Robert Wegener, Michael Loebbert u.a. (Hrsg.): Coaching-Praxisfelder. Forschung und Praxis im Dialog
Rezensiert von Peter Schröder, 02.04.2014

Robert Wegener, Michael Loebbert, Agnès Fitze (Hrsg.): Coaching-Praxisfelder. Forschung und Praxis im Dialog. Springer VS (Wiesbaden) 2013. 140 Seiten. ISBN 978-3-658-01818-4. D: 29,99 EUR, A: 30,83 EUR, CH: 37,50 sFr.
Thema und Entstehungshintergrund
Wenn ein Beratungsformat zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung wird, ist ein wichtiger Schritt in Richtung Ausbildung einer Profession getan. Die Zuwendung der Wissenschaft zu dem Gegenstand signalisiert eine nichtmarginale gesellschaftliche Bedeutung. Interessanterweise ergeben sich zugleich zirkuläre Bezüge: die Wissenschaft forscht zum Thema Coaching und kann dann sowohl die PraktikerInnen als auch die Verbände als auch die Kunden beraten. Zugleich etabliert sich eine neue Sparte des Coaching, nämlich Coaching in der Wissenschaft (ebenfalls dokumentiert im vorliegenden Band). Rückkopplungsschleifen dienen dem Lernen der Systeme, das macht sie auch in diesem Kontext verheißungsvoll, und sowohl Praktiker als auch Wissenschaftler sollten gespannt sein auf das, was sich von solchen wechselseitigen Lernprozessen im Buch widerspiegelt.
Zugleich erkundet das Buch die Weite der Coachinglandschaft und präsentiert einen Überblick sowohl über unterschiedliche Coaching-Praxisfelder als auch über praxisfelderübergreifende Themen, um dann schließlich „Ansätze einer Coaching-Theorie“ zu formulieren. Der Band ist die Dokumentation des zweiten internationalen Coaching-Fachkongresses „Coaching meets research – Praxisfelder im Fokus“, der im Mai 2012 in Basel stattgefunden hat. Weitere (und keineswegs weniger informative) Beiträge des Kongresses finden sich im Onlineteil des Buches, der weitere 490 Seiten umfasst.
Herausgeber
Die drei Herausgeber arbeiten an der Hochschule für Soziale Arbeit Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Agnès Fritze leitet dort das Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement (ICSO), Michael Loebbert ist Programmleiter und Lehrcoach Coaching Studies an der Fachhochschule Nordwestschweiz, und Robert Wegener schließlich leitet die internationalen Coachingkongresse „Coaching meets research“ und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Schwerpunkt Coaching des ICSO.
Aufbau und Inhalt
Der einführende Artikel der Herausgeber markiert das Spannungsfeld zwischen der Breite möglicher Praxisfelder des Coaching, hinter dem völlige Beliebigkeit lauert, und einem sehr eng gefassten Coachingbegriff, der wichtige Perspektiven verstellen würde. Insofern ist die Frage: Was sind grundlegende Merkmale des Beratungsformates Coaching, die konstant in den diversen Praxisfeldern auftreten und das Material liefern, auf dem eine profunde Coachingtheorie aufbauen kann?
Der Band ist in drei Teile gegliedert.
- Der erste widmet sich den unterschiedlichen Coaching-Praxisfeldern,
- der zweite benennt Praxisfelderübergreifende Themen, der
- dritte liefert Ansätze einer Coaching-Theorie.
Ein abschließender Anhang bietet das Inhaltverzeichnis des Onlineteils.
Der Beitrag von Uwe Böningmit dem Titel Business-Coaching mit Führungskräften reflektiert ein klassisches Praxisfeld von Coaching, beschreibt dessen zentrale Themen und Kontexte sowie Entwicklungsoptionen des Beratungsformates: So sei zum Beispiel der betonfeste Grundsatz, Coaching sei eine non-direktive Beratungsform, zu überprüfen: Möglicherweise geht es eher darum, die Anlässe für non-direktive Beratung von den Fragestellungen zu unterscheiden, bei denen konkrete Ratschläge (im Sinne des Klienten) zielführender sind. Und zum anderen geht es im Coaching nicht nur um das Lösen partikularer Aufgaben, sondern auch (und wie Böning anmerkt: in zunehmendem Maße) um das Gelingen von (individuellen und kollektiven) Lebensentwürfen überhaupt.
Margaret Moore und Barrett W. McBride präsentieren einen Coachingbereich, der auch in Deutschland stark im Kommen ist: Ihr Beitrag ist überschrieben mit „Health and Wellness Coaching in Practice“. Ihre Prognose ist, dass das Coaching im Gesundheitsbereich weiter expandieren wird.
Wann wird Dornröschen wachgeküsst? Coaching in der Politk: Einblick in die Praxis – Ansätze für die Forschung lautet der Titel des Beitrages von Hanne Weisensee. Allzu übersichtlich scheint das Feld indes noch nicht zu sein, denn die Autorin benennt als Aufgaben für die Coachingforschung, die Coahces zu recherchieren, die überhaupt in der Politik arbeiten, dann auch die Kundenseite zu erforschen, weiter die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen politischen Ebenen (kommunal, Land, Bund, EU) in Bezug auf Coaching herauszuarbeiten und vieles andere. Gleichwohl beschreibt die Autorin eine Reihe von Erfahrungen, die im Politikercoaching schon gemacht wurden – übrigens taucht hier auch wieder der Gedanke auf, dass Coaching in solchen Bereichen auch direktiv arbeiten kann und soll.
Monika Klinkhammer beginnt ihren Beitrag Coaching für Wissenschaftler/innen mit dem Satz: „Der Hochschul- und Wissenschaftsbereich ist heute einer der größten Beratungsmärkte.“ (S. 73) Die Autorin umreißt die ganze Breit der Themen und Anliegen von Coaching im Bereich der Wissenschaft und kommt zu dem (vorläufigen) Schluss, „dass Coaches sowohl auf der Ebene der Profession als auch auf der Ebene von Organisationen noch eine Vielzahl an Herausforderungen zu meistern haben“ (S. 88), die sie im Folgenden skizziert und auf diese Weise eine „To-do-Liste“ für Coaching im Kontext von Wissenschaft erstellt.
Mit einem herausfordernden Zitat eröffnet Bernd R. Birgmeier seinen Beitrag mit dem Thema „Coaching im Kontext der Sozialen Arbeit“, nämlich mit der Aussage von Hüseyin Özdemir: „Coaching ist für mich ein helfender Beruf“. Der Begründungsgang wirkt etwas zirkulär: Coaching ist anschlussfähig im Kontext sozialer Arbeit, weil auch Coaching ein helfender Beruf ist. Und die Berufe der sozialen Arbeit sollten sich schon deshalb mehr an Coaching annähern, weil eben beides helfende Berufe sind. Dass Coaching auch im Feld der sozialen Arbeit anschlussfähig ist, daran besteht wohl kaum noch ein Zweifel, ob das verbindende Element allerdings gerade das „Helfen“ ist, halte ich nicht für ebenso sicher. Umso wertvoller ist der Aufruf am Ende des Beitrages, die Kontaktflächen von Coaching und Sozialer Arbeit mit wissenschaftlichem Repertoire weiter zu erforschen.
Zu einer der Quellen von Coaching wendet sich der Aufsatz von Chris Cushion und John Lyle: Conceptualising Sport-Coaching – Some Key Questions and Issues. Der Blick auf das gegenwärtige Sportcoaching ergibt kein konsistentes Bild, da ein Konzept, das die partikularen Erfolge systematisch reflektiert, die unterschiedlichen Rollenentwürfe für Coaches miteinander abgleicht und so zu einer begründeten Praxistheorie findet, bislang fehlt.
Mit dem Artikel „Traditionelle und moderne Medien im Coaching“ von Harald Geißler beginnt der Teil II: Praxisfelderübergreifende Themen. Zwischen Selbstcoaching und Face-to-Face-Coaching gibt es den Bereich der „methodisch strukturierten und elektronisch vermittelten Basiskommunikation zwischen Coach und Coachee“. (S. 145) Geißler beschreibt den „Stand der Technik“ elektronischer Medien, die im Coaching eingesetzt werden können und reflektiert deren Vor- und Nachteile, um den Beitrag schließlich mit dem „Entwurf einer konstruktivistischen Theorie traditioneller und moderner Medien im Coaching“ abzuschließen.
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Coaching hat mit Wirksamkeitsforschung begonnen, insofern hat die Frage nach der Evaluation von Coaching nach wie vor eine hervorgehobene Bedeutung. Siegfried Greifs Beitrag widmet sich dem Thema „Wie wirksam ist Coaching? Ein umfassendes Evaluationsmodell für Praxis und Forschung.“ Evaluation ist gerade im Feld von Coaching nicht besonders einfach, da es sich um eine „außerordentlich komplexe, schwer zu fassende und zu bewertende, besondere Dienstleistung“ handelt. (S. 171) Gerade deshalb aber müssten Verbände und Coaches ein besonderes Interesse daran haben, WissenschaftlerInnen bei ihren Forschungsvorhaben nach Kräften zu unterstützen.
Frank Bresser reflektiert in seinen Beitrag „Die aktuelle Bedeutung von Coaching-Programmen“. Unter „Coaching-Programmen“ versteht der Autor Konzepte für den strategischen, reflektierten Einsatz von Coaching in Organisationen, in denen bestimmte Coachingprinzipien sich realisieren. Warum es für Unternehmen zielführender ist, Coaching im Rahmen von Coachingprogrammen zu organisieren, begründet Bresser mit einer Reihe von sieben Argumenten, um dann abschließend in seinen Schlussfolgerungen einige Aufgaben für die weitere Entwicklung zu formulieren.
Der Teil III des Bandes enthält Ansätze einer Coaching-Theorie. Michael Loebbert schließt den thematischen Kreis mit seinem Beitrag „Praxisfelder im Coaching“. „Coachingtheorie“ bedeutet nicht nur, eine tragfähige Definition von Coaching zu entwerfen, sondern auch eine Theorie über die – teilweise disparaten – Praxisfelder und ihre Eigendynamiken zu formulieren. Loebbert schreibt: „Im Folgenden wird der Versuch unternommen, einen Anfang für eine Coaching-Theorie zu machen und die Unterscheidung von Praxisfeldern darauf zu beziehen“.
Diskussion
Kongresse beleuchten eine Vielzahl von Aspekten eines Themas. Das ist ihre Stärke, denn so entstehen, wie Hilarion Petzold es ausdrücken würde, weiterführende „Polyloge“. Und zugleich ist es ihre Schwäche, denn bei der thematischen Breite muss notwendigerweise auf Vertiefungen verzichtet werden. Vielleicht ist es aber auch so, dass am Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit einem Thema immer die Besichtigung der Landschaft und die Formulierung weiterer Arbeitsaufgaben steht – so jedenfalls ist es auch bei der Arbeit „Supervision auf dem Prüfstand“ von Petzold, Schigl u.a., die vor zehn Jahren publiziert wurde, gewesen. Insofern ist das vorliegende Buch ein guter und wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer Coachingforschung, die sowohl dem Ansehen des Beratungsformates als auch seiner wissenschaftlichen Fundierung dienen wird. Streckenweise liest sich der Band zugleich wie das Hausaufgabenheft weiterer Coachingforschung – und Hausaufgaben dienen bekanntlich dem vertieften Lernen.
Es gäbe viele Stellen, an denen ich mit einer Diskussion gern ansetzen möchte. Eine solche Diskussion würde aber den Rahmen einer Rezension weit sprengen. Ich würde mir also wünschen, dass die Community der Praktiker und der Praxistheoretiker sich die Themenbälle zuspielen lässt, sie auffängt, sich mit ihnen befasst und dann in den Diskurs zurückspielt. Dabei werden sowohl einzelne Coaches, vor allem solche, die in definierten Praxisfeldern arbeiten, als auch Coachingverbände als auch WissenschaftlerInnen gefragt sein. Der nächste Kongress „Coaching meets Research“ in der Schweiz ist für dieses Jahr schon angekündigt, das Programm wird also fortgesetzt, und auch diesmal gewiss wieder mit relevanter Beteiligung.
Persönlich wünsche ich mir weitere Reflexionen und Diskussionen vor allem zu folgenden, in diesem Band angesprochenen Themen:
- Wie weit kann man den Bogen der möglichen Praxisfelder von Coaching spannen, ohne ihn zu überspannen?
- Ist Coaching gleich Coaching, oder welche signifikanten Unterschiede bestehen beispielsweise zwischen Businesscoaching und Coaching im sozialen Bereich? (Und wie klingt der Satz, Coaching sei ein „helfender Beruf“ für Führungskräfte in der Wirtschaft?)
- Bedeuten „Coachingprogramme“ einen Fortschritt gegenüber dem Formulieren allgemeiner und auch Ethikstandards im Coaching, und wie viel „Strategie“ verträgt Coaching?
- Wie können wir Evaluationsmodelle entwickeln, die einerseits den Ansprüchen der Forschung genügen und andererseits die Klienten nicht über Gebühr beanspruchen?
- Und wer wird Coaches dabei begleiten können, nach der Evaluation ihr Coaching so zu verbessern, dass es hilfreicher wird?
Den HerausgeberInnen und AutorInnen des Bandes ist dafür zu danken, dass sie ihre bisherigen Forschungsergebnisse vorgestellt und für die Weiterarbeit wichtige Anstöße gegeben haben. Es ist eine reiche Anthologie gegenwärtiger Coachingpraxis und -forschung geworden, die meines Erachtens zur Pflichtlektüre all derer gehört, die sich (praktisch oder theoretisch) für die Weiterentwicklung des Formates Coaching engagieren.
Fazit
Eine lesens-, bedenkens- und diskussionswerte Kongressdokumentation, die Lust macht, auch die online veröffentlichten Beiträge mit gleichem Interesse zu lesen. Meines Erachtens Pflichtlektüre für engagierte Coaches – und für Weiterbildner in diesem Bereich ohnehin!
Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Website
Mailformular
Es gibt 134 Rezensionen von Peter Schröder.
Zitiervorschlag
Peter Schröder. Rezension vom 02.04.2014 zu:
Robert Wegener, Michael Loebbert, Agnès Fitze (Hrsg.): Coaching-Praxisfelder. Forschung und Praxis im Dialog. Springer VS
(Wiesbaden) 2013.
ISBN 978-3-658-01818-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16171.php, Datum des Zugriffs 20.03.2023.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.