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Daniel Deimel: Psychosoziale Behandlung in der Substitutionstherapie

Rezensiert von Prof. Dr. rer. soc. Angelika Groterath, 21.03.2014

Cover Daniel Deimel: Psychosoziale Behandlung in der Substitutionstherapie ISBN 978-3-8288-3120-9

Daniel Deimel: Psychosoziale Behandlung in der Substitutionstherapie. Praxis klinischer Sozialarbeit. Tectum-Verlag (Marburg) 2013. 220 Seiten. ISBN 978-3-8288-3120-9. D: 39,90 EUR, A: 39,95 EUR, CH: 49,50 sFr.

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Entstehungshintergrund und Thema

Es handelt sich bei diesem Buch um die Dissertation des Autors, die 2012 an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln unter dem Titel „Drogenabhängigkeit, psychische Inkongruenz und soziale Unterstützung. Eine Analyse der psychosozialen Betreuung Substituierter“ angenommen wurde. Dieser Titel gibt das Thema der Arbeit noch genauer wieder als der ‚handlichere‘ Buchtitel.

Autor

Daniel Deimel ist Sozialarbeiter/Sozialpädagoge und Suchttherapeut und verfügt über fundierte Berufserfahrung im Suchtbereich. Er arbeitete zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Köln, Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften, und wurde 2013 zum Professor für Klinische Sozialarbeit an die KatHO Aachen berufen.

Aufbau und Inhalte

Der Aufbau des Buches folgt dem klassischen Muster einer Dissertation, in deren Zentrum eine empirische Untersuchung steht.

Zum Inhalt dies vorab: Das ist zwar eine Dissertation, die den üblichen Erfordernissen Rechnung trägt und damit an einigen wenigen Stellen redundant erscheint. Das ist aber auch ein absolut lesenswertes und gut lesbares Buch, widmet sich der Autor doch nicht nur einer Frage, die seit langem offen ist, sondern schreibt er doch auch in lesenswerter Sprache – ohne die terminologische Akrobatik einiger der so genannten Bezugswissenschaften der Sozialen Arbeit zu bemühen.

Nach Einleitung und Formulierung der Fragestellung geht Deimel in Kapitel 3. auf den „Stand der Forschung“ ein und gliedert hier in 3.1. Opiatabhängigkeit, 3.2. Stress, Coping und Soziale Unterstützung, 3.3. Bedürfnisbefriedigung und psychische Gesundheit und 3.4. Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger. Während die Kapitel 3.2. und 3.3., wenngleich konsistent geschrieben und mit Bezug zum Thema Opiatabhängigkeit versehen, eher ‚theoretische Referenzkapitel‘ (s.o.) sind und ihre Einbettung in dieses Kapitel 3. nicht ganz überzeugt, sind 3.1. und 3.4. tatsächlich Lehrbuchkapitel: Nur in wenigen anderen Büchern zum Thema Sucht bzw. Drogenabhängigkeit findet sich ein vergleichbar kurzer und dennoch erschöpfender, d.h. synthetischer, Überblick über die hier besprochenen Themen. Dass dem Autor diese Kapitel gelungen sind, ist zweifellos seiner professionellen Verankerung als Sozialarbeiter/-pädagoge im Suchtbereich geschuldet: Hier wird interdisziplinär referiert von jemandem, der interdisziplinär qualifiziert ist; d.h. hier werden alle Parameter bedacht, die für Opiatabhängigkeit und die Substitution Opiatabhängiger relevant sind. Und das sind neben den i.e.S. psychologischen und psychosozialen auch medizinische, juristische und gesellschaftliche bzw. gesellschaftspraktische wie Arbeit und Finanzen z.B.

Das Highlight des Buches ist zweifellos die empirische Untersuchung, dargestellt in den Kapiteln 4. und 5. Die Psychosoziale Betreuung (PSB) – Deimel findet die Bezeichnung Psychosoziale Behandlung treffender – ist zwar gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer notwendiger Bestandteil der Substitutionsbehandlung von Opiatabhängigen. Finanziert werden muss sie aber durch Kommunen und Länder, die unterschiedliche politische Ausrichtungen verfolgen und die über ebenfalls unterschiedliche Finanzmittel verfügen. Das Bild, das sich ergibt, ist entsprechend heterogen. Verstärkt wird diese Heterogenität dadurch, dass Kommunen und Länder die Durchführung von PSB an unterschiedliche Träger delegieren, von denen einige zu großen Verbundsystemen gehören, die ein nicht zu leugnendes Interesse an stationären Aufnahmen haben. Entsprechend heterogen sind die konzeptionellen Ansätze der PSB. Einen Versuch der Systematisierung der Konzepte hat Deimel in seiner unveröffentlichten Masterthesis von 2008 unternommen. Etliche Konzepte wurden auch bereits evaluiert. Eine Untersuchung wie die, die hier vorgestellt wird, stand aber bislang noch aus: In einem quasi-experimentellen Design, das eine Differenzierung im Hinblick auf die Behandlungssettings (Substitutionsambulanzen vs. Substitution bei niedergelassenen Ärzten mit PSB durch Beratungsstellen) ermöglicht, versucht Deimel eine umfassendere Analyse der Wirkung von PSB, die einen Kontrollgruppenvergleich beinhaltet – eigentlich unabdingbar, aber gerade in diesem Praxisfeld schwierig und nur selten möglich. Er prüft die Ergebnisse seiner klinischen Stichprobe gegen Kontrollgruppen-Daten, die bei Stichproben aus zwei Populationen erhoben wurden: bei unbehandelten bzw. zum Zeitpunkt der Erhebung nicht behandelten Opiatabhängigen und bei nicht opiatabhängigen Personen. Das ist – wie auch der Umfang der Klinischen Stichprobe mit n = 100 – beachtlich, auch wenn der Umfang der Kontrollgruppen mit n = 20 (unbehandelt) und n = 55 (nicht abhängig) kleiner ist, ein Umstand, dem in der statistischen Auswertung Rechnung getragen wird. Im Blick hat Deimel eine ganze Serie von Unabhängigen und Abhängigen Variablen. Die AV werden in den Kapiteln 3.2 und 3.3 theoretisch hergeleitet und durch standardisierte Test- bzw. Befragungsverfahren operationalisiert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass er sowohl nach dem Ausmaß psychischer und psychosozialer Belastung wie auch nach Behandlungszufriedenheit fragt und prüft, inwiefern sich verschiedene Gruppen und Untergruppen hier unterscheiden. Sowohl die statistischen Verfahren wie auch die Ergebnisse werden, wie das einer Dissertation angemessen ist, detailliert dargestellt. Das kann nur nachvollziehen, wer etwas von Statistik versteht – ist für diejenige bzw. denjenigen aber äußerst interessant. Von insgesamt 29 Hypothesen, die zu Zusammenhang oder Differenz zwischen den Variablen formuliert werden, können mit 10 weniger als die Hälfte bestätigt werden; d.h. in 19 Fällen muss die Nullhypothese angenommen werden – eine Auszählung, die allerdings von der Rezensentin vorgenommen wurde. Die Interpretation und Diskussion der Ergebnisse gerät Deimel kurz. Die Daten, die er ermittelt, könnten ausführlicher diskutiert und auch interpretiert werden. Auch zu den Konsequenzen für die Praxis, die in dem kurzen Kapitel 6. ‚Fazit‘ thematisiert werden, ließe sich mehr sagen. Es bleibt zu hoffen, dass ‚die Praxis‘ ebenso wie auch sozialpolitische EntscheidungsträgerInnen diese Untersuchungsergebnisse zur Kenntnis nehmen und Konsequenzen erwägen.

Diskussion

Das Buch gibt tatsächlich einen sehr guten Überblick zu Opiatabhängigkeit und zur Substitution Opiatabhängiger. Auch die Frage, wo ‚Betreuung‘ oder ‚Unterstützung‘ aufhören und ‚Behandlung‘ oder ‚Therapie‘ anfangen oder anfangen sollten, ist sehr gut besprochen. Damit würde sich dieses Buch ausgezeichnet als Lehrbuch zur Verwendung in Studiengängen der Sozialen Arbeit eignen – obwohl zu befürchten ist bzw. angenommen werden muss, dass Studierende der Sozialen Arbeit die statistischen Analysen nur schwer nachvollziehen können. Diese sollten, wie oben gesagt, tatsächlich von PraxisvertreterInnen und von EntscheidungsträgerInnen zur Kenntnis genommen werden. Die PSB hat ihren Wert nach diesen Ergebnissen besonders im Bereich der Reduzierung psychosozialer Belastung, nicht aber im Hinblick auf die Reduzierung von Stressniveau und psychischer Belastung, auch nicht so stark wie angenommen in Bezug auf Vermeidungsinkongruenz. Hier sollte man sich einzelne Items genauer anschauen – und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen. Auch die Rolle der Behandlungsdauer muss überdacht werden – so wie manch anderes auch, die Tatsache z.B., dass wir in nächster Zeit mit einem deutlichen Anstieg der Zahl älterer Opiatabhängiger rechnen müssen, die nach den Ergebnissen dieser Untersuchung weniger von bestehenden Angeboten profitieren als jüngere Betroffene, oder auch die Tatsache, dass die weibliche Klientel nicht angemessen versorgt zu werden scheint.

Fazit

Ein Buch, dem zu wünschen wäre, dass es gelesen wird – obwohl es sich um eine Dissertation handelt, die durch einen kleineren Verlag publiziert wurde.

Rezension von
Prof. Dr. rer. soc. Angelika Groterath
Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin, Professorin für Psychologie des Studiengangs Soziale Arbeit Plus - Migration und Globalisierung am Fachbereich Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt.
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Es gibt 13 Rezensionen von Angelika Groterath.

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ISSN 2190-9245