Klaus Fröhlich-Gildhoff, Iris Nentwig-Gesemann et al. (Hrsg.): Schwerpunkt: Interaktion zwischen Fachkräften und Kindern
Rezensiert von Prof. Dr. Hilde von Balluseck, 07.04.2014

Klaus Fröhlich-Gildhoff, Iris Nentwig-Gesemann, Anke König, Ursula Stenger, Dörte Weltzien (Hrsg.): Schwerpunkt: Interaktion zwischen Fachkräften und Kindern.
FEL Verlag Forschung Entwicklung Lehre
(Freiburg) 2013.
280 Seiten.
ISBN 978-3-932650-61-1.
22,00 EUR.
Forschung in der Frühpädagogik VI. Materialien zur Frühpädagogik, Band 12.
Herausgeberinnen und Herausgeber
Die Herausgeberinnen und der Herausgeber sind VertreterInnen der akademisierten Frühpädagogik in Deutschland. Klaus Fröhlich-Gildhoff und Dörte Weltzien lehren und forschen an der Evangelischen Hochschule Freiburg, Iris Nentwig-Gesemann an der Alice Salomon Hochschule in Berlin, Ursula Stenger an der Universität zu Köln. Anke König leitet die Weiterbildungsinitiative am Deutschen Jugendinstitut.
Entstehungshintergrund
Das Buch bildet den 12. Band einer Reihe zur Frühpädagogik, die von der Evangelischen Hochschule Freiburg herausgegeben wird.
Aufbau
Zum im Titel aufgeführten Schwerpunktthema bringt der Band sieben Beiträge. Hinzu kommen drei weitere Beiträge im „allgemeinen Teil“.
Inhalt
In ihrer Einleitung zum Schwerpunktthema setzen die Autorinnen verschiedene Akzente. Anke König zeigt die unterschiedlichen Herangehensweisen der Pädagogik zu Interaktionen auf und weist auf die Notwendigkeit hin, die pädagogischen Theorien auf empirische Fundamente zu stellen. Dörte Weltzien betont die Notwendigkeit der Selbstreflexion und der intersubjektiven Überprüfung der eigenen Leitbilder und Perspektiven bei der Entwicklung einer forschenden Haltung. Ursula Stenger stellt allgemein gültige Aussagen zu Qualitätsmerkmalen von Interaktionen mit Hinweis auf die Diversitäten von Kitakulturen in Frage und verweist auf die Notwendigkeit, diese Gesichtspunkte in der künftigen Forschung zu berücksichtigen.
Lilian Fried befasst sich im ersten Schwerpunktbeitrag mit der „Qualität der Interaktionen zwischen frühpädagogischen Fachkräften und Kindern“ im Rahmen von Sprachförderung. Sie beschreibt die Methoden und erläutert die Ergebnisse von drei Studien, in denen mittels eines von ihr entwickelten Instrumentariums die Sprachförderfähigkeiten der Fachkräfte und die Auswirkungen auf die Kinder untersucht wurden. Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass das sprachförderrelevante „Könnens-Repertoire“ vieler Fachkräfte ausgedehnt werden sollte, was in vielen Fällen auch eine Verbreiterung der Wissensbasis erfordert. Gruppen- und Teamweiterbildungen haben dabei eine große Bedeutung.
Im Beitrag von Dörte Weltzien „Erfassung von Interaktionsgelegenheiten im Alltag…“ wird ein weiteres Beobachtungsverfahren zur Analyse der Interaktionsqualität vorgestellt. Die Autorin berichtet über eine Studie, an der alle 18 städtischen Kindertageseinrichtungen der Stadt Pforzheim teilnahmen und die sich durch videogestützte Analysen von Fachkraft-Kind-Interaktionen auszeichnete. Es handelt sich um einen vorläufigen Bericht, weil das Projekt noch nicht abgeschlossen ist. Die dialogorientierte Vorgehensweise der Forscher bewirkte eine höhere Reflexionsbereitschaft der Fachkräfte. Ein verständnisvoller Umgang mit Mängeln in der Interaktion führte zu einer Verbesserung der Interaktionsfähigkeit und einer besseren Wahrnehmung kindlicher Bedürfnisse.
Auch der Beitrag von Heike Wadepohl & Katja Mackowiak referiert Ergebnisse einer videogestützten Analyse von Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern, hier in Freispielsituationen. Die Beziehungs- bzw. Bindungsgestaltung der Fachkräfte wurde anhand von fünf Facetten operationalisiert: Zuwendung, Stressreduktion, Sicherheit, Assistenz und Explorationsförderung. Ein wichtiges Ergebnis ist die Schwierigkeit, eine trennscharfe Operationalisierung dieser Facetten zu erreichen. Die gewonnenen Aussagen sind von daher nicht verallgemeinerbar. Immerhin geben sie Hinweise darauf, dass die Fachkräfte möglicherweise eher sicherheitsgebende und assistierende Strategien als stressreduzierende und explorationsfördernde Handlungsweisen anwenden.
Regina Remsperger hat die „Reaktionen von Kindern auf eine höhere bzw. geringere Responsivität in unterschiedlichen pädagogischen Situationen“ untersucht. Auch hier wurde mit Videoanalysen gearbeitet, diesmal mit einem intensiveren Blick auf das kindliche Verhalten. Im Ergebnis kommen Kinder in bestimmten Situationen im Kita-Alltag (z.B. Stuhlkreis) eher zu Wort als in anderen (z.B. angeleitetes Basteln).
Im Allgemeinen Teil findet sich eine empirisch begründete Analyse der Sprachkompetenz und der Kommunikationsgestaltung von pädagogischen Fachkräften in einem deutsch-russischen Kindergarten. Nataliya Soultanian und Kai Budischewski haben dazu mit einem differenzierten Verfahren die verbalen Interaktionen der deutsch- bzw. russischsprachigen Fachkräfte mit Kindern untersucht. Die Untersuchung der Ausdrucksweise der Fachkräfte und ihrer Kind-Bezogenheit spielte dabei eine große Rolle.
Nicole Böhmer und Julia Schneewind haben „Die Selbsteinschätzung niedersächsischer Fachkräfte im frühpädagogischen Professionalisierungsprozess“ empirisch untersucht. Ihre Ergebnisse bestätigen die anderer Studien: Die frühpädagogischen Fachkräfte sind weitgehend mit ihrem Beruf zufrieden, es fehlt jedoch an ausreichender gesellschaftlicher Anerkennung.
Im letzten Beitrag berichten Janine Stahl-von Zabern, Wolfgang Beudels und Klaus Fischer über „Bewegungserziehung in der Kita zwischen Anleitung und Offenheit“. Dabei werden die Bedeutung von Bewegung für die kindliche Entwicklung und die Möglichkeiten von Fachkräften, sie zu fördern, analysiert. Die Rahmenbedingungen der frühpädagogischen Arbeit wie die Bewegungsbiographie der Fachkräfte sind dabei einzubeziehen.
Diskussion
Stenger spricht in ihrer Einleitung von der Diversität von Kita-Kulturen und von der Bedeutung von Mehrsprachigkeit. In den folgenden Beiträgen werden diese Gesichtspunkte jedoch nicht nur vernachlässigt – sie kommen schlicht nicht vor. Im Beitrag von Fried wird auf Mehrsprachigkeit kein Bezug genommen. Kinder mit einer anderen als der deutschen Muttersprache existieren offenbar in den Samples nicht oder aber ihre unterschiedlichen Bedarfe an Sprachförderung werden nicht gesehen. Ebenso wenig werden die unterschiedlichen Kita-Kulturen und die Geschlechterdifferenz thematisiert. Überdies – und das ist wirklich überraschend – taucht Rosemary Tracey im Literaturverzeichnis nicht auf, die doch maßgebliche Anregungen für den linguistischen Blick auf Sprachförderung gibt.
Der Beitrag von Soultanian und Budischewski wäre hier eine wichtige Ergänzung, merkwürdigerweise erscheint er aber im Allgemeinen Teil.
Auch Wadepohl und Mackowiak, weitgehend auch Remsperger, lassen den Blick auf die sozialstrukturell bedingten Differenzen zwischen Fachkräften und unter den Kindern vermissen. Remsperger stellt immerhin die Frage, wie Alter und Geschlecht der Fachkräfte, aber auch kontextuelle Bedingungen, die Ergebnisse beeinflussen. Allgemein aber wird, trotz ausgefeilter empirischer Methoden, der Diversität der frühpädagogischen Praxis und den daraus resultierenden Herausforderungen an Fachkräfte und Kinder nicht Rechnung getragen.
Von der Methodik her geht es in zwei Beiträgen (Fried und Weltzien) um die Anwendung vorhandener Instrumentarien, in einem (Wadepohl/Mackowiak) um die Entwicklung eines Verfahrens. Methodisch spannend ist Remspergers Arbeit, die in einem iterativen Verfahren die Analysekategorien im Laufe des Forschungsprozesses verfeinert hat.
Die Studie von Böhmer/Schneewind war nicht erforderlich: All dies weiß man längst. Sie hat jedoch eine wichtige Funktion in der politischen Auseinandersetzung um eine Verbesserung auch des ökonomischen Status von ErzieherInnen.
Die Ergebnisse zur Bewegungserziehung sind schon an anderen Orten, u.a. auf www.ErzieherIn.de (www.erzieherin.de) veröffentlicht worden.
Fazit
Die Mikroanalysen auf quantitativer wie qualitativer methodischer Grundlage geben interessante Hinweise für das Verständnis von Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern. Sie werden jedoch zumeist so beschrieben, als wenn die Kita ein geschützter Innenraum wäre, zu dem die Außenwelt und soziale Differenzen keinen Zugang haben und in dem die Unterschiede in den Kita-Kulturen ausgeblendet werden. Der in der Einleitung formulierte Anspruch wird damit nicht erfüllt. Manche Beiträge entbehren auch der Originalität, weil die Ergebnisse nicht übermäßig neu erscheinen.
Für Fachkräfte, die sich einen Überblick über den Stand der frühpädagogischen Forschung zum Thema Interaktion verschaffen wollen, mag das Buch aufgrund seiner vielen empirischen Ergebnisse durchaus von Interesse sein.
Rezension von
Prof. Dr. Hilde von Balluseck
Sozialwissenschaftlerin, emeritierte Hochschullehrerin an der Alice Salomon Hochschule Berlin mit den Arbeitsschwerpunkten Sozialisation, Geschlecht und Sexualität, Migration, Frühpädagogik, etablierte 2004 den ersten Studiengang für ErzieherInnen in Deutschland und war von 2008 bis Ende 2015 Chefredakteurin des Internetportals ErzieherIn.de
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