Florian Kreutzer: Ausgänge aus der »Frauen-Falle«?
Rezensiert von Dr. Barbara Stiegler, 14.01.2014
Florian Kreutzer: Ausgänge aus der »Frauen-Falle«? Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bild-Text-Diskurs (unter Mitarbeit von Maren Albrecht).
transcript
(Bielefeld) 2013.
250 Seiten.
ISBN 978-3-8376-2471-7.
29,99 EUR.
Reihe: Critical Media Studies - 12.
Autor
Der Autor, Prof. Dr. rer.soc. Florian Kreutzer ist Professor für Soziologie an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit in Mannheim. Die hier vorgelegte Studie entstand im Rahmen eines größeren Forschungsprojektes zum Thema „Berufsrückkehrende“. Es wird analysiert, wie Printmedien im Bild-Text Diskurs die (Un)Vereinbarkeit von Familie und Beruf, oder die sogenannte „Frauenfalle“, inszenieren.
Aufbau
Nach einer auf die Empirie bezogenen Einführung in das Thema werden im ersten Teil der medien-theoretische Rahmen, die Methoden der Untersuchung und das Sample beschrieben. In den drei folgenden Teilen werden die Ergebnisse präsentiert. Der letzte Teil bietet die Interpretation der Befunde auf dem Hintergrund des medien- theoretischen Ansatzes.
Inhalt
Der Bild-Text Diskurs zum Vereinbarkeitsthema wird auf der Basis von 690 Artikeln in cic. 23 verschiedenen Printmedien, von Tageszeitungen bis zu Ratgebern, inhaltsanalytisch ausgewertet. Da das Material nicht systematisch oder über einen bestimmten Zeitraum ausgewählt wurde, können keine generalisierenden, repräsentativen Aussagen gemacht werden. Es geht vielmehr um eine qualitative Analyse des formalen „Wie“ und des inhaltlichen „Was“ der Texte und Bilder zur Vereinbarkeitsfrage. Dazu wird das Material unter zwei Perspektiven ausgewertet: zum einen geht es in Fallstudien um die Frage, wie der „Kampf um die Images, d.h. um die Leitbilder zur Vereinbarkeit“ ausgetragen wird. Zum anderen werden anhand von 4 Themenfeldern systematisch zentrale Figurationen und diskursive Formationen, in denen das Thema behandelt wird, herausgearbeitet.
In der Bearbeitung von Fallstudien wird verdeutlicht, wie kontrovers und mit welchen Argumenten und Bildern der Diskurs zur Vereinbarkeit vonstatten geht: Der SPIEGEL thematisiert 2006 die Unvereinbarkeit von Mutterschaft und Karriere als Frauen-Falle und sieht diese in dem Widerspruch zwischen aufgeklärtem Bewusstsein und hemmenden gesellschaftlichen Strukturen begründet. Frauen wüssten zwar um die Gefahren ungleicher Verteilung von Erwerbsarbeit und Familienarbeit zwischen ihnen und ihren Partnern, kämen aber real nicht umhin, sich doch wieder auf die Übernahme der Familienarbeit einzulassen, weil es ihnen an unterstützenden Rahmenbedingungen zu einer anderen Lebenspraxis fehlt. Die Gegeninszenierung bietet die FAZ 2010: Hier wird das Problem selbst, die Unvereinbarkeit, zu einem Konstrukt feministischer Weltanschauung definiert. Da es den kleinen Unterschied zwischen Männern und Frauen eben gäbe, folgen Frauen ihrer vermeintlich inneren Stimme, wenn sie sich für die Familienarbeit entscheiden. Eine dritte Inszenierung liefert die ZEIT 2011: Sie verbietet zunächst, sich ein Bild von der Familie zu machen, gibt sich also als ideologiefrei, um dann aber doch die Familie wie ein Unternehmen zu behandeln. So preist sie ein gutes Familien- Management als Ausweg aus der auch von ihr konstatierten Falle. Damit trifft das Leitbild der ZEIT sich mit dem vieler Ratgeberartikel, in denen eine möglichst frühe Berufsrückkehr nach der Elternzeit und eine Optimierung der Planung und Organisation der Familie als ein gangbarer Weg der Vereinbarkeit angeboten werden.
Eine systematische Analyse des Materials im Hinblick auf Themenfelder, die im Diskurs zur Vereinbarkeit vorkommen, ergibt folgende Dimensionen: 1. Den Doppelkörper und Liminalität 2. Die Berufsrückkehr 3. Familien(un)freundlichkeit 4. Rollenbilder und Rollenwechsel. Die Darstellungen berufstätiger Mütter zeigen häufig einen liminalen Doppelkörper, also einen Körper, der die Grenzsituation zwischen 2 Sphären verdeutlicht: dem Für-das-Kind-Dasein und dem Für-die -Erwerbsarbeit-zur-Verfügung-stehen. Der schnelle Wiedereinstieg wird in den Ratgebern als beste Lösung des Vereinbarkeitsproblems gepriesen, Kontroversen gibt es dann um die Frage der Vollzeit oder Teilzeiterwerbstätigkeit, der Selbstständigkeit als Königsweg und der geringfügigen Beschäftigung. Die Familien(un)freundlichkeit der Unternehmen wird anhand der Unternehmenswerbung („Wir sind ein familienfreundliches Unternehmen“) und der diesem Versprechen entgegenlaufenden Realität in den Unternehmen verdeutlicht. Auch mangelhafte Kinderbetreuungsangebote und die Prekarisierung besonders alleinerziehender Mütter werden thematisiert. Die Analyse der Rollenbilder und Rollenwechsel zeigt eine Vielzahl von Images: Kinderlose Karrierefrauen, kinderreiche Spitzenmanagerinnen, Hausfrauen und Vollzeitmütter, neue Väter. Alle diese Images werden schillernd dargestellt. Es zeigt sich auch, dass Leitbilder von gleichberechtigten Paaren oder von berufstätigen Vätern, die unter der Unvereinbarkeit von Elternsein und Erwerbsarbeit leiden, gänzlich fehlen.
Diskussion
In dieser Studie geht es um ein Kernproblem im Geschlechterverhältnis, nämlich die gesellschaftliche Notwendigkeit privater Arbeit und deren Verteilung zwischen Männern und Frauen, das jedoch durch die Bezeichnung „Vereinbarkeit von Beruf und Familie “ eher verschleiert als erläutert wird. Wie es um den gesellschaftlichen Diskurs über diese Frage in den Printmedien steht, wird durch Textanalysen aber auch und besonders durch die Interpretation von cic. 90 Bildern zu diesem Thema erfasst. Gerade in den Bildern verdichten sich Aussagen und die Bilder fügen einen emotionalen Bewertungskontext hinzu. Die präzise Analyse der Bilder öffnet die Augen dafür, wie hintergründig Argumente und Metaphern unterstrichen und ausgemalt werden können. Die Bilder und Texte sind in ihrer Wechselwirkung also der Stoff, aus dem der Diskurs gemacht wird, das verdeutlicht diese Studie. Aber auch die kontroversen Positionen zu den Lösungen des sogenannten Vereinbarkeitsproblems werden geklärt: sie reichen von den Forderungen nach familienfreundlichen Rahmenbedingungen in Gesellschaft und Unternehmen über die Beschwörung des „freien Willens“, vor allem der Frauen bis hin zu dem Ausweg durch optimiertes Management. Es wird auch auf die Leerstellen verwiesen, so etwa Darstellungen und Argumentationen für eine wirklich partnerschaftliche Teilung beider Arbeitsbereiche zwischen Vätern und Müttern.
Diese Medienanalyse will und kann nicht klären, wie es um die reale Teilung der Berufs- und Familienarbeit zwischen den Geschlechtern steht und welche (guten) Lösungen verbreitet sind oder beschleunigt werden könnten. Sie kann aber beleuchten, in welcher Weise das Problem in den Printmedien bearbeitet wird, wie also eine Gesellschaft in ihren Medien damit umgeht. Insofern wird die Studie ihrem Anspruch gerecht, „eine kritische Gesellschaftsanalyse, die die Reproduktion der gesellschaftlichen Geschlechterordnung und der sozialen Ungleichheit problematisiert“ zu sein.
Den nicht philosophisch und medientheoretisch versierten Leser_innen wird es trotz des erkennbaren Bemühens des Autors durch häufige Wiederholungen und vielerlei Zusammenfassungen nicht leicht gemacht, dem theoretischen Bezugsrahmen der dialektischen Phänomenologie medialer Imagebildung zu folgen.
Fazit
Auch wenn die theoretischen Erörterungen für uneingeweihte Leser_innen schwierig sein mögen, die Ergebnisse dieser Diskursanalyse können dabei helfen, Texte und Bilder zum Vereinbarkeitsproblem einzuordnen. Die Lektüre schärft die Sinne beim Medienkonsum und klärt über einen wichtigen geschlechterpolitischen Diskurs auf.
Rezension von
Dr. Barbara Stiegler
Bis zu ihrer Pensionierung Leiterin des Arbeitsbereiches Frauen- und Geschlechterforschung
Friedrich Ebert Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik
Website
Mailformular
Es gibt 46 Rezensionen von Barbara Stiegler.
Zitiervorschlag
Barbara Stiegler. Rezension vom 14.01.2014 zu:
Florian Kreutzer: Ausgänge aus der »Frauen-Falle«? Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bild-Text-Diskurs (unter Mitarbeit von Maren Albrecht). transcript
(Bielefeld) 2013.
ISBN 978-3-8376-2471-7.
Reihe: Critical Media Studies - 12.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/15981.php, Datum des Zugriffs 13.10.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.