Heidrun Wulfekühler (Hrsg.): Interprofessionalität in der Tagesbetreuung
Rezensiert von Prof. Dr. Martin Klein, 06.10.2015
Heidrun Wulfekühler (Hrsg.): Interprofessionalität in der Tagesbetreuung. Module zur Gestaltung von Netzwerkpraxis. Springer VS (Wiesbaden) 2013. 242 Seiten. ISBN 978-3-531-19589-6. D: 39,99 EUR, A: 41,11 EUR, CH: 50,00 sFr.
Die aktuelle und zunehmende Komplexität der Betreuung, Beratung und Bildung von Kindern zeigt den Bedarf von Interprofessionalität für sämtliche Akteure im Bereich der integrativen und modernen Kinderbetreuung.
Kitas und Familienzentren verstehen sich schon lange nicht mehr als Inseln in einem Sozialraum. Die Einrichtungen versuchen professionelle Netzwerke zur Unterstützung ihrer Arbeit aufzubauen. Die pädagogischen Fachkräfte setzen sich bei Problemlagen mit den Sorgeberechtigten auseinander und versuchen Lotse in dem großen, teilweise unüberschaubaren Angebot der Hilfen zu sein. Dabei versuchen sie bei Bedarf die Eltern zu unterstützen und zu begleiten. Ein strukturierter Netzwerkaufbau oder wenigstens interprofessionelle runde Tische mit allen Beteiligten sind jedoch selten.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in vier Teile gegliedert.
Der I. Teil beschäftigt sich mit den grundlegenden Klärungen und Verortungen von Interprofessionalität. Hier wird das System der Familienzentren als besonderer Ort der Vernetzung fokussiert. Stephan Maykus nennt die verschiedenen Anlässe, aus denen heraus Familienzentren eine Vernetzung anstreben, weist aber auch darauf hin, dass diese Anlässe eher unbestimmt und deshalb nicht handlungsgerichtet sind. Bei Vernetzungen, die zielführend sein sollen, muss im Mittelpunkt Interprofessionalität stehen, die einen Prozess und ein soziales (nicht vorrangig fachliches) Ziel des Handelns gleichermaßen umfasst (Maykus, S. 25)
Maykus beschreibt den Unterschied zwischen Netzwerkarbeit, die schon als solche verstanden wird, wenn sich nur ein Netzwerk bildet und dem eigentlichen zielgerichteten Handeln, bei dem die Akteure sich über die unterschiedlichen Ebenen bewusst ist und eine Struktur des Zusammenarbeitens festlegt. Zudem beschreibt er die Wirkungsbereiche Wissen, Können und Haltungen interprofessionellen Handelns.
Rietmann beschreibt Interdisziplinäre Netzwerke als Zukunftsmodell der Tagesbetreuung. Er nutzt Praxisthemen, um die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zu verdeutlichen, nennt aber auch Problematiken der Zusammenarbeit,
Die dritte Autorin, Heidrun Wulfekühler, stellt die Grundlagen interprofessioneller Zusammenarbeit in der Kinderbetreuung dar. Frau Wulfekühler gibt eine klare Definition von Interprofessionalität und belegt ihre Thesen anhand eines Praxisbeispiels. Sie zeigt dabei auf, dass Eltern auf Augenhöhe in die Prozesse der Kitaarbeit integriert werden müssen. Wulfekühler beschreibt die Problematiken der Erziehungspartnerschaft. Unsicherheiten bestehen dabei nicht nur auf der Seite der Einrichtungen, sondern auch auf der Seite der Eltern.
In diesem Kapitel werden Nutzen der Netzwerkarbeit beschrieben, aber auch die Risiken und Problemlagen. Bestimmte Strukturen in der Netzwerkarbeit werden hervorgehoben und benannt. So nennt Wulfkühler die Wichtigkeit des Mandates durch die Leitung und die dazu benötigten Zeitressourcen und Unterstützung.
Der II. Teil des Buches befasst sich mit Konzeptionen zur Qualifizierung von Interprofessionalität in der Praxis. Hier wurde ein Trainingskonzept als Modul für die Ausbildung, aber auch die Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften entwickelt und vorgestellt. Die Schwerpunkte der Module beziehen sich auf vier Kernbereiche der Arbeit in einer Kindertageseinrichtung:
- Case Management
- Bildungs- und Entwicklungsdokumentation
- Gesundheit und Ernährung
- Interkulturelle Öffnung
In realistischen Praxisbeispielen aus den vier Kernbereichen stellt Silvia Wiedebusch die interprofessionellen Handlungsanlässe defizitorientiert und ressourcenorientiert gegenüber und listet mögliche Maßnahmen und zu beteiligende Professionen auf.
Wulfekühler, Wiedebusch und Maykus beschreiben im Methoden zur Förderung von Interprofessionalität. Die einzelnen Methoden werden vorgestellt und den möglichen Kernbereichen zugeordnet. Danach werden Konzepte von Fortbildungstagen angeschlossen. Die Autoren weisen auf die Notwendigkeit hin, die interprofessionelle Herangehensweise im pädagogischen Handlungsfeld als Modul in die Erzieherausbildung zu integrieren. Sie halten es für wichtig, dass sich angehende ErzieherInnen mit den unterschiedlichen Disziplinen und dem damit einhergehenden Selbstverständnis beschäftigen.
Stephan Rietmann beschreibt Interprofessionalität als Anforderung an eine Organisationsgestaltung und gibt Anregungen für Leitungskräfte in Familienzentren und begleitendem Coaching. Er sieht Synergieeffekte in einem solchen strukturierten Handeln, die weit über die Zielerreichung in einem Problemfall für ein Kind hinausgehen. Die gemeinsame Netzwerkarbeit macht sensibel für das Handlungsfeld der anderen Professionen und dessen Kenntnisse. Es vermittelt aber auch die Wahrnehmung der eigenen Grenzen und fördert, Wissen von anderen anzunehmen. Die Netzwerkarbeit kann zur Weiterentwicklung einer Kindertageseinrichtung strategisch genutzt werden und bietet Möglichkeiten sich zu positionieren.
Stefan Meinsen und Stephan Rietmann fokussieren Bausteine für die Entwicklung der Leitungskompetenz vor dem Hintergrund der Führungskräfteentwicklung. Die beiden Autoren stellen ein Konzept für einen Qualifizierungsansatz „Stark in Führung“ vor. Dieses Konzept beinhaltet fünf Blocks, die sich über einen Zeitraum von ca. 6 Monaten erstrecken und den Lernenden ermöglicht, fachliche, wie auch persönliche Qualifikationen zu erlangen. Inhalte der Blocks sind vielfältige Leitungsaufgaben wie z.B. Kommunikation und Interaktion, Führung und Strategieentwicklung, Grundsätze des Selbst- und Zeitmanagements, Konfliktstrategien und Teamentwicklung.
Im III. Teil werden Internationale Perspektiven aus Österreich, Luxemburg, Polen und England beschrieben.
Im IV. Teil werden Entwicklungslinien und Anforderungen der Zukunft dargestellt und Interprofessionalität zwischen Organisations-, Professions-, Personal- und Netzwerkentwicklung ausgeführt werden. Stephan Maykus formuliert notwendige Bedingungen für die Realisierung eines anspruchsvollen Konzeptes und beleuchtet die Voraussetzungen für Interprofessionelles Handeln. Er regt durch reflexive Impulse zur Auseinandersetzung mit der eigenen Institution an.
Diskussion
Interprofessionelle Netzwerkarbeit ist unstrittig gewolltes Handeln in gut organisierten Kindertageseinrichtungen und Familienzentren. Ein großes Problem dieser Arbeit bleibt die Zeitressource. Auch wenn die Netzwerkarbeit vom Träger einer Kindertageseinrichtung gewünscht ist, stehen Leitungskräften und pädagogischen Fachkräften aufgrund zunehmender Arbeitsverdichtung immer weniger Zeit für Netzwerkarbeit zur Verfügung. Bis ein gut arbeitendes Netzwerk Früchte trägt, ist eine lange Durststrecke zu durchlaufen. So gibt es auch in der Netzwerkarbeit gruppendynamische Prozesse, die einzelne Professionen mitten im Prozess aussteigen lassen.
Fazit
Das vorliegende Buch befasst sich mit den grundlegenden Elementen der Netzwerkarbeit. Es fokussiert alle Ebenen der Interprofessionellen Arbeit und weist auf Stolpersteine hin. Es ist besonders geeignet als Grundlage für Module in der Erzieherausbildung. Der Leser findet wissenschaftliche Hintergründe, genauso wie Handwerkszeug und praktische, nachvollziehbare Beispiele der Netzwerkarbeit.
Innerhalb der Qualifizierung für Führungskräfte in Kitas oder Familienzentren sind die genannten Themen Schwerpunktthemen und von besonderer Wichtigkeit.
Vor diesem Hintergrund will das Buch verstanden werden. Es stellt grundlegende Definitionen und Punkte der interprofessionellen Netzwerkarbeit dar, grenzt sie gegen falsch verstandene Netzwerkarbeit ab, spricht Risiken und Chancen an und gibt Handwerkszeug für interprofessionelles Handeln.
Rezension von
Prof. Dr. Martin Klein
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Zitiervorschlag
Martin Klein. Rezension vom 06.10.2015 zu:
Heidrun Wulfekühler (Hrsg.): Interprofessionalität in der Tagesbetreuung. Module zur Gestaltung von Netzwerkpraxis. Springer VS
(Wiesbaden) 2013.
ISBN 978-3-531-19589-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15746.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
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