Klaus-Peter Reuthal, Harry Reinhardt: Der selbständige Mensch und die Konstruktion seiner eigenen Welt
Rezensiert von Prof. Dr. Eleonore Oja Ploil, 01.04.2014

Klaus-Peter Reuthal, Harry Reinhardt: Der selbständige Mensch und die Konstruktion seiner eigenen Welt. Eine andere Einführung in die Systemtheorie. Duncker & Humblot GmbH (Berlin) 2013. 200 Seiten. ISBN 978-3-428-14060-2. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR, CH: 38,50 sFr.
Autor
Dr. Klaus Peter Reuthal ist Professor für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Pforzheim. Dort unterrichtet er Wirtschaftsprivatrecht, den Gewerblichen Rechtsschutz sowie das Urheberrecht. Mit dem Co-Autor Harry Reinhardt verbindet nicht nur die Rechtswissenschaft und hier das Wissenschaftsrecht, sondern auch ihre Mitgliedschaft in der DGMW. (Die DGMW bezeichnet sich als die maßgebliche Vereinigung für Wirtschaftsmediation in Deutschland).
Thema
Die Verknüpfung von Systemtheorie und praktischen Anwendungsfeldern steht im Mittelpunkt des Buches. Dabei wird davon ausgegangen, dass sowohl Theorie als auch die Praxisbeispiele sowohl in Coaching, Mediation als auch Lehre anwendbar sind. In die konstruktivistische Systemtheorie wird eingeführt. Wesentliche Begriffe, wie Wahrnehmung, Re-Entry, Autopoiesis, Viabilität werden erläutert.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in zwei Abschnitte untergliedert.
Erstens die theoretischen Grundlagen mit den Kapiteln 1 bis 7 und zweitens der praktische Teil mit den Kapiteln 1 bis 28.
A. Theoretische Grundlagen
- Einleitung
- Einführung in die Systemtheorie
- Das Gehirn als System
- Die Theorie des Konstruktivismus
- Das grundlegende Prinzip der Beobachtung durch Unterscheidung und Markierung
- Praktische Überprüfung des Prinzips der Unterscheidung und Markierung
- Die systemische Haltung
B. Praktischer Teil
- Aktives Zuhören
- Angleichen und Führen
- Auftragsklärung
- Bonding-Kreisläufe
- Brainstorming
- Das innere Team
- Das Harvard Konzeption
- Dramadreieck
- Eskalationsstufen nach Friedrich Glasl
- Feedback
- Fragetechniken
- Gewaltfreie Kommunikation
- Ich-Botschaften
- Johari-Fenster
- Konfliktrhetorik
- Logische Ebenen
- Metaphern
- Paradoxe Intervention
- Paraphrasieren
- Reframing / Umformulieren
- Skriptanalyse
- Systemische Struktur- und Organisationsaufstellung
- Transaktionsanalyse
- Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte (VEE)
- VW Regel
- Wahrnehmungskanäle (VAKOG)
- Werte
- Ziele definieren und verwirklichen
Im ersten Abschnitt wird Systemtheorie aus der Perspektive der Biologie (Prigogine) und der Neurowissenschaften dargestellt. Insbesondere die Neurowissenschaften sind ein bevorzugter Zugang zur Erläuterung der Theorien. Dabei stehen die Fragen nach der Wahrnehmung und der Verarbeitung dieser Wahrnehmung im Zentrum der Darstellung einer konstruktivistischen Systemtheorie.
Erläutert werden Begriffe wie Nicht-triviale Maschine, zirkuläre Kausalität, Kybernetik 1. und 2. Ordnung, Re-Entry, Autopoiesis und Emergenz.
Im zweiten Abschnitt werden alphabetisch geordnet praktische Methoden, Techniken kurz dargestellt. Insgesamt umfasst dieser praktische Teil 78 Seiten.
Zielgruppe
Das Buch eignet sich für alle, die an neurowissenschaftlich orientierter Systemtheorie interessiert sind und die bereits über ein systemisches Methodenrepertoire verfügen.
Diskussion und Fazit
Die Autoren stellen an sich selbst folgenden Anspruch: „Selbst denjenigen, die den Begriff Systemtheorie kennen, fällt es häufig schwer den Unterschied zu anderen Beratungsangeboten oder zu nicht systemischen Streitbeilegungsverfahren zu erfassen. Deshalb erstaunt es nicht, dass die Erkenntnisse der Systemtheorie weder in die Theorie oder in die Praxis des Lernens und Lehrens noch in die Wirtschaft in relevantem Umfange Eingang gefunden haben. Diese Lücke möchten wir mit unserem Buch schließen.“ S. 9
Beim Lesen des Buches wird deutlich, dass die Theorieentwicklung der Systemtheorie, wie sie z. B. in der DGSF, DGSSA geführt wird, von den Autoren noch nicht wahrgenommen wurde. Die Fokussierung auf Neurowissenschaften und die randständige Bearbeitung der Theorie der sozialen Systeme führt zu einigen diskussionswürdigen Abschnitten. Als Beispiel soll Kapitel 3 im ersten Abschnitt aufgeführt werden. Ausgehend von der bekannten Unterscheidung von biologischen, psychischen und sozialen Systemen (Luhmann) argumentieren die Autoren rein unter der Berücksichtigung neurologischer Argumente, dass es keinen Unterschied zwischen biologischen und psychischen Systemen gäbe. Soziale Systeme werden in der Folge nicht mehr betrachtet.
Trotz dieser und einiger anderer theoretischen Fehlstellen, sowie der Fokussierung auf Wahrnehmung und Markierung ist der erste Abschnitt dennoch voller interessanter und eingängiger Erläuterungen.
Der zweite Abschnitt fällt dann hinter dem eigenen Anspruch dann leider deutlich zurück. Plötzlich werden z. B. Methoden der Personzentrierten Beratung (z.B. aktives Zuhören, Paraphrasieren, Verbalisieren von Erlebnisinhalten) der allgemeinen Kommunikationstheorie (Ich-Botschaften, gewaltfreie Kommunikation), der Gruppendynamik (Brainstorming) und der Psychologie (Transaktionsanalyse) zu Methoden der systemischen Beratung, Mediation.
Es mag sein, das systemische MediatiorInnen diese Techniken ebenfalls anwenden, aber dadurch werden sie nicht zu systemischen Techniken.
Nach Lektüre dieses Buches stimme ich den Autoren zu. „Selbst denjenigen, die den Begriff Systemtheorie kennen, fällt es häufig schwer den Unterschied zu anderen Beratungsangeboten oder zu nicht systemischen Streitbeilegungsverfahren zu erfassen.“ S. 9
Rezension von
Prof. Dr. Eleonore Oja Ploil
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