Andreas Gadatsch: Grundkurs Geschäftsprozess-Management
Rezensiert von Prof. Helmut Kreidenweis, 01.06.2004

Andreas Gadatsch: Grundkurs Geschäftsprozess-Management. Methoden und Werkzeuge für die IT-Praxis. Eine Einführung für Studenten und Praktiker. Vieweg Verlag/GWV Fachverlage (Wiesbaden) 2003. 3., verbesserte und erweiterte Auflage. 455 Seiten. ISBN 978-3-528-25759-0. 34,90 EUR.
Geschäftsprozess-Management und Sozialwirtschaft
Prozessorientiertes Denken ist in der Sozialwirtschaft längst noch nicht überall selbstverständlich. Diese dynamische Sichtweise von Organisationen wurde häufig erstmals im Rahmen des Qualitätsmanagements und seinem zentralen Begriff der Prozessqualität eingeführt. In der gewerblichen Wirtschaft ist das Management von Geschäftsprozessen immer schon recht eng mit dem Einsatz von Informationstechnologie (IT) verknüpft. Früh begriff man dort, dass Projekte zur Neuorganisation der Arbeit entlang der Wertschöpfungsketten nur mit konsequenter IT-Unterstützung erfolgreich griffen. Dagegen versuchte man in der Sozialwirtschaft bislang nicht selten, überkommene und wenig effiziente Arbeitsabläufe in Software-Systeme zu pressen. Geschäftsprozess-Management mit konzeptioneller Einbindung der IT tut also Not. Vergebens sucht man jedoch branchenbezogene Literatur zu diesem Thema. Das vorliegende Buch richtet sich klar an die gewerbliche Wirtschaft. Anwendungsbeispiele finden sich gleichermaßen aus dem produzierenden wie aus dem Dienstleistungsgewerbe, aus der Produktion wie aus dem administrativ-betriebswirtschaftlichen Bereich.
Inhalt
Nach einer für Praktiker sicherlich etwas zu ausführlich geratenen Begriffsbestimmung wendet sich der Autor der zentralen Aufgabe der Modellierung von Geschäftsprozessen zu. Dabei werden unterschiedliche methodische Ansätze präsentiert. Ausführlich wird vor allem das in der Wirtschaft weit verbreitete ARIS-Modell (Architektur integrierter Informationssysteme) diskutiert. Anschließend stellt der Autor entsprechende Software-Werkzeuge zur Modellierung und Simulation von Geschäftsprozessen vor. Ein weiteres Kapitel widmet sich den Workflow-Managementsystemen, mit deren Hilfe anwendungsprogramm-übergreifende Prozesse wie etwa eine Bestellung oder eine Reisekosten-Abrechnung unter einer einheitlichen Benutzeroberfläche abgebildet werden können. Einen Schwerpunkt des Werkes stellt der Einsatz betriebswirtschaftlicher Standardsoftware dar, primär wird dabei die Architektur und Funktionalität der marktführenden Lösung SAP/R3 vorgestellt. Weitere Themen sind
- Supply Chain Management,
- Customer Relationship Management ,
- Data Warehousing.
Überlegungen zur Einführung betriebswirtschaftlicher Standardsoftware und ein Kapitel zum E-Commerce runden das Werk ab.
Diskussion
Für die Sozialwirtschaft am nützlichsten sind sicherlich die Ausführungen zur Prozessmodellierung. In der Natur dieser Aufgabe liegt es jedoch, dass die Fähigkeit zur Analyse und Neugestaltung von Geschäftsprozessen nicht allein aus Büchern erlernt werden kann, sondern eines angeleiteten Lernens in der Praxis bedarf. Etwas schade ist die SAP-Lastigkeit des Kapitels zur betriebswirtschaftlichen Standardsoftware, insbesondere da keine Vergleiche mit Alternativprodukten für kleine und mittlere Unternehmen gezogen werden. Gerade solche Produkte kommen jedoch häufig in der Sozialwirtschaft zum Einsatz. Nicht angelastet werden kann dem Buch freilich, dass es nicht auf die Abbildung von Arbeitsprozessen in der für soziale Organisationen so wichtigen Branchensoftware eingeht. Im Kapitel zur Software-Einführung finden sich dagegen wieder viele Strategie-Ansätze und Praxistipps, die unmittelbaren Nutzen bringen.
Der Leser mit sozialwissenschaftlichem Hintergrund wundert sich, dass auf über 450 Seiten kaum Menschen vorkommen. Es geht durchweg sehr technokratisch zu. Dass Mitarbeiter beteiligt, motiviert und mitgenommen werden müssen, dass Ängste und Widerstände vor Veränderungen überwunden werden müssen, wird nur mit einigen Sätzen im Kapitel zur Software-Einführung abgehandelt. Das Unternehmen erscheint als ein Spielbrett für Prozessoptimierer, die ihre Figuren nach belieben setzen, verschieben oder aus dem Spiel werfen können. Hier meine ich, können Wirtschaftswissenschaft und -informatik durchaus vom lebensweltlichen Denkansatz der Sozialen Arbeit lernen. Ansonsten bietet das Buch einen gut aufbereiteten Einstieg in die Welt des IT-orientierten Prozessdenkens, der für die Mehrzahl Praktiker in der Sozialwirtschaft allerdings etwas zu ausführlich geraten sein dürfte und seiner primären Konzeption als Lehrbuch geschuldet ist.
Die Übertragung auf die spezifischen Prozesse sozialer Dienstleistungsproduktion muss der Leser jedoch selbst leisten. Nicht sonderlich schwer fällt dies auf den administrativen Funktionsebenen wie dem Rechnungswesen oder der Personalverwaltung. In den Kernbereichen sozialer Arbeit, also dort jedoch, wo Soziale Arbeit nichts produziert sondern bestenfalls Hilfe zur "Produktion" von selbständiger Lebensbewältigung in komplexen und teils widersprüchlichen Lebenswelten leistet, sind viele Mechanismen aus dieser Perspektive nur schwer oder überhaupt nicht übertragbar.
Fazit
Wirklich nützlich ist das Werk in der Sozialwirtschaft nur für Organisations- und IT-Abteilungen wirklich großer Einrichtungsträger jenseits der 1.000-Mitarbeiter-Grenze sowie bei Software-Anbietern und Unternehmens- bzw. IT-Beratern. Der Mehrzahl der sozialen Organisationen darf man wünschen, dass irgendwann eine auf ihre Bedarfslage zugeschnittene Publikation erscheint.
Rezension von
Prof. Helmut Kreidenweis
Professor für Sozialinformatik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Gründer und Vorstand des Fachverbandes für IT in Sozialwirtschaft und Sozialverwaltung FINSOZ e.V., Inhaber der Beratungsfirma KI Consult.
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