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Jörn Borke, Heidemarie Keller: Kultursensitive Frühpädagogik

Rezensiert von Jutta Daum, 11.07.2014

Cover Jörn Borke, Heidemarie Keller: Kultursensitive Frühpädagogik ISBN 978-3-17-022120-8

Jörn Borke, Heidemarie Keller: Kultursensitive Frühpädagogik. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2013. 146 Seiten. ISBN 978-3-17-022120-8. D: 19,00 EUR, A: 19,60 EUR, CH: 27,50 sFr.

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Autorin und Autor

Prof. Dr. Heidi Keller lehrt an der Universität Osnabrück im Institut für Psychologie und leitet die Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur im Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (Nifbe)

Dr. Jörn Borke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur am Nifbe und leitet die Babysprechstunde an der Universität Osnabrück

Entstehungshintergrund

In Kindertageseinrichtungen hat etwa jedes 3. Kind im Alter von 3 Jahren bis zum Schuleintritt mindestens ein Elternteil ausländischer Herkunft. Der frühpädagogische Alltag ist somit durch eine Vielfalt an Kulturen, Sprachen und Lebenswelten geprägt. Diese kulturelle Vielfalt bedeutet für den individuellen Bildungsprozess oftmals immer noch ein Entwicklungsrisiko hinsichtlich sozialer Teilhabe und Chancengerechtigkeit. Für die Umsetzung der pädagogischen Leitidee der Inklusion benötigen Fachkräfte daher theoretisches wie praktisches Wissen, um dem Auftrag von Kindertagestagesstätten, die individuelle Entwicklung der Kinder zu fördern, gerecht zu werden.

Aufbau und Inhalt

Mit ihrem vorliegenden Buch verfolgen die beiden Autoren die Absicht, einen Beitrag im Sinne einer Differentiellen Pädagogik vorzulegen und entwerfen hierzu den Ansatz einer kultursensitiven Frühpädagogik. „Ausgehend von den Erkenntnissen der kulturvergleichenden Familienforschung sowie vor dem Hintergrund anthropologischer und evolutionärer Befunde wurden […] Ideen und Impulse für eine Arbeit in Kindertagesseinrichtungen ausgeführt“ (133).

In Kapitel 1 wird ein diesem Ansatz zugrunde gelegtes Verständnis von Kultur und Entwicklung vorgestellt. Kultur wird als ein von Personen geteiltes Deutungs- und Verhaltensmuster verstanden, das sich an deren ökonomischen und sozialen Ressourcen anpasst. So bestimmen soziodemografische Merkmale wie das Niveau der formalen Bildung, städtische oder ländliche Umgebung, Familiengröße und Erstgeburtsalter das soziale Milieu und prägen damit die Werte und Vorstellungen von Entwicklung, Erziehung und Bildung von Kindern. Das Erziehungsverhalten von Eltern und Professionellen wird maßgeblich davon bestimmt, „was in dem jeweiligen Umfeld als besonders bedeutsam gilt“ (17). Im Umgang mit den beiden sehr universalen Grundbedürfnissen von Autonomie und Verbundenheit werden zwei Prototypen als Kategorien für ein kultursensitives Verständnis vorgestellt. Für den Prototyp der psychologischen Autonomie zählen ein hohes Maß an Selbstverwirklichung, ein gleichberechtigter Umgang mit Kindern und ein sozialer Austausch, der eher über die Fernsinne (Blickkontakt) stattfindet. Der Prototyp der hierarchischen Verbundenheit legt besonderen Wert darauf Teil einer Gruppe zu sein, ist durch körperliche Nähe geprägt und orientiert sich eher an einer hierarchischen Sozialstruktur. Dem Gleichberechtigungsmodell wird das Lehrlingsmodell als Sozialisationsstrategie gegenübergestellt.

Mit diesem konzeptionellen Rahmen findet in Kapitel 2 eine Einordnung zentraler Konzepte, Begriffe und Curricula statt. Hierzu werden pädagogische Konzepte wie z.B. die Waldorf- und Reggio-Pädagogik, der Bildungsbegriff der Selbstbildung und Ko-Konstruktion, die Bildungspläne der 16 Bundesländer sowie verschiedene Ansätze zum Verständnis von Interkulturalität analysiert. Die überwiegend autonomiegeprägte Haltung und Sichtweise der westlichen Welt verdeutlicht, wie sehr Umgangsformen der Fachkräfte in der Zusammenarbeit von Familien aus anderen kulturellen Kontexten zu Irritationen führen können (vgl.45). Eine Sensibilisierung für unterschiedliche Sozialisationsziele erachten die beiden Autoren daher für zwingend notwendig.

Kapitel 3 konkretisiert das Konzept einer kultursensitiven Frühpädagogik an zentralen Schlüsselsituationen (u.a. Spielen, Eingewöhnung, Sprache und Raumgestaltung) des pädagogischen Alltags. Hierzu dienen die Dimensionen von Kenntnis, Haltung und das Leben von Diversität als kultursensitive Lupe, mit der pädagogische Handlungsweisen für einen kultursensitiven Umgang erläutert werden.

Diskussion

Die seit einigen Jahren bestehende ethische Forderung nach einer Pädagogik der Vielfalt (Prengel) stellt für die Fachkräfte in den pädagogischen Institutionen eine besondere Herausforderung dar. Oftmals bestimmt der eigene ethnozentrisch geprägte Blick die konkreten pädagogischen Handlungskonzepte. Um die eigenen Haltungs- und Handlungsweisen zu erweitern, ist eine Sensibilisierung für unterschiedliche kulturelle Verhaltensweisen und Erziehungsvorstellungen notwendig. Mit dem Modell der Autonomie- und Verbundenheitsorientierung haben Borke und Keller sehr verständliche Kategorien als sinnvolle praktikable Anhaltspunkte für das eigene Handeln erarbeitet.

Fazit

Dieses Buch regt zur Reflexion der eigenen kulturell geprägten Wert- und Normenvorstellungen an und ist als Orientierungsleitfaden für interkulturelles Handeln ein sehr konkretes Handwerkszeug, um den Erfordernissen der Praxis gerecht zu werden. In der Aus- und Weiterbildung von Pädagogen sollte der Ansatz der Kultursensitiven Frühpädagogik daher nicht mehr fehlen!

Rezension von
Jutta Daum
Erziehungswissenschaftlerin (M.A.), Gießen
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Es gibt 20 Rezensionen von Jutta Daum.

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ISSN 2190-9245