Anna Feigenbaum, Fabian Frenzel et al.: Protest Camps
Rezensiert von Johannes Diesing, 20.03.2014

Anna Feigenbaum, Fabian Frenzel, Patrick McCurdy: Protest Camps.
Zed Books
(London N1 9JF) 2013.
246 Seiten.
ISBN 978-1-78032-355-8.
21,78 EUR.
Preis: £ 16,99 (GBP); $ 29,95 (USD).
AutorInnen
Dr. Anna Feigenbaum ist Lehrbeauftragte am Media and Politics Department der Universität Bournemouth und war Mitarbeiterin am Rutgers Center for Historical Analysis.
Dr. Fabian Frenzel ist Dozent an der School of Management der University of Leicester und Mitarbeiter am Institut für Geographie der Universität Potsdam.
Dr. Patrick McCurdy ist Hochschulassistent am Department of Communication der University of Ottawa in Kanada, er hat einen Doktortitel von der London School of Economics and Political Sciences verliehen bekommen.
Entstehungshintergrund
In Protest Camps führen Feigenbaum, Frenzel und McCurdy ihre langjährigen, jeweils einzeln betriebenen Forschungen zu verschiedenen sozialen Bewegungen und Protestcamps in einem gemeinsamen Buch zusammen.
Aufbau
Protest Camps ist in sechs Hauptkapitel gegliedert, welche den Gegenstand unter dem Gesichtspunkt verschiedener Infrastrukturen analysieren:
- Infrastrukturen und Praktiken des Protestcampens (Infrastructures and practices of protest camping)
- Kommunikations- und Medieninfrastrukturen (Media and communication infrastructures)
- Protestaktionsinfrastrukturen (Protest action infrastructures)
- Governance-Infrastrukturen (Governance Infrastructures)
- Erholungs- und Rückzugsräume (Re-creation infrastructures)
- Alternative Welten (Alternative worlds)
Im Band werden fünf Protestcamps schwerpunktmäßig untersucht. Diese Fallbeispiele werden in den folgenden Kapiteln des Buches immer wieder aufgenommen und miteinander verglichen. Dabei handelt es sich um Resurrection City in Washington D.C. im Jahr 1968; Greenham Common in Großbritannien von 1981-84; HoriZone, Stirling in Schottland im Jahr 2005, den Tahrir Platz in Kairo im Frühjahr 2011 und Occupy London Stock Exchange, London von 2011 - 2012. Ergänzt werden immer wieder Erörterungen und Beispiele von den Protestlagern anlässlich von Anti-AKW-Protesten in der Bundesrepublik Deutschland, den Protesten gegen das G8-Treffen in Gleneagles in Schottland und Heiligendamm in Deutschland sowie zu den englischen Climate-Camps am Ende der 2000er Jahre an verschiedenen Orten.
Die AutorInnen nutzen für ihren Ansatz einen Mix verschiedener Methoden, er basiert auf der Auswertung empirischen Daten, die anlässlich einer ganzen Reihe von verschiedenen Protestcamps gesammelt wurden. Dabei kombinieren Feigenbaum, Frenzel und McCurdy Dokumentenanalyse, visuelle Analysen und die Auswertung von Interviews. In einem ersten Schritt wird eine breite Palette von dokumentiertem Material gesichtet. Hierbei handelt es sich um Presseberichte, Camp Newsletter, Presseerklärungen, Verhaltensmaßregeln von Camps, veröffentlichte Pamphlete, Blogpostings, Videos, Fotografien und Texte mit Reflexionen von ProtestcamperInnen. Daran schließt eine Auswertung von Interviews an, die die AutorInnen in den vergangenen Jahren mit TeilnehmerInnen von Protestcamps durchgeführt haben. Mit Hilfe dieser Interviews sollen Einblicke in die organisatorischen Dynamiken, das politische Umfeld und das alltägliche Leben in Camps herausgearbeitet werden. Drittens beziehen Feigenbaum, Frenzel und McCurdy eigene Erfahrungen als Teilnehmende an Protestcamps in die Untersuchung ein. Zentral für die Analyse der Protestcamps ist dabei der Begriff der Infrastrukturen. Die prefigurativen Handlungsformen der Camps werden als spezifische Arrangements verschiedener Infrastrukturen verstanden, welche gleichzeitig den Protest ermöglichen und ihn durch die Ermöglichung bereits artikulieren.
Infrastrukturen und Praktiken des Protestcampens (Infrastructures and practices of protest camping) Um als Plätze funktionieren zu können, auf denen protestiert und zugleich auch gelebt wird, müssen Protestcamps gewährleisten, dass die AktivistInnen essen, schlafen und auf Toilette gehen können. Das Kapitel untersucht wie in Protestcamps durch die Kombination von Infrastruktur und Praxis Erfahrungen von alternativen Formen sozialer und politischer Partizipation, Zusammenarbeit, Kollektivität und Gegenseitigkeit geprägt werden.
Kommunikations- und Medieninfrastrukturen (Media and communication infrastructures) Im Kapitel über mediale Infrastrukturen untersuchen Feigenbaum, Frenzel und Mc Curdy die Ansätze, mit denen AktivistInnen versuchen ihre Repräsentation in Berichterstattung zu beeinflussen und welche Wege sie nutzen, um mit eigenen Medien die Kontrolle über die Darstellung ihrer Anliegen zu gewährleisten. Dabei beziehen sich die AutorInnen auf bereits geleistete Analysen von Kommunikationsstrategien sozialer Bewegungen, sie fokussieren aber auch die besonderen räumlichen und zeitlichen Bedingungen in Protestcamps, welche diese Bemühungen der AktivistInnen beeinflussen.
Protestaktionsinfrastrukturen (Protest action infrastructures) In diesem Abschnitt wird das Camp in drei verschiedenen Perspektiven als Ort des politischen Handelns in den Blick genommen. Camps oder Platzbesetzungen sind erstens Orte, an denen politisches Handeln stattfindet, sie sind zweitens aber auch Orte, an denen bestimmte Formen von politischem Handeln, direkte Aktionen eingeübt werden, durch die wiederum eine Aktivierung bestimmter politischer Handlungsformen ermöglicht wird. Und drittens ist das Organisieren und Umsetzen eines Protestcamps in sich selbst eine spezifische kollektive Protesthandlung, zu deren Durchführung in einer bestimmten Art und Weise Objekte und Räume genutzt bzw. geschaffen werden.
Governance-Infrastrukturen (Governance infrastructures) Die Schaffung des Raumes, in dem die Protesthandlung des Campens stattfindet, ist Gegenstand dieses Kapitels, in dem die Frage aufgeworfen wird, welche Prozesse der Organisierung und Selbstorganisierung, sowie welche Formen der räumlichen Nutzung den Charakter solcher Camps beeinflussen. Hierbei legen die AutorInnen besonderen Wert auf den Umstand, dass die Protestcamps nicht nur eine Kritik an Missständen artikulieren, sondern in ihren Organisationsprozessen auch Laboratorien für Alternativen darstellen.
Erholungs- und Rückzugsräume (Re-creation infrastructures) Das Kapitel über die Recreation Infrastructures beschäftigt sich mit Erholungs- und Rückzugsräumen, die ebenfalls wichtige Facetten von Protestcamps darstellen. Die unterschiedlichen Arten des Arrangements von Zelten, Wasserversorgung, Toiletten (Kompost oder chemische Mobiltoiletten?) und besonders abgegrenzten Schutzräumen geben Auskunft über Vorstellungen von Alternativen zu den politischen, ökonomischen oder ökologischen Missständen, gegen die sich der Protest der AktivistInnen richtet, in ihnen zeigen sich Visionen über eine neu-organisierte Reproduktionsarbeit.
Alternative Welten (Alternative worlds) Das letzte Kapitel geht von theoretischeren Überlegungen zur die Schaffung alternativer Welten, revolutionärer Politik sowie dem Verhältnis dieser zu Utopien oder Heterotopien und der Frage nach den Commons aus. In diese Diskussion fließen die Ergebnisse der Untersuchungen aus den vorangegangenen Kapitel ein. Neben einer daran anschließenden Erörterung über die Bemessungskriterien von Erfolgen und Misserfolgen dieser spezifischen Formen des politischen Handelns, liefern Feigenbaum, Frenzel und McCurdy auch einen Ausblick für die weitere Erforschung von Protestcamps.
Diskussion
Mit Protest Camps legen die AutorInnen die Untersuchung eines Themas vor, dessen Aktualität auch nach den Platzbesetzungsbewegungen des Jahres 2011 ungebrochen scheint. Angesichts der Besetzung des Gezi-Parks in Istanbul, aber auch der Proteste auf dem Kiewer Maidan Platz und der Protestcamps in Thailand im Winter 2014, könnte vielleicht sogar von einer Normalisierung des Protestcamps gesprochen werden. Das bedeutet nicht, dass alle diese Protestcamps miteinander gleichzusetzen wären. Der Ansatz von Feigenbaum, Frenzel und McCurdy erlaubt es vielmehr Protestcamps vergleichend zu untersuchen und dabei Unterschiede etwa in den Prozessen der Aushandlung von Entscheidungen, der Grenzziehung durch protestierende AktivistInnen sowie der Kommunikation von Anliegen des Protestes von Innen nach Außen herauszustellen. Das Buch liefert damit nicht nur eine Beschreibung von verschiedenen untersuchten Protestcamps, sondern auch Kriterien, um bspw. Aussagen über den demokratischen Charakter der Prozesse innerhalb von solchen Camps zu treffen.
Der Vergleich von Camps, zwischen denen ein zeitlicher Abstand von mehreren Jahrzehnten liegt, könnte zu dem Problem führen, dass Ereignisse die lange zurückliegen sehr viel stärker aus Archivmaterial rekonstruiert werden müssen, als bei Camps jüngeren Datums, welche durch die ForscherInnen als AktivistInnen selbst erlebt wurden. Das Zusammenführen von Einzeluntersuchungen zu bestimmten Protestcamps in einem Band ermöglicht es andererseits aber auch, den Gegenstand in einer länger zurückreichenden historischen Perspektive zu betrachten. Eine solche vergleichende Untersuchung kann möglicherweise helfen eine zu starke Konzentration auf das vermeintlich Neue in den (durch die Protestierenden langjährig genutzten) Prozessen und Methoden von Aktivistenkulturen zu vermeiden.
Fazit
Obwohl der Beginn des gemeinsamen Forschungsprojekts zu Protestcamps vor dem Aufkommen der zahlreichen Protestbewegungen liegt, die im Jahre 2011 das Campen zu einem Zentrum ihres Aktivismus gemacht haben, ist dieser Band nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Geschehnisse und der damit verstärkten Aufmerksamkeit an diesen Protestformen von bleibendem Interesse. Die AutorInnen schöpfen bei der Untersuchung aus langjährigen Beobachtungen, Gedanken und eigenen Erfahrungen als AktivistInnen und TeilnehmerInnen von Protestcamps. Ihr Buch liefert nicht nur eine interessante Darstellung von vergangenen Protestcamps, sondern macht auch Vorschläge für eine zukünftige Erforschung dieser besonderen Formen von politischem Protest.
Rezension von
Johannes Diesing
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