Thomas Ley, Frank Meyhöfer: Theorien sozialer Konflikte
Rezensiert von Prof. Kurt Witterstätter, 03.03.2014
Thomas Ley, Frank Meyhöfer: Theorien sozialer Konflikte. Eine Einführung.
Verlag Dr. Kovač GmbH
(Hamburg) 2014.
138 Seiten.
ISBN 978-3-8300-7634-6.
D: 75,80 EUR,
A: 78,00 EUR,
CH: 99,00 sFr.
Schriftenreihe soziologische Themen in der Diskussion - Band 2.
Thema
Das konfliktlose Leben ist eine Illusion: Es kann bekanntlich der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Konfliktschlichter sind allenthalben tätig: Psychologen für Familien, Polizei für Nachbarschaften, Mediatoren für belastende Infrastruktur-Projekte, Arbeitskampf-Schlichter für Tarifparteien und diplomatische Emissaire für zwischenstaatliche Auseinandersetzungen. Auf die soziologischen Grundlagen von Konflikten geht die bei Dr.-Kovac Hamburg erschienene neue, 142seitige Schrift „Theorien sozialer Konflikte. Eine Einführung“ der Frankfurter Soziologen Thomas Ley und Frank Meyhöfer ein. Von der klassischen Soziologie bis zu Niklas Luhmann werden Konflikttheorien dargestellt und Lösungsmöglichkeiten vor allem unter Hinzuziehung Dritter erörtert.
Autoren
Professor Dr. Thomas Ley lehrt Soziologie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt. Magister Artium Frank Meyhöfer ist als Soziologe am Lehrstuhl für Soziologie der Universität Frankfurt tätig.
Aufbau und Inhalte
Der Band „Theorien sozialer Konflikte“ beschreibt Natur und Ursachen von Konflikten im Licht der Soziologie, wobei auch Gebiete der Psychologie und der Politologie berührt werden. Im Mittelpunkt steht Niklas Luhmanns Konfliktsicht als Negation einer Kommunikationserwartung. Die Bedingungen für die Intervention und die Mediation auf Konflikte werden abgesteckt.
Eingangs behandeln die Autoren die klassischen Konflikttheorien bei Karl Marx und Max Weber als Klassen- und Willensdurchsetzungs-Konflikte, wobei bei Georg Simmel erstmals aufgezeigt wird, dass aus Konfliktkämpfen auch Ordnungen höherer Natur hervor gehen können.
Die Folge-Autoren Lewis A. Coser und Ralf Dahrendorf setzen die teilweise positive Sicht konfliktuöser Wettstreite fort mit der integrativen Wirkung von Konfliktkanalisierung und der Betrachtung von Konflikten als konstitutivem Element für Freiheit.
Die psychologische Konfliktsicht betrachtet nicht nur intrapersonale, sondern wie die Soziologie auch interpersonale Konflikte.
Eine politologische Dimension bringt die Betrachtung der multidisziplinären Konfliktsicht Anatol Rapoports in die Betrachtungen. Das dreiteilige Setting Beteiligte, Streitpunkte und Mittel ist in ständiger Fluktuation. Schlussendliche Lösungen sind denkbar in den drei Alternativen Zerstörung, Auseinanderrücken oder Aussöhnung.
In Niklas Luhmanns Systematik sozialer Systeme werden Konflikte als sich widersprechende Kommunikationen der Akteure verstanden mit dem klassischen Fall der verneinten Kommunikation. Bei spiegelbildlichen Einlassungen der Akteure kann es in einem parasitär existenten Interaktionssystem gar zur Eskalation mit Gewalthandlungen kommen. Heraus helfen können nur noch Umwelt, Zivilisation und Recht, wobei auch hier innovative Funktionen zu erblicken sind.
Da es für das Gesellschaftssystem wichtig ist, dass Konflikte in Bahnen gelenkt werden, diskutiert der Band über die Theorie sozialer Konflikte auch ausgiebig die Bemeisterung von Konflikten durch Intervention und Mediation. Das Agieren von Dritten wird nach verschiedenen Anlässen und in unterschiedlichen Situationen erörtert.
Abschließend werden Erfahrungen mit der Beobachtung und der Analyse von Konflikten mitgeteilt, wobei die Autoren die Abfolge des Konfliktgeschehens in Sequenzanalysen betrachtet haben wollen. Sie schlagen dazu sogar eine genaue Protokollierung des Geschehens möglichst mit technischen Aufnahmegeräten vor.
Diskussion
Die mit Quellen gut belegte, nicht immer leicht lesbare Arbeit gibt einen informativen Aufriss über Natur, Genese und Lösbarkeit von zwischenmenschlichen Konflikten. Die Auswahl der Autoren, die über Konflikte handelten, ist soziologiegeschichtlich sachgerecht. Ob dem gerade besonders an systemgerechter Harmonie gelegenen Niklas Luhmann so breiter Raum, wie gewährt, gebührt, kann man befürworten, aber auch infrage stellen. Die Arbeit bleibt an dieser Stelle sehr grundlagen-theoretisch. Vermissen muss man Abhandlungen zu unseren Gesellschaften auf den Nägeln brennenden Auseinandersetzungen wie dem Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Akteuren verschiedener Religionen, zwischen Reichtum und Armut, zwischen Generationen wie zwischen Geschlechtern.
Die mitgeteilten Lösungsstrategien mit der Einschaltung von mediatisierenden Dritten sind vorwiegend an kleinteiligen Konflikten in Interaktionssystemen orientiert. Zu wenig werden flächendeckende Konflikte in Organisations- und Gesellschaftssystemen in den Blick genommen. Dies ist auch eine Folge der zu starken Orientierung der Schrift an den Luhmannschen Herleitungen.
Die einzelnen Kapitel des Bandes sind von unterschiedlicher Dichte und Differenzierung. Die klassischen Soziologie-Vertreter sind im Sinne eines Einführungslehrbuchs verständlich abgehandelt.
Die sozialpsychologische Konflikt-Sicht ist in ihren Verästelungen mit kaum noch unterscheidbaren Typologien sehr gedrängt und kaum noch fasslich geraten. Auch hätte bei der Darstellung der politologischen Beziehungen Anatol Rapoports eine visualisierende Skizze gut geholfen, wie sie in den vorigen Kapiteln eingefügt wurden.
Die Ausführungen zu den Dynamiken im Mediationsverfahren je nach Einberufung und nach der Position des Mediators sind sehr hilfreich (Kapitel 7 zur Konflikt-Konditionierung).
Der Band ist als soziologisches Studienbuch zu einem Einzelthema mit 75,80 Euro sehr teuer. Hier leistet eine allgemeine soziologische Einführung, die auch den Konflikt thematisiert, zu einem wesentlich günstigeren Preis auch die erforderlichen Dienste. Im Hinblick auf die Behandlung der möglichen Dynamiken im Mediationsverfahren dürfte das Buch eher in Fortbildungsstudiengängen (Mediation, Familientherapie, Strafvollzug) hilfreich sein.
Fazit
Der Band „Theorien sozialer Konflikte“ ist brauchbar und aufschlussreich. Die Dominanz der Konfliktsicht Niklas Luhmanns ist nicht unbedingt angebracht. Von großem Nutzen sind für einschlägig Tätige die Darlegungen der Möglichkeiten und Stolpersteine bei den Konfliktschlichtungsversuchen durch unbeteiligte, aber involvierte Mediatoren.
Rezension von
Prof. Kurt Witterstätter
Dipl.-Sozialwirt, lehrte bis zur Emeritierung 2004 Soziologie, Sozialpolitik und Gerontologie an der Evangelischen Fachhochschule Ludwigshafen - Hochschule für Sozial- und Gesundheitswesen; er betreute zwischenzeitlich den Master-Weiterbildungsstudiengang Sozialgerontologie der EFH Ludwigshafen
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Zitiervorschlag
Kurt Witterstätter. Rezension vom 03.03.2014 zu:
Thomas Ley, Frank Meyhöfer: Theorien sozialer Konflikte. Eine Einführung. Verlag Dr. Kovač GmbH
(Hamburg) 2014.
ISBN 978-3-8300-7634-6.
Schriftenreihe soziologische Themen in der Diskussion - Band 2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/16440.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.
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