AK HochschullehrerInnen Kriminologie/Straffälligenhilfe in der Sozialen Arbeit (Hrsg.): Kriminologie und Soziale Arbeit
Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 03.09.2014
AK HochschullehrerInnen Kriminologie/Straffälligenhilfe in der Sozialen Arbeit (Hrsg.): Kriminologie und Soziale Arbeit. Ein Lehrbuch. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2014. 224 Seiten. ISBN 978-3-7799-2924-6. D: 19,95 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 27,90 sFr.
Thema
In Ausbildung und Praxis Sozialer Arbeit besteht ein Bedarf an theoretisch fundierten und dabei praxisnahen Ansätzen im Feld der Straffälligenhilfe und angrenzenden Gebieten. Das als Lehrbuch konzipierte Werk führt in die Grundlagen ein, stellt Handlungsansätze und Verfahren vor, geht auf besondere Zielgruppen und Akteure ein und will die relevanten Wissensbezüge der Kriminologie mit dem Bestandswissen der Sozialen Arbeit verknüpfen. Dabei steht in den meisten Beiträgen das Handlungssystem der Sozialen Arbeit in ihrem Umgang mit straffälligen oder von Straffälligkeit bedrohten Menschen unterschiedlicher Altersgruppen im Fokus. Insgesamt soll durch das Lehrbuch zur Qualifizierung der Sozialen Arbeit im Bereich der Straffälligen- und Jugendhilfe beigetragen werden, indem der aktuelle Wissensstand erfasst und erschlossen wird.
Herausgeberin und AutorInnen
Das Lehrbuch Kriminologie und Soziale Arbeit wird herausgegeben vom Arbeitskreis der HochschullehrerInnen Kriminologie I Straffälligenhilfe in der Sozialen Arbeit, einem Zusammenschluss von ProfessorInnen der Sozialen Arbeit, des Strafrechts und der Kriminologie, die sich in Forschung und Lehre mit Fragen der Delinquenz und darauf bezogenen Reaktionsformen beschäftigen. Die 20 Einzelbeiträge wurden von namhaften Vertretern der beteiligten Disziplinen verfasst.
Aufbau
Der Band ist in drei Abschnitte zu den
- Grundlagen und Perspektiven,
- Handlungsansätzen und Verfahren, sowie
- ausgewählten Akteuren und Zielgruppen,
mit jeweils sieben, bzw. sechs Beiträgen untergliedert.
Zu 1. Grundlagen und Perspektiven
Nach einem einführenden Beitrag von Heinz Cornel und Michael Lindenberg der die Begegnung der Kriminologie und der Sozialen Arbeit als eigenständige wissenschaftliche Disziplinen „auf Augenhöhe“ konzipiert, befasst sich Lindenberg im Folgebeitrag „Verstehen und Gestalten“ mit dem Verhältnis von Kriminologie und Sozialer Arbeit. Während die Kriminologie als Wissenschaft Erklärungsansätze für die Entstehung und Ausformung, auch die Struktur kriminellen Verhaltes in der Gesellschaft liefere, gehe es in der Sozialen Arbeit um den konkreten Umgang mit dem straffällig gewordenen Menschen, seine Position in der Gesellschaft bzw. seinen Weg dorthin zurück. Entsprechend würden in den beiden Disziplinen unterschiedliche Diskurse geführt, diese jedoch zu einem gemeinsamen Gegenstand: individuellem Handeln im Kontext gesellschaftlicher Regeln. Für die Disziplin der Sozialen Arbeit benennt der Autor die fachliche Leistung als Herstellung des konkreten Einzelfallbezugs vor dem Hintergrund theoretischer Überlegungen und die in Bezug auf andere Fallakteure kooperative Gestaltung von Handlungsmöglichkeiten. Die Soziale Arbeit wird hier als Handlungswissenschaft konzeptioniert, während die Kriminologie als hermeneutische Wissenschaft verortet wird: „In der Sozialen Arbeit fragen wir zunächst, wie etwas getan werden soll, in der Kriminologie, warum etwas getan wird“ (20). Beide Disziplinen beschäftigen sich damit, auf ihre je eigene Art, mit sozialen Fragen. Im Folgenden führt Lindenberg knapp in Grundbegriffe und -probleme wissenschaftlichen Arbeitens ein, fragt nach objektiven wissenschaftlichen Kriterien, nach vorder- und hintergründigen Erklärungsansätzen gesellschaftlicher Phänomene und benennt für die Soziale Arbeit den Unterschied von Disziplin und Profession und die Realität der sozialen Strukturen, in denen konkrete fachliche Handlungen erfolgen.
Im zweiten Kapitel gibt Heinz Cornel einen Überblick zur Geschichte des Strafens und der Straffälligenhilfe. Der Beitrag führt in grundlegende Begriffe des Strafens ein (Straflegitimation, Straftheorien) und benennt die historischen Stationen der Entstehung der Gefangenenfürsorge und Straffälligenhilfe bis hin zur modernen Verbindung von Strafbegründung und Hilfe im Konzept der Resozialisierung. Cornel zeigt dabei auf, wie in Abhängigkeit zur Entwicklung der Kriminalpolitik die Soziale Arbeit und die Kriminologie wertvolle Beiträge zur Gestaltung und Umsetzung dieser Entwicklung beitragen.
Mit Kriminalitätstheorien im Kontext Sozialer Arbeit beschäftigt sich im nächsten Beitrag Theresia Höynck. Die Autorin begründet die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung der Sozialen Arbeit mit Kriminalitätstheorien mit dem Arbeitsansatz der Kriminalitätsverhinderung, was ein umfassendes Wissen über die Bedingungen zur Kriminalitätsentstehung impliziert. Der Beitrag gibt einen Überblick zu biologischen, psychologischen und soziologischen (sozialen) Erklärungsansätzen und plädiert abschließend vorsichtig für einen integrierenden biopsychosozialen Erklärungsansatz, der im konkreten Fall die relevanten Fallebenen erschließen hilft.
Gegenstand und Methoden kriminologischer Forschung werden im nächsten Kapitel von Thomas Feltes und Thomas Fischer vorgestellt. Nach einer knappen Definition, welche die Kriminologie als „Wissenschaft von den Entstehungszusammenhängen, Erscheinungsformen, Vorbeugungs- und Bekämpfungsmöglichkeiten, geeigneten Sanktions- und Behandlungsformen des Verbrechens im Leben von Individuen und Gruppen sowie der Kriminalität im Gefüge von Staat und Gesellschaft“ (65) konzeptioniert, werden ein kurzer historischer Abriss der Kriminologie und der Forschungsmethoden (die mittlerweile stark sozialwissenschaftlich geprägt sind) vorgestellt. Die Ausführungen werden in der Darstellung unterschiedlicher Forschungsbereiche (Hell-/Dunkelfeld, Regionalanalysen, Verlaufs- und Kohortenstudien, Sanktionsforschung) vertieft und anhand zentraler Forschungsprojekte erläutert. Der Beitrag verdeutlicht, dass für einen angemessenen Umgang mit Kriminalität empirisch fundierte Erkenntnisse notwendig sind.
Mit Problemen der Wirksamkeitsforschung in Bezug auf kriminalpräventive und sanktionierende Maßnahmen beschäftigt sich im Folgebeitrag Christine Graebisch. Die Autorin erörtert den Aussagegehalt der Evaluationsforschung in diesem Bereich, insbesondere wenn experimentelle Forschungsdesigns zur Anwendung kommen. Dafür werden exemplarische Forschungsprojekte vorgestellt und diskutiert. Das in der Kriminologie bestens bekannte, im Bereich der Sozialen Arbeit mitunter nicht wahrgenommene oder unterschätzte Ergebnis dieser Forschung ist, dass eine Vielzahl von Sanktionsformen als relativ wirkungslos, mitunter als eher schädlich eingeschätzt werden müssen, die Maßnahmen in einem bestimmten Rahmen austauschbar sind. Die Autorin plädiert entsprechend für eine Praxis im Bereich der Kriminalitätsbehandlung, die weniger sanktionierend und an Risikomerkmalen orientiert sein sollte, sondern eher ressourcenorientiert ausgerichtet sein sollte, nach vorhandenen Fähigkeiten sucht und diese fördert.
Der letzte Beitrag des Grundlagenabschnitts geht auf die Genderperspektive in der Kriminologie ein. Lydia Seus legt dar, dass „Geschlecht als grundlegende Strukturkategorie von Gesellschaft“ (100) gilt und eben auch im Bereich der Kriminologie Bedeutung hat (auch wenn diese in der kriminologischen Forschung erst spät aufgegriffen wurde). Seus gibt einen Überblick zur Geschlechterverteilung im Zusammenhang mit Kriminalität, weist darüber hinaus darauf hin, dass zu Genderaspekten immer auch weitere Merkmale (Alter, Körper, Ethnie, soziale Milieus etc.) mitgedacht werden müssen, um nicht der Gefahr einer verkürzten Sichtweise zu unterlaufen. Für die Praxis der Sozialen Arbeit mahnt die Autorin eine sensible Wahrnehmung der biografischen Aspekte und der Selbstdeutungsmuster der Klienten an, um auf die unterschiedlichen Bewältigungsmuster von Frauen und Männern geschlechtersensibel reagieren zu können.
Zu 2. Handlungsansätze und Verfahren
Der zweite Teil des Lehrbuchs beginnt mit einem grundlegenden Beitrag zur Sozialen Arbeit in Zwangskontexten. Michael Lindenberg und Tilman Lutz definieren den Begriff des Zwangskontexts und beziehen ihn anschließend auf das Feld der Sozialen Arbeit. Den Autoren geht es dabei um eine Differenzierung des Begriffs (enger und weiter Zwangsbegriff) der in fast allen Arbeitsbereichen von Bedeutung ist, nicht nur im Umgang mit straffällig gewordenen Menschen. Der sich so ergebende Zwangskontext (vgl. Rezension https://www.socialnet.de/rezensionen/5143.php) wird als Anlass für Interventionen aufgegriffen, der in der Praxis nicht als Mittel umgesetzt werden sollte, sondern soweit möglich die Autonomie der Akteure im Blick haben sollte. Lindenberg und Lutz greifen in diesem Zusammenhang den aktuellen Diskurs zur Sozialen Arbeit in Zwangskontexten auf.
Aus der Perspektive der Sozialen Arbeit unternimmt im zweiten Kapitel des Abschnitts zu Handlungsansätzen und Verfahren Sabine Schneider eine theoretische Profilierung der Sozialen Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen. Der Beitrag plädiert für eine theoriebasierte Praxis die mit doppeltem Fokus auf die Veränderung konkreten Verhaltens (straffälliger Menschen) und die Veränderung der Verhältnisse (in denen Kriminalität entsteht) abzielt und in der Lage ist, die Widersprüchlichkeit dieser Praxis, zwischen Hilfe und Kontrolle, angemessen zu bearbeiten. Als theoretischen Referenzrahmen führt Schneider in die Konzepte der Lebensweltorientierung (Thiersch) und den Bewältigungsansatz (Bönisch) ein und setzt sie in Bezug auf mögliche Handlungsansätze in der Arbeit mit straffällig gewordenen Menschen.
Eine weitere theoretische Fundierung nimmt Gabriele Kawamura-Reindl im Folgebeitrag „Lebenslagen Straffälliger als Ausgangspunkt für professionelle Interventionen in der Sozialen Arbeit“ vor. Ausgehend vom Lebenslagekonzept werden zunächst die bei straffälligen Menschen oft anzutreffenden psycho-sozialen und ökonomischen Multiproblemlagen beschrieben und dann ein Handlungsansatz formuliert, der auf die Bewältigung von Belastungsmerkmalen, den Erwerb funktionaler Kompetenzen und die Gestaltung des sozialen Raums als Voraussetzung für ein gelingendes und straffreies Leben zielt. Die Autorin betont abschließend, dass v. a. der Gestaltung des Übergangs zwischen Haft und Freiheit eine besondere Bedeutung zukommt, der Bedarf an Ressourcenerschließung und -förderung, fachlicher Unterstützung und Erschließung und Verknüpfung der unterschiedlichen Hilfeangebote in dieser Phase besonders hoch ist.
Die Möglichkeiten einer Kriminologie als angewandter Wissenschaft erschließt Wolfgang Deichsel. Der Autor entwirft eine professionelle Haltung die als „Sozialadvokatorische Kriminologie“, bzw. Sozialanwaltskriminologie in sozialen Berufen auf den Konzepten des social advocacy beruht. Grundanliegen ist Deichsel die Unterstützung von Klienten bei der Wahrnehmung und Durchsetzung ihrer Rechte und Interessen, wenn diese „zeitweise oder auch auf Dauer nicht ohne Hilfe in der Lage sind, sich in ihrer Umwelt einzurichten, ihren Verpflichtungen nachzukommen, sich in ihren Wünschen zu verwirklichen und dabei Sinn, Identität, Stolz, Würde und Wohlbefinden zu finden und zu erfahren“ (163) beeinträchtigt sind. Die Möglichkeiten der Integration kriminologischer Expertise werden in justiznahen und -fernen Arbeits- und Interventionsformen dargestellt.
Im Folgekapitel befasst sich Heide Ludwig mit Verfahren und Techniken der Sozialen Diagnose und Prognose in der Sozialen Arbeit mit Straffälligen. Neben einer kurzen Einführung in die gängigen Strategien und Instrumente zur Sozialdiagnostik bietet das Kapitel Überlegungen zur Diagnostik im Kontext von Straffälligkeit, Rückfall(vermeidung) und Resozialisierung, verweist auf ein theoretisches Grundkonzept zum Verständnis dissozialen Verhaltens (biopsychosoziales Entwicklungsmodell dissozialen Verhaltens nach Beelmann & Raabe) und eine Synopse zu ursächlichen Faktoren von Kriminalität, die sich auf unterschiedliche Publikationen bezieht.
Als Handlungsansatz der neben Resozialisierung auf die Wiederherstellung des Rechts und des sozialen Friedens zielt beschreibt Thomas Trenczek das Konzept der Restorative Justice. Nach einem ausführlichen Überblick zu Begriff und Geschichte, sowie unterschiedlichen Theorie- und Praxismodellen des Konzepts stellt Trenczek die in der Praxis weit verbreiteten Verfahren (Mediation und Conferencing, Täter-Opfer-Ausgleich) vor und benennt die dafür notwendigen Voraussetzungen.
Im letzten Kapitel des zweiten Abschnitts gehen Johannes Lohner und Willi Pecher auf Behandlung und Sozialtherapie im Strafvollzug ein. Die Autoren befassen sich vorrangig mit der Straftäterbehandlung im Rahmen der Sozialtherapie im Strafvollzug, gehen kurz auf die gängigen Behandlungsprogramme und -module ein, beschreiben spezifische Persönlichkeitsmerkmale straffälliger Menschen und deren Auswirkungen auf die Behandlungsmotivation, sowie die besondere Bedeutung der Ressourcenförderung in der Sozialtherapie. Der Begriff Sozialtherapie wird schließlich als Fachsozialarbeit (Klinische Sozialarbeit) konzeptioniert und in seiner justizförmigen Tradition bis hin zu aktuell geltenden Standards als spezielle Vollzugsinstitution aufgefächert. Lohner und Pecher verweisen abschließend auf die Grenzen der Behandelbarkeit straffälliger Menschen, ein Umstand der, so die Autoren, erkannt und berücksichtigt werden muss.
Zu 3. Ausgewählte Akteure und Zielgruppen
Der dritte Abschnitt geht in sechs Beiträgen auf die Aspekte des Strafverfahrens und seine Beteiligten, die Situation der Kriminalitätsopfer, auf die Besonderheiten der Jugenddelinquenz, den Zusammenhang von Kriminalität und Migration und den Bereich der Drogendelinquenz ein. Die Beiträge geben jeweils einen kompakten Überblick zum jeweiligen Spezialthema und bieten Anknüpfungspunkte für eine selbständige Vertiefung in den jeweiligen Themenbereich. Das Abschlusskapitel des Lehrbuchs bildet ein Beitrag zur „Kriminalität der Mächtigen“, eine Auseinandersetzung mit Wirtschaftskriminalität, Bestechungsskandalen und Menschenrechtsverletzung bei sozialen (kriegerischen) Konflikten. Michael Jasch lenkt die Aufmerksamkeit auf die für diese Straftaten Verantwortlichen, die von klassischer Sozialarbeit i. d. R. nicht erreicht werden und eröffnet einen Diskurs um Machtverhältnisse in modernen Gesellschaften, die auch durch selektive Strafverfolgung und eine spezifische Sanktionspraxis gekennzeichnet sind. Letztlich, so der Autor, bietet die Auseinandersetzung mit der „Kriminalität der Mächtigen“ die Chance einer Beschäftigung mit Prozessen der sozialen Ungleichheit, „das Bewusstsein der Relativität von Kriminalitätsdefinitionen und Strafverfolgungspraktiken zu einer kritisch-distanzierten Arbeit innerhalb des Kriminaljustizsystems“ (326) und befeuert so die Entwicklung einer kritischen Sozialen Arbeit, die sich so ihres sozialen Auftrags vergewissern könne.
Zielgruppe
Das als Lehrbuch konzipierte Werk richtet sich vorwiegend an Studierende der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik und die dort Lehrenden. Auch Berufseinsteiger im Feld der Straffälligenhilfe werden davon profitieren.
Diskussion
Soviel vorweg: die Herausforderung ein Lehrbuch zu verfassen dass die Wissensbestände aus Kriminologie und Sozialer Arbeit zusammenfasst und dafür über 20 AutorInnen zur Mitarbeit einzuladen und zu koordinieren ist enorm. Neben der Auswahl und Begrenzung der Themengebiete geht es um die Integration der unterschiedlichen disziplinären Bezüge und Positionen, schließlich um die Vereinheitlichung der Sprachstile, des Umfangs der einzelnen Beiträge, die didaktische Aufarbeitung der vermittelten Inhalte, die Gestaltung des Literaturapparats. Und: diese Herausforderung wurde äußerst umsichtig und erfolgreich bewältigt. Die Mitglieder des Arbeitskreis Kriminologie/Straffälligenhilfe in der Sozialen Arbeit haben offensichtlich viel Energie in die Zusammenfassung und Bearbeitung der 20 Kapitel gesteckt, die Einzelbeiträge sind jeweils durch eine vorangestellte Gliederung strukturiert, jeder Beitrag wird in seinen Kernaussagen am Ende zusammengefasst, durch Übungsaufgaben und Hinweise zu weiterführenden Literaturstellen ergänzt, zentrale Fachbegriffe in einem Glossar erfasst. Entstanden ist so ein im Aufbau klar strukturiertes Lehrbuch, das in der Ausbildung problemlos eingesetzt werden kann. Die inhaltlichen Positionen, vor allem das Verhältnis der Disziplinen Kriminologie und Soziale Arbeit sind um gegenseitige Bezugnahme und Integration bemüht: beide werden als zwei wissenschaftliche Bereiche dargestellt, die sich mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinandersetzen, die eben auch durch Kriminalität geprägt ist und in diesem Bereich die sozialen Strukturen und Konflikte wie unter einem Brennglas erkennbar macht. Dabei geht es den HerausgeberInnen nicht um die Integration kriminologischen Wissens (als „Bezugswissenschaft“) in die Soziale Arbeit sondern um die sich aus den zwei wissenschaftlichen Disziplinen ergebende Sichtweise auf die Verschränkung sozialstruktureller Verhältnisse und individueller sozialer Verhaltensweisen.
Für ein Lehrbuch das im zeitlich engen Ausbildungsbetrieb der Hochschulen Verwendung finden soll, musste eine Begrenzung der Inhalte erfolgen, was zum Wegfall wichtiger Inhalte führt; dessen sind sich die HerausgeberInnen (14) auch bewusst. So wurde z. B. für den Bereich der Sozialen Arbeit auf weitergehende Ausführungen zum Konzept des Case Managements und zum Empowermentansatz in der Straffälligenhilfe verzichtet. Auf das Konzept der Sozialtherapie wird lediglich im Kontext der Täterbehandlung in sozialtherapeutischen Anstalten eingegangen, weitergehende Erträge einer Sozialen Therapie (als Klinische Sozialarbeit) werden nicht aufgegriffen. Im Abschnitt zu Akteuren und Zielgruppen (auch mit Hinweisen auf die aktuelle kriminologische Forschung) wären Beiträge zur Situation älterer Straffälliger (in einer alternden Gesellschaft) und zu psychisch kranken Straftätern wünschenswert. Beide Themen haben in den vergangenen Jahren eine – auch für die Soziale Arbeit – erhebliche Relevanz entwickelt. Allerdings wäre der Umfang des Lehrbuchs dadurch noch einmal erheblich gewachsen.
Insgesamt wurde mit dem Lehrbuch Kriminologie und Soziale Arbeit ein hervorragender Überblick geschaffen. Der Anspruch, die Wissensbestände aus Kriminologie und Sozialer Arbeit zu erschließen und zusammen zu führen, gelingt. Die zentrale Literatur wird umsichtig verarbeitet, weiterführende Literaturhinweise regen zur eigenständigen Vertiefung an. Die in Qualität und Umfang durchweg stimmigen und anspruchsvollen Übungsaufgaben bieten einen hervorragenden Anlass zu eigenständiger Vertiefung und Reflektion.
Fazit
Ein längst überfälliges Grundlagenwerk, das rasch den Rang eines Standardwerks in der Ausbildung einnehmen wird und das helfen wird, die Praxis Sozialer Arbeit im Feld der Straffälligenhilfe und den angrenzenden Gebieten theoretisch zu fundieren. Der Band erschließt zentrale Wissensaspekte aus Kriminologie und Sozialer Arbeit, führt diese zusammen und gestaltet so einen belastbaren Rahmen, der für die Praxis Sozialer Arbeit unverzichtbar ist.
Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 177 Rezensionen von Gernot Hahn.
Zitiervorschlag
Gernot Hahn. Rezension vom 03.09.2014 zu:
AK HochschullehrerInnen Kriminologie/Straffälligenhilfe in der Sozialen Arbeit (Hrsg.): Kriminologie und Soziale Arbeit. Ein Lehrbuch. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2014.
ISBN 978-3-7799-2924-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16264.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
Urheberrecht
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