Josef Bakic, Marc Diebaecker et al.: Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit, Bd. 1
Rezensiert von Elke Michauk, 20.04.2015

Josef Bakic, Marc Diebaecker, Elisabeth Hammer: Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit. Ein kritisches Handbuch. Band 1. Löcker Verlag (Wien) 2013. 2. Auflage. 200 Seiten. ISBN 978-3-85409-477-7. 19,80 EUR.
Thema und Aufbau
Soziale Arbeit befindet sich in Transformation. Als Vermittlungsinstanz zwischen gesellschaftlichen Anforderungen, Normen sowie stattlichen Vorgaben (Gesetze) soll Soziale Arbeit im Sinne der Betroffenen eintreten. Soziale Arbeit kommt dort zum Tragen, wo die Personen oder Gruppen es nicht (mehr) aus eigener Kraft schaffen, ein „gutes Leben“ zu führen.
Der vorliegende erste Band „Aktueller Leitbegriffe der Sozialen Arbeit“ reflektiert in 17 Beiträgen Theorie und Praxis Sozialer Arbeit und analysiert „mögliche[r] Gegenstrategien und Perspektiven“ (7). Mittelfristiges Ziel ist es, Soziale Arbeit zu einer reflexiven Handlungspraxis weiter zu entwickeln. Ziel ist es, dass „Glossar der Gegenwart“ (Bröckling, Krasmann, Lemke 2004) und das „Pädagogische Glossar der Gegenwart“ (Dzierzbicka, Schirlbauer 2006) in reflexivem Sinne zu erweitern. Das vorgelegte Buch spricht über Studierende und Lehrende im Feld der Sozialen Arbeit hinaus auch interessierte Soziolog_innen an.
Inhalt
Das „gute Leben“ ist Ausgangs- und Anknüpfungspunkt des Empowerment-Ansatzes Sozialer Arbeit. Von Teilhabeansprüchen und Fähigkeitsansätzen (vgl. Sen) ist nach Opielka jedoch in den aktuellen Debatten und die Entwicklung einer zukunftsfähigen Profession Sozialer Arbeit noch viel zu wenig zu lesen (270). Scherr fordert vor diesem Hintergrund eine Theoriebildung auf Grundlage der Praxen Betroffener und Sozialer Arbeit selbst. Nur die Kombination kann Empowerment und Subjektbildung hervorbringen; ein Ansatz der soziale Teilhabe (wieder) ermöglichen soll. Auf dem Weg darf sich die Profession nicht der kritischen Auseinandersetzung mit zentralen Begriffen, Entwicklungen sowie deren progressiver Bearbeitung verschließen und muss zugleich der Vereinnahmung (Sozial)Pädagogischer Praxis etwas entgegensetzen. Mit Kessel gesprochen, müssen subjektkritische Einwände als Angriff auf Emanzipations- und Befreiungsprogramme (245) im modernen Wohlfahrtsstaat verstanden werden; Beides nicht ohne Auswirkungen auf die Praxen Sozialer Arbeit.
Die Debatte um Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle („doppeltes Mandat“) ist nicht neu. Stelzer-Orthofe greift den Diskurs im neoliberalen Wohlfahrtsstaat auf. Sie stellt der wohlfahrtsstaatlichen Arbeitsmarktfokussierung die suppressive und emanzipatorische Aktivierung durch Soziale Arbeit gegenüber (22). Neben Bettinger plädiert u.a. Egger im vorliegenden Sammelband für die historische Kontextualisierung in allgegenwärtigen Macht- und Hierarchiestrukturen Sozialer Arbeit. Unabdingbar: Die „Verlinkung von Mikro- und Makroebene, die Berücksichtigung von Machtaspekten“ (160). Nur so lassen sich Möglichkeitsräume im jeweiligen Arbeitsfeld identifizieren und im Namen der Betroffenen nutzen. Kolland und Dzierzbicka nehmen in ihren Beiträgen aktiv Bezug auf Foucault und seine machtkritischen Studien. In diesem Zusammenhang erklärt Bettinger provozierter Theorie- und Konzeptlosigkeit, der Hinnahme von Normalitätsvorstellungen und Ordnungssystemen, Macht und Herrschaft eine klare Absage. Sie alle dürfen Sozialer Arbeit nicht zur Legitimation für vorauseilenden Gehorsam dienen (vgl. 46). In diesem Zusammenhang ist die Reflexion individueller und institutioneller Praxen Sozialer Arbeit und damit verbundener Ein- und Ausschließung, Disziplinierung und Kontrolle dringend notwendig (u.a. 36, 173f).
Kritisch zu hinterfragen sind gesellschaftliche Norm- und Wertvorstellungen sowie Begriffe und Methoden. Die Autor_innen des vorliegenden Sammelbandes setzen sich u.a mit „Case Management“ und „Clearing“ (Fürst), Diversity (Baig) und Qualität und Effizienz (Bacik) auseinander. Beide plädieren für das genaue hinschauen, den kritisch-reflexiven Blick auf das eigene Methodenrepertoire (68) und die Abwehr von „verlockenden Vokabeln“ (67). Brückner setzt sich bspw. mit „Geschlechtlichkeit“ in der Praxis und der Profession selbst auseinander. Entgegen einer additiven Betrachtung sieht sie die systematische Auseinandersetzung als Ausgangspunkt für „Geschlechterdemokratie“ vor dem Hintergrund der aktiven Auseinandersetzung mit Geschlechter-Bias und aktiver „Kritik sozialpolitischer Rahmenbedingungen“, „einer selbstbewussteren und fachpolitisch vernetzen Vertretung“ und der „eigenständigen Entwicklung von Handlungsmethoden“ (189ff). Daran anschließend steht Winkler der kategorischen Abwehr neuer Begriffe und Konzepte kritisch gegenüber. Er setzt sich in seinem Beitrag für einen dezidierten Blick, am Beispiel „Sozialmanagement“ ein. Er wird nicht müde zu betonen, dass die Grenze zwischen Nutzen und Zumutung dort liegt, wo Praxen in „grenzenlose Herrschaft und Machtausübung umschlagen“ (130). Ähnlich hält es Opielka: Personenzentrierung ist fester Bestandteil (neuer) Handlungsmethoden und Praxen. Die Methode ist seiner Ansicht nach Einfallstor für New Public Management Konzepte und Ökonomisierung. Zugleich bietet Subjektfokussierung die Chance auf die Neuformulierung kritischer Sozialer Arbeit (Opielka). Dimmel warnt in diesem Zusammenhang vor einer am Markt und Wettbewerb ausgerichteten Sozialen Arbeit (220ff). Baig geht einen Schritt weiter und fordert anschließend an Stuber (2004) einen aktiv-inklusiven Diskurs zur (Weiter)Entwicklung des „politisch reflexiven Anspruchs“ (100) Sozialer Arbeit. Nur so kann die Profession nach Diebäcker der Versuchung entgehen „Agentin einer neuen ‚Partizipationskultur‘“ und Handlangerin der „ordnungs- und sicherheitspolitischen Agenden“ (234ff) zu werden.
Diskussion und Fazit
Der vorliegende Sammelband bietet vielfältige Anknüpfungspunkte für die sozialpolitische Konfiguration Sozialer Arbeit als „Garant“ für die Sicherung von Grundrechten die nicht an das Erwerbssystem gekoppelt sind (273). Über die kritische Grundeinstellung Professioneller hinaus bedarf es der akademisch reflexiven Auseinandersetzung unter Bezug auf sozialarbeiterische Praxen. Auf dem Weg zu dieser reflexiven Auseinandersetzung bieten die vorgelegten Texte Anregungen für die Zukunft des Sozialstaates durch die Reformulierung, Repositionierung und (Re)Politisierung Sozialer Arbeit. Mit dem Sammelband in der Hand ist es an den Akteur_innen ihre Praxis kritisch zu reflektieren und sich zu vernetzen, um die Stimme gemeinsam mit den Betroffenen und für eine Stärkung der Profession zu erheben. Nun ist es an ihnen, die nächsten Schritte zu tun…
Rezension von
Elke Michauk
Elke Michauk
Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (Diplom), Sozialwissenschaftlerin (MA),
selbständig arbeitende zertifizierte Coachin (https://www.linkedin.com/in/elke-michauk/)
Mailformular
Es gibt 10 Rezensionen von Elke Michauk.