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Dietrich Oberwittler, Susann Rabold et al. (Hrsg.): Städtische Armutsquartiere - kriminelle Lebenswelten?

Rezensiert von Dr. Rainer Neef, 13.03.2014

Cover Dietrich Oberwittler, Susann Rabold et al. (Hrsg.): Städtische Armutsquartiere - kriminelle Lebenswelten? ISBN 978-3-531-16976-7

Dietrich Oberwittler, Susann Rabold, Dirk Baier (Hrsg.): Städtische Armutsquartiere - kriminelle Lebenswelten? Studien zu sozialräumlichen Kontexteffekten auf Jugendkriminalität und Kriminalitätswahrnehmungen. Springer VS (Wiesbaden) 2013. 312 Seiten. ISBN 978-3-531-16976-7.

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Thema

Der Frage, ob die Lebensbedingungen städtischer Armutsquartiere Jugendkriminalität förderten, gehen die Sozial- und Kriminalwissenschaften schon lange nach; in den USA systematisch seit den 1920er Jahren mit Blick auf Armuts- und Migrantenviertel und auf Jugendbanden, in Europa und Deutschland seit den 1950er Jahren mit stärkerem Fokus auf (kriminelle oder aufrührerische) Jugendkulturen, seit den 1980er Jahren aber auch mit Blick auf einschlägige (Unterklassen-) Viertel. Auch das (Miss-) Verhältnis zwischen Kriminalitätsfurcht, baulicher und sozialer Verwahrlosung in Großstadtvierteln und tatsächlicher Kriminalität ist schon länger Forschungsthema, besonders, seit aus den USA die These importiert wurde, kleine Verwahrlosungsformen wie „broken windows“ und Pöbeleien auf der Straße seien der Beginn eines Zirkels nachlassender sozialer Kontrolle der Bewohner und wachsender Kriminalität. Aus der weiten Spanne zwischen teilnehmender Beobachtung und Analyse von Massendaten widmet sich das Buch letzterer, das Neue daran ist die in neun Beiträgen präsentierte Methode der Mehrebenenanalyse.

Entstehungshintergrund

Der Band ist aus einer Tagung auf dem Soziologiekongress 2008 hervorgegangen und wurde ergänzt durch weitere Beiträge, was eine Bestandaufnahme der Forschung zum Zusammenhang von städtischer Umwelt und kriminellem Verhalten ergeben sollte. Es ging hier ausschließlich um Datenanalysen, welche mehrere Ebenen verbanden: die Äußerungen und Verhaltensangaben von Jugendlichen, ihre sozialen Merkmale und z.T. die ihrer Eltern, Charakteristika von Jugendlichen-Peergroups, sowie einschlägige Daten zu und Phänomene in Stadtteilen, in Schulen, in gesamten Städten.

Herausgeber

Dietrich Oberwittler ist Privatdozent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht und am Institut für Soziologie in Freiburg; Susann Rabold (vh. Prätor) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kriminologischen Dienst im Bildungsinstitut des niedersächsischen Justizvollzuges in Celle; Dirk Baier ist Mitarbeiter und stellvertretender Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) in Hannover.

Aufbau

Zwei Überblickstexte leiten ein: Jürgen Friedrichs gibt ein Panorama sozialräumlicher Kontexteffekte von Armut; Dietrich Oberwittler vermittelt einen Forschungs-Überblick zu den sozialräumlichen Dimensionen von Wohnquartieren und Kriminalität.

Es folgt aus den USA von Julia Burdick-Well und Jens Ludwig eine Darstellung von „Neighborhood Effects on Crime“ nach neueren sozial-experimentellen Daten, und aus einem Antwerpener Jugend-Survey stellt Lieven Pauwels „Adolescent offending and disadvantage in urban neighborhoods and schools“ dar.

Anschließend widmet sich Susann Kunadt „Sozialräumlichen Determinanten der Jugendkriminalität“ in Duisburg im Verlauf von fünf Jahren; „Sozialräumlicher Kontext und Jugenddelinquenz“ in Hannover ist das Thema von Susann Rabold und Dirk Baier; Michael Windzio präsentiert Theorieansätze sowie Datenanalysen über die „Räumliche Diffusion expressiver Delinquenz“ (gemeint: Graffiti) „in Schulen und Stadtbezirken“ mehrerer deutscher Städte und Landkreise.

Joachim Häfele stellt mit Daten aus Hamburg „Urbane Disorder-Phänomene, Kriminalitätsfurcht und Risikoperzeption“ dar, Sascha Peter, Christina Schlepper und Christian Lüdemann analysieren aus demselben Datenbestand heraus die Frage einer „Selbstaufrüstung des Bürgers“.

Julia Simonson behandelt „Methodische Herausforderungen des Einbezugs sozialräumlicher Kontexteffekte in Mehrebenenanalysen“ anhand der Schülerbefragung 2006 des KFN, und Alexandra Nonnenmacher befasst sich mit der „Nachweisbarkeit von Kontexteffekten der sozialräumlichen Umgebung“ auf Basis von Befragungsdaten in Hamburg und München.

Inhalt

Aus umfassenden Literaturkenntnissen heraus gibt Friedrichs einen Überblick über die Forschung zu Armutsvierteln. Die prekären und entmutigenden Lebensverhältnisse von Armen verfestigen sich in Armuts-Wohngebieten durch Segregation, insbesondere durch Abwanderung Bessergestellter und Zuwanderung Armer, durch problematische Verhaltensweisen und durch schwierige Beziehungen unter den sehr heterogenen Bewohnergruppen. Gut der Hinweis, die Mehrheit von Armen-Haushalte lebe außerhalb von Armutsvierteln, ihre Situation und Beziehungen seien aber kaum untersucht. Als Haupt-Auslöser von Armut gilt zwar die anhaltende Arbeitslosigkeit im wirtschaftlichen Strukturwandel, aber Zusammenhänge und Ursachen sollen nicht als Kausalitäten, sondern als Wirkungsketten zwischen Individual-, Wohngebiets- und globaler (Struktur-) Ebene erfasst werden. – Einen Berg quantifizierender Untersuchungen zu Jugenddelinquenz hat Oberwittler durchforstet. Die Einsichten zu Familienverhältnissen, Geschlechterdifferenzen, Peer-Groups, Schulbedingungen, Netzwerken bzw. Bewohnergruppen, und ihre Verbindung in „Räumen konzentrierter Benachteiligung“ werden übersichtlich vermittelt; sie sind teils schon Allgemeinwissen (etwa dass Jugendliche aus „defizitären Familien“ stärker zu Gewalt neigten), oft bemerkenswert (z.B. sind Mädchen stärker Umwelt-angepasst, daher erklärt sich ihre Kriminalität stärker als bei Jungen aus einer benachteiligten Umwelt), nach Oberwittler auch nicht selten widersprüchlich (so bezüglich Impulsivität und räumlicher Umwelt). Die verwirrende Vielzahl von Einflussgrößen, über Umfrage- und statistische Daten formalisiert und vergröbert und bisher durch Methodenvielfalt noch unübersichtlicher, scheint ihm durch Mehrebenenanalyse besser fassbar zu sein.

Das US-amerikanische Programm „Moving to Opportunity“ subventionierte Umzüge von Familien aus Quartieren mit hoher Kriminalität in sozial gemischte Wohngebiete; es ermöglichte so Einsichten in reale Wirkungen der neuen sozialräumlichen Umwelt. Nach Burdick-Will und Ludwig reduzierte sich bei den betroffenen Familien die Kriminalität Jugendlicher etwas. Dies vor allem, weil die Mädchen im neuen Wohngebiet viele neue Freundschaften aufnahmen. Die Jungens dagegen behielten mehr Freundschafts-Beziehungen zum alten Quartier, und ihre Diebstahlsquoten waren sogar erhöht, wohl wegen des Kontrasts zwischen eigener Armut und dem Wohlstand im neuen Wohngebiet. Viel wichtiger für Kriminalitätsentwicklungen sei ohnehin die Dynamik des Drogenmarkts. Hier scheinen, vor allem aus den Begleitinterviews, noch Blicke in die Lebensrealität auf, von der sich in den folgenden Beiträgen nur noch Spuren finden. Dies schon in Pauwels´ Darstellung der Antwerpener Schüler-Untersuchung. Ein spürbarer Einfluss des Quartiers auf (mittelschwere) Jugendkriminalität ließ sich nicht finden, nicht zuletzt, weil sich auch Unterschichts-Kinder recht gleichmäßig über die Antwerpener Schulen verteilen. Auch deren „moral setting“ hat nur einen geringen Einfluss (3% der erklärten Varianz), elterliche Kontrolle erscheint einflussreicher. In diesem Text (wie in den meisten folgenden) zeigt sich eine ärgerliche Tendenz zur Vereinfachung theoretischer Annahmen, hier etwa in der Gleichsetzung von „Moral“ mit strafrechtlichen Normen (besonders inadäquat bezüglich „moral settings“ im Jugendalter!).

Es geht in den folgenden Beiträgen vor allem um „desorganisierte“ Stadtteile, durch erhöhte Anteile von Migranten, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, Wohnmobilität und Kriminalität charakterisiert. Kunadt konnte für zwei entsprechende Duisburger Ortsteile keine Erhöhung von Straftaten und Delinquenz-Neigungen feststellen im Vergleich zu weiteren 19 Ortsteilen. Dies ist ein beachtlicher Befund auf Basis schriftlicher Befragungen zwischen 2001 und 2006; der Einsatz wenig reflektierter und versimpelter Variablen (sind „Ortsteile“ als Wohnquartiere zu sehen? Indiziert ein Anteil Alleinerziehender „familiäre Desorganisation“? u.a.m.), erlaubt allerdings Zweifel an seiner Tragfähigkeit. Die seltene Chance einer Erhebung über sechs Jahre hin wurde leider nicht genutzt, die Einsicht, mit 14-15 Jahren begingen die Jugendlichen die meisten Straftaten, ist ziemlich trivial. – Auch Rabold und Baier stellten nur einen geringen Einfluss der (amtlich definierten) Stadtteile in Hannover auf Gewalteinstellungen und -verhalten von Jugendlichen fest; bei höherem nachbarlichen Konfliktniveau seien diese höher, geringer jedoch bei stärkerer Präsenz von Akademikerfamilien (die Annahme, sie stellten „Rollenvorbilder“, müsste an der Lebensrealität gemessen werden!). In zwei sog. desorganisierten Stadtteilen sind Gewalteinstellungen und -verhalten von Jugendlichen weniger verbreitet als in anderen Stadtgebieten. Dieser beachtlichen Einsicht folgen noch einige Trivialaussagen (etwa: reduzierte Selbstkontrolle und gewaltaffine Einstellungen verbänden sich mit höherer Gewalttätigkeit). – Graffiti werden amtlich und von vielen Bewohnern als strafbar gesehen, von den Jugendlichen aber als legitime, freilich kitzlige Selbstäußerung. Leider nutzt Windzio diese Diskrepanz nicht für ein besseres Verständnis von Jugenddelinquenz, sondern fährt die üblichen aus den USA importierten Kriminalitätstheorien auf, zum Überfluss ergänzt um die „Mem“-Theorie der Kulturentwicklung, die er selbst als empirisch nicht überprüfbar bezeichnet. Die Einsicht: Individuelle Risikosuche und „delinquente“ Freunde (wie definiert?) erhöhten die Neigung zu Graffiti; Armut oder Arbeitslosigkeit der Eltern spielten keine Rolle, der Stadtteil nur eine minimale (diesmal auch noch über Postleitzahlbezirke gefasst!). Erstaunlich ist der unkritische Umgang mit den Items der verwendeten Schülerbefragung des KFN, etwa, wenn die „hoch signifikante“ Aussage: je mehr delinquente Freunde, desto höher die Neigung, Graffiti zu erstellen – abgeleitet wird aus (Ankreuz-) Selbstaussagen von Schülern, sie hätten „5-10“ oder gar „mehr als 10 delinquente Freunde“, die wohl kaum ernst genommen werden können.

Die zwei Beiträge auf Basis von Befragungsmaterial aus Hamburg gehen dagegen weit reflektierter mit dem inhaltlichen Stellenwert ihrer Kategorien um. Die Items erfassten recht realitätsnah Risiken und Opfererfahrungen („Viktimisierungen“) bezüglich verschiedener Straftaten und (kunterbunt geartete) Phänomene von Unordnung und Verwahrlosung („Incivilities“) im öffentlichen Raum; hinzu kam der übliche Set standardisierter Fragen zu Nachbar-Kontakten,  Vertrauen und -Aktivitäten, erfasst wurde auch die geäußerte Bereitschaft, sich zu schützen und/ bzw. für Ordnung zu sorgen. Die Interpretation ist zugleich vorsichtiger und weiter reichend als in den vorgängigen Beiträgen. Nach Häfele erhöhen selbst oder von Bekannten erfahrene Viktimisierungen die Risiko-Wahrnehmung (eine etwas triviale Mitteilung) und die Kriminalitätsfurcht – aber letztere wurde nach Häfele auch von der aufgeblasenen Sicherheitsdebatte seit Ende der 1990er Jahre angefacht. Vertrauen unter Nachbarn (nicht aber mehr Polizeipräsenz!) stärkt das Gefühl von Sicherheit in der Wohnumgebung – aber mehr Kontakte unter Nachbarn führen eher zu Verunsicherung; das Paradox wird damit erklärt, dass mehr Kommunikation auch Sicherheitsängste transportiert. In sozial ‚tiefer‘ stehenden Stadtteilen gibt es nicht weniger soziale Bindungen, aber signifikant mehr Viktimisierungen und entsprechend mehr Risikowahrnehmung und Kriminalitätsfurcht als in anderen Vierteln. Opfer von Straftaten registrieren „Incivilities“ in ihrem Umfeld, wobei nach Häfele Ursache und Wirkung kaum auseinander zu halten sind. – Die von Peter, Schlepper und Lüdemann analysierten drei Einflussgrößen auf „self-policing“ gegenüber Straßenkriminalität und „Incivilities“: Persönliches Vermeidungsverhalten ist ausgeprägter bei älteren Bewohnern, Niedrigeinkommensbeziehern, und wenn Vertrauen und Kohäsion unter Nachbarn schwach sind; individuelles Schutzverhalten ist verbreiteter unter Wohnungsbesitzern, bei Älteren, bei hoher Fluktuation, und bei Bewohnern mit aktivem Nachbarschaftsleben; die Bereitschaft, mit Anderen zusammen gegen Unordnung vorzugehen („Collective Efficacy“), ist höher bei Delinquenzopfern und bei guten Nachbarschafts-Beziehungen und ­­ Vertrauen, eher bei Einkommensstärkeren und Nicht-Deutschen. Maßgebend ist die Nachbarschaft, nicht der Stadtteil. Unordnung und Belästigung gelten eher als Bewohnersache, Kriminalität als Sache der Polizei – „Self Policing“ ersetzt nicht, sondern ergänzt nur Polizeiarbeit. – Die Befunde aus beiden Beiträgen sprechen deutlich gegen die aus den USA importierte „Broken Windows“-These, „Incivilities“ im Stadtteil förderten Kriminalität, gute Gemeinschaftlichkeit sei ein Mittel da gegen; eine davon ausgehende Politik der Kriminalprävention geht also an deutschen Realitäten vorbei, Gemeinschaftlichkeit unter Bewohnern kann lediglich beitragen zum Abbau von Unsicherheits-Ängsten.

Die zwei abschließenden Beiträge behandeln – eher: verneinen die Frage, ob administrative Stadtteile eine sinnvolle Einheit für Mehrebenenanalysen bildeten: Sie sind meist zu groß oder jedenfalls sozial zu heterogen (kulturelle Heterogenitäten werden auch hier nicht reflektiert!), vergleichende Datenanalysen erbringen nur dürftige, überwiegend nicht signifikante Messwerte (ebenso in den Hamburger Beiträgen festgestellt). So konstatiert Simonson, dass Sicherheitsempfinden und Delinquenz (selbst berichtet im Rahmen von KFN-Schülerbefragungen) nur als Individualmerkmale fassbar sind. Die Charakterisierung von Stadtteilen mit Migranten- und Arbeitslosenquoten erbringt wenig tragfähige und uneindeutige Informationen, gerade im Bezug zu interner sozialer Kohäsion; kaum verwunderlich angesichts der sozialen und herkunftsmäßigen Heterogenität sowohl von Migranten als auch von Arbeitslosen, übrigens oft auch kleinräumig! Nonnenmacher geht derselben Frage anhand der Stadtteil-Zuschnitte in Hamburg (durchschnittlich 19.000 Ew., flächenmäßig sehr heterogen) und München (durchschnittlich 50.600 Ew., flächenmäßig weniger heterogen) nach und stellt fest, dass Flächengrößen über 14-24 qkm keine brauchbaren Messwerte mehr ergeben: Differenzen zwischen Bewohnergruppen werden gänzlich verwischt. Sie testet dies freilich anhand von Fragen zu „sozialer Kontrolle“ mit sehr schief verteilten Antworten, deren Differenzen sich im Raum von 15 Prozent bewegen; hier spielen nur noch mathematische Zahlendifferenzen eine Rolle, ihre inhaltliche Aussagekraft wird überstrapaziert. Ansonsten erstaunt, dass eine soziologische Einsicht an Flächenmaßen festgemacht wird.

Fazit

Wer erwartet, etwas über „kriminelle Lebenswelten“ zu erfahren, wird enttäuscht, zur schon tiefgehend erforschten Jugenddelinquenz bringt das Buch wenig Neues. Datenanalysen bezüglich verrufener Stadtteile zeigen nur leicht erhöhte Delinquenz und Verwahrlosung bei einer Bewohnerschaft, deren soziale Kohäsion sich von anderswo nicht unterscheidet. Das gilt zumindest, wenn statistisch-administrative Stadtteile und amtliche Daten einbezogen werden; dem Wunsch und Verdacht, lebensbezogene Raumeinheiten seien inhaltlich ertragreicher zu untersuchen, ist die quantifizierende Sozialforschung bislang nicht nachgegangen.

Das Buch ist jedenfalls methodisch interessant; spezialisierte LeserInnen (als Zielgruppe werden Dozenten und fortgeschrittene Studierende genannt) können sich für eigene Vorhaben der Massendaten-Analyse inspirieren lassen. Das interessante Verfahren der Mehrebenenanalyse in der bisher vorgestellten Form bringt bisher eher dürftige Einsichten. Das liegt vor allem am inadäquaten Zuschnitt der höheren Ebene ‚Stadtteil‘ und am Import der Fragestellungen aus der quantifizierenden Richtung der US-Forschung über Jugendkriminalität in (dort hoch segregierten) Städten und Stadtteilen. Mehrfach werden im Buch die Einsichten von Shaw und McKay (gesellschaftstheoretisch wenig reflektierte Sozialraumanalysen mit Daten hauptsächlich aus Chicago der 1920er und 1930er Jahre) wiedergegeben und zu für deutsche Verhältnisse wenig nutzbaren Thesen umgearbeitet mit entsprechend dürftigen Ergebnissen; zudem nutzen etliche AutorInnen auf wenig reflektierte Weise amtliche Daten und teilweise realitätsferne Standard-Aussagebatterien. Die faszinierende US-Jugendforschung aus teilnehmender Beobachtung heraus wird weitgehend ignoriert, ebenso die vielgestaltige französische, britische und auch deutsche Forschung seit den 1980er Jahren. Kurz: SpezialistInnen in quantitativen Methoden können mit den sehr ausführlichen Methodenschilderungen und den oft unerläuterten und damit schlecht lesbaren Messwertbatterien zurecht kommen, ihnen seien vor allem die beiden Überblickstexte, die Einsichten aus den MTO-Studien, die sehr abwägenden Beiträge aus Hamburg und die abschließende Kritik am Bezug auf administrative Stadtteile empfohlen. Die Lebenswirklichkeit delinquenter Jugendlicher oder verwahrloster Stadtviertel, von Friedrichs als Forschungsziel angemahnt, verschwindet jedenfalls hinter der Häufung von Merkmalen und Messwerten von schmaler Aussagekraft.

Rezension von
Dr. Rainer Neef
bis 2010 akad. Oberrat für Stadt- und Regionalsoziologie am Institut für Soziologie der Universität Göttingen
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Es gibt 10 Rezensionen von Rainer Neef.

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ISSN 2190-9245