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Thomas N. Friemel: Sozialpsychologie der Mediennutzung

Rezensiert von Arnold Schmieder, 29.11.2013

Cover Thomas N. Friemel: Sozialpsychologie der Mediennutzung ISBN 978-3-86764-282-8

Thomas N. Friemel: Sozialpsychologie der Mediennutzung. Motive, Charakteristiken und Wirkungen interpersonaler Kommunikation über massenmediale Inhalte. UVK Verlagsgesellschaft mbH (Konstanz) 2013. 331 Seiten. ISBN 978-3-86764-282-8. D: 44,00 EUR, A: 45,30 EUR, CH: 71,00 sFr.
Reihe: Kommunikationswissenschaft.

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Thema

Gleich auf der zweiten Vakatseite wird mitgeteilt, was die Abbildung auf dem Einband visualisieren soll, nämlich die drei wichtigsten Befunde des Buches: „Gespräche über massenmediale Inhalte werden vorwiegend in reziproken Beziehungen geführt“, wobei sich soziale Netzwerke mit Bezug zu Medieninhalten jedoch nicht nur „durch eine ausgeprägte Reziprozität“ auszeichnen, sondern auch über „lokale Hierarchien“ verfügen. Innerhalb dieser „hierarchischen Struktur in Gesprächsnetzwerken“ sind es aber nicht „Beeinflussungsprozesse durch Meinungsführer, die zu homogenen Mediennutzungsmustern in sozialen Netzwerken führen“, sondern es sind „Prozesse der sozialen Selektion, die hierfür verantwortlich sind“. Der „Freund meines Freundes ist auch mein Freund“ und „Gleich und Gleich gesellt sich gern“, resümiert Friemel diese Ergebnisse seiner sozialpsychologischen Studie zur Mediennutzung.

Es geht, wie in der Einleitung wiederholt und näher ausgeführt wird, um die Funktionen von Medienselektion, der kognitiven Verarbeitung, der Information, der affektiven Verarbeitung und Stimmungsregulierung wie auch der sozialen Positionierung. Dabei rückt der Autor bewusst von der individualpsychologischen Perspektive ab und favorisiert einen eben sozialpsychologischen bzw. mikrosoziologischen Ansatz, weil sein Interesse der interpersonalen Kommunikation darum gilt, weil aus ihr die „soziale Dimension der Mediennutzung“ erhellt und weil sie „besonders wirkungsmächtig“ ist. (S. 11 ff)

Deutlicher noch wird das Thema mit der forschungsanleitenden Frage unter funktionaler Perspektive konturiert. Im Anschluss an den Forschungsstand, demnach die Rezipienten als aktiv Handelnden zu verstehen sind und „sich den Medien nutzenorientiert zuwenden“, besteht laut Friemel das Ziel seines Buches darin, „eine integrative Systematik der Funktionen und Effekte interpersonaler Kommunikation über massenmediale Inhalte zu entwickeln und mit geeigneten Methoden einer ersten Prüfung zu unterziehen.“ Eine erste, also vorläufige und anschlussfähige Prüfung bleibe es, weil die einzelnen Elemente des theoretisch fassbaren und gefassten, hochkomplexen Gefüges aus „Motiven, Funktionen und Wirkungen“ nur bedingt „durch trennscharfe Messkonstrukte erhoben werden können.“ (S. 13 ff)

Aufbau und Inhalt

Im ersten Teil des Buches werden über Aufnahme und kritische Erörterung von Forschungsmethoden und -ergebnissen Grundlagen geschaffen, die im zweiten Teil für eine empirische Untersuchung fruchtbar gemacht werden, mit der „Schulklassen analysiert“ wurden, „welche zu Beginn der Untersuchung neu gebildet wurden.“ (S. 181) Aus gruppendynamischer Perspektive kommt dies dem Forschungsvorhaben zweifellos entgegen.

Im ersten Teil wird zunächst der publizistikwissenschaftliche Forschungsstand ausgelotet, wobei der Fokus auf sozialpsychologischen Implikationen hinsichtlich der Mediennutzung liegt. Es geht um den sozialen Kontext, wobei so prominente Ansätze wie der Mehr-Stufen-Fluss der Kommunikation, Agenda-Setting und nicht zuletzt die Schweigespirale vorgestellt und hinsichtlich ihrer Erklärungsreichweite diskutiert werden. Ebenso breit nähert sich der Autor den Grundlagen sozialer Dynamik, wobei er sich über u.a. Austausch-, Balancetheorie und Kognitive Dissonanztheorie bis zur Sozialen Netzwerkanalyse vorarbeitet. Ein Kapitel über Funktionen interpersonaler Kommunikation über massenmediale Inhalte schließt sich an. Kognitive und affektive Verarbeitung und Stimmungsregulierung, die Funktion der sozialen Positionierung sowie Information und Medienselektion sind hier die Kernstücke.

Für den zweiten Teil des Buches werden auf dieser Folie insbesondere zwei Aspekte betont, nämlich der „Grundgedanke, dass ein Individuum nicht in einem sozialen Vakuum handelt, sondern das soziale Umfeld als handlungsstrukturierender Kontext betrachtet werden muss“, wobei das soziale Netzwerk als zugleich Ressource wie auch als einschränkend zu betrachten sei. Dass „individuelle Handlungslogiken (Mikro-Ebene) zu charakteristischen Strukturen im Gesamtnetzwerk (Makro-Ebene) führen können, die auf der Mikro-Ebene nicht intendiert oder direkt ableitbar sind“, ist der zweite Grundgedanke. Dabei sei einzubeziehen, „dass die Eigenschaften einer übergeordneten Abstraktionsebene (Meso/Makro) in Abhängigkeit von der darunterliegenden Ebene (Mikro)“ zu sehen sind. Im Unterschied zu älteren Theorien wird „die soziale Struktur, in der die individuellen Akteure eingebunden sind, jedoch nicht als gegeben, sondern als reflexiv konstruiert betrachtet.“ (S. 173 f) So gerüstet wird die Mediennutzung von Jugendlichen generell und im sozialen Kontext untersucht, dann ebenso detailliert die interpersonelle Kommunikation über Massenmedien wie schließlich die Netzwerkdynamiken der Mediennutzung.

Diskussion und Fazit

Das der Einleitung als Motto vorangestellte Luhmann-Zitat, dass eine Kommunikation nur zustande komme, wenn jemand „so weit versteht, dass eine weitere Kommunikation anschließen könnte“, diese nichtssagend bis banal anmutende Bemerkung wird so weit durch den Verfasser substantiiert, als die „übergeordnete Forschungsfrage“ in ausgewiesen relevanten Aspekten ausgelotet wird: „Wer kommuniziert über welche Medieninhalte mit wem, in welchem Kontext, zu welchem Zweck und mit welcher Wirkung?“ (S. 282) Das zum Schluss hervorgehobene Fazit überrascht als Forschungsergebnis nicht sonderlich: „je mehr Personen eine Sendung sehen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie darüber sprechen und desto größer ist auch der Nutzen für das Individuum die Sendung auch in Zukunft zu sehen.“ Diese „Sprech-Nutzen-Spirale“ würde schließlich auch „Nichtnutzer“ erreichen. (S. 284)

Allerdings belegt Friemel unter Rückgriff auf vorliegende Forschungsansätze sehr eindrucksvoll, dass und wie Nutzungsmotive von Rezipienten in den Zusammenhang mit – ganz allgemein – gesellschaftlichen Orientierungsvorgaben zu setzen und vor allem gruppendynamischen Prozessen zu sehen sind. Gegenüber herkömmlichen Theorien pointiert er stärker das Kontextuelle von Mediennutzung.

Immer noch ist die bekannte Lasswell-Formel Bezugspunkt und Friemel erweitert die Perspektive von Chaffee, wonach der Fokus „nicht mehr so sehr auf dem Sender und dem, was dieser kommuniziert,“ liegt, „sondern auf dem Rezipienten und was dieser versteht.“ Mit Merten dann sei um die „wesentlichen Elemente der Situation und Motivation der Kommunikation“ zu ergänzen. (S. 13 f) Das ist plausibel, da „Rezipienten keine isolierten Individuen, sondern vielmehr handelnde Akteure in einem sozialen Umfeld sind.“ Eben darum sei „die Berücksichtigung der interpersonalen Kommunikation eine natürliche und besonders naheliegende Erweiterung des publizistikwissenschaftlichen Forschungsbereiches“. (S 281)

Dass sich Menschen in einem sozialen Umfeld bewegen und im publizistischen Prozess auch die interpersonale Kommunikation eine Rolle spielt, ist bereits dem Buch „Kommunikation der Gesellschaft“ von Henk Prakke aus dem Jahr 1968 zu entnehmen: In seiner funktionalen Publizistikwissenschaft sind etwa „Sozialsystem“, „Reaktion und Inspiration“, „Erwartungsorientierung“, „Kommunikatives Verhalten“ und „Verhaltenstheorie“ wesentliche Forschungsgegenstände. Prakkes Schüler, Dröge, Weißenborn und Haft, machten 1969 in „Wirkungen der Massenkommunikation“ die Relevanz von Bezugsgruppen auch im Hinblick auf Mediennutzung etwa mit dem Hinweis deutlich, dass rein „publizistisch gesehen (…) die wesentliche kommunikative Leistung von Gruppen darin (besteht), konforme Meinungen zu erzielen, also Diskrepanzen (…) abzubauen“, was eben auch mittels einer Verständigung über Medienbotschaften und -inhalte geschähe.

Wenn auch Anregungen zur Erweiterung publizistikwissenschaftlicher Fragehorizonte im Hinblick auf sozialpsychologische Gegenstandsbereiche scheint’s älteren Datums sind, ist den Desideraten Friemels nur zuzustimmen. Aufnahme und Erweiterung der von ihm eröffneten Forschungsperspektive scheinen überfällig, folgt man der Argumentation des Verfassers. Vor allem aber empfiehlt sich sein Buch Studierenden der Medienwissenschaften und auch Sozialwissenschaften durch seinen Materialreichtum und die kritische Aufnahme von Theorien, die immer in einer verständlichen Sprache dargestellt werden.

Rezension von
Arnold Schmieder
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Es gibt 126 Rezensionen von Arnold Schmieder.

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Zitiervorschlag
Arnold Schmieder. Rezension vom 29.11.2013 zu: Thomas N. Friemel: Sozialpsychologie der Mediennutzung. Motive, Charakteristiken und Wirkungen interpersonaler Kommunikation über massenmediale Inhalte. UVK Verlagsgesellschaft mbH (Konstanz) 2013. ISBN 978-3-86764-282-8. Reihe: Kommunikationswissenschaft. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15732.php, Datum des Zugriffs 10.12.2023.


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