Uwe Peter Kanning: Wenn Manager auf Bäume klettern
Rezensiert von Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle, 26.05.2014

Uwe Peter Kanning: Wenn Manager auf Bäume klettern... Mythen der Personalentwicklung und Weiterbildung. Pabst Science Publishers (Lengerich) 2013. 284 Seiten. ISBN 978-3-89967-884-0. D: 25,00 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 35,50 sFr.
Thema
In Zeiten beschleunigter Produktion und Entwertung von Wissen wird kaum jemand ernsthaft bestreiten wollen, dass Weiterbildung für Berufstätige und Personalentwicklung für Unternehmen ein Muss ist. Die in Weiterbildung investierten Summen scheinen dies zu bestätigen – für Deutschland gehen Schätzungen von jährlich 50 Milliarden Euro aus (vgl. Lenske & Werner 2009). Zeitigt Weiterbildung aber die Wirkungen, die solche Investitionen rechtfertigen würde? Skepsis ist angebracht: Nach Schätzungen haben nicht einmal 10 % der Weiterbildungen die erwünschte Wirkung (Machin 2013). Zufrieden nach Hause gehende Teilnehmer transferieren auch bei seriösen Inhalten und einer erwachsenengemäßen Didaktik Weiterbildungsinhalte oft kaum in den beruflichen Alltag (Mutzeck 2005; Wahl 2013). Unzureichende Bedarfsanalysen und wenig adaptierte Schulungen, das Gießkannenprinzip bei der Vergabe und das Alleinelassen der Teilnehmer mit dem Transfer des Gelernten oder auch irreale Erwartungen an die Veränderung menschlichen Sozialverhaltens tragen zur Wirkungslosigkeit von Weiterbildung bei. Schließlich – und damit ist man beim Thema des Buchs – werden auf dem Weiterbildungsmarkt auch Methoden angeboten, deren Seriosität und Nutzen bestritten oder sogar widerlegt ist und die fragwürdige Inhalte und Ideologien portieren oder ihren Adressaten ernsthaft schaden. Diese aus wissenschaftlicher Sicht zu hinterfragen, ist das Ziel des vorliegenden Buchs.
Autor
Prof. Dr. Uwe Peter Kanning ist Diplom-Psychologe und forscht und lehrt an der Hochschule Osnabrück im Fach Wirtschaftspsychologie. Seine Schwerpunkte sind Personalauswahl, Leistungsbeurteilung, Arbeits- und Kundenzufriedenheit, soziale Kompetenzen, Motivation und Selbstwertmanagement. Er ist ein vielfach ausgezeichneter Dozent und wurde vom renommierten „Personalmagazin“ zu einem der 40 führenden Köpfe im Bereich des Personalwesens gewählt.
Entstehungshintergrund
Das vorliegende Buch ist Teil der von Kanning als „Trilogie über die menschliche Einfalt“ bezeichneten Buchreihe. Das erste Buch, „Wie Sie garantiert nicht erfolgreich werden: Dem Phänomen der Erfolgsgurus auf der Spur“ (2007), beschreibt deren Strategien und Erfolge, ihre Skrupellosigkeit und die schnellen Verfallsdaten ihrer Versprechungen. Der zweite Band, „Von Schädeldeutern und anderen Scharlatanen“ (2010), entzaubert unseriöse Methoden der Psychodiagnostik. „Wenn Manager auf Bäume klettern“ (2013) untersucht fragwürdige Methoden der Personalentwicklung und Weiterbildung.
Aufbau und Inhalt
Das Buch prüft fünf Methoden, die Kanning als fragwürdig für die Personalentwicklung und berufliche Weiterbildung einschätzt: Outdoor-Trainings, „Horse Sense“, Neurolinguistisches Programmieren, Organisationsaufstellungen sowie verschiedene Formen zweifelhaft-alternativer Coachings. Im sechsten Kapitel treibt er die Analyse der Personalentwicklungs-Absurditäten auf die Spitze und verdichtet aus deren Ideologien, Prinzipien und Marketingstrategien das so absurde wie amüsante Weiterbildungskonzept der „H2O-Methode“ („High-Performance Bipotential Objectives“) – ein wunderbares Lehrstück in Ideologiekritik.
„Von drauß´ vom Walde komm ich her“ – Kapitel 1 beschreibt Outdoor-Trainings, deren Wurzeln in der Erlebnispädagogik, den Wandel zum Manager-Training und die Versprechungen der Anbieter von Outdoor-Trainings im Personalentwicklungsbereich (nicht in der Sozialpädagogik mit verhaltensauffälligen Jugendlichen, wo mit anderen, aufwändigeren und vermutlich wirksameren Settings gearbeitet wird). Er skizziert die Arbeitsansätze und Erfolgsversprechen, die er im Weiteren einer Prüfung an Forschungsergebnissen unterzieht. Zur Erlebnispädagogik liegt eine große Menge an Studien vor, das Gros der Studien sei aber methodisch unzulänglich (keine Operationalisierung von Effekten, keine Vergleichsgruppen, meist nur Fallberichte oder Selbstevaluationen von Teilnehmer). Die wenigen ernstzunehmenden Studien wiesen keinerlei überzeugende Effekte zu Erfolg, Transfer von Lernerfahrungen in den Arbeitsalltag oder ökonomischem Nutzen nach. Kanning kritisiert die beliebige, trivialmetaphorische Deutungspraxis der Anbieter und die Tendenz, Teilnehmer in Situationen zu bringen, die teilweise gefährlich, häufig peinlich, übergriffsartig und weit von der beruflichen Realität entfernt seien.
Sein Fazit: Die benutzten Methoden und Konzepte der Outdoor-Trainings seien extrem heterogen und Erkenntnisse zur Wirkung der großen Breite von Outdoor-Settings trotz jahrzehntelanger Praxis inexistent. Die theoretischen Begründungen der Wirksamkeit seien dürftig und nicht systematisch erforscht. Das Verletzungsrisiko sei, wenn auch teils nicht erheblich, unangemessen. Die Selbstoffenbarung körperlicher Schwächen gebe viel Stoff für Hohn und Spott am Arbeitsplatz und verletze potentiell die persönliche Integrität der Teilnehmer. Die berufsfremden Anforderungen, die große körperliche Nähe, der Erlebnisbezug zu Lasten des Intellekts, die Nutzung der Suggestibilität der Teilnehmer und der unreflektierte Gebrauch von simplifizierenden Konzepten des menschlichen Miteinanders (Führung, Gruppe etc.) liessen Erlebnispädagogik in der Weiterbildung als unzureichend erscheinen: Es spreche nichts für Outdoor-Trainings, wenn es um die Vermittlung von berufsrelevanten Kompetenzen geht. Kanning klassifiziert sie wie schon in früheren Büchern (Kanning 2007) einzig als interessante Option zur Belohnung von Mitarbeitern.
In Kapitel 2 - Pferde sind halt die klügeren Menschen – Horse Sense – seziert Kanning eines der vielen Angebote, in denen „Menschen mit bisweilen fragwürdiger Qualifikation als selbsternannte Experten (…) für vermeintlich tiefgehende Veränderungsprozesse Tiere zum Einsatz“ bringen. Horse Sense nutzt die angebliche hohe Sensibilität des Pferdes für Menschen, deren Körpersprache und Erleben und sein unverfälschtes „Feedback“, das zu persönlich relevanten Lernprozessen führen soll. Wider aller Laienerwartung geht es bei der Methode nicht darum, Pferde zu reiten, sondern vom Boden aus zu führen, dabei in einer Vielzahl ziemlich beliebiger Übungen Dinge zum Thema Führung zu erleben und daraus zu lernen. Kanning lässt an der Methode kein gutes Haar: Es existiere keine Theorie über die vermutete Wirkweise von Horse Sense, an ihre Stelle träten einige wenige Grundüberzeugungen der Anbieter, die mit wenig intellektuellem Aufwand kritisierbar seien. Z.B. sei es unwahrscheinlich, dass Pferde überhaupt eine besondere Sensibilität für das Verhalten und Erleben von Menschen hätten, geschweige denn einen direkten Zugang zu deren Innenleben. Evolutionsbiologisch sei es sinnlos, wenn Menschen Pferde die menschliche Körpersprache besser verstünden als diese selbst und die Informationsverarbeitung von Pferden unterliege Täuschungs- und Selektionsprozessen wie die Interpretation der Körpersprache unter Menschen auch, denn diese spiegle nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen psychisches Erleben eben nicht eins zu eins. Auch gäben Pferde überhaupt kein Feedback, denn dazu fehle ihnen die Sprache: Die Reaktionen des Pferdes würden die Trainer deuten und die hierzu in einschlägigen Büchern beschriebenen Situationen der Deutung mit Metaphern lägen zwischen der Ausnutzung von Suggestibilität, Psychofallen und einer vorsätzlichen Verdummung des Publikums. Weiter sei der Analogieschluss, das Verhalten in der Trainingssituation mit dem Pferd sei eine vollständige Abbildung der Realitäten des beruflichen Lebens ein Fehlschluss, dem auch die Erlebnispädagogik unterliege. Kanning beschreibt Beispiele geradezu surrealer Seminare und Situationen, zu denen man sich fragt, wie die renommierten Firmen, die als Referenzen bei den Anbietern auftauchen, sich auf solchen Unsinn einlassen. Und er gibt dazu eine interessante Deutungsmöglichkeit: „Vielleicht geht es ja oft nur darum, möglichst keinen Ärger mit den zu entwickelnden Führungskräften zu bekommen. Da kauf man dann lieber ein spaßiges Seminar ein, das mehr den Charakter eines Happenings hat und niemandem weh tut, als dass man die Betroffenen dazu nötigt, etwas an sich zu verändern“ (90).
Als Fazit bemerkt Kanning, dass von der lustigen Idee, Pferde als Co-Trainer zum Zweck der Organisationsentwicklung einzusetzen, nicht viel übrig bleibt: Keine Ideen zur Wirkungsweise, ein paar plakative Grundannahmen auf wackligen Beinen, ein „Anything-Goes“ bei den Trainingsmethoden, methodische Beliebigkeiten bei den Anbietern und anstelle empirischer Wirkungsnachweise „die üblichen Marketingstrategien, mit denen sich auch der größte Blödsinn verkaufen ließe“ (92).
Im Kapitel 3 „Wenn ein Blick mehr sagt als tausend Worte – NLP“ unterzieht der Autor das Neurolinguistische Programmieren einer Prüfung, das in der Selbstdarstellung eine moderne, pragmatische Kommunikationstheorie ist, mit der sich beinahe jedes innerpsychische oder zwischenmenschliche Problem ohne großen Aufwand lösen lässt. NLP ist in Psychotherapie, Beratung, Coaching und Weiterbildung überaus präsent und verbreitet, aber seit den ersten Büchern von Bandler & Grinder ebenso umstritten. Kanning geht auf die Geschichte des NLP und die zwei grundlegenden Werke der beiden Gründer kritisch ein. Er führt die bekannte Kritik an Bandler & Grinder aus, dass völlig unklar sei, wie die Autoren zu ihren Ergebnissen kamen und ob sie überhaupt stimmten. Das methodische Vorgehen von der NLP-Gründer sei eigentlich eine Black Box, die Auswahl der Therapieschulen und Therapeuten (Perls, Satir und Erickson) sei willkürlich, deren Effektivität sei damals unbekannt gewesen (die der Gestalttherapie gem. Grawe/Donati & Bernauer 1995 bis heute!) und die Auswahl der Therapeuten habe Prominenz mit Erfolg verwechselt und sei damit eher dem Prinzip „Personenkult“ als einer methodisch reflektierten Vorgehensweise gefolgt. Und schließlich sei bis heute nicht belegt, dass es irgendeine empirische Evidenz zu den Aussagen der Autoren gebe. Sein Fazit: Bereits die Anfänge des NLP seien dubios.
Im nächsten Abschnitt analysiert Kanning die Grundlagen des NLP. Die Grundannahmen variieren nach verschiedenen Quellen zwischen 10 und 18 Basisleitsätzen, die je nach Quelle erstaunlich heterogen daherkämen. Auch seien sie so kryptisch formuliert, dass sie erst einer Übersetzung bedürften, um sie zu verstehen. Ein Teil der Annahmen sei aus Sicht der Psychologie banal – niemand würde bestreiten, dass Menschen auf der Basis ihrer subjektiven Wahrnehmung der Realität handeln. Andere seien Glaubenssätze („Menschen verfolgen grundsätzlich positive Absichten“), wieder andere seien durchaus diskussionswürdig („der Mensch hat immer die Wahl“), teils aber auch schlicht falsch („Menschen treffen immer die für sie beste Wahl“). Im Zentrum von Kannings Kritik steht das NLP-Modell des Repräsentationssystems von Menschen, nach dem Menschen sich systematisch dahingehend unterscheiden, wie sie Informationen aus ihrer Umwelt aufnehmen und verarbeiten. Die aus diesem Modell abgeleitete Blickrichtungsdiagnostik („visueller“, „auditiver“, „kinästhetischer“ Typ) und die Polarisierung von Kreativität und Gedächtnis kritisiert er als kognitions- und wahrnehmungspsychologisch falsch und veraltet, in sich widersprüchlich und nicht überzeugend begründet.
Anschliessend werden die Interventionen des NLP einer Prüfung unterzogen. Der Prozess der Beeinflussung einer Person, die Nutzung von deren „Metaprogrammen“, das Modeling und das Ankern, die Arbeit mit Zielen, Reframing oder die „Walt-Disney-Methode“ werden beschrieben und kritischen Argumenten unterzogen.
Da eine derart verbreitete Methode wie NLP zur Selbstlegitimation auch Forschung vorzuweisen versucht, prüft Kanning im nächsten Abschnitt die von NLP-Vertretern veröffentlichten 327 Studien über NLP auf einer NLP-eigenen Datenbank. Die Mehrzahl der Studien seien nicht empirischer Natur, sondern überwiegend Thesenpapiere, in denen NLP diskutiert oder angepriesen wird. Nach der Prüfung von Untersuchungen zur Existenz des primären Repräsentationssystems kommt er zum Schluss, dass alles in allem nichts für dessen Existenz spricht, wie auch im Übrigen die Forschungslage zu NLP ernüchternd sei: Es gebe kaum systematische Untersuchungen zu den Kernannahmen, viele Studien seien mangelhaft und dort, wo valide Forschungsergebnisse vorliegen sprächen sie mehrheitlich gegen den Ansatz.
Im nächsten Abschnitt kritisiert Kanning die Anwendungsfelder und die Vermarktungspolitik des NLP ebenso wie das NLP-Ausbildungssystem des DVNLP als Curriculum ohne wirkliche Substanz, dass mehr auf Marketingstrategien als auf inhaltliche und didaktische Qualität setzt.
Kannings Fazit zum NLP ist ernüchternd: Vor vierzig Jahren gestartet als ein legitimer Versuch, Gemeinsamkeiten und Erfolgsfaktoren verschiedener Psychotherapieschulen zu eruieren, sei es heute vor allem eins: Eine Ideologie. Seine Kritikpunkte nochmals verdichtet lauten:
- Bereits seit Langem widerlegte Konzepte (Repräsentationssystem und Blickrichtungsdiagnostik) werden stoisch weitergepredigt.
- Das „Neuro“ im Namen ist vor allem Marketing, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit aktuellen Ergebnissen der Neurowissenschaften ist im NLP nicht erkennbar.
- Die Computermetapher der Programmierung des eigenen Gehirns ist veraltet und wirkt nur noch „so putzig wie eine Zukunftsvision aus der deutschen Science-Fiction-Serie Raumschiff Orion“.
- Die naive „Alles-ist-möglich„-Ideologie weist eine große Nähe zu den dubiosen Lehren moderner Erfolgsgurus auf.
- Die Grundannahmen sind inkonsistent in Anzahl und Inhalt, zentrale Begriffe sind nicht oder widersprüchlich definiert.
- Die Wahrnehmungstypologie ist widersprüchlich, empirisch widerlegt und nicht zu Ende gedacht.
- Die Blickrichtungsdiagnostik spottet allen Prinzipien einer seriösen psychologischen Diagnostik.
- Es gibt nennenswerte Widersprüche zwischen den Grundannahmen/Konzepten und verwendeten Methoden.
Abschließend betrachtet sei NLP zu bewerten als ein Sammelsurium aus unterschiedlichsten Techniken aus psychotherapeutischen Schulen oder Ansätzen der Psychologie, vermischt mit unausgegorenen Ideen und Behauptungen und resistent gegen wissenschaftliche Überprüfung. Als Ausbildung sei NLP trotz Vergabe pseudoakademischer Titel „kaum mehr wert als ein Jodel-Diplom“.
Ordnung muss sein! – Organisationsaufstellung wird das Kapitel 4 überschrieben. Hier setzt sich Kanning mit der Familienaufstellung nach Bert Hellinger und deren Adaptionen für die Organisationsentwicklung auseinander. Im ersten Teil wird die Familienaufstellung nach Hellinger, seine Person und die mittlerweile öffentlich breit diskutierte Kritik vorgestellt. Hellinger wurde im Zug der Kritik an seinen öffentlich zelebrierten Familienaufstellungen und den dort geschehenen Exzessen (Suizid einer Klientin, psychiatrische Dekompensationen, Klinikeinweisungen) im öffentlichen Diskurs Esoterik, ein voraufklärerisches Erkenntnisverständnis, mythische Konzepte, Immunisierung und Unwissenschaftlichkeit, ein reaktionäres Menschenbild und Nähe zum Nationalsozialismus vorgeworfen. Die deutsche systemische Gesellschaft und maßgebliche Protagonisten der systemischen Psychotherapie und Beratung distanzierten sich 2004 öffentlich von ihm. Die Familienaufstellung nach Hellinger entwickelte sich in der Folge eher zu einer quasireligiös-sektiererischen Heilslehre, die aber in rechtsesoterischen Kreisen immer noch weitverbreitet ist – Kanning zitiert Lakotta, der die Zahl der Familienaufsteller im Jahr 2003 auf ca. 2000 Personen schätzt.
Zur Organisationsaufstellung im Anschluss an Hellinger werden im zweiten Teil des Kapitels Grundlagen und Anwendungsgebiete dargestellt, der Ablauf einer Organisationsaufstellung prototypisch beschrieben und kritisch betrachtet und schließlich vermeintliche Wirkmechanismen und die Forschungslage analysiert – hier nur zu den Wirkmechanismen von Aufstellungen: Selbst frühere Anhänger und heutige Kritiker Hellingers in der Aufstellungsszene wie Varga von Kibed verfügen über keine tragfähigen Erklärungen, warum und wie Aufstellungen Veränderung bewirken. Das ernüchternde Fazit auch hier: Auch nach 20 Jahren Aufstellungsarbeit fehlt es bis heute an überzeugenden Belegen, dass die Aufstellungsarbeit überhaupt in irgendeiner Weise effektiv ist: Keine Studien, dass Konflikte am Arbeitsplatz durch den Einsatz der Methode konstruktiv und dauerhaft gelöst wurden, keine Belege für qualitativ hochwertige Entscheidungen im Management nach Organisationsaufstellungen und schon gar keine vergleichenden Untersuchungen, die Aufstellungsarbeit mit Coaching, Konfliktmediation, Verhaltenstraining oder Mentoring untersuchen würde. Die Kritik nochmals im Fazit:
- Die Wirkung von Organisationsaufstellungen ist empirisch nicht belegt.
- Über die Zuverlässigkeit der aufgestellten Organisationsmuster ist nichts bekannt, sie könnten beliebig sein.
- Es ist nicht bekannt, inwieweit die Aufstellungen verschiedener Gruppenmitglieder voneinander abweichen würden und somit verzerrte oder nur subjektiv empfundene Organisationsmuster abgebildet werden.
- Es ist unklar, inwiefern die Teilnehmer sich nur sozial erwünscht verhalten, suggestibel sind und sozial-kulturelle Klischees, gängige Metaphern oder Stereotypen produzieren (statt aus dem „wissenden Feld“, der Intuition, schweigendem Wissen oder ähnlichen, behaupteten Quellen zu schöpfen).
- Es ist völlig unklar, ob der Einsatz der „Stellvertreter“ von Mitgliedern der Organisation effektiver ist, als der Einsatz der Originalpersonen.
- Auch in der Organisationsaufstellung findet sich das archaisch-patriarchale Ordnungsdenken Hellingers und dessen Hang zur Mystik wieder.
- Und schließlich: Der Transfer der Lerninhalte in den beruflichen Alltag der Teilnehmer ist völlig unklar.
Als Fazit auch hier: Es spricht sehr viel gegen und nichts für die Anwendung der Aufstellungsarbeit in Organisationen.
Zwischen Konfession und Profession – Coaching verortet Kanning zwischen diesen beiden Polen. Im ersten Abschnitt definiert er „Professionelles Coaching“ im Anschluss an Rauen und grenzt es von den im Folgenden kritisierten Methoden ab. Dann geht er auf Hypnose-Coaching ein: Er beschreibt Hypnose als Methode in Medizin und Psychotherapie für spezifische, primär medizinisch-somatische Indikationen mit gut belegter Wirkung, aber ohne jeden Hinweise in den vorliegenden Untersuchungen auf berufliche Leistungssteigerung. Dies kontrastiert er mangels ernstzunehmender Literatur zum Hypnose-Coaching mit den Internet-Seiten der Anbieter und konstatiert das Bild, das sich bereits bei anderen Angeboten zeigte: Nahezu unbegrenzte Einsatzmöglichkeiten, große Heilsversprechen, schnelle und zuverlässige Wirkung ohne großen Aufwand – und ohne auch nur die geringste empirische Basis.
Das Kinesiologie-Coaching kritisiert Kanning wegen der unwissenschaftlichen Grundannahmen, z.B. der esoterischen Vorstellung von „Energie“. Er verweist auf die klinische Untauglichkeit des Muskeltests, z.B. wenn Kinesiologen nicht einmal in der Lage sind, ihre eigenen Diagnosen in einem Blindversuch mit denselben Klienten zu wiederholen. Das Fazit ist vernichtend. Dass Astro- und schamanistisches Coaching kein besseres Urteil erwarten können, ist erwartbar – aber auch das Urteil über das spirituelle Coaching nach Anselm Grün – prominenter Mönch, Autor und geistlicher Berater – oder Helmut Schlegel von der reformierten Konkurrenz – fällt nicht besser aus: Viele bloße Behauptungen, wenig Durchdachtes und viel Zusammengewürfeltes und anstelle von psychologischer Argumentation spirituelle Glaubenssätze.
Abgeschlossen wird das Buch in Kapitel 6 mit „Wir basteln uns unsere eigene kleine Welt – Die H2 O-Methode“. „High-Performance Bipotential Objectives“ wird dem geneigten Leser zur Schärfung intellektuell-kritischer Fähigkeiten und zum Amüsement dringend nahegelegt. Die Vorstellung der Methode hätte – dies als Anregung für Lehrende – auch zur Prüfung des kritischen Denkens von Studierenden in Lehrveranstaltungen ein großes Potenzial.
Diskussion
Das Buch schafft den anspruchsvollen Spagat zwischen dem beim Recherchieren fragwürdiger Methoden fast zwangsläufigen Sarkasmus (der einen bereits als Leser schnell befällt) und einer wissenschaftlich und intellektuell stringenten Argumentation und Kritik. Kanning arbeitet sich konsequent durch die Grundlagen, Methoden, Wirkungsversprechen und Vermarktungsstrategien fragwürdiger Konzepte hindurch und er kritisiert sie ebenso konsequent an den eigenen Ansprüchen und Widersprüchen, an empirisch belegter Wirkungslosigkeit oder fehlenden empirischen Wirkungsnachweisen. Er zeigt die verdeckten Ideologien auf, die den Methoden zugrunde liegen und lässt den vorgestellten Ansätzen so die „heiße Luft“ ab, nach der bei vielen Ansätzen nur noch wenig übrigbleibt.
Das Buch ist so auch ein Mahnmal für kritisch-intellektuelle Auseinandersetzung in Zeiten postmodern-konstruktivistischer und systemisch-/lösungs-/ressourcenorientierter Beliebigkeitspsychologie. Und es scheint auch nicht von Ungefähr, dass Kanning offensichtlich im kognitiv-lerntheoretischen und verhaltenstherapeutischen Paradigma zuhause ist, das sich wissenschaftliche Fundierung, empirische Absicherung, Transparenz in den Vorgehensweisen und Rationalität in den axiomatischen, theoretischen und methodischen Grundlagen verschreibt.
Das Buch ist in Sprache und Argumentation anspruchsvoll geschrieben und einige Vorkenntnisse zu Forschungsmethoden, wissenschaftlichem Arbeiten und kritischem Denken sind von Vorteil. Es ist ausgesprochen amüsant zu lesen, auch wenn einem das Lachen angesichts der beschriebenen Absurditäten gelegentlich im Hals stecken bleibt. Besonders, wenn Protagonisten wie auch Jünger, Gläubige und Adressaten der Methoden zu Wort kommen, glaubt man kaum, dass 500 Jahre nach Beginn der Aufklärung in Europa solches noch möglich ist.
Fazit
Das Buch ist, wie auch die beiden anderen Bände von Kannings „Trilogie über die menschliche Einfalt“, allen Personalentwicklungs- und Weiterbildungsverantwortlichen zu empfehlen. Weiter können Studierende der Psychologie, Pädagogik und Sozialen Arbeit ihre kritischen Fähigkeiten daran schärfen. Schließlich ist es eine wertvolle Grundlage, um sich selbst, Kolleginnen und Kollegen, Institutionen und Klienten vor wirkungslosen, schädlichen oder ideologisch-dogmatischen Pseudomethoden zu schützen. Das Buch ist ein wertvoller Beitrag zu wirksamerer, wissenschaftlich fundierter und in den Ansprüchen redlicher Weiterbildung und Personalentwicklung, für die Soziale Arbeit auch eine Warnung vor der Anwendung manipulativer oder schädlicher Interventionen bei Klienten.
Literatur
- Kanning, Uwe Peter (2010). Von Schädeldeutern und anderen Scharlatanen: Unseriöse Methoden der Psychodiagnostik. Lengerich: Pabst Science Publishers.
- Kanning, Uwe Peter (2007). Wie Sie garantiert nicht erfolgreich werden: Dem Phänomen der Erfolgsgurus auf der Spur. Lengerich: Pabst Science Publishers.
- Kanning, Uwe Peter (2007). Förderung sozialer Kompetenzen in der Personalentwicklung. Göttingen: Hogrefe.
- Lenske, W. & Werner, D. (2009). Umfang, Kosten und Trends der betrieblichen Weiterbildung - Ergebnisse der IW-Weiterbildungserhebung 2008. Download unter: www.iwkoeln.de/_storage/ asset/74209/storage/master/file/519611/download/trends01_09_3.pdf
- Machin, M. A. (2002). planning, managing and optimizing transfer of training. In Kraiger, K. (ed.): Creating, implementing and manaaging effective training and development. San Francisco, CA: Jossey Bass.
- Mutzeck, Wolfgang (2006). Von der Absicht zum Handeln – Möglichkeiten des Transfers von Fortbildung und Beratung in den Berufsalltag. In: Huber, Anne A.: Vom Wissen zum Handeln: Ansätze zur Überwindung der Theorie-Praxis-Kluft in Schule und Erwachsenenbildung. Tübingen: Verlag Ingeborg Huber.
- Wahl, Diethelm (2013). Lernumgebungen wirksam gestalten: Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln. 3. Aufl. mit Methodensammlung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Rezension von
Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Olten/Schweiz
Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement
Website
Mailformular
Es gibt 38 Rezensionen von Wolfgang Widulle.