Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Rolf Arnold: Systemische Erwachsenenbildung

Rezensiert von Prof. Dr. Jochen Schmerfeld, 13.03.2014

Cover Rolf Arnold: Systemische Erwachsenenbildung ISBN 978-3-8340-1210-4

Rolf Arnold: Systemische Erwachsenenbildung. Die transformierende Kraft des begleiteten Selbstlernens. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2013. 229 Seiten. ISBN 978-3-8340-1210-4. D: 19,80 EUR, A: 20,40 EUR, CH: 28,50 sFr.
Reihe: Systhemia - Band 10.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Das zentrale Thema der systemisch-konstruktivistischen Erwachsenenbildung, wie sie u.a. von Rolf Arnold vertreten wird, ist das selbstorganisierte Lernen oder wie der Untertitel formuliert: das Selbstlernen. Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit diesem Prinzip, dem daraus abgeleiteten pädagogischen Programm und seinen Begründungen.

Autor

Rolf Arnold ist seit 1990 Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik, insbesondere Berufs- und Erwachsenenpädagogik, an der TU Kaiserslautern und seit1992 Leiter des Zentrums für Fernstudien und Universitäre Weiterbildung an der TU Kaiserslautern, seit 2007 Wissenschaftlicher Direktor des Distance and Independent Studies Center (DISC)

Entstehungshintergrund

Der Band ist – nach Aussage des Autors – zusammengesetzt aus verschiedenen Textsorten: „Neben wissenschaftlichen Texten, in denen die Auseinandersetzung mit den Argumentationen der Erwachsenenbildungswissenschaft im Vordergrund steht (…) finden sich auch tastende Texte, in denen Perspektiven und Lesarten des systemischen Denkens aufgegriffen und im Hinblick auf eine erweiterte Sicht auf das Erwachsenwerden, das Erwachsensein und die Erwachsenenbildung angewandt werden.„(X)

Aufbau

Die ersten beiden Kapitel sind im Wesentlichen eine Zusammenfassung dessen, was man von Arnold bereits anderen Orts gelesen hat: Voraussetzungen, Grundannahmen und Grundzüge des Konzepts einer systemisch-konstruktivistischen Erwachsenenbildung. Ab Kapitel 3 erfährt auch der erfahrene Leser einiges Neues. Arnold öffnet seine Perspektive und beschäftigt sich mit der Dekonstruktion, mit der Kompetenzorientierung, setzt sich mit seinen Kritikern auseinander, stellt seinen eigenen Ansatz in Frage und schließt – das allerdings nicht neu – mit einem Ausflug in Beratung und Therapie.

Inhalt

Im ersten Kapitel beschreibt Arnold die professionelle Rolle der Lernbegleitung in der Erwachsenenbildung, die sowohl wissenschaftliche Analyse wie bildungspolitische Entschlossenheit und professionelles Handeln umfasse. Erwachsenenbildung wird definiert als „das Lernen der Menschen im Stadium ihrer fortgeschrittenen Biografie“ (13), die in der Gegenwart gekennzeichnet sei durch „eine Aufweichung und Infragestellung überlieferter Vorstellungen nicht nur vom Erwachsensein, sondern auch von den ökonomischen und kulturellen Konzepten eines gelingenden Lebenslaufs“ (15). Neben den bekannten konstruktivistisch-systemtheoretischen Prinzipien bezieht sich Arnold hier auch auf gouvernementalitätstheoretische Überlegungen im Anschluss an Michel Foucault.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit neueren erwachsenendidaktischen Modellen: der bekannten Kritik traditioneller didaktischer Konzepte sowie kontrastierend dazu den konstruktivistischen Konzepten – hier mit ausdrücklichen Bezug auf den „Lernbegriff von Ernst von Glasersfeld“ (42) – und einer Explikation des Konzepts des selbstgesteuerten Lernens.

Das dritte Kapitel ist betitelt: „„Es ist alles nur ein Gedanke – und was für einer!“ Die Kraft der inneren Bilder von Bildung und Erziehung sowie Lernen und Entwicklung“ (59) und bezieht sich neben den systemisch-konstruktivistischen auch auf sprachtheoretische Überlegungen: „Systemische Pädagogik tritt bei einem solchen dekonstruktivistischen Zugang zunächst als eine Beschäftigung mit semantischen Systemen auf, denn es sind Begriffe, mit denen wir unsere Welt unterscheiden und die Systeme letztlich im denkerischen „Außen“ konstruieren, denen sich unser Denken dann zuwendet.“ (60) Der „ethische Umgang“ wird beschreiben als Schritt in „intransitives Denken“ (65): „Es beobachtet und beschreibt Wirkungen, keine kausal-linearen Interventionen.“ (65) In einer Auseinandersetzung mit Kritikern (z.B. Faulstich) kommt er zu dem Ergebnis: „Nicht der Konstruktivismus ist radikal (= an die Wurzel gehend), sondern die Erschütterungen, die er im didaktischen Weltbild des latenten Realismus (gemeint sind die Kritiker, J.S.) auslöst.“ (74)

Im vierten Kapitel beschreibt und diskutiert der Autor „Methoden einer lebendigen und nachhaltigen Erwachsenenbildung“ und unterstreicht seine konstruktivistische Position: „Durch die stärkere Hinwendung auf die Methoden und Medien treten Lernen und Kompetenzentwicklung als ein ganzheitliches Erleben in den Blick. An die Stelle einer linear-monistischen Sicht (‚Inhalte stiften Kompetenzen!‘) tritt eine Sicht auf die Dynamiken und Interdependenzen der Kompetenzreifung, die stets mehr ist als eine inhaltsabhängige Verarbeitungsleistung des Lernenden.“ (80) Schließlich fordert er daran anschließend und unter Berücksichtigung von Veränderungen der sozialen und kulturellen Kontexte einen grundlegenden Wandel der Lernkulturen der Erwachsenenbildung unter dem Paradigma der Selbststeuerung.

Im fünften Kapitel findet sich eine intensive kritische Auseinandersetzung mit den erwachsenenpädagogischen Ansätzen von Faulstich, Alheit, Nuissl, Schäffter und Gieseke und deren Kritiken an Arnolds Ansatz - zusammengefasst unter der Überschrift: „Erwachsenenbildung jenseits der Bilderwelten eines latenten Realismus“ (97).

Das sechste Kapitel enthält „eher überraschende und auch persönliche sowie essayistische, insgesamt aber noch unsystematische Anmerkungen zum Erwachsensein und zur Erwachsenenbildung aus systemischer Sicht.“(119) Themen sind: spürendes Denken, Gelassenheit, Bewusstwerden und Bewusstsein, die Unterscheidung von Persönlichkeits-, Werte- und Veränderungslernen sowie abschließend eine Auseinandersetzung mit der wissenstheoretischen Konzeption von Wolfgang Neuser.

Im siebten und letzten Kapitel bezieht sich Arnold auf die Systemische Therapie und Beratung und entwickelt Bezüge zur Erwachsenenbildung, ausgehend von der These: „Die erwachsenenpädagogische Diskussion der letzten 30 Jahre kann sich durchaus kritisch vorwerfen lassen, dass sie ihre Vorstellungen von einer „gelingenden Bildung“ in zu grundsätzlicher Weise von den Konzepten einer „seelischen Reifung“ und „seelischer Gesundheit“ abgekoppelt hat.“ (159) Die dadurch entstandene Lücke versucht Arnold zu füllen durch die „Hinwendung zum inneren Erwachsenen“ (161ff), durch die Berücksichtigung von Prozessen der “ Identitätseinspurung und der Identitätsreifung“ (166ff) und Fragen der Beziehungsgestaltung, der Generativität und anderer Themenkomplexe der Psychologie. Den Abschluss des Kapitels und damit des Buchs bildet ein Versuch zu einer „erziehungswissenschaftlichen Begründung der Systemischen Erwachsenenbildung“ (190ff) jenseits von Protest.

Diskussion

Der durchaus umstrittene und kontrovers diskutierte, von manchen gar bereits tot gesagte Ansatz einer systemisch-konstruktivistischen Pädagogik wird in seinen Grundlagen vorgestellt und in für den Autor typischer Weise ergänzt durch sprachtheoretisch-dekonstruktivistische und therapeutische Überlegungen. Arnold scheut sich nicht Theoriestücke zusammen zu bringen, die von ihrer Herkunft her nicht kompatibel zu sein scheinen, es wohl auch nicht sind, in der Arnold´schen Rezeption und Aneignung aber dann doch irgendwie zu passen scheinen. Das kann man zu Recht als ekklektizistisches Vorgehen kritisieren, es ist aber auch ein ernst zu nehmender Versuch, die Lücken des systemisch-konstruktivistischen Ansatzes zufüllen und den Bruch mit der pädagogischen Tradition nicht zu hart werden zu lassen. Das wird auch durch die explizit gemachten Bezüge auf den Deutungsmusteransatz und die von der Hermeneutik beeinflusste Tradition der Erwachsenenbildung unterstrichen. Zwar ‚bekennt‘ sich Arnold zum Konstruktivismus, aber er verlässt damit den von der pädagogischen Tradition vorgegebenen Rahmen nicht. Neu ist in diesem Buch eine möglicherweise durch die Erfahrung des Alterns veranlasste Reflexion, die auch die eigene Position kritisch befragt.

Fazit

Für Leser, die mit den Publikationen von Rolf Arnold vertraut sind, bietet das Buch vermutlich nur wenig Neues, dieses Wenige ist aber durchaus interessant und macht das Buch lesenswert. Für diejenigen Leser, die mit dem Ansatz nicht vertraut sind, bietet das Buch einen guten Einstieg in den pädagogischen Konstruktivismus im Allgemeinen und bezogen auf die Erwachsenenbildung im Besonderen. Es bietet ebenfalls eine gute Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Ansatz.

Rezension von
Prof. Dr. Jochen Schmerfeld
Professor für Pädagogik an der Katholischen Hochschule Freiburg

Es gibt 21 Rezensionen von Jochen Schmerfeld.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245