Felix Berth, Angelika Diller et al. (Hrsg.): Gleich und doch nicht gleich. Der Deutsche Qualifikationsrahmen [...]
Rezensiert von Prof. Dr. Hilde von Balluseck, 08.01.2014
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Felix Berth, Angelika Diller, Carola Nürnberg, Thomas Rauschenbach (Hrsg.): Gleich und doch nicht gleich. Der Deutsche Qualifikationsrahmen und seine Folgen für frühpädagogische Ausbildungen.
Verlag Deutsches Jugendinstitut
(München) 2013.
240 Seiten.
ISBN 978-3-87966-439-9.
Reihe: Deutsches Jugendinstitut: DJI-Fachforum Bildung und Erziehung - Band 10.
Entstehungshintergrund und Herausgeberteam
Das Buch enthält vorwiegend Beiträge, die auf einer Tagung des Deutschen Jugendinstituts im April 2012 vorgetragen wurden.
Herausgeber sind u.a. der Direktor des Deutschen Jugendinstituts (Thomas Rauschenbach) und die langjährige Leiterin der Weiterbildungsinitiative im DJI, Angelika Diller.
Aufbau
Ausgangspunkt für das Buch ist die Gleichstellung der Qualifikationsniveaus von Fachschul- und Hochschulausbildung im Deutschen Qualifikationsrahmen. Die Beiträge dazu sind unter vier Themen subsummiert:
- Ausbildungen und Ausbildungsforschung in der Frühpädagogik,
- Bildungssysteme und personenbezogene Dienstleistungen,
- Standpunkte in der frühpädagogischen DQR-Kontroverse und
- Neue Konturen für das Arbeitsfeld der frühpädagogischen Lehrkräfte.
Inhalt
Im ersten Themenblock präsentiert Thomas Rauschenbach eine kritische Reflexion der Entwicklung der Ausbildungen in der Frühpädagogik in den letzten Jahren und stellt Hypothesen für mögliche Auswirkungen des DQR auf. Am Schluss weist er auf den Widerspruch hin zwischen dem Anspruch des DQR, den Qualifikationsniveaus Lernergebnisse zuzuordnen, und der faktischen Zuordnung der Kompetenzen zu Bildungsgängen.
Peter Cloos widmet sich der Forschung zu möglichen Unterschieden zwischen fachschul- und hochschulausgebildeten Fachkräften. Akademisierung garantiert laut Cloos nicht mehr Professionalität, wie denn überhaupt die Komplexität des Konstrukts der Profession und Professionalität für die Frühpädagogik besser erforscht werden müsste. Er differenziert zwischen Dispositionsforschung, Performanzforschung, Wirkungsforschung, Performativitätsforschung und Forschung mit feldtheoretischem Zugang und referiert bislang dazu vorliegende Studien.
Johanna Dudek, Kirsten Hanssen und Bianca Reitzner beschreiben die Pluralisierung der Ausbildungslandschaft und zeigen neue Wege für InteressentInnen am Beruf auf.
Tina Friederich weitet den Blick auf europäische Nachbarländer und beschreibt, wie unterschiedlich der Europäische Qualifikationsrahmen entsprechend der jeweiligen Bildungssysteme umgesetzt wird.
Im zweiten Themenblock stellt Martin Baethge die Ausbildung in der Frühpädagogik in den Kontext personenbezogener Dienstleistungsberufe, Marianne Friese analysiert aus einer Gender-Perspektive die Entwicklung der Frühpädagogik „von der privaten Sorge zum professionalisierten Dienst am Menschen“.
Eberhard Funk beschreibt den Aushandlungsprozess zwischen Politik, Wirtschaft und Gewerkschaft bei der Entstehung des DQR und benennt offene Fragen wie die nach der Anerkennung non-formal und informell erworbener Qualifikationen im DQR. Die Wirkungen des DQR werden, so Funk, entsprechend eigener Interessen unterschiedlich eingeschätzt. Während die Hochschulen bei einer Gleichstellung der Qualifikationsniveaus von Fachschul- und Bachelor-Abschluss die Studienmotivation der AusbildungsinteressentInnen gefährdet sehen und eine Dequalifizierung befürchten, versprechen sich die Vertreter der Fachschulen eine Statusverbesserung.
Im dritten Themenblock werden die unterschiedlichen Standpunkte von Hochschulen und Fachschulen präzisiert. Manfred Müller-Neuendorf plädiert für eine Aufwertung der Fachschulen, Claus Stieve für eine Professionalisierung der Kindheitspädagogik auf akademischer Grundlage, Hilmar Hoffmann beschreibt die Rolle der Universitäten als eher beobachtende Instanzen.
Im vierten Themenblock äußern sich VertreterInnen verschiedener Institutionen zur Bedeutung des DQR für ihr jeweiliges Arbeitsfeld: Doris Beneke für die Träger, Klaus Schäfer für die Politik, Ilse Schaad für die GEW.
Diskussion
Das Buch bietet einen Überblick über das Pro und Contra der Gleichstellung der Qualifikationsniveaus von Fachschule und Bachelor im Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) und über die möglichen Auswirkungen.
Ein Grund für die lebhafte Diskussion um die Sinnhaftigkeit und Berechtigung der Gleichstellung von Fach- und Hochschulabschluss ist die unvollendete Akademisierung des traditionellen Frauenberufs der Erzieherin. Die Intensität dieser Diskussion ist auch bedingt durch die großen Anstrengungen, die es die HochschulvertreterInnen zu Beginn kostete, überhaupt den akademischen Abschluss für diese Berufsgruppe einzuführen, was wiederum der niedrigen Stellung des Erzieherinnenberufs innerhalb der sozialpädagogischen Berufe geschuldet ist. Darüber hinaus ist der DQR in das Minenfeld der Hierarchie von Bildungswegen getreten, indem er die berufliche Bildung an einer Fachschule mit einer Hochschulausbildung gleichgestellt hat. Das muss in Deutschland, wo die akademische Bildung in der Hierarchie der Bildungsakteure immer höher eingestuft und auf der Trennung beider Ausbildungsbereiche bestanden wurde, zu Konflikten führen.
Die nun entstehende Konkurrenzsituation der Ausbildungsinstanzen eröffnet aber auch Chancen für die empirische Überprüfung beruflicher und akademischer Bildungsprozesse und des Konstrukts der Professionalität. Nicht zuletzt, auch dies ist ein Ergebnis des Buches, bedeutet die Gleichstellung die Chance einer Besserstellung der ErzieherInnen in der Gehaltshierarchie. Insofern – dies machen schon die Beiträge des Buches deutlich – ist der DQR ein Motor für die Weiterentwicklung der Frühpädagogik in Theorie und Praxis und die Überwindung der Kluft zwischen beruflicher und akademischer Bildung.
Fazit
ExpertInnen aus verschiedenen Arbeitsbereichen legen die unterschiedlichen Aspekte der Ausbildung und ihrer möglichen Auswirkungen auf die Professionalisierung der Frühpädagogik dar. Was die Wirkung des DQR betrifft, bleiben zwar die Aussagen hypothetisch, weil niemand die Zukunft kennt. Dennoch sind die Überlegungen hilfreich zur Entwicklung eines eigenen Urteils, weil unterschiedliche Positionen berücksichtigt werden. Außerdem werden Perspektiven aufgezeigt, die in Forschung und Politik berücksichtigt werden müssen.
Rezension von
Prof. Dr. Hilde von Balluseck
Sozialwissenschaftlerin, emeritierte Hochschullehrerin an der Alice Salomon Hochschule Berlin mit den Arbeitsschwerpunkten Sozialisation, Geschlecht und Sexualität, Migration, Frühpädagogik, etablierte 2004 den ersten Studiengang für ErzieherInnen in Deutschland und war von 2008 bis Ende 2015 Chefredakteurin des Internetportals ErzieherIn.de
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