Dominic Busch: Im Dispositiv interkultureller Kommunikation
Rezensiert von Prof. i.R. Dr. Franz Hamburger, 15.01.2014

Dominic Busch: Im Dispositiv interkultureller Kommunikation. Dilemmata und Perspektiven eines interdisziplinären Forschungsfelds.
transcript
(Bielefeld) 2013.
488 Seiten.
ISBN 978-3-8376-2555-4.
D: 44,90 EUR,
A: 46,20 EUR,
CH: 57,80 sFr.
Reihe: Sozialtheorie.
Thema
„Interkulturell“ ist in den Sozialwissenschaften der Gegenwart, besonders aber in Pädagogik und Sozialer Arbeit zu einem inflationär gebrauchten Adjektiv geworden. Scheinbar gibt es kaum noch Konflikte in der Gesellschaft, die nicht in kultureller Verschiedenheit ihre Ursachen haben, und scheinbar gibt es nur noch Menschen, die von Kulturen „geprägt“ wie die Graugänse von Konrad Lorenz handeln können. Weil Interkulturalität so selbstverständlich geworden ist, soll sie in der vorliegenden Studie grundsätzlich untersucht werden. Sie wird als Thema in der Kultur formuliert, wobei weder Kultur noch Interkultur definiert werden können. So wird in vielen Texten beispielsweise Fremdheit und die Notwendigkeit bzw. Möglichkeit des Interkulturellen einfach eingeführt, ohne dass außerhalb dieses „Einführungsprozesses“ kritische Vergewisserungen möglich sind. Kultur thematisiert Interkultur. Dass Kultur in der Kultur behandelt wird ist nicht nur ein Sprachspiel, sondern der erste Hinweis auf ein Problem. Damit muss Wissenschaft konstruktivistisch verfahren, um diesen Prozess untersuchen zu können.
Wer bezeichnet was in welcher Situation als etwas „Anderes“ und gleichzeitig als etwas „Kulturelles“? – das wird zur Forschungsfrage. Weil aber auch die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit Interkulturellem als etwas Gegebenem oder wie mit etwas Gegebenem verfahren, soll zukünftige Forschung vorbereitet werden durch eine Untersuchung des Vorgehens der bisherigen Forschung selbst. Die bisherige thematische Gewissheit wird zum Problem, dem sich Busch in seinem Buch stellen will.
Aufbau und Inhalt
Die Untersuchung selbst ist diskursiv und mehrschichtig angelegt. Nach der Exposition, die auf das systematische Problem der Selbstbezüglichkeit von Kulturarbeit und Kulturforschung als Teil der Kultur selbst hinweist, werden zwei Ausgangsbedingungen behandelt: Einmal werden die Probleme und die gesellschaftliche Einbindung der auf Interkulturalität bezogenen Forschung expliziert, zum anderen werden die allgemeinen methodologischen Klärungen einer Diskurs- und Dispositivanalyse dargelegt. Zwischen diesen einführenden und allgemeinen Teil und die fünf Hauptkapitel der Untersuchung selbst wird ein „vorbereitendes“ Kapitel eingeschoben, in dem interkulturelle Kommunikation (im Folgenden: i.K.) als Dispositiv im Sinne Foucaults bestimmt wird.
In den Hauptkapiteln wird i.K. als Dispositiv in den Wissenschaften(1) und in gesellschaftlichen Diskursen(2) analysiert. Das auf wissenschaftliche Forschung konzentrierte Interesse des Verfassers konkretisiert die Fragestellung dann auf Überlegungen zur Neuorientierung der Forschung(3) und zu einer Theorie(4) und Empirie(5) des performativen Handelns im Dispositiv der i.K. Allein insoweit ist schon ein grundlegendes Werk zur Forschung im interkulturellen Dispositiv und zur Erforschung der i.K. entstanden. Es klärt die Umstände, unter denen auch in praktisch interessierten Disziplinen über i.K. gesprochen werden kann – auch dort im Bewusstsein, dass das Dispositiv nicht transzendiert werden kann.
Im „Aufschlag“ zur Studie werden „Brüche und Diskontinuitäten in der interkulturellen Forschung“ (15 – 58) aufgezeigt, die einen neuen Weg der Forschung evozieren. Die Entstehung eines Themas der wissenschaftlichen Kommunikation wird im Verhältnis von Beratungsbedarf der Gesellschaft und der Beratungsfähigkeit der Wissenschaft platziert. Aber über beide weiß man nichts Genaues. Sicherlich ist es aber kein Zufall, dass die Thematisierung der i.K. in den Wissenschaften in einem epochalen Wandel, nämlich dem „cultural turn“, stattfindet. Dabei muss am Anfang die Feststellung stehen, dass der Forscher und sein Gegenstand gleichermaßen Teil der Gesellschaft sind. Es gibt deshalb keine absolute Sicherheit, dass nicht die Besonderheiten der Kultur, in der der Forscher steht, in die Formulierung seiner Fragestellungen und Lösungen einfließen. Aber die Betrachtung des wissenschaftlichen Wandels im „cultural turn“ zeigt auch, dass eher immanente wissenschaftliche Prozesse abgelaufen sind, deren Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen schwerer durchschaubar ist. Dies führt dazu, dass der Gegenstand der Forschung unzureichend erfasst wird, insofern die wissenschaftliche Diskursformation nur von „innen“ betrachtet wird. Der Begriff „Diskursformation“ weist schon hier darauf hin, dass die in den Diskurs hineinreichenden Machtformationen mit in die Analyse aufzunehmen sind. Der Standpunkt der Diskursanalyse, den der Verfasser einnimmt, verändert die Ebene der Betrachtung. Während in der Forschung „vor“ oder „ohne“ Diskursanalyse die Frage im Mittelpunkt stand, wie die Wirkung von Kultur auf Handlungen erfasst werden kann, geht es jetzt „um das Reden über die Auswirkungen“ (S. 56), also um die diskursive Konstruktion von i.K. Der erste Schritt der Untersuchung wird also abgeschlossen mit der Forderung, die Diskurse in der und über die i.K. daraufhin zu untersuchen, inwiefern sie dieses Thema hervorbringen und/oder zu transzendieren versuchen.
Für diesen Untersuchungsschritt ist es notwendig, den Begriff des Diskurses und der Dispositivanalyse zu klären. Das zweite Kapitel der Untersuchung (59-139) enthält deshalb ein Referat der Foucaultschen Diskurstheorie, ihrer Anwendung und Fortsetzung. Das Referat wird allerdings nicht weit entfernt vom speziellen Thema der Untersuchung ausgebreitet, sondern – sinnvoller Weise – auf den Diskurs der i.K. bezogen. Dabei werden wichtige Einsichten gewonnen. So lässt sich zeigen, dass „Diskursverschränkungen“, die unterschiedliche Diskurse stabilisieren, ohne dass dies den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen bewusst zu sein braucht, besonders im Themenfeld der i.K. vorliegen. In ihr „überlagern sich Diskurse aus der theoriegeleiteten Forschung mit anwendungsorientierten Diskursen unterschiedlicher Handlungsfelder“ (S. 66). Auch lässt sich eine hohe „politische Ladung“ der wissenschaftlichen Diskurse registrieren. Beratungsbedarf der Gesellschaft und Beratungsmotivation der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ermöglichen eine feste Verschränkung; dies ist in der Pädagogik natürlich besonders stark ausgeprägt.
Die Diskurstheorie und ihre methodologischen Konkretisierungen werden in verschiedenen Verzweigungen in einer solchen Weise referiert, dass ein hinreichender Nachvollzug der folgenden Untersuchung möglich gemacht wird. Beispielsweise zeigt die Reflexion auf das Verhältnis von Diskursen und dem in ihnen konstituierenden und konstituierten Subjekt, dass kulturelle Differenzen die Position des Subjekts stärken und stabilisieren, denn Abgrenzung gegen Differente ist ein wichtiger Modus der Selbstdefinition. Demnach würde die Thematisierung der Notwendigkeit von i.K. eine positive Bedingung der Selbstfindung des Subjekts sein und die Auflösung von Differenzen bzw. der Versuch, dies zu tun, würde diesen Prozess gefährden. (Damit ist ein erster Hinweis auf die Vergeblichkeitserfahrungen in der Interkulturellen Pädagogik gegeben).
Nimmt man dann noch den Begriff des Dispositivs (verstanden als ein Zusammenhang von Diskursen, Praxis, Macht, Institutionen, Recht, materiellen Manifestationen) hinzu, ergibt sich folgendes Bild: „Die Konstruktion und die Wahrnehmung von interkultureller Kommunikation und interkulturellen Konflikten durch die Gesellschaft stellen den von Foucault eingeforderten Notstand dar, der durch ein Dispositiv der interkulturellen Kommunikation sowie dessen diskursanalytische Bearbeitung auf einer zweiten Ebene bearbeitet werden.“ (S. 92)
Erneut wird hervorgehoben, dass ein Dispositiv entsteht und/oder sich entfaltet als Reaktion auf einen gesellschaftlichen „Notstand“ oder eine Problemerfahrung. Das Dispositiv entwickelt, und das gilt generell für Kultur (wie sich die Diskurs-Dispositiv-Analyse ja auf alle kulturellen Komplexe beziehen kann), eine paradoxe Struktur: Es bietet Lösungen an zur Behebung des Notstands oder Bewältigung der Problemerfahrung und stellt gleichzeitig die den Lösungen zu Grunde liegenden Definitionen auf Dauer.
Der Interaktionismus hat eine solche Struktur, insbesondere im Konzept der Sozialen Arbeit, auch herausgearbeitet. Wer Hilfe erhalten soll, muss vorher als hilfsbedürftig definiert werden. Ob es gelingt, diese Definition mit ihren Folgen des Identitätswandels beim Hilfsbedürftigen in der helfenden Beziehung wieder aufzuarbeiten, ist prinzipiell offen und kann nur im konkreten Fall geklärt werden. Die Aufmerksamkeit bleibt in diesem Fall des interaktionistischen Modells fokussiert auf die Interaktion und Kommunikation, die Dispositivanalyse dagegen ergreift einen ganzen gesellschaftlichen Zusammenhang. Ob der Unterschied freilich tatsächlich so erheblich ist, kann am besten an solchen „Zwillingsuntersuchungen“ getestet werden, in denen ähnliche Konstellationen auf der Grundlage unterschiedlicher Konzepte untersucht werden.
Wichtig in diesem Gedankengang ist vor allem, und das zeigt Busch am Beispiel schon ausgearbeiteter Diskursanalysen der Forschungen zur i.K., dass der „Notstand“, der der Entwicklung des Dispositivs zu Grunde liegt, eine Fremdheitserfahrung darstellt. Gerade weil diese Fremdheitserfahrung unbestimmt-diffus erscheint, ist das Paradoxon einer scheinbaren Problemlösung in einem Dispositiv der i.K. eine konsequente Folge. Während das Fremde im Fremden personalisiert und markiert wird, bleibt das Eigene unbestimmt und kann deshalb in seiner Unbestimmtheit weiter existieren und als Gewissheit des Subjekts, das sich vor der kritischen Selbstreflexion bewahrt, dieses stärken. „Der Forschung zur interkulturellen Kommunikation gelingt es auf diese Weise, einerseits permanent Lösungen anzubieten und andererseits das Grundproblem immer weiter existent zu halten. Im Grund gelingt hier eine paradoxe Argumentation, die die Legitimation der Disziplin erfolgreich perpetuiert.“ (S. 107) Die in der Gesellschaft handelnden Menschen werden mit den Lösungen unterschiedlich bedient: Die Machtstruktur bleibt erhalten; die Wissenschaft sichert ihre eigene Existenz.
(Für den weiteren Fortgang der Untersuchung wäre es an dieser Stelle besonders wichtig zu zeigen, dass die Behauptung der Foucaultschen Dispositivanalyse, dass in ihr Macht reproduziert und gestärkt werde, auch empirisch nachgewiesen werden kann. Zwar versichert der Autor immer wieder, dass das Dispositiv nicht transzendiert werden kann – aber dies ist schon im Foucaultschen Begriff des Dispositivs selbst enthalten).
Die Studie von Busch bezieht sich auf die Forschung zur i.K. Dieser „Gegenstand“ der Forschung ist nur ein Spezialfall der Forschung über Kultur. Das systematische Problem dieser Wissenschaft besteht darin, dass Kultur im Reden/Schreiben/Denken über Kultur hervorgebracht wird und dieses Reden/Schreiben/Denken der Kultur selbst angehört. Es gibt weder reine Beobachtung noch die Zugänglichkeit eines „Seins“ der Kultur an dem kulturell konstituierten Reden/Schreiben/Denken vorbei. Dies bedeutet, „dass eine Existenz tatsächlicher kultureller Differenzen einem dazugehörigen Diskurs über Kultur und kulturelle Differenzen niemals vorgelagert sein kann. Stattdessen wird die Annahme von der Existenz dem Diskurs vorgelagerter kultureller Differenzen erst in dem Diskurs über Kultur selbst konstruiert.“ (S. 119)
Diskursives Reden und wissenschaftliche Forschung arbeiten eine gewisse Geschlossenheit von Dispositiven heraus, was auch für i.K. gilt. Welche Elemente in das Dispositiv eingegangen sind ergibt sich aus einer Rekonstruktion der wissenschaftlichen Verfahren, die zur Bestimmung der i.K. angewandt wurden, wie auch aus den Ergebnissen dieser Forschungen. Sie werden in dem Kapitel „Vorarbeiten“ (141 – 192) in einem breiten und und ungemein kundigen Literaturbericht dargelegt. Differenziert werden dabei unterschiedliche Kulturbegriffe und ihre Konstruktionsweisen, Diskurse über bestimmte Fokussierungen des Dispositivs i.K. (Fremdheit, Alterität, Rasse, Kultur), sozialwissenschaftliche Konzepte der Re- und De-Konstruktion sozialer und kultureller Wirklichkeit (Interaktionismus, Labeling-Approach, Ethnomethodologie) und Differenzbegriffe verschiedener Disziplinen referiert und diskutiert. Auch dieses Kapitel wird mit einer Bestimmung der i.K. als Dispositiv abgeschlossen. Dabei wird erneut hervorgehoben:
- die Entwicklung des Dispositivs aus einem Notstand (wobei das Problem der Beziehungen zwischen Diskurs und einem gesellschaftliche Notstand zu klären wäre) und das Bemühen der Wissenschaft um Lösungen;
- die Verknüpfung des Dispositivs mit gouvernementalen Prozessen und Interessen;
- die Subjektivierungsversuche der Individuen durch Handeln im Dispositiv;
- der Einfluss wissenschaftlicher Disziplinen für die Akzentsetzungen im Dispositiv und die Verbindung mit „benachbarten“ Dispositiven.
Erziehungswissenschaftlich bedeutsam ist die Konzentration der Untersuchung auf die Frage, welche „Handlungsoptionen“ den Individuen in den wissenschaftlichen Konzepten der i.K. zugeschrieben werden. Das Interesse des Verfassers richtet sich in dem Kapitel, in dem er das Dispositiv i.K. in den Wissenschaften untersucht (193-270), auf die theoretische „Ausgestaltung des Handlungsspielraums“ (S.193), weil auch darin der dispositive Charakter der Theorie zum Ausdruck kommt (im Gegensatz zu einer nur strukturalistischen Theorie).
Mit dieser methodischen Fokussierung wird gewissermaßen auch der Ertrag dieses Kapitels vorweggenommen: Die Diskussion von sprachtheoretischen und sozialtheoretischen Konzeptualisierungen von Kultur zeigt, dass Konstruktionsprozesse im Handeln Bezug nehmen auf etwas außerhalb dieser Konstruktion, nämlich auf ein symbolisch codiertes Material oder auf Kontexte oder auf kollektive Vorstellungen. Primordiale Ansätze der Kultur kommen dabei schnell an die Grenzen der Erklärbarkeit, es sei denn, sie verstehen Individuen nur als Durchlauferhitzer einer „prägenden“ Kultur. Dabei würde sich sogar die Temperatur verändern. Die Grenzen primordialer Kulturkonzepte und zugleich der konstruktivistischen Modelle legen nahe, i.K. als Dispositiv zu fassen weil in ihm die Konzepte und ihre Grenzen aufgehoben werden können. Die Offenheit des Dispositivbegriffs erweist sich erneut als Vorteil, um Erkenntnisse der Wissenssoziologie und der Lebenswelttheorie integrieren zu können, ohne sich für den Strukturalismus oder eine subjektivistische Handlungstheorie entscheiden zu müssen.
Gesellschaftliche Diskurse, denen sich das anschließende Kapitel (271-300) widmet, können – und das ist nur ein ausgewähltes Beispiel – dazu führen, dass benachteiligte Gruppen, die durch Thematisierung interkultureller Diskriminierung ihre Benachteiligung verringern wollen, durch die Aktivierung des Dispositivs seine Stabilität befördern und damit auch ihre Benachteiligung verstärken. Generell wird über „Interdiskurse“ ein erheblicher Einfluss des Dispositivs i.K. auf andere Bereiche hergestellt. „Aufgrund seines Dispositivcharakters mit seiner durchgehenden Problembearbeitsstruktur kann interkulturelle Kommunikation eine sinnstiftende Begründungsmatrix bereitstellen, die sich auf jeden beliebigen sozialen Kontext und jede beliebige situative Problemstellung anwenden lässt, sofern diese nicht aus sich selbst heraus Erklärungsangebote produziert.“ (S. 272)
In Anlehnung an ein Modell der „Cultural Studies“ betrachtet Busch insbesondere Mediendiskurse als exemplarische gesellschaftliche Diskurse der i.K. Das „Kreislaufmodell“ interpersonaler und medialer Kommunikation ist geeignet zu zeigen, dass mediale Mechanismen die Persistenz des Dispositivs stabilisieren, weil sie der interpersonalen Kommunikation brauchbare Interpretationsfolien anbieten. Interpersonale Kommunikation selbst produziert auch komplexitätsreduzierende Muster kulturalisierender Erklärungen, so dass im Kreislauf von medialer und interpersonaler Kommunikation das Dispositiv i.K. stabilisiert wird. Die Chance, die Kreisförmigkeit vereinfachender, insbesondere kulturalisierender Muster zu unterbrechen, wird dagegen nur in wenigen Studien thematisiert. So kann Busch in diesem Kapitel zum (zu) häufig wiederholten Mal feststellen, dass „das Dispositiv interkultureller Kommunikation wieder vollständig die Steuerung sozialen Handelns übernimmt“ (S. 274). Im Sinne der Foucaultschen Dispositivanalyse kommt dabei der Umstand zum Tragen, dass im Dispositiv solche Problemlösungen entwickelt werden, die die „Gefährdung gesellschaftlicher Machtstrukturen“ (S. 302) abwehren.
Aber wenn das Dispositiv so hermetisch funktionieren sollte und auch die kritische (kritisch gemeinte) Diskursanalyse dem Dispositiv selbst angehört, stellen sich zwei Fragen: Erstens die Frage, an welchen Punkten im Kreislauf der Selbststeuerung des Dispositivs menschliches Handeln als nicht-determiniertes Handeln möglich sein kann, und zweitens die Frage, wie dies so beobachtet und erforscht werden kann, dass nicht nur das Dispositiv stabilisiert wird.
Hier sind „Überlegungen zu einer Neuorientierung der Forschung“ (301-332) erforderlich. Busch konzentriert sich dabei auf die Forschungsfrage, die es zunächst theoretisch zu rahmen gilt. Er prüft das Angebot der Praxistheorie (Andreas Reckwitz, wobei in der Diskussion seiner Texte ein etwas anderer Tonfall zu registrieren ist) und verwirft es weitgehend, weil dieser „radikal-praxeologische“ Ansatz die Diskursivität von Kultur zu sehr hinter die Subjektperspektive zurückstellt. Dagegen erscheint das Angebot der „Gender Studies“ (Judith Butler) deshalb vielversprechend, weil im Begriff der Performativität des Handelns sowohl die diskursiv erschließbaren und kritisierbaren Elemente von Kultur erfasst werden könnten als auch die vom Subjekt „illokutiv“ ausgedrückten Handlungsintentionen. Damit wird die Möglichkeit eröffnet, an den Bruchstellen und Widersprüchen des Dispositivs der i.K. anti-hegemoniale und machtkritische, vielleicht auch nur eigensinnige Impulse zu setzen (und sie auch in der Forschung er erfassen, ohne dass praktisch der Anspruch erhoben werden braucht, das ganze Dispositiv aus den Angeln heben zu können und in der wissenschaftlichen Beschreibung des performativen Handelns das Dispositiv i.K. transzendiert zu haben. Genau an diesem Punkt muss die Analyse fortgesetzt werden. Denn bisher werden paradigmatische Ansprüche erhoben, sowohl im Strukturalismus, der der Subjektivität keinen Raum einräumt, als auch in der Ethnomethodologie, die sich eines Bezugs zur allgemeinen Kultur enthält).
Die Fortsetzung der Untersuchung braucht dann ein Kapitel zur Theorie performativen Handelns im Dispositiv interkultureller Kommunikation“ (333-358) und eines zur „Empirie der Performativität in interkulturellen Kontexten“ (359-418).
In der theoretischen Diskussion erweist es sich als wichtig, die Diskurstheorie mit Hilfe von Subjekttheorien zu begrenzen und die Spielräume im Dispositiv durch Konfrontation mit der Handlungstheorie zu verdeutlichen. Um für die Forschung die Spielräume sichtbar machen zu können ist einmal die Ebenendifferenzierung von Gesellschaft, sozialer Interaktion und subjektiver Wahrnehmung erforderlich. Zum anderen müssen die Verknüpfungen zwischen diesen Ebenen präzise analysiert werden. Entsprechend differenziert sich der Begriff der Kultur und der i.K. aus, denn das Dispositiv i.K. kann nur auf der Makroebene die prinzipielle Nichttranszendierbarkeit beanspruchen. In der Interaktion dagegen können prinzipiell kreative Momente freigesetzt werden und die subjektive Wahrnehmung ist nicht vom Dispositiv determiniert; sonst wäre der Begriff Subjekt überflüssig (obwohl die Wortbedeutung „unterworfen“ zu sein dies nicht vermuten lässt).
Zu erkennen, was in (Sprach-)Handlungen als was interpretiert werden kann und welche Verknüpfungen zwischen den Ebenen hergestellt werden, wird zum zentralen Problem empirischer Methoden. Denn die vom Verfahren her gut eingespielten und differenziert ausgearbeiteten Konzepte der Dokumentarischen Methode oder der ethnomethodologischen „Membership Categorization Analysis“ bzw. Konversationsanalyse reichen nicht aus, um den Anspruch der Diskursanalyse zu erfüllen. Aber sie lassen sich verbinden und darauf zielt die abschließende Hypothese ab: „Grundsätzlich wird angenommen, dass kulturell und ethnisch motivierte Zuschreibungen und Attributionen – einschließlich bewertender Eigenschaften und entsprechender kategoriebezogener Tätigkeiten – in sozialer Interaktion getätigt und somit konstruiert werden.“ (S. 408) Weil aber der besondere Akzent des Foucaultschen Dispositivbegriffs darin besteht, Machstrukturen zu identifizieren und die Reproduktion von Macht im Dispositiv aufzuzeigen, bedarf die Hypothese der Ergänzung und der Spezifikation für das Dispositiv i.K.: „Wenn sich in konkreten und singulären Situationen eine Gefährdung des durch das Dispositiv indirekt aufrechterhaltenen Machtungleichgewichts abzeichnet, oder wenn eine Reaktivierung dieses Machtungleichgewichts erforderlich wird, dann kann darin eine der häufigsten Motivationen für die Aktivierung kultureller oder ethnischer Kategorisierungen liegen.“ (S. 408) Damit hat die Stunde der Fallanalysen geschlagen – so meine Schlussfolgerung. Denn wenn deduktive Verfahren, die im Konzept des Dispositivs verführerisch nahe liegen, vermieden werden sollen, dann ist die Singularität von Situationen als „Fall“ methodisch zu bestimmen und die Fallstruktur(-gesetzlichkeit), ganz im Sinne der Rekonstruktiven Hermeneutik sensu Oevermann, herauszuarbeiten.
Methodisch hält sich Busch stärker an die Ethnomethodologie mit der „Membership Categorization“ und erweitert deren Potenz zur Analyse interkultureller Kommunikation und Interaktion durch die Verknüpfung mit Diskurs- und Dispositivtheorie und der Theorie des performativen Handelns, die den Aspekt der Bezugnahme der Subjekte auf Kultur herausarbeiten kann.
Diskussion
Busch weist häufig darauf hin, dass das Dispositiv nicht transzendiert werden kann. Dabei finden sich recht unterschiedliche Formulierungen, die auch eine Breite logischer Bestimmungen enthalten. So ist von „Beeinflussung“ (S. 359) die Rede, von „argumentativ-hermetischer Geschlossenheit“ (S. 273) oder davon, dass das Dispositiv „niemals vollständig ausgeschaltet und überwunden werden kann“ (S. 359), oder es wird auf eine „letztliche“ (S. 394) Grenze verwiesen. Gegenüber der starken Rede von einer hermetischen Geschlossenheit ist der Hinweis, dass immer wieder andere Forscher auf eine Forschungsthese kritisch eingehen können, für dieselbe Behauptung einer Nichtaufhebbarkeit des Dispositivs zu schwach. Auch der häufige Verweis auf „Westliches“, beispielsweise „rein westliche Paradigmen“ (S. 138) ist nur intuitiv nachzuvollziehen, kann bei der Diskussion von Fragen interkultureller Kommunikation auf jeden Fall nur symbolisch gemeint sein.
Eine die Argumentation insgesamt stark stützende Disziplin wird nicht berücksichtigt, nämlich die Entwicklungs- und Sozialisationstheorien. Mit ihnen, beispielsweise auf der Grundlage der Meadschen Identitätstheorie, können Strukturen der Sozialisation aufgezeigt werden, die das Modell, das Busch entwirft, erheblich stützen. Mit dem in dieser Theorie angewandten dialektischen Denken können die Verschränkungen zwischen Struktur- und Subjekttheorien, zwischen Dispositiv- und Handlungstheorien möglicherweise noch genauer bestimmt werden. Vielleicht geht es nicht ohne Hegel.
Busch geht wenig auf erziehungswissenschaftliche Texte ein, aber sein Werk ist für die Erziehungswissenschaft und die Theorie Sozialer Arbeit ein ungemein wichtiges Grundlagenwerk. Für deren Forschung ist der Hinweis auf die Notwendigkeit, die „individuelle Ausgestaltung von Kulturalität durch die Probanden selbst“ (S. 406) zu untersuchen, eine äußerst hilfreiche Wegweisung. Denn der Diskurs in der pädagogischen und sozialpädagogischen Forschung ist voll von Kulturalisierungen und die selbstkritische Reflexion mehr als wichtig. Zum anderen verweist aber diese Formulierung auch auf die Praxis der interkulturellen Sozialarbeit und Erziehung, in der gerade die Pädagogen und Pädagoginnen, die in der Ausbildung die interkulturelle Brille aufgesetzt und damit auch ihr vorwissenschaftliches Weltbild abgesichert haben, ihre Klienten nicht zur Ausgestaltung ihrer kulturellen Lebenswelt kommen lassen, sondern ihr interkulturelles Konzept in die Situation einbringen und den Klienten oktroyieren. Sie stabilisieren dabei ihre Verfügungsmacht über die Situation und setzen ihre Situationsdefinition durch – ganz wie das Dispositiv es vorsieht. Mit seinem Modell, das zunächst für die Forschung konzipiert ist, legt Busch auch die Grundlage für eine reflektierte, vorsichtige Praxis. Besser kann ein solches Werk nicht gelingen.
Fazit
Bei der Untersuchung von Dominic Busch handelt es sich um ein ganz ausgezeichnetes Werk. In diskursiver Weise werden die Errungenschaften, insbesondere aber die Blockierungen und Sackgassen der Forschung über interkulturelle Kommunikation referiert und diskutiert, wobei die einzelnen Erkenntnisse der Analyse sorgfältig am Text der referierten Literatur entlang entwickelt werden. Deshalb sind die einzelnen Kapitel in einem breiten Gedankengang entfaltet, der sich immer wieder Zeit lässt für die Darstellung einzelner Untersuchungen und Konzepte. Damit sind allerdings auch Redundanzen verbunden, denn viele Autoren und Autorinnen werden an verschiedenen Stellen des Gesamtgedankengangs aufgerufen und kurz wieder vorgestellt. Die Untersuchung wird aber ihrem eigenen Anspruch dadurch gerecht, dass die Probleme und Grenzen der bisher bei der Erforschung interkultureller Kommunikation zum Zuge gekommenen Theorien und empirischen Methoden benannt und genauer als bisher bestimmt werden und für die weitere Forschung vorsichtige Hypothesen formuliert werden. Diese erscheinen weniger in der Zusammenfassung oder in der konkreten Formulierung beeindruckend – aber sie ruhen auf einer systematischen Prüfung des Wissensbestandes auf. Das Wissen und die Literaturkenntnisse des Verfassers sind stupend.
Die Probleme sind freilich nicht alle gelöst, vielmehr werden die offenen Fragen der verwendeten Konzepte mitgeschleppt. So macht sich immer wieder die Offenheit der Diskursanalyse als Verfahren und des Dispositivbegriffs bemerkbar, die einerseits eine Berücksichtigung von nahezu beliebig auszuwählenden Aspekten erlauben, andererseits aber den methodischen Vorgriff auf eine Totalität suggerieren, für die der Machterhalt konstitutiv ist. Gesellschaft wird hier eindimensional bestimmt – nur als System und nicht zugleich als Lebenswelt, kann man mit Habermas formulieren. Mit der Aufnahme der Ethnomethodologie und der Praxistheorie arbeitet Busch in diese Richtung. Das Dispositiv erscheint als eine sich selbst bewegende Einheit, nicht unähnlich der Selbstbewegung des Kapitals in der Marxschen Gesellschaftstheorie.
Rezension von
Prof. i.R. Dr. Franz Hamburger
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V.
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