Barbara Alicja Jańczak: Deutsch-polnische Familien
Rezensiert von Prof. Dr. Brigitte Wießmeier, 31.03.2014

Barbara Alicja Jańczak: Deutsch-polnische Familien. Ihre Sprachen und Familienkulturen in Deutschland und in Polen.
Peter Lang Verlag
(Bern · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford) 2013.
270 Seiten.
ISBN 978-3-631-62525-5.
D: 52,95 EUR,
A: 54,50 EUR,
CH: 60,00 sFr.
Reihe: Sprache - Kultur - Gesellschaft - 11.
Thema
Die keineswegs seltenen deutsch-polnische Paarbeziehungen werden hinsichtlich einer möglichen Bikulturalität und Bilingualität erstmalig sowohl in Polen als auch in Deutschland untersucht. Von besonderem Interesse sind dabei ihr Umgang mit den beiden Sprachen und ihre davon, als nicht unabhängig angenommene, alltäglich gelebte Familienkultur.
Autorin
Barbara A. Jańczak promovierte 2011 an der Europa Universität Viadrina mit der hier vorgelegten umfangreichen Untersuchung von binationalen Paaren in zwei Ländern, nachdem sie sich bereits als Kulturwissenschaftlerin seit 2006 in vorangegangenen Studien und in der Lehre mit der Erforschung von derartigen Sprach- und Familienverhältnissen beschäftigt hat. Ihre Lebens- und Studienerfahrungen in den beiden Ländern bilden dafür sicherlich ein Fundament.
Aufbau
Mit Hilfe von zehn klar strukturierenden Kapiteln wird auf fast 250 Seiten eine deutsch-polnische Perspektive als eine spezifizierte zweisprachige und bikulturelle eingenommen.
Die ersten fünfzig Seiten des Buches dienen der theoretischen Rahmung, wobei die Einführungen in linguistische Theorien herausragen. Ein direkter Bezug auf frühere Studien ist selten möglich, lediglich auf Varro(1997) wird relativ häufig verwiesen, die ähnliche Fragen an deutsch-französische Familien richtet.
Die Aufbereitung und Interpretation der empirischen Daten, die sowohl quantitativ als auch qualitativ erhoben wurden, stellen den mit 150 Seiten umfangreichen und gehaltvollen Kern des Buches dar.
Das letzte Kapitel ist zusammenfassend in polnischer Sprache geschrieben.
Inhalt
Bikulturelle Paare erleben seit dem letzten Weltkrieg phasenweise immer wieder Aufmerksamkeit, sei es anfangs durch rassistisch orientierte („Mischehe“), oder religiös motivierte (christlich-islamisch), später feministisch angeregte (traditionell-modern) und pädagogisch inspirierte (interkulturelle) Auseinandersetzungen.
Die vorliegende Arbeit setzt dagegen einen Akzent, der in Zeiten von Globalisierung, Europäisierung und Bildungsexpansion (auch frühkindlicher Erziehung) gut zu passen scheint. Wie wird mit Sprachen umgegangen, in Familien und Gesellschaften? Wie kreieren Paare bei Familiengründung eine Familiensprache? In welcher Beziehung stehen Sprach- und Kulturerhalt nach Migrationsprozessen in Paar- und Familienbeziehungen? Hierbei spielt die Namensgebung von Kindern eine mögliche Rolle, die gar als Schlüsselindikator bestätigt wird (S.189). Die kindliche Entwicklung wird hinsichtlich der Identitätsentwicklung fokussiert, dabei beleuchtet sie das kindliche bilinguale Sprachverhalten gegenüber den Eltern mit einem besonderen Augenmerk auf Reziprozität. Letztlich steht auch die Frage im Raum, wie kommt es, dass Deutsch sich als Sprache in deutsch-polnischen Familien sowohl in Deutschland als auch in Polen durchsetzt, als ein asymmetrisches Arrangement.
Barbara A. Jańczak gibt keine einfachen Antworten auf derartige Fragen, denn sie nutzt ihr Datenmaterial gründlich durch beachtlich viele konsequent gezogene Querverbindungen, die interessante und plausible Schlussfolgerungen zulassen. Unter Mitwirkung von insgesamt 68 Paaren, ausschließlich mit Partnerinnen aus Polen, die mit Hilfe eines umfangreichen Fragebogens (im Anhang zu finden) befragt wurden, kommen quantitative Ergebnisse zustande, die im nächsten Schritt, im Rahmen von zehn leitfadengestützten Interviews, tiefergehende Betrachtungen ermöglichen und anschauliche Beispiele bieten.
Mit ihrem interdisziplinären Forschungsansatz aus Familiensoziologie und Soziolinguistik kommt die Autorin in ihrer Erkenntnis von angetroffenen familialen Sprachkonzepten und Bikulturalitätstypen sehr weit, denn ihre angewandte Methodik, ihre Frage- und Analysetechniken erweisen sich als zielführend (auch wenn die Transkription nach der HIAT Konvention sehr aufwändig erscheint, um Argumentations- und Interaktionsmuster herausarbeiten zu können).
Diskussion
Wie ist die vorliegende Untersuchung, als ein länderübergreifender Vergleich, nach der Empfehlung von Wimmer (2013) „zur Entethnisierung von Forschungsdesigns“ zu bewerten? Auch sein Vorschlag „Beobachtungs- und Analyseeinheiten in nichtethnischen Termini zu definieren“ bleibt in dem hier vorliegenden Text unberücksichtigt, und bikulturelle Paare als Ausgangspunkt schränken zweifellos bereits ein. Aus Sicht der Rezensentin begegnet B. Jańczak dennoch souverän einer Kulturalisierung, da sie ihre Argumentationslinien aus dem umfangreichen Datenmaterial heraus zu ziehen weiß.
Fazit
Wer sich für soziolinguistische Sprachkonzepte von bikulturellen Paaren und Familien interessiert erhält vielfältige Anregungen zur Erforschung derselben. Als ein Ergebnis wird u.a. das vorwiegende asymmetrische Arrangement als Sprachkonzept dieser Paare gut durchleuchtet und ein verbreitetes Vorurteil über die anpassungswillige Polin neben dem dominanten Deutschen gründlich widerlegt. Die Bedeutungen von Spracherwerbsangeboten (Zugang, Kosten) in den hier relevanten Orten und Ländern, das Lebensalter beim Spracherwerb (Motivation), die Sprachkenntnisse vor dem Kennenlernen stellen sich als weit bedeutsamer heraus als vermutete, aber keineswegs belegte Rollenmodelle dieser Paare (S.226).
Dieses Buch füllt eine Forschungslücke und kann zu mehr gegenseitigem Verständnis verhelfen, daher werden ihm viele Leser und Leserinnen gewünscht.
Rezension von
Prof. Dr. Brigitte Wießmeier
Forschungskoordinatorin
Institut für Innovation und Beratung an der Evangelischen Hochschule Berlin, INIB
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Es gibt 10 Rezensionen von Brigitte Wießmeier.
Zitiervorschlag
Brigitte Wießmeier. Rezension vom 31.03.2014 zu:
Barbara Alicja Jańczak: Deutsch-polnische Familien. Ihre Sprachen und Familienkulturen in Deutschland und in Polen. Peter Lang Verlag
(Bern · Bruxelles · Frankfurt am Main · New York · Oxford) 2013.
ISBN 978-3-631-62525-5.
Reihe: Sprache - Kultur - Gesellschaft - 11.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16215.php, Datum des Zugriffs 01.10.2023.
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