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Udo Wilken (Hrsg.): Soziale Arbeit zwischen Ethik und Ökonomie

Rezensiert von Prof. em. Dr. habil. Hans-Ernst Schiller, 30.12.2001

Cover Udo Wilken (Hrsg.): Soziale Arbeit zwischen Ethik und Ökonomie ISBN 978-3-7841-1241-1

Udo Wilken (Hrsg.): Soziale Arbeit zwischen Ethik und Ökonomie. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2000. 253 Seiten. ISBN 978-3-7841-1241-1. 18,50 EUR.

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Voraussetzungen

Steigender Kostendruck, Privatisierung und marktwirtschaftliche Konkurrenz sowie Forderungen nach Qualitätssicherung und –kontrolle haben die Situation der Organisationen Sozialer Arbeit seit geraumer Zeit verändert. Der Druck der Ökonomisierung fordert das Selbstverständnis der Sozialarbeiter und Sozialpädagogen heraus und legt eine Besinnung auf die eigene Aufgabe und die leitenden ethischen Begriffe nahe.

Inhalt und Aufbau

Die vorliegende Veröffentlichung, die den gegenwärtigen Stand der Diskussion wiedergeben soll, ist aus zwei Tagungen der Deutschen Gesellschaft für Sozialarbeit hervorgegangen: "Ökonomisierung des Sozialen" (1997 in Weimar) und "Ethos der Sozialen Arbeit" (1998 in Berlin). Einem Vorwort des Herausgebers folgen zehn Aufsätze, die sich mit dem Themenkreis Soziale Arbeit – Ökonomie – Ethik unter verschiedenen Akzentsetzungen

beschäftigen. Am Anfang stehen Beiträge, die sich vorrangig mit der Notwendigkeit, den Grenzen und Folgen einer zunehmenden Ökonomisierung der Sozialen Arbeit befassen. (Wilken, Wendt, Arnold, Grams, Mühlum, Manderscheid). Die folgenden Arbeiten (Staub-Bernusconi, Klug, Volz, Grohall) fragen vor allem nach der Rolle der Werte in der Sozialen Arbeit, nach dem Begriff der Ethik und der Notwendigkeit einer Berufsethik für Sozialarbeiter und Sozialpädagogen. Dass es trotz dieser Aufteilung keine formale Gliederung in zwei Teile gibt, rechtfertigt sich durch die Tatsache, dass sich die Autoren thematisch nur durch die Schwerpunktsetzung unterscheiden. Dies entspricht auch dem sachlichen Zusammenhang, denn was die Ökonomisierung des Sozialen bedenklich und zur Herausforderung macht, erschließt sich im Licht ethischer Begriffe.

Thesen und Zugänge, Kritik

Es ist so gut wie unmöglich, in der Besprechung eines umfang- und gedankenreichen Sammelbandes den Autoren allseitig gerecht zu werden. Ich verweise deshalb nur auf einzelne Grundgedanken und auf einen Generalnenner, den ich glaube ausmachen zu können.

Dieser Generalnenner besteht in dem Zugeständnis, dass eine ökonomische Orientierung der sozialen Arbeit insofern selbstverständlich ist, als der verantwortliche Umgang mit knappen Ressourcen zu ihren unvermeidlichen Aufgaben gehört, und zugleich in der Warnung davor,

dass sich das Wesen Sozialer Arbeit einer unternehmerischen Rationalität entzieht. Soziale Arbeit ist nämlich "immer dann gefordert, wenn sich die Selbstgestaltungskräfte des Individuums, der Familie, der Gesellschaft und eben auch des Marktes zur Sicherung eines menschenwürdigen Leben als nicht hinreichend erweisen." (Udo Wilken, Faszination und Elend der Ökonomisierung des Sozialen, S. 27)

Innerhalb des skizzierten Rahmens finden sich aber recht unterschiedliche Argumentationen. Wolf Rainer Wendt (Bannkreis der Ökonomie – Bannkreis des Sozialen) hegt die Absicht, den Antagonismus von Ökonomie und Ethik zu überwinden. Er bedient sich eines recht großzügigen Begriffes von Ökonomie – als ob terminologische Änderungen sachliche Schwierigkeiten lösen könnten – und möchte den Einzelnen als "Selbstarbeiter" und "Lebensunternehmer" sehen (S.42f.) – als ob die Metaphorik einer Bedeutung sich ohne sachliche Anleihen vollziehen ließe: Wer sein Leben als wirtschaftliches "Unternehmen" sieht, wird möglichst viel "herausholen" wollen, Bilanzen ziehen, kurzum: die Verhaltensweisen, die zu dem Begriff gehören, übertragen, ob sie angemessen sind oder nicht. Auch Wendt freilich weiß, dass Güter eines guten Lebens wie Rat, Würde, Kultur des Umgangs "unbezahlbar" sind, mithin ein bedeutender Unterschied zwischen der Ökonomie des Tauschwerts (und Profits) und der von ihm bevorzugten Perspektive einer "Humanwirtschaft" bestehen muss.

Nicht die Vereinbarkeit von Ökonomie und Ethik, sondern Lösungen Jenseits von Fürsorge und Markt werden von Albert Mühlum gesucht. Auch er betont die Bedeutung des Ökonomischen für die Soziale Arbeit, weil "auch die Sozialarbeit rational handeln muss und dem ökonomischen Prinzip insoweit folgt, als mit gegebenen Mitteln ein bestmögliches Ergebnis beziehungsweise ein angestrebtes Ergebnis mit möglichst geringem Aufwand erreicht werden soll. (...) Zum Problem wird die ökonomische Orientierung allerdings dort, wo die Zielhierarchie durcheinandergebracht und die Anliegen der Klientel oder die Prinzipien der Profession dem Diktat des Ökonomischen unterworfen werden." (113) Prinzip oder "Leitidee" der Sozialarbeit ist nach Mühlum die soziale Gerechtigkeit.

Hejo Manderscheid (Solidarität stiften statt Fürsorge organisieren) eröffnet eine für Praktiker interessante Perspektive, indem er zeigt, wie die Sozialarbeit auf äußeren Kostendruck mit fachlichen Innovationen reagieren kann. Seine beeindruckende Kritik von arbeitsorganisatorischen Symptomlösungen wird nach meinem Eindruck etwas entwertet durch die Bereitschaft, die "Lösung sozialer Probleme" als Aufgabe der Sozialarbeit zu akzeptieren, obwohl sie doch auf die Mechanismen der Entstehung jener Probleme kaum Einfluss besitzt.

Am tiefsten ins ökonomische Detail begibt sich Ulli Arnold (Ökonomische Grundlagen der Produktion sozialer Dienstleistungen im Non-Profit-Bereich). Er arbeitet die Unterschiede zwischen sozialwirtschaftlichen Organisationen und Unternehmen bzw. Unternehmertum heraus, das sich durch Privateigentum, Kapitaleigentum und Marktrisiko auszeichnet (S.63). Die Kritik an der terminologischen Verwandlung der Leistungsempfänger in "Kunden" gewinnt vielleicht an Akzeptanz dadurch, dass der Autor konkrete Vorschläge zum sozialwirtschaftlichen Management zu machen versteht.

So beeindruckend die Bereitschaft zur Innovation auf fachlichem und organiatorischem Gebiet auch ist, auf sprachlichem sollte sie gezügelt werden. Der Ausdruck "Bedarfe" (57,63,126) ist einfach barbarisch. Oder sollte sich auch in der Scheu, das zuständige Wort "Bedürfnisse" zu verwenden, die Unterwerfung des Denkens, Fühlens und Handelns unter die Kategorien der tauschwertproduzierenden Gesellschaft bemerkbar machen? Dass es einen beträchtlichen Unterschied zwischen kaufkräftigen Bedürfnissen, die einen marktwirtschaftlichen Bedarf (eine Nachfrage) bilden, und "bloßen" Bedürfnissen gibt, wird durch jene Wortwahl eher verschleiert.

An ähnlichen Phänomenen setzt Wolfram Grams an, um seine grundsätzliche Kritik an der "Vermarktung des Sozialen" zu entwickeln (Sozialarbeit als Ware oder: Das Soziale zu Markte tragen). Die Ausgangsthese seines Aufsatzes lautet: "Das Ökonomische okkupiert einen gesellschaftlichen Bereich, dessen Tätigkeit bislang dort einsetzte, wo die Auswirkungen des Ökonomischen auf die privaten Lebensverhältnisse der Menschen nicht akzeptiert werden können und es der unmittelbaren– nicht mehr marktgesteuerten Hilfe bedarf."(S.84) Grams sieht im Markt den Antipoden einer ethisch begründeten Sozialarbeit. Deren Sorge gilt dem jeweils Schwächsten, bei dem sich die Hilfe am wenigsten lohnt. Ihre Begründung liegt in der Lebensnotwendigkeit des Sozialen für jedes menschlichen Wesen.

Auch Silvia Staub-Bernunsconi (Sozialrechte – Restgröße der Menschenrechte?) besteht auf dem Gegensatz von Effizienzorientierung und sozialer Gerechtigkeit, die in dreifachem Sinn zu verstehen sei: als Gleichheit vor dem Gesetz, als Chancengleichheit auf dem Markt und als Gleichwertigkeit im Hinblick auf den Anspruch der Befriedigung der Grundbedürfnisse, der sich aus dem Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben ableitet. Die Autorin sieht in der Abwertung sozialer Rechte dieselbe Geschlechterlogik am Werk, die sich noch lange gegen die rechtliche Gleichstellung der Frauen gewehrt hatte. In einem eigenen Abschnitt setzt sie sich mit Argumenten auseinander, die gegen eine Gleichrangigkeit von Sozialrechten und Freiheits- sowie Bürgerrechten vorgebracht werden. "(...) der Forderung nach verbesserter Wirksamkeit und Effizienz des Sozialstaates wie der Sozialen Arbeit (muss) die Forderung nach Sozialverträglichkeit, ja Sozialverantwortung der Wirtschaft entsprechen (.) ." (S. 169)

Wolfgang Klug (Braucht die Soziale Arbeit eine Ethik?) rückt die in den vorherigen Arbeiten virulente Frage nach den ethischen Grundlagen der Sozialen Arbeit in den Mittelpunkt. Die Auseinandersetzung mit Wertfragen gehört, wie der Autor eindringlich betont, zur Fachkompetenz von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen. Mitleid und soziale Gerechtigkeit sind die leitenden Prinzipien, wobei die Frage nach dem universalen Kern der Moral diskutiert wird. Philosophische Ethik könnte der Sozialarbeit, so Klug unter Berufung auf Ernst Bloch, zur Reflexion ihrer utopischen Potentiale verhelfen. Die Antwort auf die Titelfrage lautet freilich etwas anders: Soziale Arbeit brauche eine philosophische Legitimation, will sie nicht zu den Modernisierungsverlierern gehören.

Formulierungen wie diese, die sich auch bei anderen Autoren finden, könnten dahingehen missverstanden werden, als müsse man sich mit seinen Berufsstandsinteressen an eine andere Spezialistengruppe, die Ethiker, wenden, um die eigene Position im gesellschaftlichen Verteilungskampf zu verbessern. Philosophische Ethik aber ist kein Argumentationsladen, in dem Kunden nach ihren vorgängigen Interessen bedient werden können. Soweit sollte auch die Philosophie der modernen kapitalistischen Ökonomie nicht entgegen kommen. Ihre eigentümliche Leistung ist die der begrifflichen Reflexion und argumentativen Klärung, die zur praktischen Entscheidung von Zielsetzung und Mittelwahl führen soll.

Ähnlich scheint auch Rüdiger Volz (Professionelle Ethik in der Sozialen Arbeit zwischen Ökonomisierung und Moralisierung) zu denken, wenn er als Aufgabe der Ethik die Zumutung von Selbstreflexion und Selbstkritik bestimmt. Was reflektiert wird, ist die alltäglich praktizierte Wertorientierung, das Ethos. Folglich ließe Ethik sich als kritische Theorie des Ethos verstehen. Für Volz ist die Ökonomisierung des Bewusstseins der sozialen Helfer schon längst vollzogen in ihrer Selbstdefinition als Sozial-Arbeiter. Demgegenüber soll die ethische Reflexion zu einem anderem Selbstverständnis im Zeichen des Praxisbegriffs führen – vielleicht dem eines "Sozialpraktikers"? Ob freilich ein (unter Berufung auf MacIntyre vollzogener) ideengeschichtlicher Rückgang zu dem von Aristoteles entworfenen Gegensatz von Poiesis und Praxis die sachlichen Gründe aus der Welt schaffen kann, die zur Überlappung beider Begriffe in der Philosophie seit Hegel nötigten, sei dahin gestellt.

Den Abschluss des Bandes bildet ein Aufsatz von Karl-Heinz Grohall: Berufsethik als Ziel und Inhalt der Studiengänge der Sozialen Arbeit. Nach einer Grenzbestimmung des Ökonomischen berichtet Grohall von ersten Ergebnissen eines Forschungsprojektes zur Inhaltsanalyse von Studien-, Prüfungs – und Praktikaordnungen. Berufsethische Ziele sind demnach nur in 1/3 der 54 untersuchten Studienordnungen enthalten. Es handelt sich vorrangig um Verantwortung, Verpflichtung auf den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat sowie um ethische Helfermotive wie Mitleid, Solidarität, Nächstenliebe. Abschließend skizziert der Autor fünf Möglichkeiten der Integration berufsethischer Fragen in der Ausbildung.

Adressaten und Fazit

Der Band empfiehlt sich Vertretern aller Wissenschaften, die an Lehre und Forschung im Bereich der Sozialarbeit und Sozialpädagpgik beteiligt sind. Obwohl die Aufsätze einen unterschiedlichen terminologischen Aufwand treiben, kann der Band auch Studenten und Praktikern von Nutzen sein, die über die ethischen Grundlagen und die ökonomischen Bedingungen der Sozialen Arbeit nachdenken wollen.

Rezension von
Prof. em. Dr. habil. Hans-Ernst Schiller
Vormals Professor für Sozialphilosophie und -ethik
Fachhochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
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Es gibt 32 Rezensionen von Hans-Ernst Schiller.

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Zitiervorschlag
Hans-Ernst Schiller. Rezension vom 30.12.2001 zu: Udo Wilken (Hrsg.): Soziale Arbeit zwischen Ethik und Ökonomie. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2000. ISBN 978-3-7841-1241-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/161.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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