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Gudrun Wansing, Manuela Westphal: Behinderung und Migration

Rezensiert von Dipl. Päd. Štefan Kvas, 16.06.2014

Cover Gudrun Wansing, Manuela Westphal: Behinderung und Migration ISBN 978-3-531-19400-4

Gudrun Wansing, Manuela Westphal: Behinderung und Migration. Intersektionale Perspektiven. Springer VS (Wiesbaden) 2013. 150 Seiten. ISBN 978-3-531-19400-4. D: 29,95 EUR, A: 30,79 EUR, CH: 37,50 sFr.

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Thema

Die Herausgeberinnen beleuchten in diesem Sammelband ein lange vernachlässigtes Themengebiet der sozial- und kulturwissenschaftlichen sowie angrenzender Forschungsbereiche. Das interdependente Verhältnis von Migration und Behinderung erfährt seit Ende der 1990er Jahre stetigere Verbreitung in den genannten Fachdisziplinen.

Herausgeberinnen

Prof. Dr. Gudrun Wansing ist an der Universität Kassel am Fachbereich Humanwissenschaften tätig und leitet das Fachgebiet „Behinderung und Inklusion“ am Institut für Sozialwesen.

Prof. Dr. Manuela Westphal ist ebenso am Fachbereich Humanwissenschaften der Universität Kassel beschäftigt und leitet das Fachgebiet „Sozialisation mit dem Schwerpunkt Migration und interkulturelle Bildung“ am Institut für Sozialwesen.

Entstehungshintergrund

Vorliegender Sammelband entstand durch den fachwissenschaftlichen und informellen Austausch von Gudrun Wansing und Manuela Westphal. Parallelen der wissenschaftlichen Diskurse der Heil- und Sonderpädagogik sowie der Migrationsforschung bewegten die beiden Herausgeberinnen dazu einen wechselseitigen Bezug der Disziplinen herzustellen sowie Schnittstellen von Migration und Behinderung der sozialen Praxis darzulegen.

Aufbau

Die Autorinnen gliedern den Sammelband in folgende fünf Bereiche:

  1. Inklusion, Diversität und Intersektionalität
  2. Lebenslagen und Sozialraum
  3. Schulische Bildung
  4. Berufliche Bildung und Arbeitsleben
  5. Anti-Diskriminierung und Geschlecht

Ergänzt wird der Sammelband durch eine Einleitung der Herausgeberinnen sowie ein Autor_innenverzeichnis.

Inhalte

Im ersten Beitrag des ersten Teils „Inklusion, Diversität und Intersektionalität“ geben Gudrun Wansing und Manuela Westphal mit ihrem Beitrag „Behinderung und Migration. Kategorien und theoretische Perspektiven.“ einen grundlegenden Überblick üb die Konstruktionsprozesse der Kategorien Behinderung und Migration. Die Darstellung verläuft zunächst getrennt, um die beiden Stränge im letzten Teil des Beitrags bündeln und auf ihre theoretischen Perspektiven hin zu beleuchten. Dominik Baldin stellt in seinem Beitrag „Behinderung – eine neue Kategorie für die Intersektionalitätsforschung?“ die Vernachlässigung der Kategorie Behinderung innerhalb der Intersektionalisätsforschung dar und führt damit die theoretischen Einführungen des Beitrags der Herausgeberinnen weiter aus. Eine kritische Perspektive zum intersektionalen Diskurs bietet Christine Weinbach mit ihrem Beitrag „Von personalen Kategorien zu Sozialstrukturen. Eine Kritik der Intersektionalitäts-Debatte“. Einen weiteren theoretischen Input bietet Clemens Dannenbeck, der in seinem Beitrag „Vielfalt neu denken. Behinderung und Migration im Inklusionsdiskurs aus Sicht Sozialer Arbeit“ eine kritische Perspektive auf den Inklusionsdiskurs aufwirft und Fragen sowie fachwissenschaftliche Unstimmigkeiten hinsichtlich der zentralen Kategorien des Sammelbandes diskutiert. Der letzte Beitrag des ersten Teils des Sammelbands „Körper, Sexualität und (Dis-)Ability im Kontext von Diversity Konzepten“ stammt von Elisabeth Tuider. Sie ergänzt die ersten Beiträge durch eine gesellschaftskritische Perspektive; sie diskutiert und verbindet Ansätze der Queer sowie Disability Studies und mündet in einem Ausblick für eine Diversity Pädagogik.

Teil 2 des Sammelbandes betiteln die Herausgeberinnen mit „Lebenslagen und Sozialraum“. Matthias Windisch leitet diesen Teil mit seinem Beitrag „Lebenslagen im Schnittfeld zwischen Behinderung und Migration. Aktueller Stand und konzeptuelle Perspektiven“ ein und liefert eine Zusammenstellung gegenwärtiger Forschungsergebnisse zu den Schnittstellen von Migration und Behinderung. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse diskutiert er den Lebenslagenansatz als Chance zur Analyse der Partizipationsmöglichkeiten des fokussierten Personenkreises. Qualitative Ergebnisse einer Studie zum Unterstützen Wohnen in Berlin präsentiert Monika Seifert in ihrem Beitrag „Sozialraumorientierte Arbeit im Schnittfeld von Behinderung und Migration. Ergebnisse einer regionalen Studie“ unter Fokussierung der türkischen Community.

Der schulischen Bildung im Kontext von Behinderung und Migration widmet sich der dritte Teil des Bandes. Im Beitrag „Inklusiver Unterricht und migrationsbedingte Vielfalt“ beleuchtet Kerstin Merz-Atalik Chancen der Beschulung in Migrationskontexten unter Berücksichtigung der Inklusions-, Vielfalts- und Heterogenitätsdiskurse. Die Überrepräsentanz von Jugendlichen mit Migrationshintergrund an Förderschulen und die sich damit ergebende Chancenungleichheit thematisieren Justin J. Powell und Sandra Wagner in ihrem Beitrag „An der Schnittstelle Ethnie benachteiligt. Jugendliche an deutschen Sonderschulen weiterhin überrepräsentiert“.

Der vierte Teil des Bandes – mit dem Titel „Berufliche Bildung und Arbeitsleben“ wird mit einem Beitrag von Marc Tiehlen eröffnet. Im Beitrag „Behinderte Übergange in die Arbeitswelt. Zur Bedeutung und pädagogischen Bearbeitung von Diversität im Alltag schulischer Berufsvorbereitung“ stellt der Autor Konstruktionsprozesse und Praktiken der Benachteiligung an der schulischen Vorbereitung des Transitionsprozesses dar. Ergänzend dazu stellt der Beitrag von Marianne Pieper und Jamal Haji Mohammadi, „Partizipation mehrfach diskriminierter Menschen am Arbeitsmarkt. Ableism und Rassismus – Barrieren des Zugangs“, eine inhaltliche Fortführung des Beitrags dar. Eine Bestandsaufnahme zur Zugänglichkeit und Qualität der beruflichen Teilhabeleistungen führen das Autor_innenteam Patrick Brzoska, Yüce Yilmaz-Aslan, Anne-Kathrin Exner, Jacob Spallek, Sven Voigtländer und Oliver Razum durch. Im Beitrag „Medizinische Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei Menschen mit Migrationshintergrund“ diskutiert die Autor_innengruppe die Wirksamkeit und Inanspruchnahme der Leistungen durch Menschen mit Migrationshintergrund.

Mit „Anti-Diskriminierung und Geschlecht“ wird der fünfte und letzte Teil des Sammelbandes betitelt. Diesen eröffnet Julia Zinsmeister mit ihrem Beitrag „Additive oder intersektionale Diskriminierung? Behinderung, ‚Rasse‘ und Geschlecht im Antidiskriminierungsrecht“, in welchem sie die rechtlichen Grenzen sowie Möglichkeiten analysiert und diese auch unter dem Blick der Mehrfachdiskriminierung beleuchtet. Mit der Situation des besonders gefährdeten Personenkreises von Frauen mit Behinderung und Migrationshintergrund beschäftigen sich die nächsten beiden Beiträge: Monika Schröttle und Sandra Glammeier legen den Fokus ihres Beitrags „Gewalt gegen Mädchen und Frauen im Kontext von Behinderung, Migration und Geschlecht“ auf die gefährdeten Lebensbereiche des Personenkreises. Daten der amtlichen Statistik verwenden Astrid Libuda-Köster und Brigitte Sellbach um Diskriminierungserfahrungen des Personenkreises in ihrem Beitrag „Lebenslagen und Diskriminierung behinderter Frauen mit Migrationshintergrund in Deutschland“ zu beleuchten. Der letzte Beitrag „Barrieren, Diskriminierung und Widerstand. Erfahrungsbezogene intersektionale Analysen und Handlungspraxen in Bezug auf Behindert-Werden und Rassismus“ wurde verfasst von Petra Flieger, Claus Melter, Farah Melter und Volker Schönwiese. Die Autor_innen beschreiben anhand von exemplarischen Alltagsszenarien die Konstruktion des Behindert-werdens und von Diksriminierungsmechanismen dar.

Diskussion

Grudrun Wansing und Manuela Westphal geben hier einen sehr umfangreichen Sammelband zu einem wachsenden Thema heraus. Durch diese Veröffentlichung leisten sie einen notwendigen wissenschaftlichen Beitrag für diese Querschnittsthematik, zu der sich zuvor lediglich viele vereinzelte Beiträge finden liessen.

Sinnvoll und auch en vogue -wie es im Buch selbst beschrieben wird – ist vor allem der rote Faden der Intersektionalität. Der Begriff wird im Untertitel zwar erst an dritter Stelle genannt, findet sich jedoch in fast allen Beiträgen des Bandes als Diskussionsgegenstand wieder. Dies stellt auch einen verhältnismäßig kleinen Wehrmutstropfen dar: Als verbindendes Element innerhalb des Sammelbandes wäre es schön gewesen, wenn alle Beiträge darauf Bezug genommen hätten; aber wie beschrieben, sind das eher wenige.

Inhaltlich überrascht die große Auswahl an Beiträgen positiv: Es finden sich Beiträge von Personen, die sich bereits seit mehreren Jahren mit den Benachteiligungen und/oder Situationen von Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderung oder deren Angehörigen beschäftigen wieder (bspw. Powell und Wagner, Merz-Atalik), Personen, die seit wenigen Jahren Desiderate im Forschungsfeld „Behinderung und Migration“ bearbeiten (wie bspw. die Herausgeberinnen selbst, Seifert), sowie viele Beiträge zu aktuellen Studien. Die Stärke des Sammelbands ist die gelungene interdisziplinäre Annäherung an die Thematik. Daher sind die verschiedenen Beiträge auch für unterschiedliche Personenkreise als Leser_innen interessant.

Fazit

Den Anspruch der Herausgeberinnen, einen interdiszipläneren Sammelbund zu einer Randthematik zu schaffen, gelingt durch die verschiedenen Zugänge die innerhalb der einzelnen Beiträge angeboten werden. Durch die verschiedenen Zugangsweisen ist der vorliegende Sammelband Studierenden und Wissenschaftler_innen in den Bereichen Erziehungswissenschaften, Heil- und Sonderpädagogik, Rehabilitationspädagogik, Wirtschafts- und Berufspädagogik, Soziale Arbeit, Sozialwissenschaften, Soziologie und Politikwissenschaften sowie Mitarbeiter_innen innerhalb der Familienhilfe, Landeswohlfahrtsverbänden, Trägern der Behinderten- und Sozialhilfe.

Rezension von
Dipl. Päd. Štefan Kvas
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Es gibt 5 Rezensionen von Štefan Kvas.

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ISSN 2190-9245