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Friedrich Wilkening, Alexandra M. Freund et al.: Entwicklungspsychologie kompakt

Rezensiert von Prof. Dr. Konrad Weller, 24.04.2014

Cover Friedrich Wilkening, Alexandra M. Freund et al.: Entwicklungspsychologie kompakt ISBN 978-3-621-27926-0

Friedrich Wilkening, Alexandra M. Freund, Mike Martin: Entwicklungspsychologie kompakt. Mit Online-Materialien. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2013. 2. Auflage. 187 Seiten. ISBN 978-3-621-27926-0. D: 26,95 EUR, A: 27,70 EUR, CH: 37,10 sFr.

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Autoren und Autorin

Die drei AutorInnen arbeiten am psychologischen Institut der Universität Zürich. Das in der Workbook-Reihe des Beltz-Verlags herausgegebene Buch führt ein in wesentliche Themen, Forschungsfragen und -methoden einer Psychologie der Lebensspanne. Drei große Abteilungen des Buches (mit jeweils 4 Kapiteln) widmen sich dem Kindes- und Jugendalter, dem Erwachsenenalter und dem Alter.

Thema

Eine Einführung erläutert „Begriffliches und Methodisches in altersübergreifender Perspektive“. „Entwicklungspsychologie beschäftigt sich mit intraindividuellen Veränderungen des Verhaltens und Erlebens über die menschliche Lebensspanne (von der Geburt bis zum Tod) sowie mit interindividuellen Unterschieden der intraindividuellen Veränderungen.“ (20)

Aufbau

Das Buch umfasst drei Teile.

Zu Teil I: Kindes- und Jugendalter

Nach einer einleitenden Betrachtung zum historischen Wandel des gesellschaftlichen Umgangs mit Kindern und der sozialen Konstruktion von Kindheit, als qualitativ besonderer Lebensphase seit der Aufklärung, folgt ein Abschnitt zu körperlicher Entwicklung, dann drei Unterkapitel zu Wahrnehmungs- und Sprachentwicklung, kognitiver Entwicklung und sozialer Entwicklung.

Im Kapitel zur kognitiven Entwicklung werden Piagets Grunderkenntnisse referiert sowie in den letzten Jahrzehnten entwickelte weiterführende Informationsverarbeitungskonzepte. Die Autoren resümieren: „Aufgrund der neueren Forschung stellen sich Kinder – generell gesagt – in allen Altersbereichen als kompetenter und hinsichtlich ihrer kognitiven Leistungen auch als adaptiver und vielfältiger dar, als früher vermutet worden war.“ (75) Hier stellt sich die Frage, ob sich lediglich wissenschaftliche Erkenntnismethoden entwickelt haben oder nicht ebenso die allgemeinen Bedingungen kindlicher Entwicklung und damit auch die Aneignung kognitiver Kompetenzen (was naheliegt, wenn man Ontogenese prinzipiell als historisch konkret verortet). Im Kapitel zur sozialen Entwicklung wird der Fokus auf die Entwicklung der Emotionen, des Bindungsverhaltens (Bowlby, Ainsworth) und des moralischen Urteilens (Piaget, Kohlberg) gerichtet.

Kritik: In der Definition der Lebensspanne wird die pränatale Entwicklung ausgeblendet, was insofern verwundert, als im Buch zwar Erkenntnisse zur vorgeburtlichen Entwicklung nicht systematisch dargestellt werden, aber doch z.B. auf pränatales Hören (46) und damit verbundene Lernprozesse des Fötus eingegangen wird.

Der Abschnitt „Kindes- und Jugendalter“ ist ganz und gar auf Kindheit bezogen, Fragen des Jugendalters werden nicht behandelt, eine Pubertät findet nicht statt (wie überhaupt Aspekte der psychosexuellen Entwicklung völlig ausgeklammert werden). Die moderne Fortschreibung traditioneller Konzepte (z.B. die Weiterentwicklung des Piaget´schen Konzept des kindlichen Egozentrismus zu einem Konzept des Egozentrismus in verschiedenen Lebensphasen durch Mönks, Knoers) hätte noch konsequenter erfolgen können.

Zu Teil II: Erwachsenenalter

Die entwicklungspsychologische Betrachtung des Erwachsenenalters nimmt die soziokulturell bedingte Bewältigung von Entwicklungsaufgaben in den Blick (Havighurst, Oerter).

In einem Kapitel zu „Identität und Selbstdefinition“ wird die „Identitätsfindung in der Jugend, (die) Stabilisierung der Identität und Selbstdefinition im mittleren Erwachsenenalter (und die) Aufrechterhaltung der Identität und Selbstdefinition im späten Erwachsenenalter“ beschrieben (100). Damit wird die Lebensphase Erwachsenenalter nach vorn wie nach hinten überschritten (was einem Konzept der Lebensspanne zwar angemessen ist, die prinzipielle Dreiteilung des Buches aber aufhebt). Identität wird ganz abstrakt, inhaltsleer und kriterienlos dargestellt. Die Autoren sind der Meinung, Identität würde sich erst im Jugendalter allmählich herausbilden: „Kinder befinden sich aufgrund der mangelnden Klarheit von Werten und Zielen zwangsläufig im Zustand der Identitätsdiffusion.“ (102) Würde man Identität mit Inhalt füllen und z.B. davon ausgehen, dass ein zentraler Kern des menschlichen Selbst in der Geschlechtsidentität besteht, dann wäre schnell offensichtlich, dass sich biografisch sehr früh sehr stabile Aspekte einer Selbst-Identität ausbilden (was nicht ausschließt, dass sie im Jugendalter oder in späteren Phasen des Lebens immer wieder krisenhaft erschüttert und neu erarbeitet werden müssen). An diesem Beispiel wird ein weiteres generelles Defizit des Buches deutlich: der Geschlechts-/Genderspezifik von Entwicklung wird keinerlei Beachtung geschenkt (von fünf Zeilen auf S. 160 abgesehen).

Im Kapitel „Motivation und sozioemotionale Entwicklung“ wird vor allem auf die Entwicklung der Leistungsmotivation eingegangen (nach Heckhausen u.a.), auch hier wieder beginnend in der Kindheit, der Abschnitt zur sozioemotionalen Entwicklung beschreibt verschiedene Konzepte und Befunde zur Gestaltung interpersoneller Kontakte im Verlauf des Erwachsenenalters (Disengagament-Theorie, Aktivitätstheorie, Sozioemotionale Selektivitätstheorie). In einem weiteren Abschnitt wird auf Aspekte der beruflichen und familiären Entwicklung eingegangen.

Nach Sichtung einiger empirischer Befunde zu (angeblich) typischen Krisen im Erwachsenenalter stellen die Autoren fest: „Die Charakterisierung des mittleren Erwachsenenalters als eine Zeit der Krisen (Sandwich-generation, Midlife-Crisis, Empty-Nest, Menopause) ist nach dem derzeitigen Forschungsstand nicht haltbar.“ (144)

Zu Teil III: Alter

Der dritte Teil des Buches wird eingeleitet mit Definitionen zum („normalen“ und „erfolgreichen“) Altern, zu gesellschaftlichen Stereotypen des Alters und „Theorien der Entwicklung im Alter“: Defizitmodell, Speed-Hypothese des kognitiven Alterns, Hypothese der gemeinsamen Verursachung, regulativen Entwicklungstheorien, SOK-Modell (Selektive Optimierung mit Kompensation). Es folgen Ausführungen zu (historisch sich verändernden) Kontexten, unter denen sich Altern vollzieht. In weiteren Abschnitten werden vielfältige Entwicklungspotenziale und -risiken beschrieben. Einen zentralen Platz nimmt dabei das Konzept der Lebensqualität ein: „Unter Lebensqualität wird ein psychologisches Konstrukt verstanden, das die Fähigkeit zur Herstellung persönlicher Zufriedenheit mit den körperlichen, psychischen, mentalen, sozialen und funktionalen Aspekten des Befindens und der Funktionsfähigkeit von Personen angesichts von Veränderungen und Belastungen aus ihrer Sicht beschreibt. Sie ist das Ergebnis eines individuellen, dynamischen, multidimensionalen Bewertungsprozesses zwischen Person und Umwelt. Eine Stabilisierung der Lebensqualität kann auch bei verschlechterten objektiven Lebensbedingungen erreicht werden – wenn es gelingt, adäquate Umbewertungsprozesse vorzunehmen.“ (168)

Fazit

Positiv hervorzugeben am vorliegenden Lehrbuch ist seine Didaktisierung, in Form kurzgefasster Inhaltsübersichten zu Kapitelbeginn, meist gelungener Definitionen, anschaulicher Beispiele, Grafiken, Abbildungen sowie Zusammenfassungen und aktivierender Übungsaufgaben am Ende von Abschnitten.

Zeitgemäß und Studierende ohne Zweifel ansprechend sind die umfangreichen Online-Materialien (Glossar, Zusammenfassungen, Übungsaufgaben, Links unter www.beltz.de/de/psychologie/entwicklungspsychologie.html)

Die kommentierten Links führen u.a. zu Videosammlungen, die klassische Experimenten u.a. zeigen: www.beltz.de/fileadmin/beltz/downloads/Onlinematerialien.

Rezension von
Prof. Dr. Konrad Weller
Professor i.R. für Psychologie und Sexualwissenschaft an der Hochschule Merseburg, Diplom-Psychologe (Universität Jena), Analytischer Paar- und Sexualberater (pro familia)
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Es gibt 15 Rezensionen von Konrad Weller.

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ISSN 2190-9245