Jobst Finke: Träume, Märchen, Imaginationen
Rezensiert von Prof. Dr. phil. habil. Silke Birgitta Gahleitner, Dipl.-Psychologin Anne Spönemann, 16.12.2013

Jobst Finke: Träume, Märchen, Imaginationen. Personzentrierte Psychotherapie und Beratung mit Bildern und Symbolen.
Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2013.
230 Seiten.
ISBN 978-3-497-02371-4.
D: 29,90 EUR,
A: 30,80 EUR,
CH: 40,90 sFr.
Reihe: Personzentrierte Beratung & Therapie - Band 11.
Thema
Auch wenn Traumarbeit in der Psychotherapieszene historisch vor allem in analytisch ausgerichteten Verfahren, z. B. bei Freud oder Jung, angesiedelt wird, hat sie auch in humanistischen Verfahren wie z. B. der Gestalttherapie schon sehr früh Zuspruch gefunden. Rogers, der Begründer der Gesprächspsychotherapie, hat die Arbeit mit Träumen, Imaginationen oder Märchen jedoch entlang des nondirektiven Vorgehens nicht als Bestandteil seines klientenzentrierten Ansatzes konzeptualisiert. In den letzten Jahrzehnten sind in der erfahrungsorientierten und personzentrierten Psychotherapie jedoch immer mehr die Chancen dieser verbildlichenden Ansätze in den Vordergrund getreten. Die Arbeit mit Träumen, Märchen und Imaginationen findet daher heute auch in diesem Ansatz erfolgreich Verwendung.
Jobst Finke stellt in seinem Buch anschaulich verschiedenste Herangehensweisen vor, um die Arbeit mit Träumen, Imaginationen oder Märchen im personzentrierten Bereich praxisnah zu ermöglichen.
Herausgeber
Der Autor Dr. med. Jobst Finke ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie für Neurologie und Psychiatrie und war lange an der Universitätsklinik Essen als Oberarzt tätig. Er ist Gesprächstherapeut und tiefenpsychologischer Psychotherapeut sowie Lehrtherapeut und Ausbilder für psychologisch fundierte und personzentrierte Psychotherapie. Jobst Finke zählt zu den prominentesten Vertretern der Klientenzentrierten Psychotherapie und kann zahlreiche Veröffentlichungen zur Psychotherapie mit schwer beeinträchtigten Personen sowie zu schulenübergreifenden Themen vorweisen und ist im Ausbildungsbereich angehender PsychotherapeutInnen tätig.
Aufbau
Neben einer Einführung in die Materie ist das Buch in drei Teile gegliedert, die in sich geschlossen sind und als eigenständige Abschnitte auch einzeln gelesen werden können.
- Der erste Teil befasst sich inhaltlich in elf Kapiteln mit der personzentrierten psychotherapeutischen Arbeit mit Träumen.
- Im zweiten Teil werden Imaginationen in der Gesprächspsychotherapie in weiteren zehn Kapiteln behandelt.
- Teil drei stellt in fünf Kapiteln die personzentrierte Arbeit mit Märchen vor.
In jedem der drei Teile wird kurz das jeweilige Verfahren dargestellt sowie die Indikationen zur Anwendung besprochen. Sie enden mit jeweils einem eigenen Resümee. Die mit Imaginationen und Träumen befassten Teile weisen zudem jeweils einen Abschnitt über die Arbeit mit Gruppen auf.
Inhalt
Zu Beginn stellt der Autor heraus, dass es sich bei der Arbeit mit Träumen, Imaginationen und Märchen im Grunde eigentlich um eine verfahrensübergreifende Methode handelt, im vorliegenden Buch jedoch ist die Anwendung verfahrensspezifisch auf die Personzentrierte Psychotherapie bzw. Gesprächspsychotherapie ausgerichtet. Beide Begriffe werden im Buch synonym verwendet. Imaginationen, Träume und Märchen sind nach Ansicht des Autors vergleichbare Phänomene. Während es sich bei Imaginationen und Träumen um individuelle Fantasien handelt, „basieren [Märchen] auf kollektiven Phantasien, durch die individuelles Wünschen und Sehen jeweils sehr stark angesprochen wird“ (S. 21).
Im einführenden Kapitel werden zunächst nahezu akribisch Grundpositionen der personzentrierten Arbeit mit Bildern und Symbolen vorgestellt. Diese ergeben sich aus der Kombination der Methode (z. B. der Arbeit mit Träumen, Imagination oder Märchen) und der Persönlichkeits-, Störungs- und Therapietheorie des jeweiligen Verfahrens, in dem diese Methode Anwendung findet. Im vorliegenden Buch handelt es sich um die Gesprächspsychotherapie. Jobst Finke macht hier noch einmal grundlegend deutlich, dass die Prämissen des personzentrierten Ansatzes die folgenden Ausführungen zur Arbeit mit Träumen, Imagination oder Märchen konsequent durchdringen.
In Teil 1 wird die Arbeit mit Träumen von KlientInnen behandelt. Der Autor stellt die Unterschiedlichkeit zwischen Träumen und dem Wachbewusstsein im Hinblick auf Erzählweisen vor, die sich als eher bildhaft oder sprachlich charakterisieren lassen (Kapitel 1.1). Aus psychotherapeutischer Perspektive sind Träume daher vor allem wegen ihrer sehr unverstellten Darstellung des organismischen Erlebens interessant und relevant. Im Anschluss daran werden neurophysiologische und psychologische Merkmale von Träumen besprochen. Jobst Finke stellt hier anhand verschiedener Forschungsergebnisse dar, inwiefern sich aktuelle Lebensereignisse in ihnen widerspiegeln, und unterstreicht so ihre Relevanz für die Therapie (Kapitel 1.2). Die Diversität von Träumen wird vom Autoren einmal nach formalen Kriterien (z. B. Initialträume, luzide Träume) und einmal nach inhaltlichen bzw. thematischen Kriterien (z. B. Angst-, Glücks- oder Beziehungsträume) kategorisiert, wobei eine eindeutige Zuordnung von Träumen in der Praxis nicht immer möglich ist, da sich verschiedene Motive in ihnen mischen können (Kapitel 1.3).
In den folgenden beiden Kapiteln wird auf die Rolle und die Bedeutung des Traums in der Personzentrierten Psychotherapie – auch im Hinblick auf die historische Entwicklung – (Kapitel 1.4) eingegangen sowie das zugrunde liegende Traumkonzept der personzentrierten Arbeit vorgestellt (Kapitel 1.5). Besprochen wird hier das körperliche Erleben als Quelle des Traumerlebens, Selbst- und Beziehungskonzepte sowie die Selbstperspektive in der Traumarbeit und die Rolle des Unbewussten. Träume können in der Gesprächspsychotherapie verschiedene Funktionen einnehmen, hierzu zählen beispielsweise die Problemlösefunktion, die stimmungs- und beziehungsregulierende Funktion oder die Darstellungsfunktion, die in Kapitel 1.6 vorgestellt werden. Jobst Finke geht anschließend auf das personzentrierte Verstehen von Träumen (Kapitel 1.7) sowie die Indikation der Traumarbeit ein (Kapitel 1.8).
Der Einblick in die Praxis der Arbeit mit Träumen ist sehr ausführlich gestaltet und beinhaltet ein Beispiel, in dem die zwei Phasen des Traumverstehens veranschaulicht werden (Kapitel 1.9). Auf die Imaginationsebene, die das Nacherleben und das Wiederbeleben sowie die Interaktion mit Figuren aus dem Traum beinhaltet, folgt die Reflexionsebene. Hier wird die emotionale und kognitive Resonanz reflektiert, das Traumthema identifiziert und differenziert, und es folgt die Interpretation des Traums. Im Verlauf des Kapitels werden immer wieder mögliche Fragen der/des TherapeutIn eingeschoben, die die praktische Arbeit dezidiert veranschaulichen. In einem Praxisbeispiel werden die Schritte des Traumverstehens nachgezeichnet, abschließend wird der Therapieverlauf im Hinblick auf die Traumarbeit beurteilt.
Die letzten beiden Kapitel des ersten Teils beinhalten einen Blick in die Arbeit mit Träumen in Gruppensituationen (1.10) sowie ein abschließendes Resümee (1.11).
Teil 2 des Buches ist der Arbeit mit Imaginationen gewidmet. Zu Beginn führt der Autor allgemein zur therapeutischen Arbeit mit Imaginationen ein (Kapitel 2.1) und stellt direkt im Anschluss entsprechende Indikationen vor (Kapitel 2.2). Jobst Finke thematisiert auch besonders eingehend die psychotherapeutische Kommunikation in Bildern und Begriffen (Kapitel 2.3). Er macht zudem deutlich, dass die Imaginationen des/der TherapeutIn als Mittel der Empathie eine wichtige Rolle spielen, um die Arbeit mit den Bildern des/det KlientIin zu vertiefen (Kapitel 2.4). Hier wie auch schon im vorhergehenden Kapitel werden die Ausführungen stets mit Praxisbeispielen unterstrichen.
In Kapitel 2.5 führt Jobst Finke aus, dass die Arbeit mit Imaginationen sowohl als klärungs- als auch als bewältigungsorientierte Zielsetzungen verfolgen kann, auf Letztere wird später noch gesondert eingegangen. Als verschiedene Praktiken im Umgang mit Imaginationen unterscheidet er die geführte und nicht geführte Imagination (Kapitel 2.6), wobei in ersterem Fall die Lenkung möglichst gering gehalten werden soll, Entspannungsverfahren zu Beginn entfallen dabei. Das folgende Kapitel (2.7) behandelt Themen der Imagination, im ersten Teil geht es vor allem um die Bedeutung des organismischen Erlebens für die therapeutische Arbeit mit Imaginationen. Themen können beispielsweise Bedürfnisse und Gefühle sein, aber auch Imaginationen zum Selbstkonzept, Beziehungskonzept oder Alter Ego werden vorgestellt. Nach der Darstellung der bewältigungsorientierten Anwendung von Imaginationen in Kapitel 2.8 folgen wiederum eine kurze Erläuterung zur Durchführung der Methode in Gruppensettings (2.9) sowie ein Resümee (2.10).
Im letzten Teil des Buches, Teil 3, beschäftigt sich der Autor mit der personzentrierten Arbeit mit Märchen. Er beschränkt sich dabei auf die Grimm´schen „Kinder- und Hausmärchen“, die leicht zugänglich und sehr bekannt sind. Im ersten Kapitel (3.1) des Abschnittes geht Jobst Finke auf die strukturelle Ähnlichkeit zwischen Träumen und Märchen ein und führt entlang dieser Überlegungen aus, wie sehr die Arbeit mit Märchen sich als sinnvoll erweist. Als Indikation nennt er die Anregung und Vertiefung von Selbstreflexion. Relativ ausführlich und mit einigen Beispielen stellt er anschließend narrative Eigenschaften von Märchen dar, er unterscheidet zwischen traditionalen, exemplarischen, kritischen und genetischen Erzählweisen.
Das zweite Kapitel des dritten Teils befasst sich mit der praktischen Arbeit mit Märchen im Therapiekontext (3.2). Hier werden das personzentrierte Verstehen von Märchen und die Merkmale des therapeutischen Vorgehens näher erläutert und anhand ausführlicher Beispiele aus der Praxis verdeutlicht. Auch in diesem Teil gibt es einen Abschnitt zur Arbeit mit der entsprechenden Methode in einer Gruppe. Im folgenden Kapitel (3.3) weist der Autor auf den thematischen Zusammenhang zwischen „psychotherapeutisch relevanten Störungsbildern und Problemkonstellationen zu bestimmten Märchenmotiven“ (S. 192) hin. Dazu unterscheidet er zwischen individuellen Störungsformen wie Angst oder Depression, Störungen in Paarbeziehungen und Störungen oder Konflikte im familiären Kontext und bringt diese in Verbindung mit Märchen bzw. Märchenmotiven.
Vor dem abschließenden Resümee im letzten Kapitel (3.5) wirft Jobst Finke die Frage auf, inwiefern Lösungsansätze von Märchenhelden auch im therapeutischen Kontext für KlientInnen als „Heilmittel“ gesehen werden können. Dazu stellt er verschiedene Überlegungen zu Achtsamkeit und zur Aktivierung eines unterstützenden Alter Ego, des eigenen Selbstvertrauens oder des Eigenwillens an und bezieht sich dabei durchgehend auf verschiedene Märchen, an denen er seine Gedanken anschaulich erläutert.
Ein kurzer Epilog auf der letzten Seite schließt den inhaltlichen Teil des Buches ab.
Diskussion und Fazit
Jobst Finke befasst sich in seinem neuesten Buch mit einer nahezu akribischen Gründlichkeit mit den Themen Träume, Imaginationen und Märchen in der Personzentrierten Psychotherapie und Beratung. Niemand zuvor hat in diesem Verfahren zu diesem Thema so eingehend und zugleich so nah an der konkreten Praxis Überlegungen angestellt. Diesem Pionierstatus wird er vollauf gerecht.
LeserInnen werden umfassend davon überzeugt, wie viele Möglichkeiten es im Personzentrierten Vorgehen gibt, mit Träumen, Imaginationen und Märchen zu arbeiten. Das Buch eignet sich folglich nicht nur für PsychotherapeutInnen und BeraterInnen, sondern auch für alle im psychosozialen Arbeitsbereich tätigen KollegInnen, die immer wieder in der Praxis mit Träumen, Imaginationen und Märchen zu tun haben und diese nach der Lektüre des Buches wesentlich besser konstruktiv einordnen und nutzen können.
Gut strukturiert, systematisch und mit Liebe für den Gegenstand führt der Autor die LeserInnen an die Thematiken heran und vermittelt dabei sowohl relevantes Grundlagenwissen als auch Leitfäden für die konkrete Gesprächsführung in der Praxis vor Ort. Mit den vielen Beispielen gibt Jobst Finke immer wieder die Möglichkeit, das Geschriebene auf seine Alltagstauglichkeit in Psychotherapie und Beratung zu überprüfen und in Anwendung zu bringen. Daher lässt sich das Buch, obwohl es auf die Gesprächspsychotherapie bezogen ist, auch sehr gut in einem übergreifenden Kontext als Anregung verwenden. Die sehr enge Untergliederung des dritten Teils schafft kurzzeitig Verwirrung, die sich aber angesichts der lebendigen und inhaltsreichen Lektüre sofort wieder auflöst.
Insgesamt ein äußerst gelungenes, inhaltsreiches und lebendiges Buch – mit absoluter Anwendungsgarantie!
Rezension von
Prof. Dr. phil. habil. Silke Birgitta Gahleitner
Professorin für Klinische Psychologie und Sozialarbeit für den Arbeitsbereich Psychosoziale Diagnostik und Intervention an der Alice Salomon Hochschule Berlin
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Dipl.-Psychologin Anne Spönemann
Absolventin der Universität Bremen und freie Mitarbeiterin im Kinder- und Jugendhilfeforschungsbereich
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