Hans-Geert Metzger: Fragmentierte Vaterschaften
Rezensiert von Dipl.-Psychol. Wolfgang Jergas, 17.03.2014
Hans-Geert Metzger: Fragmentierte Vaterschaften. Über die Liebe und die Aggression der Väter. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2013. 176 Seiten. ISBN 978-3-95558-036-0. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR, CH: 28,50 sFr.
Thema
Brauchen Kinder noch Väter? Gibt nicht die Zahl der Patch-Work-Familien, die zunehmenden Adoptionen, jetzt auch der Wunsch gleichgeschlechtlicher Verpartnerungen, mit Kindern zu leben und diese großzuziehen beredtes Zeugnis, dass die klassische Vater-Mutter-Kind-Familie ein Auslaufmodell ist? Haben sich die Väter immer noch nicht genügend disqualifiziert – nach 1. und 2-Weltkrieg, Vietnam, Irak und Afghanistan. Wurde nicht der Hilfeschrei erhört: Hilfe, mein Kind wird ein Macker? Oder beweist der hohe Prozentsatz von Jugendlichen, die eben doch in der Herkunftsfamilie leben, nicht vielmehr das Gegenteil: dass die vielen Modelle doch nur zweitklassige Ersatzmodelle sind?
Entstehungshintergrund
H-G-Metzger, Psychoanalytiker in eigener Praxis in Frankfurt, widmet sich seit längerem dem Vater-Thema und publiziert darüber. Im vorliegenden Buch seine Erfahrungen und Gedanken zu den jüngeren Entwicklungen in der Müssen-Väter-sein?-Debatte.
Aufbau
Sieben Blickwinkel in sieben ebenso titulierten Kapiteln auf Vater-sein und Scheitern-Können legt uns der Autor vor:
- Rückzug der Männer und die Aggressivität
- Anwesenheit des abwesenden Vaters
- Idealisierung und Enttäuschung
- Narzisstischer Mißbrauch – der unbewußte Neid der Väter
- Die ödipale Präsenz des Vaters
- Der nahe und ferne Vater- eine psychoanalytische Konzeption
- Anerkennung, Versöhnung und Integration
Inhalt
Metzger argumentiert anthropologisch. Der Mensch wächst in eine Kultur hinein, die gemeinhin als Gesellschaft organisiert ist und Rollen und Verhaltensmuster vorschreibt und ermöglicht. Diesen Prozess nennt man Sozialisation und der braucht mittlerweile gut und gerne mehr als 20 Jahre.(Und das Gehirn wächst immer noch mit.) Das Lernen der Rollen, das Ausprobieren und die Übernahme ins eigene Ich finden zunächst in der kleinsten sozialen Einheit statt – im Stamm, in der tribalen Gruppe, oder eben in der berüchtigten Kleinfamilie (die aber nie so klein war – Großeltern, Tanten, Onkel gab gibt es, auch heute noch, man denke nur an die finanziellen und sozialen Transfers, die geleistet werden, um sich gegenseitig zu ergänzen und schlicht, zu helfen). Und die Familie als Scharnier zwischen Individuum und Gesellschaft vermittelt auch das mögliche Leben, also Modelle für die Persönlichkeit.
Und da haben die Frauen einfach Vorteile: wenn sonst auch gar nichts geht, macht´s halt wie Eure Mütter.
Leider hat Klein-Siegfried diese Möglichkeiten nicht. Er weiß (und sieht) den Unterschied und spürt, wenn der Vater sich in der Familie irgendwie und wo blicken läßt, dass es da etwas zweites neben der Mütterlichkeit als Lebensform gibt und das ihm die Auseinandersetzung damit bevorsteht. Und dass er auch im Ausweichen, in der Flucht oder in der Überanpassung sich auf das andere bezieht – noch und gerade in der Negation bleibt er gebunden. Schicksal. Und ob er will oder nicht muß Jung-Siegfried sich mit diesen Abhängigkeitserfahrungen, mit dem Erlebnis, klein und schwach zu sein und der Mutter ausgeliefert, auseinandersetzen und sie für sich integrieren. Autonomie und Abhängigkeit kennzeichnet daher eine der wichtigsten Entwicklungsstufen in der Identitätsfindung, da kann der Vater ja auch mal helfen. Denn nur das eine – Unabhängigkeit – keine Bindung, keine Schwäche oder nur das andere – stets auf der Suche nach Geborgenheit und fallen-lassen-können – führt weg vom Menschen als soziales Wesen. Da wächst der Baum nicht grade.
Besser ein unperfekter Vater, der da ist, als ein perfekter, der nicht da ist – so könnte man das entsprechende Kapitel („Die Anwesenheit des abwesenden Vaters“) auch überschreiben. Von dieser Erfahrung weiß gerade die Nachkriegsgeneration zu berichten (stellvertretend für alle anderen:Hartmut Radebold „Abwesende Väter und Kriegskindheit“ (Stuttgart, 2010, Klett-Cotta,)).
Fotos, die auf dem Wohnzimmerbuffet standen, mussten ja für vieles herhalten, bis hin zur moralischen Keule, wenn die ungeliebten Schulaufgaben so gar nicht von der Hand gingen, die Autonomiewünsche der Heranwachsenden zur Einsamkeit der Mutter zu führen drohten u.a.m.
Väter können auf viele Arten abwesend sein oder zur Abwesenheit gedrängt werden, was denn auch zur mangelhaften Auseinandersetzung beiträgt oder möglicherweise zur völligen ideellen Auslöschung – nimm den Namen deines Vaters nicht in den Mund, (aber an der Klingel steht er eisern). Wenn da nicht das verflixte Unbewußte wäre, das doch darauf beharrt, dass es zwei Geschlechter gibt und beide zur Fortpflanzung gebraucht werden.
Aber halt – unsere hochentwickelte Gesellschaft hat auch diesen Vorgang mittlerweile synthetisiert und handhabbar gemacht - zwar kommt frau um die Biologie nicht ganz herum, aber mit größtmöglichem High-Tech-Einsatz lässt sich doch die Illusion erzeugen, Empfängnis sei so etwas wie das Einsetzen eines Zahn-Implantates – nur nicht ganz so invasiv. Schluss mit dem Phallus. Bloß: was ist, wenn´s ein Junge wird? Wie sich die Hybris, frau gebäre ein Kind wie Zeus die Pallas Athene, auswirken wird, bleibt ja im Grunde noch abzuwarten, aber die Annahme, man käme ohne den Vater aus, hält auch Metzger für einen schwerwiegenden Irrtum.
Aus seinen Analysen erfährt der Autor, wie oft eine schwierige Beziehung zum Vater oder zu nachfolgenden männlichen Partnern zu Enttäuschungen in Bezug auf eine gemeinsame Lebensführung, auf Vorstellungen von der Ehe, Rollenverteilung und dann dazu führte, „den Mann“ bzw. das Männliche praktisch ganz zu eliminieren. Nur der Samen darf bleiben. Zu welchen Vorstellungen von Mann und Männlichkeit werden dann aber die so gezeugten Kinder gelangen? Männer als Geisteswesen im eigenen Haushalt aber als konkrete und horrible dictu gar liebenswerte Menschen nur außerhalb der Familie? Und was ist dann Realität, was Phantasie, was Indoktrination. Und doch der Wunsch nach männlicher Anwesenheit, der sich nie ganz ausschließen läßt! Welche Dilemma kommen da auf die Kinder zu?
Und die Neuen Väter? Zunächst zu den alten. Irgendwann im frühen Kindesalter nimmt das Kind war, dass außer der Mutter noch eine andere Person existiert, die für die Mutter auch interessant ist. Aber wehe, wenn es an die Ambivalenz geht. Leider ist der Vater eben doch nicht die Mutter und das muss sowohl der Vater als auch das Kind erfahren. Der Vater, der bei aller wilden Zärtlichkeit und Weltmeister im Wickeln und Teilnehmer am Hechel-Kurs eben doch nie die Intimität erreichen wird, die zwischen Mutter und Kind 9 Monate gewachsen ist. Und das Kind, das da einen interessanten Spielgefährten und Versorgungskörper zur Verfügung hat, aber eben doch anders, nicht so intim, so innig und vertraut - aber hochinteressant! Sich als das Andere, Dritte zwischen Mutter und Kind positiv zu profilieren ohne sich mit der Mutter gemein zu machen oder zu rivalisieren, bringt die neue Qualität und wird es dem Kind ermöglichen, sowohl die mütterlichen als auch die väterlichen Qualitäten in der Kultur, die dazu gehörigen Rollen, vermittelt über die Charaktere der Eltern, zu erfahren und für sich zu nutzen.
Dies setzt allerdings bei den Eltern ein bestimmtes Selbstverständnis der eigenen Rolle, (die ja wiederum von deren Eltern (vor)gelebt wurde und individuell angeeignet wurde), voraus, das sich häufig erst in der konkreten Auseinandersetzung mit dem lebendigen Nachwuchs ergibt. Eine Chance, die Autor und Rezensent als bereichernde Lebenserfahrung und Möglichkeit, auch selber positive Veränderungen in die Hand zu nehmen, ansehen.
Hierin besteht die Aufgabe der „fragmentierten Väter“ (Formulierung des Rezensenten): nicht mehr in der Rolle des patriarchalen Ernährers, aber auch nicht in der Rolle der maskulinen Mütterlichkeit, die trotz Wickelkurs und Anwesenheit im Kreißsaal das wesentliche nie mitbekommen wird, was sich da zwischen Säugling und Mutter 9 Monate lang ereignet hat. Vater sein als Mittler zwischen den „aggressiven“, d.h. die Welt ergreifenden Tendenzen und dem Rückzug in die Kuschelecke, notfalls auch Partei gegen die Mutter ergreifen – oder auch mal zu zweit gegen das Aufbegehren der Heranwachsenden – kurz in vielen Rollen zu Hause sein und doch mit sich identisch und berechenbar.
Wenn diese Chance ergriffen wird, ist es gut möglich, zu Mutter und Vater zu werden, die nicht Supereltern sind, sondern „gut genug“ für ihre Kinder.
Diskussion
Die Debatte der letzten Jahre über Väter, was sie leisten und was sie nicht (mehr) leisten, war stark von sozialwissenschaftlicher Methodik bestimmt: Umfragen und Fragebögen, qualitative Interviews und Scheidungs- und Adoptionsstatistiken beherrschen das Feld, hinzu kommt die Armutsdebatte und die diversen Versuche der Politik, durch direkte und/oder indirekte Gratifikationen die Familie zu stärken. In positiv-wohlwollender Deutung der Maßnahmen: ein gutes Umfeld für Neugeborene zu ermöglichen – wobei auf die psychische Ausgestaltung in der „Kleingruppe Familie“ nicht abgehoben wurde (Ehegattensplitting auch für gleichgeschlechtliche Paare) – negativ formuliert stand die Reproduktion der bürgerlichen Mittelschicht zur Debatte, die durch geeignete finanziell-pädagogische Maßnahmen im Kampf ums Dasein ausstaffiert werden sollte.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Väter als alleiniger Ernährer der Familie immer weniger auftreten können, in den Tarifverhandlungen unter der Hand schon lange davon Abstand genommen wurde, (nur auf der Führungsebene verdient einer alleine noch genug, um eine Familie standesgemäß ernähren zu können) kam es jetzt mehr auf die Entlastung der Mütter als Co-Ernährerin der Familie an- die Elternzeit für Väter.
Wie jede Entwicklung verlief auch diese in gleichzeitigem Dasein des Widerspruchs, aus dessen Kampf mit dem Wesen ja nach Hegel die neue Stufe erreicht wird, die beides in sich schließt. Die Väter reklamierten, nach dem sie propagandistisch an den Rand gedrängt worden waren (Mein Bauch gehört mir) ihre neue Position im Gefüge von Erzeuger, Ernährer und Erfüllungsgehilfe weiblicher Reproduktionswünsche als Neue Väterlichkeit – ran an die Wickeltische.
„Plötzlich“ also sind die Väter wieder da - als Konstrukt, als ideelle Größe, als massiver Gegenpol, ganz real und ansprüchlich.
Wozu braucht es sie?
H-G Metzger ist Psychoanalytiker. Seine Argumentation ist kommt von psychoanalytischer Erkenntnis vom Menschen. Wer das alles für „wissenschaftlich überholte“, quasi antike, Erkenntnis hält, wird von dem Buche nicht viel haben, denn: er argumentiert häufig mit Begebenheiten aus seinen Behandlungen, mit Meinungen, die u.U. solitär sind, auch wenn sie in seriösen Zeitungen veröffentlicht wurden, und er bleibt auch zuweilen „Beweise schuldig“.
Aber: auch die andere Seite argumentiert mit persönlichen Erfahrungen, wissenschaftlich mit kleinen Zahlen, mit Erfahrungswerten, die wegen der Neuigkeit der Fakten noch nicht sehr belastbar sind. Wie viele schlüssige Erfahrungen gibt es bei den Kindern, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen aufwachsen – doch höchstens erst, solange es diese Möglichkeit gab, und das ist noch nicht so lange her. Und wie viele gleichgeschlechtlichen Paare leben doch eine ganz normale rollengeteilte Verbindung, die ebensolche Konflikte hervorbringt und kein Paradies auf Erden oder gar neue Qualitäten im Zusammenleben. Und nehmen gerne Rollenträger gegengeschlechtlicher Qualitäten „als Dritte in ihre Mitte“ auf.
Fazit
Wer fundiert aber nicht ausschweifend die sowohl klassische als auch neuere psychoanalytische Position zu Vaterschaft und Vaterrolle erkunden möchte, kann dies hier auf lesbare und durch Fallgeschichten gut nachvollziehbare Weise.
Rezension von
Dipl.-Psychol. Wolfgang Jergas
Jahrgang 1951, Psychologischer Psychotherapeut, bis 2006 auf einer offenen gerontopsychiatrischen Station, 2007-2015 Gedächtnissprechstunde in der Gerontopsychiatrischen Institutsambulanz der CHRISTOPHSBAD GmbH Fachkliniken
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Es gibt 39 Rezensionen von Wolfgang Jergas.
Zitiervorschlag
Wolfgang Jergas. Rezension vom 17.03.2014 zu:
Hans-Geert Metzger: Fragmentierte Vaterschaften. Über die Liebe und die Aggression der Väter. Brandes & Apsel
(Frankfurt) 2013.
ISBN 978-3-95558-036-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15535.php, Datum des Zugriffs 12.10.2024.
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