mit der Frage gekoppelt, warum es in der Zeit zwischen dem 8. und 2. Jahrhundert v. Chr. zur Entstehung und Ausbreitung von neuen Religionen und Philosophien überall in der Welt kam. Diese „Achsenzeit“ gilt es zu betrachten, wenn wir Erkenntnisse, ja vielleicht sogar Lehren aus der Geschichte der Menschheit ziehen wollen. Duchrow formuliert in diesem Zusammenhang die These, dass die religiösen, spirituellen und rechtlich-institutionellen Innovationen der Achsenzeit als Antwort auf die gefährlichen gesellschaftlichen und menschlichen Entwicklungen zu verstehen seien, wie sie mit der Verbreitung der Geld-Privateigentums-Wirtschaft verbunden gewesen sind. Alttestamentarische, buddhistische, griechisch-hellenistische, urchristliche und islamische Offenbarungen lassen sich dabei nicht als vergangene und überholte Denk- und Gebotssysteme lesen, sondern (auch) als „Vorstufen der westlichen Wirtschaft und Zivilisation…, die jetzt in einer tiefen Krise steckt“.
Eine Antwort auf die „tötende Zivilisation“, wie der Ökumenische Rat der Kirchen 2008 die ökonomische, kapitalistische Weltentwicklung bezeichnet hat, könnten die „befreienden Theologien“ und eine neue Spiritualität sein, die Duchrow im dritten Teil diskutiert. Als Reaktion auf die „marktförmige und imperiale Geld-Privateigentums-Wirtschaft“ haben sich in den Weltreligionen Bewegungen gebildet, die sich auf die Offenbarungs- und Glaubensquellen besinnen und sich mit „befreiender Praxis“ dafür eintreten, dem durch die Globalisierung entstandenem materiellem Maximierungsdenken und der Kapitalakkumulation alternative, theologische Denk- und Handlungsformen entgegen zu setzen. Da sind zum einen die christlichen Befreiungstheologien, die sich in den lateinamerikanischen Initiativen (Rubem Alves, Gustavo Gutiérrez, Paulo Freire, u.a.) artikulieren, in den afrikanischen Aktivitäten (z. B.: Gudina Tumsa in Äthiopien, Manas Buthelezi, Allan Boesak und der Kairos-Bewegung in Südafrika, Jean-Marc Ela in Kamerun, Boniface Mabanza im Kongo), in Asien (in der Minjung-Theologie in Korea, der Dalit-Befreiungstheologie in Indien und Sri Lanka) zum Ausdruck kommen, in den USA und Europa durch den Widerstand gegen die neoliberale und kapitalistische Entwicklung zu Tage tritt und weltweit in der Ökumene zusammengefasst sind. Ebenso zeigen sich bei den weiteren „abrahamischen Religionen“, im Judentum, Islam, und im Buddhismus Bewegungen zur Neuinterpretation der Glaubenssätzen. Sie treten ein für ein Neu-Lesen der heiligen Schriften und für eine neue, gerechte Weltwirtschaftsordnung.
Im vierten Kapitel „Handeln in der Krise der westlichen Zivilisation“ setzt sich der Autor mit den existentiellen und ideologischen Fragen auseinander, wie die Welt ist und verändert werden muss: „Ist die Welt Ware oder Gabe?“. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den (Auf-)Forderungen zu, die Gemeingüter als Grundlagen für ein friedliches, gerechtes und humanes Dasein der Menschheit bewusst zu machen und zu einer „Entgierung des Geldes“ zu kommen. Dass dies durchaus realutopische Vorstellungen sind, verdeutlicht Duchrow an einer Reihe von konkreten Fallbeispielen. Es sind Bewegungen wie Attac, Occupy, Kairos und andere, die trotz des machtvollen Widerstandes der lokalen und globalen Finanz-, Wirtschafts- und Kapitalökonomie dafür eintreten – und sich zunehmend vernetzen – um der Macht des Geldes die Macht der humanen Vernunft entgegen zu setzen. Ein Systemwechsel „von oben“ muss durch eine Solidarität „von unten“ angeschoben und begleitet werden; damit im individuellen und gesellschaftlichen Leben der Menschen eine lebensfähige, nachhaltige und demokratische Solidarökonomie zustande kommen kann.
Fazit
Es ist ein großes „Dennoch“, das die Befreiungstheologien in der Welt bewegt. Eine gerechtere, friedlichere, soziale und humane Eine Welt ist möglich! Welchen Beitrag dabei befreiungstheologisches Denken und Handeln leisten kann, wird von Ulrich Duchrow klug und umfassend dargestellt. „Leiden ist der laute Schrei der Milliarden hungernder und sterbender Menschen im globalen Süden sowie der stumme Schrei der Erde“ – mit dieser drastischen Kennzeichnung der Situation, wie sie sich zur Lage der Welt Hier und Heute zeigt (vgl. dazu auch die jährlich erscheinenden Berichte des New Yorker World Watch Institute und die dazu in socialnet veröffentlichten Rezensionen), unternimmt der Autor den verdienstvollen und optimistischen Versuch, auf die Möglichkeiten und Grenzen im theologischen Diskurs aufmerksam zu machen.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 02.10.2013 zu:
Ulrich Duchrow: Gieriges Geld. Auswege aus der Kapitalismusfalle ; befreiungstheologische Perspektiven. Kösel-Verlag
(München) 2013.
ISBN 978-3-466-37069-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15484.php, Datum des Zugriffs 14.10.2024.
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