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Norbert Beck: Training sozialer Fertigkeiten von Kindern [...] 8 bis 12 Jahren

Rezensiert von Thomas Buchholz, 27.06.2014

Cover Norbert Beck: Training sozialer Fertigkeiten von Kindern [...] 8 bis 12 Jahren ISBN 978-3-87159-906-4

Norbert Beck: Training sozialer Fertigkeiten von Kindern im Alter von 8 bis 12 Jahren. dgvt-Verlag (Tübingen) 2008. 2. Auflage. 320 Seiten. ISBN 978-3-87159-906-4. 29,80 EUR. CH: 52,10 sFr.

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Thema

Jedes Kind macht bereits ab der Geburt wichtige Interaktionserfahrungen, die zum Erwerb von sozialen Kompetenzen führen. Zunächst ist der Ort, an dem prosoziales Verhalten gelernt und eingeübt wird, die Familie bzw. die primären Bezugspersonen. Im Laufe der Entwicklung kommen weitere Bildungsgelegenheiten dazu, wie z.B. die Gleichaltrigengruppe in Kindertageseinrichtungen, später Peers in der Schule oder in den Einrichtungen der außerschulischen Bildung. In jeder dieser Lebensphase macht das Kind wichtige soziale Erfahrungen. Diese können zu sozial kompetentem Verhalten führen.

Soziale Kompetenz bezeichnet die Fähigkeit, verschiedene komplexe prosoziale Verhaltensweisen im Umgang mit anderen Menschen einzusetzen. Diese basieren auf der Fähigkeit, soziale Fertigkeiten (social skills) anzuwenden, wie z.B. Kontakt- und Beziehungsfähigkeit, Konflikt- und Problemlösefähigkeit, Empathie und Perspektivübernahme, Wahrnehmung anderer, Selbstsicherheit und Selbstdarstellung. Eine allgemein gültige Definition sozialer Kompetenz gibt es jedoch nicht. Für das vorliegende Manual definieren die Autoren den Begriff soziale Kompetenz als „eine Menge an kognitiven, emotionalen und motorischen Fähigkeiten, die einem Individuum zur Verfügung stehen und in spezifischen Situationen auch umgesetzt werden können, um soziale Aufgabenstellungen alters- und entwicklungsentsprechend angemessen und effektiv zu bewältigen“ (S. 13).

Das Erlernen von sozial kompetenten Verhalten stellt eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben von Kindern und Jugendlichen dar. Hat ein Kind jedoch keine ausreichenden Möglichkeiten, soziale Kompetenz zu erlangen, stellt dies möglicherweise eine Gefährdung für seine weitere Entwicklung dar. Denn: Sozial inkompetentes Verhalten kann zum Ausschluss aus der sozialen Gruppe führen, wichtige Lernerfahrungen bleiben verwehrt und der junge Mensch kann in Zeiten einer Krise auf weniger soziale Unterstützung zurückgreifen.

Unstrittig ist heute daher, dass ein Mangel an sozialer Kompetenz mit verschiedenen psychischen Störungen im Zusammenhang steht. Ein Mangel an sozialer Kompetenz stellt einen Risikofaktor für die Entwicklung von psychischen Auffälligkeiten dar. Es wurde z.B. ein Zusammenhang von sozialer Kompetenz und depressiven Symptomen, Angst- und Panikstörungen oder hyperkinetischem Verhalten festgestellt. So neigen z.B. Kinder oder Jugendlichen mit Depression oder Angststörungen eher zu sozial unsicherem Verhalten, wohingegen bei Kindern und Jugendlichen mit einer hyperkinetischen Störung eher impulsives, oppositionelles oder aggressives Verhalten zu erwarten wäre. In beiden Fällen liegt eine Interaktionsstörung vor, die durch einen Mangel an sozialer Kompetenz intermittiert wird. In Bezug auf Depression stellten Beck, Cäsar und Leonhardt fest, dass „nicht eindeutig zu beantworten [ist], ob mangelnde soziale Fertigkeiten als Ursache, als Folge oder als intermittierende Variable einer depressiven Entwicklung zu sehen sind“ (S. 14). Ähnliches ließe sich sicher auch für andere Störungen, wie z.B. Angststörungen oder Störung des Sozialverhaltens, feststellen. Daher liegt es nahe, soziale Fertigkeiten auch im Rahmen von Präventionsangeboten für sozial unsichere bzw. impulsiv/aggressive Kinder oder im Rahmen von Therapieangeboten der o.g. Störungsbilder, zum Thema zu machen.

Mit dem vorliegenden Trainingsmanual für Therapeuten und Pädagogen haben die Autoren einen therapeutischen Grundbaustein zur Vermittlung sozialer Kompetenz entwickelt. Das Training eignet sich für Kinder mit sozial auffälligem Verhalten im Alter von acht bis zwölf Jahren.

Aufbau und Inhalt

Das Manual gliedert sich in zwei Teile.

Im ersten Teil werden theoretische Grundlagen zum Konstrukt „soziale Kompetenz“ vorgestellt. Dabei gehen die Autoren insbesondere auf folgende Fragestellungen ein:

  1. Was ist „Soziale Kompetenz“? Die Autoren nehmen eine Begriffsbestimmung vor und stellen dabei fest, dass es keine allgemeingültige Definition für soziale Kompetenz gibt. Für das vorliegende Manual beschreiben die Autoren eine Arbeitsdefinition sozialer Kompetenz, die auf lerntheoretischen Prinzipien aufbaut. Demnach entwickeln sich soziale Fertigkeiten vor dem Hintergrund angeborener Dispositionen durch Kind-Umwelt-Interkationen im Rahmen von Lernprozessen. Defizite in diesem Bereich ergeben sich demzufolge aus gescheiterten bzw. ungünstigen Lernprozessen.
  2. Wer ist/wird sozial inkompetent? Die Autoren beschreiben den Zusammenhang von Defiziten im Bereich der sozialen Fertigkeiten und kinder- und jugendpsychiatrischen Störungsbildern.
  3. Warum ist jemand sozial inkompetent? Die Autoren stellen ein Erklärungsmodell für mangelnde soziale Kompetenz dar. Grundlage ist das lerntheoretische Modell, welches Defizite in der sozialen Kompetenz ungünstigen sozialen Lernprozessen zuschreibt. Verkürzt dargestellt haben Kinder und Jugendliche, die wenig soziale Kompetenz zeigen, wenig Wissen über angemessene soziales Verhalten, hatten wenig Gelegenheit prosoziales Verhalten zu entwickeln und sind wenig für sozial kompetentes Verhalten verstärkt worden.
  4. Wie kann man soziale Inkompetenz feststellen? Diagnostische Hinweise über Defizite sozialer Kompetenz ergeben sich aus der Verhaltensbeobachtung des Kindes in sozialen Situationen und aus Rückmeldungen von den Erziehungsberechtigten, den Pädagogen und vom Kind selbst. Darüber hinaus nennen die Autoren Beispiele für psychometrische Verfahren.
  5. Helfen Trainings? Im letzten Abschnitt des ersten Teils fassen die Autoren Studien zur Effektivität sozialer Kompetenztrainings zusammen.

Der zweite Teil des Bandes stellt das eigentliche Trainingsmanual dar. Das Training ist als Gruppentraining für bis zu sechs Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren konzipiert. Das Training besteht aus zehn Trainingseinheiten für die Kinder sowie aus drei Gruppeneinheiten für die Erziehungsberechtigten. Jede Stunde mit der Kindergruppe dauert 60 Minuten, besteht aus einem festen Ablauf und sollte im wöchentlichen Rhythmus stattfinden.

Thematisch ist das Training in zehn Grundmodule gegliedert, wobei ein elftes Ergänzungsmodul optional Anwendung finden kann. Themen der Module für die Kinder

  1. Kennenlernen und Einführung in das Training
  2. Kommunikation
  3. Gefühle
  4. Selbst- und Fremdwahrnehmung
  5. Beziehungsaufbau
  6. Wünsche und Bedürfnisse
  7. Beziehungen und Freundschaften pflegen
  8. Konfliktmanagement 1: Perspektivübernahme
  9. Konfliktmanagement 2: Stabilisierung neuer Verhaltensstrategien
  10. Konfliktmanagement 3 und Abschluss
  11. Optional: weitere Themen als Ergänzung, z.B. (1) Tod bzw. Trennung/Scheidung, (2) Adoption/Pflegefamilien, (3) Angst- und Stressbewältigung, (4) Immigranten/andere Religionen.

Jede Einheit folgt einem festen Ablauf: Jede Stunde sollte mit einem festen Begrüßungsritual begonnen werden. Anschließend können die Kinder in einer Blitzlichtrunde anhand von Wetterkarten beschreiben, wie es ihnen geht. Danach werden die Inhalte der letzten Sitzung kurz wiederholt und die Hausaufgaben kontrolliert bzw. besprochen. Es folgt eine Einführung die neue Thematik der aktuellen Sitzung. Der Hauptteil jedes Moduls stellt eine Übung zur neuen Thematik dar. Abschließend werden die neuen Hausaufgaben besprochen und ein Verabschiedungsritual durchgeführt.

Diskussion

Das verhaltenstherapeutische Training basiert auf den klassischen Lernmechanismen. So kommen z.B. operante Konditionierung und soziale Lerntheorien zum Einsatz. Die Autoren nutzen z.B. die Strategie des Prompting. Dabei werden verbale oder nonverbale Hinweise für die Kinder gegeben, die handlungsleitend sein sollen und Handlungsschritte in Richtung eines erwünschten Verhaltens aufbauen bzw. verstärken. Es finden auch Elemente des Modelllernens sowie von Selbstinstruktions- und Selbstkontrollverfahren Anwendung. Methoden sind z.B. therapeutische Hausaufgaben sowie das videogestützte Rollenspiel. Durch die Anwendung verschiedener Strategien und Methoden kann Lernen auf mehreren Ebenen stattfinden und so an die individuellen Lernstrategien von Kindern anknüpfen.

Das manualisierte Gruppentraining ist stringent aufgebaut. Zahlreiche Arbeitsblätter, Schritt-für-Schritt-Anweisungen mit Formulierungsvorschlägen und die mitgelieferte CD-Rom mit den Arbeitsmaterialien erleichtern die sofortige Umsetzung der Module. Dazu gehören neben der sich immer wieder wiederholenden gleichen Stundenabfolge auch Formulierungsvorschläge für das geleitete Gespräch zwischen den Kindern und den Therapeuten sowie die Hausaufgabenstruktur. Die Kinder erhalten von Woche zu Woche Hausaufgaben, welche auch kontrolliert und besprochen werden. Auf diese Weise beschäftigen sich die Kinder auch über die Einheiten hinaus mit der Thematik und es kann sich ein Übungseffekt einstellen. Dies kann dazu beitragen, dass der Transfer der Inhalte von der künstlichen Situation des Gruppentrainings in die Alltagswelt des Kindes gelingen kann.

Das gewählte Format erinnert an Lernsettings, wie sie in der Schule angewendet werden (thematische Einführung – Übung – Hausaufgabe und Besprechung/Kontrolle der Hausaufgabe). Dies kann für einige Kinder sicher vorteilhaft sein. Gerade unsichere Kinder können durch die Anwendung eines ihnen bekannten Formats schneller ihre Ängste abbauen und Erfolge in der Gruppe zeigen. Diese bekannte Struktur kann ihnen Erwartungssicherheit und Transparenz geben. Für bestimmte Kindergruppen kann das gewählte Format m.E. Schwierigkeiten mit sich bringen, z.B.

  • Auf schulmüde Kinder können die Anwendung von Arbeitsblättern, die Vergaben und Kontrolle von Hausaufgaben eher abschreckend wirken.
  • Kinder aus Familien, in denen wenig Struktur vorgegeben wird, werden wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, die Übungen im häuslichen Kontext anzuwenden und wöchentlich ihre Hausaufgaben zu erledigen. Hier ist zusätzlich intensive Elternarbeit notwendig.
  • Kinder mit Lese- und Rechtschreibproblemen oder einer diagnostizierten Legasthenie werden Probleme bei der Bearbeitung der Arbeitsblätter und der Flipchart-Vorlagen haben. Die z.T. schriftsprachlichen Arbeitsblätter und schriftlichen Hausaufgaben können für Kinder mit starker Lese-Rechtschreib-Störung ein Ausschlusskriterium sein.
  • Kinder mit einer hyperkinetischen Störung wird es schwer fallen für längere Zeit dem Gespräch aufmerksam zu folgen, sich in angemessener Form zu beteiligen („wir lassen andere aussprechen“) oder über längere Phasen hinweg still zu sitzen. Eventuell ist die Einführung eines zusätzlichen Verstärkersystems für alle Kinder notwendig (z.B. Token).

Die Autoren weisen daraufhin, dass das hier beschriebene Vorgehen lediglich als Vorschlag zu verstehen ist und jeder Therapeut seinen eigenen Stil finden muss. Analog dazu muss die Vorgehensweise auch auf die individuelle Kindergruppe angepasst werden. Es wäre am Anfang zu überlegen, wie die Gruppe zusammen gesetzt werden sollte (z.B. gleiche Anteile von sozial unsicheren und hyperkinetischen Kindern) und welche Kontraindikationen bestehen (z.B. sozialphobische Kinder könnten durch das Gruppenformat schnell überfordert sein. Kinder mit Legasthenie können u.U. die Arbeitsblätter nicht bearbeiten, sofern hier keine andere Form z.B. über Piktogramme gefunden wird).

Begrüßenswert ist, dass im vorliegenden Manual auch dem Thema Elternarbeit Raum eingeräumt wird. Neben den schon genannten drei Elterngruppensitzungen sieht das Manual einen Einzeltermin mit jeder Familie am Ende des Trainings vor, um zum einen die Erfolge des Trainings zu reflektieren und um zum anderen weitere Themen zu besprechen. Dieser Einzeltermin kann anschließend in einer weiteren therapeutischen Begleitung der Familie oder in Erziehungsberatung münden. Das Manual beinhaltet auch ein beigefügtes Elternhandbuch, in dem Erziehungsberechtigte Schritt für Schritt durch das Training geführt werden. Die Erziehungsberechtigten werden eingeladen, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und Möglichkeiten zu entwickeln, wie sie ihr Kind dabei unterstützen können, seine sozialen Kompetenzen weiter auszubauen. Methodisch wird dies z.B. durch Psychoedukation, verschiedene Arbeitsblätter für die Erziehungsberechtigten, sowie durch einen Tokenplan mit Verstärkerliste begleitet.

Fazit

Die Autoren legen ein gut strukturiertes und thematisch sinnvolles Manual vor. Durch die Formulierungsvorschläge und Arbeitsblätter wird die Anwendung für Therapeuten erleichtert. Zielgruppen des Manuals sind Therapeuten und Pädagogen in ambulanten Praxen der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, in Kliniken oder Tageskliniken. Auch die Anwendung in anderen Kontexten wie Schulen oder Jugendhilfeeinrichtungen ist denkbar, sofern die durchführenden Fachkräfte Erfahrungen in der Anwendung verhaltenstherapeutischer Basisstrategien mitbringen.

Rezension von
Thomas Buchholz
M.A.
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Es gibt 19 Rezensionen von Thomas Buchholz.

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ISSN 2190-9245