Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Astrid Kleis: Kindererziehung in bikulturellen Familien

Rezensiert von Prof. Dr. Brigitte Wießmeier, 07.04.2014

Cover Astrid Kleis: Kindererziehung in bikulturellen Familien ISBN 978-3-935431-26-2

Astrid Kleis: Kindererziehung in bikulturellen Familien. Ressource oder Konfliktpotenzial?! Sozio-Publishing (Belm-Vehrte) 2013. 203 Seiten. ISBN 978-3-935431-26-2. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 35,50 sFr.
Reihe: Edition Sozio-Publishing - 226.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Eine eher kleine Gruppe deutsch-westafrikanischer Paare in Deutschland steht im Zentrum einer Untersuchung, die parentale Ethnotheorien hinsichtlich Partnerschaft, Familienleben und Kindererziehung erforscht. Dazu werden insgesamt 125 Paare sowohl in Westafrika / Guinea als auch in Deutschland / Berlin untersucht. Von besonderem Interesse ist die von den jeweiligen Paaren beschriebene alltäglich gelebte Familienkultur.

Autorin

Astrid Kleis promovierte zu diesem Thema an der Universität Osnabrück in kulturvergleichender Psychologie mit der hier (in einer Kurzversion) vorgelegten höchst umfangreichen Untersuchung von binationalen Paaren in zwei Ländern. Familienforschung stellt neben Beratung und Therapie, jeweils im interkulturellen Kontext, ihr besonderes Interesse dar.

Aufbau

Die um mehr als die Hälfte gekürzte Dissertation spricht in diesem Buch mit ihren knapp 200 Seiten eine breitere Leserschaft an, was sehr zu begrüßen ist. Die verbliebenen dreißig Seiten zum theoretischen Hintergrund stellen ein notwendiges Minimum dar, werden doch zumindest die Grundlagen zu Guinea und Westafrika, zu elterlichen kulturgeprägten Vorstellungen von Familie und Kinderziehung (Ethnotheorien) und zu Erziehungsstilen erwartet. Auch die Methodendarlegung ist von der Forscherin in ausgewiesenen Kapiteln kurz gehalten, sie wird aber im Ergebnisteil immer wieder aufgegriffen, um die Leser und Leserinnen auf den sehr komplexen Forschungsweg mitnehmen zu können.

Die Aufbereitung und in mehreren Stufen vorgenommene Interpretation des ursprünglich zweisprachigen Interviewmaterials, stellen den mit etwa 150 Seiten umfassenden Kern des Buches dar.

Das letzte Kapitel ist zusammenfassend als Ausblick für die Gesellschaft und für die psychosoziale Praxis in Deutschland geschrieben.

Inhalt

Bikulturelle Paare erleben phasenweise immer wieder Aufmerksamkeit von Sozialwissenschaftlerinnen und zunehmend Sozialwissenschaftlern, wobei sich deren thematische Schwerpunkte sehr unterscheiden können. Besonders sogenannte Selbstbetroffene richten den Focus auf die ihnen zugänglichen Paare, Gruppen, Regionen. Die vorliegende Arbeit setzt ihren Akzent auf deutsche und guineische Paare sowie auf deutsch-westafrikanische Paare in Deutschland. Die Autorin bearbeitet Fragen zur Paardynamik und zum Familienalltag im Hinblick auf Sozialisationsziele und Erziehungsstile. Eine ihrer Thesen geht von größeren Differenzen bei den Ethnotheorien in bikulturellen Paarbeziehungen aus, woraus sich, insbesondere nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes, mehr Konflikte für derartige Elternpaare ergeben sollen.

Astrid Kleis konstruiert ein Forschungssetting, das für ein Promotionsvorhaben ausgesprochen anspruchsvoll ist und als hoch ambitioniert bezeichnet werden muss. Alleine die Anzahl von 250 mehrstufig ausgewerteten qualitativen Interviews (Männer und Frauen wurden getrennt befragt), durchgeführt in zwei Ländern und vielfach in zwei Sprachen, erscheint immens. Die systematische und präzise Auswertung führt zu interessanten und plausiblen Schlussfolgerungen. Mit ihrem interdisziplinären Forschungsansatz aus Psychologie und Ethnologie kommt die Autorin in ihren Erkenntnissen von angetroffenen individuellen und familialen Sozialisationskonzepten und Bikulturalitätstypen sehr weit, denn ihre angewandte Methodik erweist sich als zielführend. Durch die vielen aussagestarken Interviewzitate bleibt die sonst eher spröde Ergebnisdarstellung lebendig.

Letztlich sieht die Autorin ihre These zu den größeren Differenzen der bikulturellen Elternpaare bestätigt, die sie mit Blick auf den Genderaspekt nochmals spezifizieren kann. Denn die Paarkonstellation deutsche Frau und westafrikanischer Mann (in Berlin) birgt die meisten Konflikte in sich, was durch die untersuchten Parallelgruppen, insbesondere die Gruppe der westafrikanischen Paare in Deutschland erscheint hier interessant, gut nachvollzogen wird.

Diskussion

Unter Berücksichtigung der Ansätze zur Entethnisierung von Forschungsdesigns wird empfohlen „Individuen unterschiedlichen Hintergrunds als Analyseeinheiten zu wählen, ohne sie vorher in ethnische Gruppen zu fassen“ (Wimmer 2013: 38 f.) und dies in der idealen Kombination von quantitativer und qualitativer Forschung und unter Berücksichtigung sozialer Schichtung (Sozialräume) und sozioökonomischer Hintergründe (Arbeitsplatz). Bikulturelle Paare als Ausgangspunkt schränken derartige Ansätze zweifellos bereits ein, aber ein differenziertes Forschungssetting wie das von A. Kleist berücksichtigt auch im Sinne von Santenelli, einen Vergleich mit „endogamen Paaren“, um das Verhalten „gemischter Paare“ zu verstehen, verbunden mit dem Hinweis: „Gemischte Paare bilden sich nicht zufällig“. (Santenelli 2009: 92) Damit wird deutlich, dass empirisches Bearbeiten derartiger Sample notwendigerweise aus doppelter Perspektive erfolgen muss.

Fazit

Wer sich für psychosoziale Aspekte in bikulturellen Familien interessiert erhält vielfältige Anregungen zu deren Verständnis. Als Ergebnis werden u.a. Sozialisationsbedingungen in zwei Ländern herausgearbeitet, Veränderungen durch Migration und / oder Heirat mit einem deutschen Partner oder einer deutschen Partnerin betrachtet und entstehende Konfliktfelder und die Umgangsweisen damit beleuchtet. Der zunehmenden Bedeutungen von einer autonom-relationalen Orientierung als Erziehungsziel wird nachgegangen aber keinesfalls im erwarteten Ausmaß entsprochen.

Rezension von
Prof. Dr. Brigitte Wießmeier
Forschungskoordinatorin Institut für Innovation und Beratung an der Evangelischen Hochschule Berlin, INIB
Mailformular

Es gibt 10 Rezensionen von Brigitte Wießmeier.

Besprochenes Werk kaufen
Sie fördern den Rezensionsdienst, wenn Sie diesen Titel – in Deutschland versandkostenfrei – über den socialnet Buchversand bestellen.


Zitiervorschlag
Brigitte Wießmeier. Rezension vom 07.04.2014 zu: Astrid Kleis: Kindererziehung in bikulturellen Familien. Ressource oder Konfliktpotenzial?! Sozio-Publishing (Belm-Vehrte) 2013. ISBN 978-3-935431-26-2. Reihe: Edition Sozio-Publishing - 226. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16382.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht