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Karin Kaudelka, Gerhard Kilger (Hrsg.): Eigenverantwortlich und leistungsfähig

Rezensiert von Maria Wolf, 04.06.2014

Cover Karin Kaudelka, Gerhard Kilger (Hrsg.): Eigenverantwortlich und leistungsfähig ISBN 978-3-8376-2588-2

Karin Kaudelka, Gerhard Kilger (Hrsg.): Eigenverantwortlich und leistungsfähig. Das selbständige Individuum in der sich wandelnden Arbeitswelt. transcript (Bielefeld) 2013. 152 Seiten. ISBN 978-3-8376-2588-2. D: 19,99 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 28,00 sFr.
Reihe: Sozialtheorie.

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Herausgeber und Herausgeberin

Dr. Gerhard Kilger ist Gründungsdirektor der DASA Arbeitsweltausstellung in Dortmund, Dr. Karin Kaudelka ist – ebenfalls in der DASA – strategische Kuratorin „Arbeit und Gesellschaft“.

Entstehungshintergrund

Bei der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich um die Dokumentation zum DASA-Symposium „Eigenverantwortlich und selbständig – Individuum und Gesellschaft in der sich wandelnden Arbeitswelt“ aus der 2008 initiierten Reihe „Constructing the Future of Work“ vom 8. und 9. November 2012 in Dortmund.

Aufbau

Der Aufbau des Bandes folgt den Vorträgen des Symposiums. Die einzelnen Abschnitte werden durch von Clara Schlichtenberger zusammengefasste Diskussionsrunden abgeschlossen. Die thematischen Schwerpunkte der fünf Abteilungen sind von der Gliederung her nicht deutlich zu erkennen, lassen sich aber wie folgt beschreiben:

  1. Soziologische Skizzen einer gewandelten Arbeitswelt
  2. Auswirkungen des Wandels auf bestimmte Gesellschaftsgruppen
  3. Chancen der neuen Arbeitsbedingungen
  4. Beispiele für Anforderungen an psychische Bewältigungsleistungen
  5. Szenarien einer Verknüpfung von Freiheit und Erwerbstätigkeit

Inhalt

Den Eröffnungsbeitrag leistet Franz Schultheis. Er stellt anschaulich Leitkonzepte einer kapitalistischen Gesellschaftsform vor und illustriert deren Wahrnehmung anhand Untersuchungen verstehender Soziologie im Bourdieuschen Sinne (u.a. am Beispiel der breit angelegten Studie „Ein halbes Leben“ www.socialnet.de/rezensionen/9421.php) aus Sicht der vom gesellschaftlichem Wandel am Arbeitsmarkt Betroffenen.

Klaus Peters bemängelt in seinem hier publizierten Vortrag, dass dem Konzept der „Wissensgesellschaft“ das Prinzip des „selber Denkens“ fehlt. Er erläutert sehr bildlich, wie Unternehmen in einem neuen Organisationsregime die Erfolgs- und Misserfolgslogik von Selbständigen und Freiberuflern auf abhängig Beschäftigte übertragen können, und dass – auf Arbeitnehmerseite – dadurch psychische Belastungen entstehen.

Ein kurzer Essay von Katja Kullmann skizziert den Widerspruch zwischen dem – als Träger eines neuen Wirtschaftens – vorbildhaft dargestellten Typus des freien, flexiblen und jungen Kreativen und den damit verbundenen Prekarisierungszwängen.

Den zweiten Abschnitt beginnt Cornelia Koppetsch, indem sie der Frage nach der Mittelschicht in einer sich gewandelten Gesellschaft nachgeht. Ihre Argumentation zur Abschottung dieser Gruppe und Herausbildung einer neuen „Klassengesellschaft“ verdeutlicht sie an den Beispielen bevorzugter Bildungsbedingungen und der Vermögensvorsorge.

Stephan Lessenich richtet das Augenmerk in seinem kurzen Beitrag auf eine weniger beachtete Kategorie demografischer Veränderungen: die Erzählung des „aktiven Alten“. Unbestritten ist, dass über 55 Jährige heute weitaus agiler, gesünder und gebildeter als ihre Altersgenossen vor ein oder zwei Generationen waren. Seine Forschungen, auf die er in diesem Beitrag eingeht, fragen danach, wie diese „verjüngten“ Alten mit dem gesellschaftspolitischen Umbau, der an ihr Selbstbild herangetragen wird und auf ihre Altersarbeitskraft abzielt, umgehen. SPIEGEL und BILD zeichnen das Ideal am Beispiel des SPD-Politikers Henning Scherf.

Kathrin Röggla lässt in einem Auszug aus ihrem Roman „Wir schlafen nicht“ die Gestressten, Überarbeiteten und kurz vor dem Burnout stehenden, zu Wort kommen.

Die nächste Abteilung wird durch einen Beitrag aus Sicht der Unternehmensführung von Norbert Breutmann eröffnet. Im Zentrum seiner Ausführungen steht die Frage eines gesundheitsverantwortlichen Umgangs mit flexiblen und entgrenzten Arbeitsbedingungen. Dabei werden Studien zu den Zusammenhängen zwischen psychischer Belastung bzw. Erholungsmöglichkeiten und diversen Arbeitsgestaltungsmodellen nebeneinandergestellt. Ein im Beitrag gezogenes Fazit lautet, dass Arbeitsschutz und Erhalt der Arbeitskraft und Gesundheit weniger von den neuen Arbeitsbedingungen beeinflusst werden als erwartet, dafür aber zum großen Teil von den persönlichen Ressourcen der Mitarbeiter und den sozialen Bedingungen in ihrem Umfeld abhängen.

Horst Opaschowsky beendet diese Abteilung mit 10 Zukunftsprognosen, die er aus seinen aktuellen Veröffentlichungen zusammengestellt hat.

In Abteilung Vier richtet Gisela Mohr das psychologische Augenmerk auf Frauen in „Männerberufen“, Männer in „Frauenberufen“ und Frauen im männlich dominierten Feld der Führungskräfte. Dabei kommt sie in ihrem Vortrag zu dem Schluss, dass vor allem Rollenstigmata die Aufstiegs- und Akzeptanzmöglichkeiten in den, vom jeweils anderen Geschlecht dominierten Feldern, beeinflussen.

Lutz Packebusch präsentiert die Ergebnisse des Projekts zu „Erhalt und Förderung psychischer Gesundheit besonders belasteter Berufs- und Funktionsgruppen in Klein- und Kleinstunternehmen“ (Befunt). Dabei kommt er vorrangig auf die Rolle von Führung und Organisation zu sprechen.

Die letzte Abteilung wird durch Marcus Albers Beitrag zur Meconomy eröffnet. In feuilletonistischer Manier beschreibt er die Chancen einer kreativen und mit dem Anspruch der Selbstverwirklichung versehenen Lebens- und Erwerbsperspektive, die seiner Ansicht nach nicht zuletzt durch den Einbruch der Finanzmärkte ermöglicht wurde.

Den Abschuss bildet Johannes Czwalina mit seiner Vision einer bewussten und lebenswerten Verknüpfung von Erwerbsarbeit und schöpferischer Freiheit. Er beginnt seinen Ausführungen mit einem Rundgang durch die Geschichte des Arbeitens von der Steinzeit an. Zwei Zensuren, die den Wandel der Arbeit hin zu einem entfremdenden Arbeiten gestalten macht er dabei aus: die Einführung des Zinswesens durch die Medici im 14. Jahrhundert und die, durch die Industrialisierung eingeleiteten Entwicklungen der Arbeitsrationalisierung und der damit einbrechenden künstlerischen und handwerklichen Entfaltung im Arbeitsleben. Aus diesen Überlegungen heraus entwickelt er die Frage, ob der Rückgang der faktisch benötigten Arbeitskräfte, nicht zu einer Rückkehr eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Erwerbstätigkeit und schöpferischer Mußezeit führen kann.

Diskussion

Gerade die zweite Abteilung mit den Beiträgen von Koppetsch und Lessenich verdeutlicht, wie sich ein Wandel von Rahmenbedingungen der Arbeit auf gesellschaftliche Strukturen auswirkt. Cornelia Koppetsch erkennt in der Lebensgestaltung der Mittelschicht einen Rückzug ins Private. Damit eröffnet sie eine, von der perspektivlos erscheinenden Lesart der „Politikverdrossenheit“ abweichende Sichtweise auf sinkende Mitgliedszahlen in Parteien und Gewerkschaften sowie Ansätze für bürgerschaftliches Engagement. Das damit verbundene Wiedererstehen von „Klasse und Schicht“ lässt sich auch bei anderen gesellschaftlichen Gruppen beobachten, denkt man nur an die Abgrenzungen von Stammbelegschaften zu Leiharbeitern (siehe www.socialnet.de/rezensionen/14866.php) oder Vollzeit-Erwerbstätigen zu Empfängern von Transferleistungen. Stephan Lessenich beschreibt ein ähnliches Phänomen bezüglich Menschen, die ins Rentenalter eintreten. Hier ersteht ein, m.E. aus ökonomischen Gründen produziertes und medial propagiertes, Schreckensbild des rastlosen Rentners, das eine bedenkliche Wirkung auf die Wahrnehmung der Alten hat. Es wird selektiert zwischen den Kapitalien und somit werden gesellschaftliche Zuordnungen dergestalt zementiert, dass ein Hinweis auf „Klasse und Schicht“ begründet scheint.

Die letzte, wohl als experimentell zu verstehende Abteilung, scheint von Utopien geprägt zu sein. Marcus Albers stellt die Unkultur des Halbwissens als Erfolgsmodell der Gegenwart und Zukunft vor. Damit kann er jedoch nur auf eine sehr eng umschriebenes Segment der Erwerbstätigkeit abzielen, dass sich vor allem durch Beratungsleistungen ohne objektive Qualitätssicherung auszeichnet. Der Arbeitsbereich der „Kreativen“ kann nicht gemeint sein, denn hier kommt es auf Leistung an, der gegenüber oft prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen stehen. Johannes Czwalina gar behauptet, was sich während Jahrhunderten gebildet hat, solle sich in einem Jahrzehnt komplett verändern. Bei dieser Überlegung vernachlässigt er die menschlichen Verharrungsbestrebungen in den tradierten Formen und Logiken verhaftet zu bleiben, wenn sie auch für gesellschaftliche Kleinstsegmente – wie z.B. den Gedanken der Schenkökonomie entsprechenden Gruppen – temporär denkbar sind. Solange Gewinnmaximierung ein wirtschaftliches Prinzip ist, bleiben die Lebenserhaltungskosten für den Durchschnitt der Bevölkerung zu hoch, um Erwerbstätigkeit als ein frei bestimmtes Lebensgestaltungselement unter vielen zu sehen.

Formal: Eine Darstellung der Diskussionsrunden wären in transkribierter Form wohl gehaltvoller gewesen, so beschreiben die Zusammenfassungen eher die Sicht eines voreingenommenen Dritten und können am ehesten als Gedächtnisstütze für die Anwesend gewesenen, denn als Dokumentation für Abwesende gelten.

Fazit

Sowohl für den Einsteiger ins Thema Wandel der Erwerbsarbeit – Wandel der Lebensbedingungen, als auch denjenigen, der tiefer mit der Materie vertraut ist, bietet diese Tagungsdokumentation wertvolle Impulse zum weiterlesen, -recherchieren und -forschen. Der Versuch einen Bogen von den allgemeinen Grundlagen hin zu speziellen – vom Wandel der Erwerbstätigkeit geprägten – Gesellschaftsfeldern zu spannen, ist gelungen. Das dabei natürlich auch hier nur ein Ausschnitt des allumfassenden Wandels gezeichnet werden kann, liegt auf der Hand, so vernachlässigt der Band Bereiche, wie etwa die mit dem Wandel verbundene gruppenübergreifende Prekarisierung.

Die Beiträge sind von unterschiedlicher Qualität, jedoch überwiegen die inhaltlich wertvollen.

Rezension von
Maria Wolf
MA Soziale Arbeit
Lehrkraft für besondere Aufgaben, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
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Es gibt 18 Rezensionen von Maria Wolf.

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Zitiervorschlag
Maria Wolf. Rezension vom 04.06.2014 zu: Karin Kaudelka, Gerhard Kilger (Hrsg.): Eigenverantwortlich und leistungsfähig. Das selbständige Individuum in der sich wandelnden Arbeitswelt. transcript (Bielefeld) 2013. ISBN 978-3-8376-2588-2. Reihe: Sozialtheorie. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16127.php, Datum des Zugriffs 14.10.2024.


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