Björn Maurer (Hrsg.): Medienbildung in einer sich wandelnden Gesellschaft
Rezensiert von Stefan Kühne, 23.01.2015
Björn Maurer (Hrsg.): Medienbildung in einer sich wandelnden Gesellschaft. [Festschrift für Horst Niesyto]. kopaed verlagsgmbh (München) 2013. 306 Seiten. ISBN 978-3-86736-215-3. D: 19,80 EUR, A: 20,40 EUR, CH: 28,50 sFr.
Entstehungshintergrund
Die Publikation „Medienbildung in einer sich wandelnden Gesellschaft“ ist eine Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Horst Niesyto. Die Beiträge stammen dabei von Personen aus dem wissenschaftlichen Umfeld von Horst Niesyto, darunter langjährige Weggefährten sowie zahlreiche Doktoranden und Doktorandinnen.
Aufbau
Die Festschrift enthält neben einem Geleit- und Vorwort insgesamt 16 Beiträge. Eine Untergliederung der Beiträge in einzelne Kapitel wurde nicht vorgenommen, was den Charakter einer Anthologie unterstreicht. Die Beiträge bieten teilweise
- einen historischen Überblick zu Aspekten der Medienbildung (z.B. Wolfgang Antritter, Marc Laporte, Hans-Dieter Kübler)
- und in einigen Fällen sehr gezielte Einblicke in einzelne Forschungsprojekte (z.B. Renate Müller, Stefanie Rhein, Alexander Borst, Cornelia Rémon, Michael Waltinger).
- Andere Beiträge greifen kurz und prägnant aktuelle Themen der Medienbildung auf (z.B. Lothar Böhnisch, Verena Ketter, Bernd Schorb, Helga Theunert).
Ausgewählte Inhalte
Im Folgenden werden aus der Fülle der Beiträge exemplarisch fünf Themen vorgestellt.
Wolfgang Antritter und Marc Laporte werfen im ersten Beitrag „Von der Kreide zum (i-Pad)“ einen Blick auf 60 Jahre Medien in der Schule. Sie zeichnen dabei die Entwicklung von dem Einzug von Foto- und Tonbandapparaten bis hin zu den technischen Möglichkeiten des Computerzeitalters nach. Mit dem Fokus auf Baden-Württemberg belegen sie den Einsatz verschiedener Medien im Schulalltag und die damit verbundenen Hürden, wie z.B. den nur vorübergehenden Siegeszug der „Sprachlabore“, die nach wenigen Jahren schon wieder von der Bildfläche verschwunden waren. Schließlich rücken Antritter und Laporte die Akteure einer Medienbildung an Schulen in den Vordergrund, ohne die jede auch noch so gute technische Ausstattung Makulatur bleibt: die Lehrerinnen und Lehrer. „Das entscheidende Moment für gelungenen Medieneinsatz stellt also der Lehrende dar, der nicht nur technikaffin sein sollte, sondern auch mediendidaktisch sinnvoll handeln muss. Genau daran scheint es aber zu scheitern“ (S. 28). Sie schließen ihren Beitrag daher mit dem Hinweis, dass es für den Erfolg einer Medienbildung an Schulen grundlegend ist, Lehrende bereits in der Ausbildung durch gezielte Angebote in der eigenen Medienkompetenz zu fördern, um in Folge mediendidaktisches Handeln im Unterricht zu ermöglichen. (Einen weiteren historischen Abriss bietet Hans-Dieter Kübler mit seinem Text zu Stationen der Medienpädagogik bzw. Medienkompetenzförderung in Hamburg, S. 115ff.).
Peter Holzwarth untersucht in seinem Aufsatz das Thema „Migration im Film“. Er geht dabei den Fragen nach, wie Menschen mit Migrationshintergrund in Filmen dargestellt werden und welche Bilder dadurch vermittelt werden und wie Filme, die Migration zum Thema machen, in pädagogischen Kontexten eingesetzt werden können. Holzwarth beschreibt dazu verschiedene Faktoren, die einen Rezeptionsprozess rahmen, wie z.B. den soziokulturellen Rahmen und räumliche/zeitliche/soziale Dimensionen. Er definiert dann die Begriffe „Migration“ und „Migranten“ und Formen von Migration, um im Folgenden darzulegen, welche Typen von Migranten sich bei Darstellungen in Filmen herausarbeiten lassen. Zu diesen Mustern gehören z.B. Migranten als „Opfer zwischen den Stühlen“, „Opfer von Fremdenfeindlichkeit“, „fundamentalistische Gläubige“, „Machos“ bis hin zu Darstellungen als „(inkompetente) Kriminelle“ und „verständnisvolle Männer“ (S. 69-75). Es kann gefragt werden, welche Rolle diese Darstellungen für die Konstruktionen von Stereotypen und Vorurteilen haben und was jeweils im Film beabsichtigt wurde. Der Beitrag beschreibt am Ende dann die Möglichkeiten, Migrationsfilme in pädagogischen Kontexten einzusetzen und zwar sowohl um über „Bilder vom Fremden“ zu diskutieren, wie auch über filmspezifische Themen (z.B. Filmsprache, Wirklichkeitskonstruktion, Repräsentation und narrative Muster) (S. 81). Zu diesem Beitrag passt als Ergänzung gut der Aufsatz von Michael Waltinger „Afrika(ner)bilder in westlichen Medien“ im hinteren Teil des Buches (S. 279ff.).
„Symbolischer Selbstausdruck mit Medien als Thema der Musikpädagogik“, so lautet der Titel des kurzen Beitrags von Peter Imort. In diesen eher theoretisch angelegten Überlegungen beschreibt Imort die Möglichkeiten, welche durch den medienpädagogischen Ansatz „Selbstausdruck mit Medien“ für die Musikpädagogik eröffnet werden. „Dazu gehören Lernarrangements, die alltägliche, außerschulisch erworbene musikalische Kenntnisse und Fertigkeiten von Kindern und Jugendlichen im Umgang mit Musik und Medien berücksichtigen und für den Unterricht fruchtbar machen“ (S. 96). Dazu zählen z.B. auch Musikvideos, musikalische Werbelogos oder App-Musik. Er schließt mit der Forderung, dass es in den Curricula musikpädagogischer Studiengänge eine „Grundbildung Medien“ geben sollte, die interdisziplinär mit den Erkenntnissen medienpädagogischer Initiativen verzahnt werden müsse. Auch zu diesem Beitrag gibt es einen inhaltlich korrespondierenden Artikel von Verena Ketter, die „Eigenproduktionen im Web 2.0 als Gegenstand medienpädagogischer Praxisforschung“ beschreibt (S. 101ff.).
Einen der umfangreicheren Beiträge des Buchs haben Björn Maurer und Jan-René Schluchter zum Thema „Filmbildung und Inklusion“ beigesteuert. Sie beginnen ihren klar strukturierten Beitrag mit einer Annährung an den „Inklusionsbegriff“ und untersuchen diesen Begriff daraufhin unter den Blickwinkeln „Inklusion und Medienbildung“ sowie „Inklusion und Filmbildung“. Sie zeigen dabei auf, dass der Begriff der „Inklusion“ in der Medienbildung traditionell aus dem Arbeitsfeld der Sonderpädagogik entlehnt wurde. „Gleichermaßen wird in diesem Zusammenhang deutlich, dass eine begriffstheoretische Standortbestimmung in Bezug auf den Medienbegriff, den Inklusionsbegriff sowie in Bezug auf das Verhältnis von Medien und Bildung im Diskurs um das Verhältnis von Medienpädagogik und Inklusion noch aussteht“ (S. 151). Für diese Standortbestimmung liefert der Artikel zahlreiche kommentierte Beispiele, sowohl von Materialien wie auch von konkreten Projekten inklusiver Filmbildung. Die Autoren schließen mit einer Perspektive, wie Methoden aktiver und rezeptiver Filmbildung mit dem Ziel inklusiver Filmbildung umgesetzt werden können.
Einen weiteren grundlegenden Aspekt von Medienbildung beleuchten schließlich Bernd Schorb und Helga Theunert durch ihre kurze Reflexion zu und den Ausblick auf „Medienpädagogik und Politik“. Sie beschreiben, wie sich Medienpädagogik zwischen den beiden Polen der „Bewahrpädagogik“ und der „technologischen Medienpädagogik“ entwickelt hat. Während die Bewahrpädagogik die Nähe zum Kulturpessimismus nicht leugnen kann, wurde eine technologische Medienbildung immer dann gefördert, wenn ihr eine besondere gesellschaftliche Funktion zugewiesen wurde (wie z.B. die Bewältigung einer „Bildungskatastrophe“ oder die Förderung des ökonomischen Aufbaus bei wirtschaftlichen Krisen) (S. 248f.). „Die Ahnung, dass der Mensch auch mit den medialen Netzwerken wieder eine Technik geschaffen hat, die er letztlich nicht beherrschen kann, hat über das Festhalten am „Bewährten“ hinaus zu zwei ambivalenten Handlungsperspektiven geführt, die die Namen Deregulierung und Medienkompetenz tragen“ (S. 252). Diese beiden Handlungsperspektiven werden dann von Schorb und Theunert im Folgenden beschrieben, wobei der Hauptfokus auf der Definition der „Medienpädagogik“ liegt. Als abschließende Forderung zu den Aufgaben der Medienpädagogik unterstreichen sie die Notwendigkeit der Initiative „Keine Bildung ohne Medien!“, womit neben der Vermittlung von medienpolitischer Kompetenz auch die Kompetenz einhergeht, Forderungen im politischen Raum artikulieren zu können.
Diskussion
In dieser Anthologie sind viele und sehr verschiedene Beiträge versammelt. Ihnen gemeinsam ist der Bezug zum Thema des Buchs „Medienbildung in einer sich wandelnden Gesellschaft“. Die Beiträge unterscheiden sich in der Länge wie auch im Aufbau teilweise sehr voneinander. Inhaltlich bieten einige Grundlagen und Überblick, andere konkrete Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Medienpädagogik. Während manche Beiträge dabei doch sehr im Theoretischen verhaftet bleiben, bieten andere Beiträge konkrete Anregungen für die eigene medienpädagogische Praxis. Insbesondere der Beitrag von Peter Holzwarth liest sich in der aktuellen Debatte um Zuwanderung und Migration wie eine aktuelle Folie, mit der man sich seine eigenen medialen Realitätskonstruktionen bezogen auf das „Fremde“ deutlich machen kann. Besonders gelungen wirken im Band diejenigen Beiträge, die sowohl theoretische wie auch praktische Überlegungen bündeln, wie dies z.B. bei Maurer und Schluchter zu beobachten ist.
Schließlich zeigen die einzelnen Beiträge in ihrer Summe, dass Medienbildung in allen Aspekten des täglichen Lebens eine Rolle spielt. Sie stützen somit eindringlich die Forderung, für die Horst Niesyto, gemeinsam mit vielen Anderen, seit Jahren eintritt: „Keine Bildung ohne Medien!“
Fazit
Die Festschrift für Horst Niesyto ist eine umfangreiche Anthologie zu vielfältigen Aspekten der „Medienbildung in einer sich wandelnden Gesellschaft“. Auch wenn es aufgrund einer fehlenden Gliederung in Kapitel zu Beginn nicht leicht ist, sich im Buch zu orientieren, so können die einzelnen Beiträge doch mit Gewinn gelesen werden. Jeder Beitrag ist dabei in sich stimmig und bietet entweder einen (mitunter breiten) Überblick zu Themen der Medienbildung oder bietet konkrete Einblicke in Forschungsarbeiten und deren Ergebnisse. Ein beeindruckender Beleg dafür, in welcher Breite und Tiefe die wissenschaftliche Arbeit von Horst Niesyto Wirkung erzielt hat. Experten der Medienbildung können dieses Buch als aktuelle Momentaufnahme zu Rate ziehen, Anfänger in diesem Arbeitsfeld werden viele anregende Aspekte finden, bei denen eine weitere Vertiefung lohnt.
Nicht immer gelingt es bei dem Format einer „Festschrift“, dass neben der fachlichen Würdigung der Lebensleistung einer Person auch ein lesenswertes Fachbuch entsteht. In diesem Fall ist der Spagat gelungen.
Rezension von
Stefan Kühne
MSc., Lehrbeauftragter für Digitale Soziale Arbeit und Onlineberatung, Herausgeber www.e-beratungsjournal.net
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Es gibt 3 Rezensionen von Stefan Kühne.
Zitiervorschlag
Stefan Kühne. Rezension vom 23.01.2015 zu:
Björn Maurer (Hrsg.): Medienbildung in einer sich wandelnden Gesellschaft. [Festschrift für Horst Niesyto]. kopaed verlagsgmbh
(München) 2013.
ISBN 978-3-86736-215-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15882.php, Datum des Zugriffs 03.11.2024.
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