Ursula Bertels, Claudia Bußmann: Handbuch interkulturelle Didaktik
Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Berg, 22.11.2013

Ursula Bertels, Claudia Bußmann: Handbuch interkulturelle Didaktik.
Waxmann Verlag
(Münster/New York/München/Berlin) 2013.
235 Seiten.
ISBN 978-3-8309-2889-8.
D: 24,90 EUR,
A: 25,60 EUR,
CH: 35,50 sFr.
Reihe: Gegenbilder - Band 8.
Thema
Die Autorinnen begründen theoretisch, was sie unter interkultureller Kompetenz und globalem Lernen verstehen. Sie liefern dazu eine Fülle von Vorschlägen zur methodischen Umsetzung in Schule und Erwachsenenbildung.
Autorinnen
Beide Verfasserinnen haben Ethnologie studiert und an mehreren Forschungsprojekten und Bildungsveranstaltungen verantwortlich mitgewirkt. Frau Bertels ist Vorsitzende, Frau Bussmann Mitarbeiterin des Vereins Ethnologie in Schule und Erwachsenenbildung (ESE).
Aufbau
Das Buch besteht aus drei Teilen.
Zunächst setzen sich die Autorinnen mit dem Begriff der Interkulturellen Kompetenz auseinander, um sodann Methoden und Übungen hierzu vorzustellen.
Der dritte, weitaus größte Teil befasst sich damit, wie sich in herkömmlichen Schulbüchern Eurozentrismus niederschlägt und methodisch aufgefangen werden kann. Dazu finden sich im Text selbst, vor allem aber in der beiliegenden CD zahlreiche Unterrichtsbeispiele.
Inhalt
Ausgangspunkt ist ein weiter Kulturbegriff: "Kultur ist die vom Menschen geschaffene Welt." Damit ist alles, was der Mensch im Zuge seiner Enkulturation lernt, was in seiner Gruppe im Gebrauch, normal und üblich ist, und was er in der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt hervorbringt und verändert, Gegenstand des Interesses. Gemeinsamkeiten, aber eben auch Unterschiede hierin unterstellt, ist seine Fähigkeit gefragt, andere Menschen zu verstehen und sich mit ihnen zu verständigen. Zu dieser Kompetenz gehört es u.a., die Perspektive wechseln zu können, sich also in die Lebenswelt eines anderen Menschen hineinzuversetzen, aber auch die eigenen Selbstverständlichkeiten infrage zustellen, für kulturelle Unterschiede sensibel zu werden, andere Lebensformen zu respektieren.
Die Autorinnen heben ausdrücklich hervor, dass sie diese Kompetenz an "Drittkulturen" vorstellen und üben wollen, d.h. nicht unmittelbar Personen aus einem entsprechenden Kulturkreis involviert sein sollen, da diese sonst leicht kulturalisiert, also vereinnahmt werden könnten.
Zunächst scheinen die Autorinnen den üblichen Weg einzuschlagen, kritische Ereignisse vorzustellen, also Situationen, in denen die Protagonisten nicht den gleichen Regeln folgen. Tatsächlich machen sie aber deutlich, wie sich die Praxis der Menschen in Bezug auf Nahrung und Kleidung unterscheiden kann: Sind Hunde oder Kühe essbar? Der Tuareg-Mann verhüllt stolz Stirn und Mund… Was Kompetenz im Sinne von Handlungsfähigkeit angeht, verweisen die Autorinnen vor allem darauf, dass Anpassung möglich sei, aber jeder Mensch "seine persönliche" Grenze ziehen darf, am besten auch in erklärender Weise. Unter dem Begriff des Kulturschocks illustrieren die Autorinnen auch den Prozess, der im kulturellen Konflikt abläuft, interessanterweise auch bei Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt.
In der zweiten Hälfte des Buches belegen die Autorinnen die eurozentrische Sicht der herkömmlichen Erdkunde- und Geschichtsbücher, die den sog. Naturvölkern regelmäßig und systematisch die Fähigkeit abgesprochen haben, ihre Welt zu gestalten. Am Beispiel ausgewählter Ethnien belegen sie hingegen, welche Leistungen an Überlebenstechniken und Nachhaltigkeit diese erbracht haben. Der Katalog reicht von den Heilpflanzen der San (sog. Buschmänner) im südlichen Afrika, dem Anorak der Inuit, dem Wanderfeldbau der Yanomami im Amazonasgebiet bis zum Bumerang der australischen Aborigines.
Afrika ist ein eigenes Kapitel gewidmet: ein Problemkontinent erst seit die Kolonialmächte z.B. in Mali oder Togo mit Erdnuss- oder Baumwollplantagen die traditionelle Selbstversorgung und letztlich auch die lokalen Gemeinschaften zerstörten.
Im Kapitel "Kolumbus und die neue Welt" schließlich laden die Autorinnen zum Perspektivenwechsel ein: Nach ausführlicher Klärung des historischen Umfelds und der indigenen Lebensformen erzählen Schülerinnen und Schüler die Landung der Spanier aus der Sicht der Eingeborenen. Nebenbei wird auch vermittelt, dass wir diesen die Hängematte aus Baumwolle und die Kartoffel verdanken.
Diskussion
Den aktuellen Diskurs zum Kulturbegriff, zu Interkulturalität und Transkulturalität sowie Diversity sparen sich die Autorinnen weitgehend. Der Verdinglichung von "Kultur" entkommen sie nicht immer. Von spezifischen Kulturtrainings (vermittels sog. Critical Incidents) wollen sie aus guten Gründen absehen, halten es jedoch nicht ganz durch (s. Guatemala). Die Frage allerdings, wie aus der Sensibilität und Offenheit für kulturelle Unterschiede tatsächlich Wahrnehmung und Verständnis, vor allem aber konkrete Handlungsfähigkeit werden kann, bleibt doch offen. Interkulturelle Kommunikation über unterschiedliche Regeln und Lebensformen hinweg, etwa zwischen Reisenden und Bereisten, wird kaum dokumentiert.
Im Vergleich zu vielen anderen Publikationen im überquellenden Markt der interkulturellen Handreichungen hat die vorliegende den Vorteil, aus einem reichhaltigen ethnologischen Fundus schöpfen und damit sehr anschaulich sein zu können.
Gegenüber dem interkulturellen Teil bleibt die theoretische Grundlegung des "globalen Lernens" blass. Etliche Beispiele des kulturellen Austausches sind etwas plakativ, aber doch geeignet, europäische Arroganz zu beleuchten: Tee, Kaffee, Kakao… haben wir erst gelernt.
Die beiliegende CD birgt Materialien, die im Buch nur angedeutet sind. Sie gehen dabei von unserer Lebenswelt aus und konfrontieren unseren Luxuskonsum z.B. von Popcorn mit der Realität Guatemalas, wo Mais (Tortillas, Tamales, Atole usf.) Grundnahrungsmittel ist. Hier und an anderen Beispielen setzt die Diskussion über Biosprit ein, wiederum von Daten (Fleischkonsum) unterstützt.
Fazit
Weshalb es gleich ein "Handbuch" sein soll? Aber eine materialreiche und erfrischende, wohltuend verständliche und gut lesbare, rundum nützliche Handreichung für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit ist es allemal. Die CD ist eine wahre Fundgrube.
Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Berg
Hochschule Merseburg
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