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Michael Noack, Katja Veil: Aktiv Altern im Sozialraum

Rezensiert von Prof. Dr. habil. Monika Alisch, 18.02.2014

Cover Michael Noack, Katja Veil: Aktiv Altern im Sozialraum ISBN 978-3-938038-12-3

Michael Noack, Katja Veil: Aktiv Altern im Sozialraum. Grundlagen - Positionen - Anwendungen. Verlag Sozial Raum Management (Köln) 2013. 350 Seiten. ISBN 978-3-938038-12-3. D: 25,00 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 35,50 sFr.
SRM-Reihe ; Bd. 12.

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Thema

Sicherlich wäre das Thema „Aktives Altern“ niemals in den Fokus der Weltgesundheitsorganisation geraten, wenn nicht aus der „Alterspyramide“ über die „Zwiebel“ längst die „Urnenform“ des Altersaufbaus westlicher Industriestaaten berechenbar wäre. Dass in manchen gesellschaftspolitischen Diskursen das Ziel des „active aging“ auf die Ausschöpfung des hohen Potenzials, dass die wachsende Anzahl der Älteren noch habe, verkürzt wird, hat den Blick auf das eigentliche Ziel, den Erhalt von gesellschaftlicher Teilhabe bis ins hohe Alter verstellt. So ist es dem Konzept, dessen Teilhabeausrichtung besonders in Alan Walkers sieben Prinzipien zur gesellschaftlichen Umsetzung, sichtbar wird, bisher ganz ähnlich ergangen wie dem Paradigma des Sozialraums. Auch hier wird in sozial- und raumwissenschaftlichen, sowie in diversen fachpraktischen, meist zielgruppenbezogenen Diskussionen darum gerungen, Sozialraum zu modellieren, in geeignete Dimensionen zu zerlegen, von reinen Containerraumkonzepten oder Stadtteil- und Quartiersvorstellungen abzugrenzen und dabei Voraussetzungen und Bedingungen sozialräumlichen Arbeitens zu formulieren. Der Sammelband von Katja Veil und Michael Noack versucht daher zu Recht, sich zwischen den jeweiligen Kritikdebatten zu positionieren und den aus ihrer Sicht noch recht abstrakt geführten Diskurs zum Aktiven Altern in Beziehung mit den projektbezogenen Initiativen zur Förderung des Sozialraumbezugs zu setzen.

Herausgeber und Herausgeberin, Autorinnen und Autoren

Michael Noack M.A. ist gelernter Krankenpfleger, Sozialarbeiter und derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung (ISSAB) der Universität Duisburg-Essen und promoviert zur Gestaltung interterritorialer erzieherischer Hilfen in sozialraumorientierten Kinder- und Jugendhilfesystemen. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in der interdisziplinären Netzwerkforschung sowie der sozialräumlichen Organisations- und Netzwerkentwicklung.

Katja Veil, Dr. Ing. ist Stadt- und Regionalplanerin und hat an der Fakultät für Umwelt und Gesellschaft der Universität Hannover zu Sicherheit im Stadtquartier promoviert. Sie ist langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsschwerpunkt Sozial Raum Management der FH Köln mit den Arbeitsschwerpunkten Planungssoziologie, Sozialmanagement, demographischer Wandel und Kriminalprävention.

Die Autor/innen Stephanie Abels, Karin Papenfuß, Herbert Schubert, Beate Schönbrodt und Marina Vukoman sind der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Köln und dort dem Forschungsschwerpunkt Sozial Raum Management als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verbunden. Reinhard Knopp, Anne van Rießen und Christian Bleck repräsentieren den Forschungsschwerpunkt zu sozialraumbezogener Altenarbeit an der FH Düsseldorf. Susanne Kümpers von der Hochschule Fulda und Katrin Falk vom Institut für gerontologische Forschung e.V. in Berlin runden mit ihren Forschungserfahrungen insbesondere zu Fragen von Altern und sozialer Ungleichheit die Forschungszugänge und Perspektiven in dem Band ab.

Aufbau und Inhalt

Der Band gliedert sich in die beiden Teile

  1. „Theoretische und konzeptionelle Grundlagen“ sowie
  2. „Anwendungen und Praxisbeispiele“.

Die Beiträge in dem Band beleuchten die sozialpolitischen Hintergründe, die sozialplanerischen Konzepte sowie die sozialarbeiterischen Methoden bezogen auf den Aufbau, die Pflege und Nutzung von sozialräumlichen Ressourcen für ein im Sinne von Teilhabevoraussetzungen und -gestaltung angelegten „aktiven Altern“. Alle Beiträge sind verbunden durch drei Kernfragestellungen, die den Autorinnen und Autoren zur Bearbeitung aus ihrer spezifischen Perspektive auf den Weg gegeben wurden und die Verbindung zwischen Sozialraum und Aktivem Alter schrittweise herstellen (S. 2):

  1. Aktives Altern: Welche Bedeutung hat das Konzept des „Aktiven Alterns“ für das gewählte Thema?
  2. Sozialraumbezug: Inwiefern spielt die Orientierung an welchen Räumen eine Rolle für den Gegenstand des Beitrags?
  3. Verbindung von Aktivem Altern und Sozialraumbezug: Zu welchem Zweck lassen sich das Konzept des „Aktiven Alterns“ und die projektbezogenen Initiativen zur Förderung des „Sozialraumbezug“ miteinander verbunden und welche Vor-und Nachteile ergeben sich aus dieser Verbindung?

Zum ersten Teil

Die fünf Beiträge im ersten Abschnitt „Theoretische und konzeptionelle Grundlagen“ starten mit grundlegenden Fragen des Alterns, fokussieren das WHO Konzept des Aktiven Alterns und gehen über zu ersten Ausgestaltungen der von Walker herausgearbeiteten Prinzipien Aktiven Alterns. Die zivilisationstheoretischen Perspektiven auf das Altern diskutiert der Sozial- und Raumwissenschaftler Herbert Schubert. Er fordert eine „Soziologie des Werdens“ ein, die die Defizite einer mit Aggregatdaten arbeitenden Demographie einerseits und einer auf die Entwicklungen des Alterns auf der Ebene der Individuen andererseits vermittelt und zu „interdisziplinären Denkmodellen“ führt. Im Ausblick seiner Ausführungen betont der Autor die Notwendigkeit, das Altern nicht nur unter einer individualisierten Erfolgs- und Aktivierungsperspektive wahrzunehmen, sondern im Anschluss an Norbert Elias die sich verändernde „Wir-ich-Balance“ in den Blick zunehmen. Hier wird der Bezug zum Sozialraum humanökologisch abgeleitet und für einen Übergang auf die handlungspraktische Ebene mit dem Wohnen verknüpft.

Marina Vokomans Beitrag startet direkt auf der politisch konzeptionellen Ebene und führt in die Entstehungsgeschichte des Konzepts „Aktiven Alterns“ ein, das in der (deutschen) Sozialpolitik als Paradigma insbesondere die Erwartungen an die Älteren an ihre aktive Teilhabe an der Bewältigung gesellschaftlicher Probleme unter dem Begriff des „freiwilligen Engagements“ mobilisiert hat. Ihr Beitrag endet konsequent mit dem Verweis, dass sich Politiken und Projekte unter dem Label des aktiven Alterns eben nicht allein auf diejenigen beschränken dürfen, die über die Ressourcen der Teilhabe verfügen und auch in der Lage sind, sich weitere Ressourcen zu erschließen.

Katrin Falk und Susanne Kümpers knüpfen hier direkt an und diskutieren die Wechselwirkungen sozialräumlicher und individueller Verwirklichungschancen gerade pflegebedürftiger Älterer in benachteiligten Wohnquartieren. Dabei gehen die Autorinnen vom capabilities approach nach Nussbaum aus, um die sozialräumlichen Voraussetzungen für die Gewährleistung der von Nussbaum identifizierten zehn Grundbefähigungen herauszuarbeiten. Damit legen sie genau jene lokalen Rahmenbedingungen frei, welche die Handlungsspielräume Einzelner erweitern und vor allem fehlende individuelle Ressourcen kompensieren können (S. 93). Ihr Beitrag zeigt auf, wie mit dem Ziel, möglichst umfassende Handlungsspielräume und Selbstbestimmungschancen zu eröffnen, nicht die individuellen Verpflichtungen auszuweiten sind, sondern vielmehr bei der Gestaltung der Verhältnisse anzusetzen ist.

Aktives Altern und Wohnen nach dem Prinzip der Person-Umwelt Passung ist der Titel von Katja Veils Beitrag, der an eine gerontopsychologische Perspektive anknüpft, um die „Passung einer Person und ihrer Umwelt“ zu analysieren und unmittelbar fruchtbar für die Praxis der Wohnraumversorgung für ältere Menschen zu machen. Ihre Ausführungen zielen auf die Begründung der „Förderung optimierter Wohnumgebungen“ nach dem Prinzip „selektiver Optimierung“. Damit ältere Menschen in die Lage versetzt werden, solche Selektionen vorzunehmen, sind entsprechende Informationen und Aufklärungen notwendig. Auch hier plädiert die Autorin für besondere Unterstützungsmöglichkeiten für benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Im Fazit wird deutlich, dass Aktives Alterns hier vor allem als selbstbestimmtes Altern verstanden wird, das in Bezug auf das Wohnen mit konkreten normativen Konzeptvorschlägen untermauert wird.

Ebenfalls in ein (sozial)politisches Handlungsfeld begibt sich Michael Noack in seinem Beitrag zur Sozialraumorientierung in altersbezogenen Hilfesystemen. Er fragt kritisch ob es sich bei dieser Sozialraumausrichtung um eine Option für eine selbstbestimmte Gestaltung des Alters handelt oder doch nur um die neoliberale Freisetzung zur aktiven Selbstversorgung. Es ist der erste Beitrag des Bandes, der den verwendeten Sozialraumbegriff zumindest darstellt, um so erst zu klären, was „Aktiv Altern im Sozialraum“ überhaupt sein kann. Erst danach setzt sich Michael Noack mit den verschiedenen Ebenen altersbezogener Hilfesysteme auseinander und analysiert die Chancen und Risiken, die aus seiner Sicht mit dem um Wolfgang Hinte entstandenen „Fachkonzept Sozialraumorientierung“ in diesem Kontext verbunden sind.

Zum zweiten Teil

Teil II des Bandes konzentriert sich unter der Überschrift „Anwendungen und Praxisbeispiele“ auf drei Praxisforschungsprojekte, die dezidiert Fragen der Lebensqualität im Alter aus einer sozialräumlichen Perspektive aufgegriffen haben.

In dem Beitrag von Stephanie Abels, Karin Papenfuß und Herbert Schubert wird am Beispiel des Projektes CityNet in Mühlheim, die Prozessperspektive des Alterns wieder aufgegriffen und dargestellt, wie lebenswelt- und sozialraumorientiert Bedürfnisse älterer Menschen erfassbar und im Sinne von Dienstleistungsketten Vernetzungsfelder generiert werden können.

In diesem Beitrag wird auch der zugrundegelegte Sozialraumbezug ausführlich dargelegt, der auch für das zweite von Herbert Schubert, Katja Veil und Marina Vokoman zur Diskussion gestellte Projekt zum Überbrücken struktureller Löcher zwischen der älteren Bevölkerung und sozialer Infrastruktur im Sozialraum anzulegen sein dürfte. Dieses Projekt „basiert auf der netzwerktheoretischen Infrastrukturidee, in den Sozialräumen des Stadtteil neue Informations- und Vermittlungswege für ältere Menschen zu entwickeln“ (s. 327). Der Beitrag skizziert das Praxisforschungsprojekt ÖFFNA in seinen Methoden, Ergebnissen und der Erprobung der abgeleiteten „Netzwerkbrücken“.

Das dritte Projekt, das in Teil II des Bandes vorgestellt wird, stellen Christian Bleck, Reinhard Knopp und Anne van Rießen ganz unter die Erfordernisse, überhaupt geeignete sozialräumliche Analyse- und Beteiligungsmethoden mit Älteren zu entwickeln und umzusetzen. Das Projekt SORAQ – wie ÖFFNA ein Projekt des Forschungsförderprogramms „Soziale Innovationen für Lebensqualität im Alter“ des BMBF – legt einen Sozialraumbegriff an, der im Anschluss an Michael Winkler die Subjektperspektive ins Zentrum setzt. So gelingt im Beitrag der Übergang vom kritischen Diskurs um „Aktives Altern“ zur Sozialraumperspektive und eine selbstkritische Einschätzung, dass jedes auf Aktivierung gerichtete Projekt sich auf „dünnem Eis“ (S. 281) befinde sehr genau die „richtige Balance“ (ebd.) finde müsse, um nicht einem neo-liberalen „Aktivierungsdruck“ zu erliegen.

Mit diesem Beitrag rückt wiederum der an das Konzept des Aktiven Alterns geknüpfte Teilhabeanspruch in den Blick, der auch im letzten Beitrag des Bandes von Beate Schönbrodt und Katja Veil zu Disengagement im Kontext des „Aktiven Alterns“ wieder aufgegriffen wird. In einer kritischen Perspektive wird herausgearbeitet, dass dieses auf Aktivierung, Ressourcenmobilisierung und Selbstbestimmung im Alter gerichtete Konzept in seiner Umsetzung auch jene Älteren mitzunehmen habe, die als „disengaged“ eher zurückgezogen leben und eben nicht (mehr) über die auch für Teilhabe notwendigen Ressourcen verfügen. Der Beitrag lenkt den Blick daher auf konkrete Handlungsbedarfe und Maßnahmen, die der Vielfalt des Alterns auch in dieser Ungleichheitsperspektive gerecht zu werden versuchen.

Diskussion

Der Band hat mit dem Konzept des Aktiven Alterns und dem Sozialraumbezug zwei sozialpolitische und -planerische Handlungsperspektiven gemeinsam diskutiert, die uns auch in Zukunft weiter beschäftigen werden. Beide in den Wissenschaftscommunities kontrovers diskutierten Begriffe und die eben gar nicht eindeutigen dahinterliegenden normativen Konzepte, sind in der gesellschaftlichen und sozialpolitischen Operationalisierung wohl weiter einer gewissen Beliebigkeit ausgesetzt. Zumindest den Diskussionen um den Sozialraumbegriff weicht die Konzeption des Bandes ein stückweit aus und konzentriert sich auf die für die jeweils dargestellten Anwendungsbeispiele angelegten Sozialraumbegriffe. Der zweite Teil des Bandes stellt drei Projekte zur Diskussion, bei denen es spannend sein wird, die Entfaltung ihrer Wirkungen vor Ort in einigen Jahren nochmals anzuschauen. Durchaus vorstellbar ist, dass es bis dahin weit mehr Projekte gibt, die sich vergleichend und aufeinander bezogen in einem neuen Band darstellen ließen, der dann auch zur momentan latent diffusen Verwendung des Sozialraumbegriffs weitere klärende Beiträge liefern könnte.

Fazit

Hier ist ein Band entstanden, der sehr gut verdeutlicht, dass professionelles Handeln in der alternden Gesellschaft nur in einer sozialräumlichen und ungleichssensiblen Perspektive macht. Der Band regt dazu an, sich mit allen Spielarten „Aktiven Alterns“ kritisch auseinander zu setzen und sollte mit den vorgestellten Projektbeispielen die Praxis in den Kommunen dazu anregen, strukturell und methodisch innovativ eine Politik des Älterwerdens zu befördern.

Rezension von
Prof. Dr. habil. Monika Alisch
Hochschule Fulda, Fachbereich Sozialwesen, Hessisches Promotionszentrum Soziale Arbeit, Sprecherin des CeSSt – Wissenschaftliches Zentrum Gesellschaft und Nachhaltigkeit.
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Es gibt 7 Rezensionen von Monika Alisch.

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Zitiervorschlag
Monika Alisch. Rezension vom 18.02.2014 zu: Michael Noack, Katja Veil: Aktiv Altern im Sozialraum. Grundlagen - Positionen - Anwendungen. Verlag Sozial Raum Management (Köln) 2013. ISBN 978-3-938038-12-3. SRM-Reihe ; Bd. 12. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16003.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.


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