Christoph Steinebach, Kiaras Gharabaghi (Hrsg.): Resilienzförderung im Jugendalter. Praxis und Perspektiven
Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 12.05.2014
Christoph Steinebach, Kiaras Gharabaghi (Hrsg.): Resilienzförderung im Jugendalter. Praxis und Perspektiven. Springer (Berlin) 2013. 200 Seiten. ISBN 978-3-642-33047-6. D: 34,99 EUR, A: 35,97 EUR, CH: 44,00 sFr.
Thema
Resilienzförderung zielt auf die Stärkung der Widerstandskraft. Jugendliche stehen vor spezifischen Entwicklungsaufgaben und Risiken, deren Bewältigung von individuellen Stärken und Kompetenzen, inneren und äußeren Schutzfaktoren abhängt. Für Fachkräfte in pädagogischen, sozialen und gesundheitsbezogenen Arbeitsfeldern besteht hier eine große Chance nachhaltiger Förderung und Unterstützung. Der Herausgeberband vermittelt die theoretischen Grundlagen der Resilienzförderung und zeigt, ausgehend von verschiedenen Lebenslagen, Umweltbezügen und Anlässen spezielle Wege der psychologischen und pädagogischen Praxis auf. Die Herausgeber und AutorInnen plädieren damit bewusst für eine Abkehr von risikozentrierten Handlungsansätzen, hin zu einer an Ressourcen und Stärken orientierten Arbeit.
Herausgeber, Autorinnen und Autoren
Christoph Steinebach lehrt und forscht als Diplompsychologe und Psychologischer Psychotherapeut an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er ist Direktor des Departements für Angewandte Psychologie und des Instituts für Angewandte Psychologie.
Kiaras Gharabaghi arbeitet als Associate Professor an der School of Child and Youth Care der Ryerson University in Toronto, Kanada.
Für die Einzelbeiträge wurden international renommierte WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, Australien, Belgien, China und Kanada gewonnen, die das gesamte Themenfeld der Resilienzförderung in Theorie und Praxis seit Jahren mitgestalten.
Aufbau
Der inhaltlich nicht weiter gegliederte Band bietet Zweierlei:
- vier Kapitel mit eher theoretischen Bezügen der Resilienzförderung und
- acht Kapitel mit deutlicher Praxisorientierung, jeweils auf konkrete Setting- oder Anlassaspekte bezogen.
Das Werk wird durch ein Stichwortverzeichnis ergänzt.
Resilienz – Stärken und Ressourcen im Jugendalter
Im ersten Beitrag zu den Grundlagen der Resilienz im Jugendalter beschreiben Michael Ungar, Dorothy Bottrell, Guo-Xiu Tian und Xiyin Wang Stärken und Ressourcen im Jugendalter. Die AutorInnen definieren zentrale Begriffe, u. a. Widerstandsfähigkeit (als positive Entwicklung, Fähigkeit zu wachsen und sich trotz Widrigkeiten positiv zu entwickeln) und Resilienz (als das erfolgreiche Navigieren eines Kindes/Jugendlichen zu den Ressourcen, die es/er benötigt und das Aushandeln des Zugangs zu kulturell bedeutsamen Ressourcen). Resilienz gründet in einer Person-Umwelt-Interaktion, die von einer grundlegend positiven Entwicklung und einer hohen Passung zwischen individuellen Bedürfnissen und den zugänglichen Ressourcen gekennzeichnet ist. Die AutorInnen definieren im Weiteren Prinzipien der Resilienzentwicklung, welche z. T. auf Grundlage eigener Forschungsprojekte (u. a. die Elf-Länder-Studie zur Resilienz; Ungar et al. 2007) entwickelt werden. Als förderlich für die Resilienzentwicklung wird ausgeführt: „Resilienz von Kindern (entsteht) am ehesten dann … wenn die Umgebung auf die Bedürfnisse der Kinder eingeht, die Entfaltung von bereits vorhandenen Kompetenzen auslöst oder aber Gelegenheiten bietet, neue Kompetenzen zu entwickeln“ (6). Als weitere wesentliche Einflussgrößen bei der Resilienzentwicklung werden Ausmaß und Struktur von Risiken und der kulturelle Kontext definiert. Die theoretischen Ausführungen werden in einem weiteren Abschnitt anhand von Fallbeispielen ausgeführt und durch Überlegungen zu einer Resilienz fördernden Praxis ergänzt. Im Mittelpunkt dieser Praxishinweise steht ein stark ökologisches Verständnis von Resilienz, das in erster Linie auf die Qualität der Umgebung fokussiert, also auf die Gestaltung der externen Bedingungen und Merkmale, die ein Kind/einen Jugendlichen nachhaltig fördern können und dessen Potentiale entfalten helfen.
Kiaras Gharabaghi beschäftigt sich im zweiten Kapitel mit der Analyse der professionellen Erziehung im Jugendalter, insbesondere mit der Arbeit der Jugendhilfe. Als zentral Resilienz fördernde Merkmale werden der Lebensweltbezug und die Bedeutung von Bindung und Beziehung in der Jugendhilfe herausgearbeitet. Diese und weitere Aspekte wie z. B. das Erfahrungslernen (neben Fachwissen), Berücksichtigung der Selbstdeutungsmuster der Jugendlichen, eine bewusst zugelassene und kontrollierte Risikobereitschaft, v. a. aber auch das Verständnis für unterschiedlich lange andauernde Reifungsprozesse (hier als „Geduld“ umschrieben) werden zu einer Konzeption von Erziehungs- und Jugendhilfe zusammen gefügt. Auch die Ausführungen dieses Kapitels werden durch Fallbeispiele veranschaulicht.
Diagnostik: Stärken sehen lernen
Resilienzförderung beginnt mit der Wahrnehmung von Stärken und Ressourcen. Franz Petermann und Annette Lohbeck führen im dritten Kapitel in die diagnostischen Grundlagen der Ressourcendiagnostik ein. Der Abschnitt bietet einen eigenen Ansatz zur Ressourcendefinition („aktuell verfügbare, also nicht anderweitig gebundene, nicht mehr oder noch nicht verfügbare Potenziale, die die Entwicklung unterstützten“ [34]), deren Klassifikation und Operationalisierung in diagnostische Einheiten und einen Überblick zu diagnostischen Verfahren zur Erfassung von Ressourcen. Die Überlegungen zur Ressourcendiagnostik werden abschließend als Konzept zu einem ressourcendiagnostischen Prozess (mit den drei Phasen „Ressourcenscreening“, „Differenzierte Ressourcenanalyse“ und „Ressourcenbezogene Verlaufsdiagnostik“) verdichtet, das als zweite Säule (Petermann und Lohbeck sprechen zurückhaltend von „Ergänzung“) neben der Störungsdiagnostik verstanden wird.
Christoph Steinebach geht im vierten Kapitel auf unterschiedliche Methoden der Beratung als Stärkeorientierte Möglichkeit für Problemlösung und Entwicklung ein. Der Abschnitt bietet eine grundsätzliche Einführung in die methodischen Grundlagen der Beratung, einen Überblick zu gängigen Beratungstheorien, beinhaltet methodische Bausteine einer Stärke- und Bedürfnisorientierten auf Ressourcenaktivierung zielenden Beratungsstrategie und in tabellarischer Übersicht eine Auflistung relevanter internaler und externaler Ressourcen(ebenen).
Familie und Resilienz – Marcel Schär und Andrea Studer zeigen in diesem Beitrag, wie Familien mit besonderen Belastungen und den typischen Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen umgehen können, welche Bedeutung die Resilienz von Familien dabei ausmacht. Die AutorInnen geben einen knappen Überblick zum Einfluss der Familie auf die Resilienz von Jugendlichen, gehen auf familiäre Risiko- und Stressfaktoren ein um dann ausführlich familiäre Schutzfaktoren zu benennen, deren Stärkung in der Praxis als „Gelungene Balance zwischen Nähe und Distanz“ (76) beschrieben wird. Die Überlegungen zur praktischen Arbeit mit Familien werden abschließend in einem Fallbeispiel expliziert.
Auf das Umfeld Schule als Schutzfaktor und Übungsraum bezieht sich im Folgekapitel Marianne Kant-Schaps. Die Autorin beschreibt den Lebensraum Schule vor dem Hintergrund europäischer Bildungs-, Gesundheits- und Rechtspolitik und benennt, mit Bezugnahme auf Programmevaluationen zur Förderung psychischer und körperlicher Gesundheit, Ansätze zur Resilienzförderung im schulischen Umfeld.
Die Bedeutung der Gleichaltrigengruppen als Ressource und Rahmen für die Resilienzförderung beschreiben Christoph und Ursula Steinebach. Der Beitrag führt in die Bedeutung von gleichaltrigen Peergroups in der Lebenswelt von Jugendlichen, für deren soziale und Persönlichkeitsentwicklung und die Resilienzentwicklung ein. Als ein konkretes Beispiel für die Resilienzförderung mit Peers wird das Gruppenangebot „Positive Peer Culture (PPC)“ vorgestellt, das auf die Förderung und Entwicklung basaler Prozesse (Wahrnehmung, Verarbeitung, Interaktion, Motivation, Handlungskompetenzen, Unterstützung) zielt und auf die Gruppe als soziale Ressource fokussiert.
Mit den Auswirkungen des Aufwachsens unter widrigen Bedingungen befassen sich Wassilis Kassis und Sibylle Artz. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen sind empirische Studien zur Auswirkung familiärer Gewalt auf die Resilienzentwicklung von Kindern. Der Beitrag gibt einen Überblick zur Forschungslage und referiert die Ergebnisse einer von den AutorInnen selbst durchgeführten Studie zur Identifizierung personaler und sozialer Faktoren zur Gewaltresilienz. Die Studie stützt sich auf Selbsteinschätzungen von Jugendlichen die bereits 2009 befragt wurden und benennt, dass Jugendliche die durch familiäre Gewalt negativ beeinflusst worden sind über die Berücksichtigung und Förderung protektiver Faktoren gefördert und in Richtung eines höheren Resilienzniveaus beeinflusst werden können. Kassis und Artz gewähren einen ausführlichen Einblick in Ihr Forschungsprojekt, stellen die Ergebnisse anhand ausführlicher Tabellen vor und gehen auch auf Analysestrategien bei der Datenauswertung ein.
Mit den Besonderheiten soziokultureller, ethischer und religiöser Merkmale beschäftigt sich Kiaras Gharabaghi. Er betont, dass das Jugendalter generell dadurch gekennzeichnet sei, dass das Besondere (v. a. innerhalb der Peers) als Norm gelte. Anhand von vier Fallbeispielen leitet er Leitlinien für einen Resilienz fördernden Umgang mit Jugendlichem im Kontext von Jugendhilfemaßnahmen ab. Dabei betont er, dass die „Resilienz von Jugendlichen … dann gefördert (wird), wenn Jugendliche Umwelten erfahren, die es ihnen erlauben, ihre Unterschiede in die Entwicklung ihres Selbstvertrauens und ihrer Selbstachtung zu integrieren“ (142).
Mit dem Übergang vom Schul- in das Berufsleben beschäftigen sich Ulrike Petermann und Jan Schultheiß. Sie zeigen auf, wie die Auseinandersetzung mit der Berufswahl für eine nachhaltige Entwicklungsförderung genutzt werden kann. Die AutorInnen beschreiben verschiedene verhaltenstherapeutisch fundierte Programme für die Arbeit mit Jugendlichen im Übergang in das Berufsleben (u. a. Berliner Präventionsprogramm für Haupt- und Gesamtschüler, „Fit for Life“, oder das „JobFit-Training“) und betonen (vor dem Hintergrund eigener Praxiserfahrungen), dass v. a. eine klare Trainingsstruktur und anwendungsbezogene, realitätsnahe Übungsthemen den Jugendlichen helfen können, eigenständige Ziele zu formulieren und zu verfolgen.
Im folgenden Beitrag öffnet Klaus Fröhlich-Gildhoff den Blick auf Ressourcen in der weiteren Lebenswelt von Jugendlichen und benennt die Gemeinde und das Wohnquartier als Risiko- und Schutzfaktor. Er beschreibt zunächst die Bedeutung der Gemeinde als Einflussfaktor für Entwicklung und (psychische) Gesundheit, um dann Grundprinzipien der Resilienzförderung in der Gemeinde zu benennen (u. a. Verfügbarkeit unterstützender sozialer Organisationen, konsistente, Orientierung gebende soziale Normen, wertschätzende Teilhabemöglichkeiten und Nachbarschaft). Der Beitrag schließt mit der Darstellung von Good-practice-Beispielen die verdeutlichen, wie in Gemeinden Resilienzförderung erfolgen kann.
Im letzten Kapitel gehen Christoph Steinebach, Kiaras Gharabaghi und Ursula Steinebach auf die Bedeutung professioneller Teams als Modell und Ressource für die positive Entwicklung Einzelner ein. Das Konzept der Teamresilienz verweist auf die Bedeutung von Teams zur Bewältigung von Herausforderungen, vor denen Gruppen stehen. Teamresilienz bildet den Rahmen für die Widerstandsfähigkeit der einzelnen Teammitglieder und kann die Basis für die Leistungsfähigkeit von ganzen Organisationen sein. Die AutorInnen benennen Bedingungen für Resilienz in Gruppen, gehen auf Angebote zur Förderung der Teamresilienz ein und fokussieren schließlich auf Aspekte einer Unterstützungskultur in Gruppen. Als positiven Ausblick formulieren sie dass „die Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung … zu einem Symbol für Resilienz (werden kann), das zugleich für … Autonomie und Zugehörigkeit“ (196) stehen kann.
Zielgruppe
Das Buch wurde für PsychologInnen, PädagogInnen, SozialarbeiterInnen, Kinder- und JugendlichenpsychotherapeutInnen, LehrerInnen, ErzieherInnen und in der Beratung Tätige geschrieben und eignet sich auch für Ausbildungszwecke in diesen Berufen.
Diskussion
Die Herausgeber und AutorInnen verfolgen mit diesem Buch zwei große Ziele: 1. Die Abkehr von der Risikozentrierung in der Kinder- und Jugendhilfe, hin zu einer an Ressourcen- und Stärkenfördernden professionellen Erziehung und 2. Die Gestaltung eines Lehr- und Arbeitsbuches mit hoher Relevanz für die tägliche Praxis. Das erste Ziel wird durch Rückgriff auf die aktuellen Befunde zur Resilienzforschung und vielfältige Hinweise zu konkreten Praxisprojekten, die hier überzeugend und klug zusammengestellt präsentiert werden voll erfüllt. Das zweite Ziel wird durch eine äußerst leserfreundliche, didaktisch hervorragende Gestaltung des Werkes erreicht. Das stark an Praxisfragen orientierte Buch liest sich mit großem Gewinn. Das liegt u. a. an dem augenscheinlich erheblichen Aufwand bei der Erstellung und Lektorierung des Werkes. Die Sprache der Einzelbeiträge, die z. T. ins Deutsche übersetzt wurden ist einheitlich, leicht verständlich und dabei ausreichend differenziert, um komplexe Inhalte vermitteln zu können. Wesentliche Inhalte werden in optisch hervorgehobenen Infokästen zusammengefasst. Die AutorInnen der Einzelbeiträge haben durchgehend gut nachvollziehbare Fallbeispiele in den Text integriert, so dass der Transfer der theoretischen Inhalte in Praxisbezüge mühelos gelingt. Die weiterführenden Literaturhinweise ermöglichen die Vertiefung einzelner Inhalte.
Fazit
Das Buch bietet eine umfassende Darstellung des Status Quo der Resilienzförderung bezogen auf unterschiedliche Situationen, Anlässe und Arbeitsfelder. Äußerst präzise, dabei knapp und verständlich gelingt der Anspruch ein Fachbuch anzubieten, das den Spagat zwischen Grundlagen und Praxis bewältigt. Den LeserInnen vermitteln die Einzelbeiträge eine gute Orientierung zum jeweiligen Thema, wodurch wichtige Impulse für die eigene Praxisgestaltung gegeben werden. Ein praxisbezogenes Grundlagenwerk für Ausbildung und Praxis. Hinsichtlich Sprache, Stil, Gestaltung, Theorie-Praxis-Relevanz: so müssen Fachbücher für die Praxis geschrieben sein.
Literatur
- Ungar, M.; Bronwn, M.; Liebenberg, L.; Othman, R.; Kwong, W.M.; Armstrong, M. & Gilgun, J. (2007). Unique pathways to resilience across cultures. Adolescence, 42 (166), 287-310
Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 177 Rezensionen von Gernot Hahn.
Zitiervorschlag
Gernot Hahn. Rezension vom 12.05.2014 zu:
Christoph Steinebach, Kiaras Gharabaghi (Hrsg.): Resilienzförderung im Jugendalter. Praxis und Perspektiven. Springer
(Berlin) 2013.
ISBN 978-3-642-33047-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15872.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
Urheberrecht
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