Hilmar Schäfer: Die Instabilität der Praxis
Rezensiert von Dr. Maurice Schulze, 31.03.2014

Hilmar Schäfer: Die Instabilität der Praxis. Reproduktion und Transformation des Sozialen in der Praxistheorie. Velbrück GmbH Bücher & Medien (Weilerswist) 2014. 400 Seiten. ISBN 978-3-942393-66-9. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 53,90 sFr.
Autor
Hilmar Schäfer, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Vergleichende Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder).
Entstehungshintergrund
Bei dem Buch handelt es sich um die überarbeitete Fassung der Dissertation von Hilmar Schäfer an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder).
Aufbau
- Einleitung
- Pierre Bourdieu: Die statische Reproduktion des Sozialen
- Michel Foucault: Die historische Transformation von Praktiken
- Judith Butler: Die Instabilität performativer Wiederholungen
- Bruno Latour: Die Stabilität des Sozialen in heterogenen Netzwerken
- Vergleichende Diskussion
- Fazit
Inhalt
Bei dem Buch handelt es sich um eine Dissertation, die das Forschungsprogramm der Praxistheorien zum Gegenstand hat. Sind Praxistheorien zumeist auf die Stabilität von Praxis und damit auf deren Routinenhaftigkeit gerichtet, fragt Hilmar Schäfer nach Instabilitäten als Voraussetzung für der deren Transformation. Vor diesem Hintergrund analysiert er die Positionen von Pierre Bourdieu, Michel Foucault, Judith Butler und Bruno Latour auf deren Verständnis von Reproduktion und Transformation des Sozialen.
Mit der Herangehensweise Hilmar Schäfer ist auch der Aufbau der Arbeit gegeben. So Beginnt er einleitend seine Dissertation mit einer Standortbestimmung der Praxistheorien. Richten diese ihren Fokus auf Handlungsweisen, welche zumeist als routinenhaft oder regelgerecht beschrieben werden, hinterfragt Schäfer die unterstellte Statik des Sozialen und sucht nach dynamischen Tendenzen, Veränderungen und Neuformulierungen sozialer Handlungen. Seine Arbeit spannt den Bogen zwischen Reproduktion und Transformation des Sozialen. So macht er eingangs deutlich, dass die Frage der Konzeption von Stabilität und Instabilität des Sozialen ein „Grundproblem praxeologischer Theoriebildung“ (S. 12) ist, das noch theorievergleichend zu beleuchten ist. Zunächst verortet Schäfer die Praxistheorien und deren Basisannahmen, wie den Praxisbegriff (1.1), Stabilität und Instabilität (1.2), sowie das Denken der Wiederholung (1.3).
Der Hauptteil des Buches behandelt die Positionen von Pierre Bourdieu, Michel Foucault, Judith Butler und Bruno Latour. Dabei wird jede Position in die praxeologische Diskussion eingeordnet um dann jeweils mit einem Zwischenfazit der Analyseergebnisse zu enden und auf die vergleichende Diskussion der vier soziologischen Klassiker hin Anschluss bietet. An diesen nachvollziehbar strukturierten Analyseteil schließt sich ein Kapitel an, um „einen umfassenden, von den analytischen Dimensionen ausgehend organisierten Vergleich zu entwickeln“ (S. 61). Dabei fokussiert der Vergleich auf das jeweilige Verständnis von Reproduktion und Transformation sozialer Praxis. Ziel ist es, nach dem die „zentralen Analysekategorien vergleichend diskutiert“ (S. 61) wurden, heuristische Prinzipien zu entwickeln, „die eine praxeologische Methodologie kennzeichnen und Forschungsarbeiten anleiten können“ (ebd.).
Mit Pierre Bourdieu beginnt die Vorstellung, der von Schäfer gewählten klassischen, soziologischen Theorien. Bourdieus Perspektive in Entwurf einer Theorie der Praxis ist herausragend und grundlegend für die praxistheoretische Sozialtheorie. Als Säulen seiner Theorie der Praxis werden die zentralen Kategorien Habitus (2.3) und Feld (2.7) diskutiert und auch deren Verschränkung (2.9) erläutert. Entscheidend für einen vergleichenden Standpunkt ist jedoch das Spannungsverhältnis zwischen dynamischer Praxis und statischer Reproduktion (2.11). Denn als Hauptfrage tritt klar heraus: Wenn Praxis als nicht statisch angesehen werden kann, da sonst keine Entwicklung möglich wäre, wie lassen sich Routinen und Innovationen praxistheoretisch fassen. Die Analyse Bourdieus Theorie der Praxis verweist hier auf die Unterstellung, „dass Bourdieu mit seiner Perspektive auf die Selbstverständlichkeit einer alltäglichen Aktualisierung der Koinzidenzverhältnisses von Habitus und Feld seiner Theorie das Modell eines geschlossenen Kreislaufes der Reproduktion unterstellt“ (S. 98). Denn Bourdieu kann „die Instabilität und Dynamik von Praxis gleichzeitig theoretisch anerkennen und trotzdem von der statischen Reproduktion sozialer Praxis als Regelfall ausgehen“ (S. 105). Schäfer konstatiert im Kapitel 2.14 (Von Homogenität zu Heterogenität) Bourdieu ein Interesse daran zu belegen, wie sich soziale Ungleichheit durch Stabilitäten in Ausbildung des Habitus reproduziert. Diese Mechanismen stehen allerdings in Konkurrenz zum „Interesse, dem Eigensinn der menschlichen Praxis in theoretischer und empirischer Hinsicht gerecht zu werden“ (S. 112). Das Zwischenfazit (2.15) macht deutlich, dass Bourdieus Begriffe zentrale Kategorien für die Diskussion der folgenden Theoretiker sind, da die Praxistheorien letztlich auf diese aufbauen, jedoch zum Teil kritisch über Bourdieus theoretische Perspektive hinausgehen.
Mit Michel Foucault wird der zweite Theoretiker in der praxistheoretischen Diskussion vorgestellt, um die heuristischen Möglichkeiten seiner Perspektiven für eine vergleichende Analyse auszuloten. Hierfür dient einleitend der Begriff der Diskursiven Praxis (3.1), die in Form von Handlungen mit Wittgensteins Konzept des Regelfolgens korrespondiert (S.129). Struktur lässt sich dabei als eine Praxis denken, „als eine Wirklichkeit im Vollzug, und eröffnet damit sowohl eine Perspektive auf die Produktivität der Struktur als auch auf ihre mögliche Transformierbarkeit innerhalb der Praxis“ (S. 130).
Nachdem Schäfer herausstellt, dass Foucault einerseits dazu tendiert, die Statik der Wissensordnung zu betonen, und andererseits es seiner Theorie einer Akteursdimension mangelt, wendet er sich der Dynamik des Macht-Wissens und der Körperlichkeit des Sozialen (3.2) zu, um zu zeigen, wie diese Probleme für die Praxistheorie analysiert werden können. Schäfer wählt hierzu die Genealogie (3.2.1) um zu zeigen, wie Foucault über die Entwicklung eines produktiven Machtkonzepts eine Verbindung zu einem dynamischen Wissenskonzept (3.2.3) entwirft. Letztlich geht Foucault „von einer fundamentalen Instabilität der Praxis aus, ohne konkrete Mechanismen der Stabilisierung des Sozialen aus dem Blick zu verlieren“ (S. 175), was Schäfer auch im abschließenden Zwischenfazit (3.4) nochmals herausstellt.
Judith Butler, die in Schäfers Abhandlung für die Instabilität performativer Wiederholungen (4.) steht, wird u.a. auf ihr Performativitätskonzept (4.1) und Körperverständnis (4.6) hin analysiert. Er macht deutlich, dass in der Wiederholung stets die Möglichkeit des Bruchs gegeben ist, was bedeuten kann, „dass eine Praxis mit ihrem Kontext bricht und dabei im Gebrauch ihre Form und Bedeutung verändert“ (S. 243). „Mit jeder Wiederholung ist daher nicht nur die Aktualisierung, sondern auch die Verschiebung einer Praxis verbunden“ (ebd.).
Mit Bruno Latour und die Stabilisierung des Sozialen in heterogenen Netzwerken (5.) wird der letzte der vier Theoretiker Schäfers Analyse unterzogen. Hierfür ist die Akteur-Netzwerk-Theorie von zentraler Stellung und auch hier soll das „heuristische Potential“ (S. 252) entwickelt werden. Nach einer grundlegenden Erläuterung Latours Theorie, richtet Schäfer die Perspektive auf die Instabilität und Stabilität des Sozialen (5.7), deren Kernbegriff die Dauerhaftigkeit darstellt, die einer „Stabilität als zeitliche Dauer“ (S. 306) unterliegt.
Schäfers Analyse Bourdieus, Foucaults, Butlers und Latours sollen abschließend in einer vergleichenden Diskussion (6.) systematisiert und für die praxeologische Forschung im Hinblick auf theoretische Perspektive, Analysedimensionen und methodologische Prinzipien hin fruchtbar gemacht werden. Dabei liegt der Blickpunkt auf „der Konzeption der Stabilität und Instabilität des Sozialen in der Praxistheorie, die als ein zentrales Thema praxeologischer Debatten vorgestellt worden ist“ (S. 311). Praxistheorien stellen die Kontinuität der Reproduktion sozialer Ordnung weniger in Frage, als die Aufrechterhaltung und „Stabilität des Sozialen“ (ebd.). Zuerst widmet sich daher Schäfer der Praxis als Wiederholung (6.1). Für Bourdieu stellt er heraus, dass die Stabilität des Sozialen „durch die spezifische Konstruktion des Koinzidenzverhältnisses zwischen Habitus und sozialer Welt gesichert“ (S. 313) wird. Die Reproduktion des Habitus führt nach Schäfer in Bourdieus Theorie zu eine Starrheit, da der Akteur Träger einer sozialen Struktur in Form einer sozialen Klasse ist. Für Foucault ist Subjektivität „als Effekt kulturell verfügbarer Praktiken begriffen, die historischen Transformationen unterliegen“ (S. 314), womit er von einer „grundsätzlichen Beweglichkeit und Transformation von Praktiken im Zeitverlauf“ (S. 315) ausgeht.
In Butlers Theorie deutet Schäfer ein dynamisches Widerholungsverständnis, womit sie auf „Brüche und Verschiebungen in der Reproduktion des Sozialen“ (S. 318) fokussiert. Damit zeichnet Schäfer die Konzeption von Praxis als Wiederholung (6.1) nach. Folgend entwickelt er seine Praxeologischen Analysekategorien (6.2) auf, welche sich untergliedern in Die Körperlichkeit der Praxis (6.2.1), Die Materialität der Praxis (6.2.2) und Praxis, Macht und Norm (6.2.3), um daran anschließend Methodologische Prinzipien der Praxistheorie (6.3) herauszuarbeiten, welche „praxeologische Forschungsvorhaben anleiten können“ (S. 367). Dabei sind die Überschriften der Teilkapitel bereits nach den Prinzipien formuliert: Dezentrierung des Subjekts (6.3.1), Relationalität der Praxis (6.3.2), Zeitlichkeit der Praxis (6.3.3), Graduelle Differenzen (6.3.4) und Transitive Methodologie (6.3.5). Mit einem Fazit (7.) schließt Schäfer seine Abhandlung.
Fazit
Hilmar Schäfer hat mit der Arbeit „Die Instabilität von Praxis“ ein Buch vorgelegt, das in der Diskussion um die Praxistheorien die Konzeption von Stabilität und Instabilität theorievergleichend analysiert. Damit ist eine Anbindung an soziologische Klassiker gegeben, die nachvollziehbar und verständlich auf aktueller Höhe die Relevanz praxistheoretischer Forschung unterstreicht und verdeutlicht. Es ist dabei angegebenes Ziel von Schäfer, theoretische, sowie empirische Arbeit mit Praxistheorien mit begrifflicher Analytik zu unterstützen. Reproduktion und Wandel des Sozialen, wie sie seit den frühen soziologischen Klassikern im Zentrum des soziologischen Interesses standen, werden durch die theoretische Beschreibung von Innovation menschlichen Handelns erklärbar.
Rezension von
Dr. Maurice Schulze
Mailformular
Es gibt 15 Rezensionen von Maurice Schulze.