Martin Arnold: Gütekraft 1. Ein Wirkungsmodell aktiver Gewaltfreiheit
Rezensiert von Prof. Dr. Josef Freise, 04.10.2013
Martin Arnold: Gütekraft 1. Ein Wirkungsmodell aktiver Gewaltfreiheit nach Hildegard Goss-Mayr, Mohandas K. Gandhi und Bart de Ligt.
Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2011.
283 Seiten.
ISBN 978-3-8329-6975-2.
19,00 EUR.
CH: 28,90 sFr.
Reihe: Religion - Konflikt - Frieden - Band 4.
Thema
Wer den Film "Gandhi" von Richard Attenborough gesehen hat, dem bleibt die Szene in Erinnerung, wie sich Inder beim berühmten Salzmarsch von den britischen Besatzungssoldaten niederknüppeln lassen und damit den Grundstein für die Befreiung von der Kolonialherrschaft legen.
In seinem umfangreichen vierbändigen Werk mit dem Titel "Gütekraft" geht es Martin Arnold um die Klärung der Frage, wie gewaltfreies Handeln wirkt. In je einem eigenen Band stellt er
- den Satyagraha-Ansatz von Mohandas K. Gandhi (Band 3) vor (vgl. die Rezension,
- die christliche Gewaltfreiheit der katholischen Friedensaktivistin Hildegard Goss-Mayr (geb. 1930) (Band 2) (vgl. die Rezension)
- und das humanistische Konzept Geestelijke Weerbaarheid (Geistig-sittliche Kampfbereitschaft) des niederländischen Freidenkers Bart de Ligt (1883 – 1983) (Band 4) (vgl. die Rezension).
Der hier zu besprechende einführende Band vergleicht die Ansätze und stellt das Wirkungsmodell aktiver Gewaltfreiheit unter dem Stichwort "Gütekraft" vor.
Aufbau und Inhalt
Eine Ausgangsthese ist, dass die je eigene weltanschauliche oder religiöse Überzeugung Einfluss auf die Wirkung gewaltfreier Aktion hat. Dabei bewegt ihn die Frage, wie Menschen unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Herkunft eine gemeinsame Sprache und Theorie für gewaltfreies Handeln finden können. Arnold war nicht damit zufrieden, wie beispielsweise bisherige westliche Rezeptionen des Werkes von Gandhi von dessen religiösem Hintergrund abstrahieren und sein Werk "sozialtechnologisch" verkürzt darstellen: "Wird der religiöse Aspekt weggelassen, so geht das Verstehen an der Wirkungsweise, wie M. K. Gandhi sie sich vorstellt, vorbei" (Band 1, 53).
Wie aber kann der religiöse und weltanschauliche Bezug, aus dem Menschen leben, für Menschen Bedeutung haben, die diese Weltanschauung nicht teilen? In seiner Arbeitshypothese geht Arnold davon aus, dass es wesentliche Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen religiösen und auch atheistischen gewaltfreien Konzepten gibt. Dieser Arbeitshypothese geht er wissenschaftlich nach, indem er mit einem umfangreichen Untersuchungsverfahren drei Protagonisten der gewaltfreien politischen Aktion analysiert.
Arnold untersucht auf der Basis der vorhandenen Primär- und Sekundärliteratur zu den drei Protagonisten deren Vorstellungen von der Wirkungsweise gewaltfreier Aktion, bezieht die weltanschaulichen und religiösen Aspekte mit ein und stellt die Ergebnisse weltanschauungsübergreifend vor.
Diskussion
Arnold kann überzeugend darlegen, dass der persönliche weltanschauliche oder religiöse Hintergrund von großer Bedeutung für die Wirkung des eigenen Handelns ist, dass dieser partikulare Ansatz aber Menschen mit anderen weltanschaulich-religiösen Quellen nicht ausschließt, sondern einlädt, nach Parallelen im eigenen Denkansatz zu suchen. Die Parallelen zwischen dem hinduistischen, dem christlichen und dem agnostisch-freidenkerischen Ansatz der drei Protagonisten sind erstaunlich. In Gebet, Meditation und Fasten bzw. in Natur- und Gruppenerfahrung kommen sie ganz persönlich mit der transzendenten, göttlichen Realität in Berührung und / oder erleben eine Einheit mit dem Kosmos. Um diese erfahrene Heiligkeit und Würde des Lebens gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu schützen, ist es ihnen selbstverständlich, lieber dafür selber Leiden auf sich zu nehmen, als sich der Logik und der Mittel der Unterdrücker zu bedienen und in den Kreislauf von Gewalt und Ungerechtigkeit einzutreten.
Die die drei Protagonisten bewegende Lebensdynamik nennt Arnold „Gütekraft“. Er zieht den Begriff der Gütekraft dem Begriff der Gewaltfreiheit vor, weil er einen positiven Bezug sucht, der anders als beim Begriff der Gewaltfreiheit nicht auf das Negative (die Gewalt) hin orientiert ist, sondern die im Menschen vorhandene Kraft zum Ausdruck bringt. Hier wären Verbindungen zu anderen in den Sozialwissenschaften verorteten Ansätzen zu suchen, wie dem Empowerment, der Resilienz oder dem ressourcenorientierten Ansatz. Empowerment bezieht sich wie Gütekraft sowohl auf die innere individuelle Anlage eines Menschen (Power = Kraft), als auch auf die gesellschaftliche Ebene (Power = Macht). Auch neuere Erkenntnisse zur Hirnforschung und Meditation und zur hirnphysiologischen Entwicklung von ethischen Haltungen könnten Arnolds Forschungsarbeit weiterführen.
Fazit
Selbst wenn sich der von Arnold favorisierte Begriff der Gütekraft nicht durchsetzen sollte, stellt seine Forschung einen wichtigen Meilenstein im weltanschaulichen und interreligiösen Dialog für gewaltfreies Handeln dar.
Rezension von
Prof. Dr. Josef Freise
Professor im Fachbereich Sozialwesen der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen in Köln
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Es gibt 15 Rezensionen von Josef Freise.
Zitiervorschlag
Josef Freise. Rezension vom 04.10.2013 zu:
Martin Arnold: Gütekraft 1. Ein Wirkungsmodell aktiver Gewaltfreiheit nach Hildegard Goss-Mayr, Mohandas K. Gandhi und Bart de Ligt. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2011.
ISBN 978-3-8329-6975-2.
Reihe: Religion - Konflikt - Frieden - Band 4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15514.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
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