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Jürgen Kaube: Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen

Rezensiert von Prof. Dr. Gregor Husi, 07.09.2016

Cover Jürgen Kaube: Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen ISBN 978-3-87134-575-3

Jürgen Kaube: Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen. rowohlt Berlin Verlag (Berlin) 2014. 493 Seiten. ISBN 978-3-87134-575-3. D: 24,95 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 35,50 sFr.

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Thema

Max Weber gilt vielen als der bedeutendste Soziologe überhaupt. Einst Mitbegründer der Disziplin, wirkt sein Schaffen bis in unsere Tage nach. Im Jahre 2014 erschienen zu seinem 150. Geburtstag nicht nur das wertvolle Orientierung bietende Max Weber-Handbuch (vgl. die Rezension), sondern auch bedeutsame Biographien.

Autor

Jürgen Kaube ist stellvertretender Feuilletonchef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Aufbau

Das Buch schreitet in 28 Kapiteln chronologisch die wichtigsten Stationen im Leben Max Webers ab. Vorangestellt ist eine kurze Einleitung, die das anhaltende Interesse an diesem klassischen Soziologen begründet. Am Schluss lässt der Autor noch ein Kapitel folgen, in dem er die Frage erörtert, wie ein Klassiker entsteht.

Inhalt

Kaube beginnt seine Biographie mit der Charakterisierung Max Webers als eines – mit Kant gesprochen – „Bürgers zweier Welten“. „Der Jurist, Nationalökonom, Historiker und Soziologe Max Weber (…) lebte von 1864 bis 1920 und war der vielversprechendste Gelehrte seiner Generation, ein Exponent der protestantischen, preußischen, großbürgerlichen Elite. Am Ende seines Lebens war von der Welt, in die er hineingeboren wurde, nichts mehr übrig, und er hinterließ ein riesiges Werk – vor allem in Fragmenten, Dutzenden von wissenschaftlichen Aufsätzen, unpublizierten Büchern, Reden, Plänen“ (S. 12).

In welcher Hinsicht erlebte Weber zwei Welten? Er wächst in einem Bürgertum auf, dem die Zukunft zu gehören scheint und dem später der Untergang droht. Er lernt einen Nationalstaat und eine christliche Kultur kennen, deren Ausstrahlung jedoch verblasst. Und auf der privaten Seite seines Lebens „wird er geheiratet“, wie es in der Überschrift des sechsten Kapitels heisst, ehe er im fortgeschrittenen Alter erotischen Verlockungen nicht mehr widerstehen kann und will. „Für viele sind die Worte ‚Rationalität‘, ‚Wertfreiheit‘ und ‚entzauberte Welt‘ mit seinen universalhistorischen Studien verbunden. Für andere war er ein fanatischer Nationalist, ein schillernder politischer Denker, der sich charismatische Führer an der Spitze der Demokratie wünschte und von der ‚Wiederkehr der alten Götter‘ in der Nacht der Moderne raunte“ (S. 12). In Webers Geburtsjahr wird unter dem Vorsitz von Marx die erste Internationale gegründet, verurteilt der Papst Pius IX. in einer Enzyklika die Religionsfreiheit sowie die Trennung von Kirche und Staat, greifen die Konföderierten im amerikanischen Bürgerkrieg zum ersten Mal in der Militärgeschichte mit U-Booten erfolgreich an und wird Ludwig II. zum König von Bayern proklamiert. In Webers Todesjahr ist der Erste Weltkrieg seit zwei Jahren vorüber. Die Welt ist nicht mehr, was sie war. Der Friedensvertrag von Versailles tritt in Kraft, die NSDAP wird in München gegründet. Weber erlebt vorher auch noch die Räterepublik.

So reich die Welt an Erfahrungsmöglichkeiten zu seiner Lebenszeit ist, so vielfältig sind die Themen, die Weber bearbeitet: „An den Diskussionen über die Industrialisierung Deutschlands beteiligt er sich ebenso wie an den Kontroversen über die Folgen der Politik Bismarcks. Weber denkt über die Voraussetzungen einer deutschen Weltmachtstellung nach und engagiert sich zugleich auf Seiten evangelischer Kreise in der ‚sozialen Frage‘. Er überlegt, ob Börsen nur der Finanzspekulation dienen oder eine Funktion für moderne Geldwirtschaften haben, nimmt am ‚Kulturkampf‘ zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche teil (und schlägt sich auf die protestantische Seite), er fordert eine imperialistische Politik Deutschlands nach außen und eine liberale nach innen. Den Aufstieg des Sozialismus kommentiert er ebenso wie die Russischen Revolutionen. Und die ‚erotische Bewegung‘, den Kampf um Frauenrechte, die Rassenlehre, die Massenmedien“ (S. 15).

Obwohl Weber „manisch“ wie kein Zweiter arbeitet, unterscheidet sich das zeitlebens veröffentlichte Werk quantitativ völlig von den Werken, wie sie die bedeutendsten Soziologen nach der Gründergeneration während ihres Lebens vorlegten, man denke etwa an Parsons, Luhmann, Habermas, Bourdieu, Giddens usw. Es ist fürwahr bemerkenswert: „Weber ist der bekannteste deutsche Sozialwissenschaftler seiner Zeit und zugleich einer, der zu Lebzeiten nur zwei Bücher, seine Dissertation und seine Habilitation veröffentlicht hat“ (S. 16). Seine Schriften sind weit verstreut. Sein Hauptwerk, das Weber so gar nicht vorgesehen hat, „Wirtschaft und Gesellschaft“, erscheint bekanntlich erst nach seinem Tode, allerdings bereits 1922. Das liegt auch an seiner, wie damals diagnostiziert wurde, „Nervenkrankheit“. Er „ist als Rekonvaleszent jahrelang eine Art europäischer und transatlantischer Gesellschaftstourist“ (S. 16). Nicht dass er die USA bereist, ist verantwortlich dafür, dass sich die Adelung zum soziologischen Klassiker als Reimport vollzieht. Den Ausschlag dafür gibt kein geringerer als Talcott Parsons, der 1925 nach Heidelberg kommt und dort 1927, selber bereits wieder in den Vereinigten Staaten, mit einer Arbeit über den Kapitalismusbegriff bei Sombart und Weber promoviert. In „The Structure of Social Action“ von 1937, später auch zum klassischen Werk geworden, lanciert Parsons die Webersche Rezeptionskarriere. In diesen Jahren werden auch wichtigste Werke Webers ins Englische übersetzt. Der Reimport in die deutsche Fachöffentlichkeit setzt nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Weber erscheint dabei als eine nicht kompromittierte Figur aus der Vorkriegszeit. Die Rezeption verläuft freilich nicht einheitlich, und sie hält an.

„Max Webers Größe bestand, diesseits seiner intellektuellen Fähigkeiten und Leistungen, gewiss mehr darin, seinen Lebenskurs zu ändern, so schwer gerade ihm das fiel, als an einem Programm festzuhalten“ (S. 438f.), resümiert Kaube zum Schluss. Als Webers Lebensthemen lässt die Biographie erkennen:

  • Herkunft: bürgerliche Klasse
  • Liebe: Marianne Weber, Else Jaffé, Mina Tobler
  • Krankheit: Zusammenbruch, „Nervenkrankheit“
  • Wissenschaft: mehrere Disziplinen, Publikationen, Stellen
  • Politik: Krieg, Zeitgeschichte, politisches Engagement

Diskussion

Wie oft leidet der/die an Soziologie Interessierte an der akademisch stilisierten Ausdrucksweise in dieser Disziplin. Als Wissenschaftsjournalist versteht es Jürgen Kaube indessen, packend und elegant zu schreiben. Dies geht keineswegs auf Kosten inhaltlicher Genauigkeit und Vielfalt. Er gibt den Blick frei auf ein vielfältiges und bewegtes privates und öffentliches Leben und bettet es sehr kenntnisreich zeitgeschichtlich ein. Und ebenso interpretiert er mit grosser thematischer Breite die Weberschen Schriften. Dem Buch sind glücklicherweise auch einige Fotos beigegeben. So vermag die Lektüre der Biographie denn sehr zu erfreuen.

Fazit

Jürgen Kaube legt mit seiner Biographie über Max Weber ein überaus aspektreiches Buch vor, das in der mittlerweile sehr umfangreichen Literatur über den soziologischen Klassiker von herausragendem Wert sein wird. (Werk-)Biographische und historische Kenntnisse verbinden sich hier auf beste Weise, weshalb sich eine Lektüre für Fachleute ebenso eignet wie für jene, die sich „endlich einmal“ dem bekannten klassischen sozialwissenschaftlichen Autor nähern möchten.

Rezension von
Prof. Dr. Gregor Husi
Professor an der Hochschule Luzern (Schweiz). Ko-Autor von „Der Geist des Demokratismus – Modernisierung als Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit und Sicherheit“. Aktuelle Publikation (zusammen mit Simone Villiger): „Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziokulturelle Animation“ (http://interact.hslu.ch)
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Es gibt 41 Rezensionen von Gregor Husi.

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ISSN 2190-9245