Jürgen Budde, Christine Thon et al.: Männlichkeiten. Geschlechterkonstruktionen [...]
Rezensiert von Prof. Dr. Joachim Thönnessen, 27.05.2014
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Jürgen Budde, Christine Thon, Katharina Walgenbach: Männlichkeiten. Geschlechterkonstruktionen in pädagogischen Institutionen.
Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2014.
200 Seiten.
ISBN 978-3-8474-0168-1.
D: 24,90 EUR,
A: 25,60 EUR,
CH: 34,60 sFr.
Reihe: Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft - 10.
Thema
Thema des Jahrbuchs 2014 sind „Geschlechterkonstruktionen in pädagogischen Institutionen“.
Herausgeber und Herausgeberinnen
- Jürgen Budde ist Professor für die Theorie der Bildung, des Lehren und Lernen an der Universität Flensburg,
- Christine Thon ist Juniorprofessorin für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Geschlechterforschung an der Universität Flensburg und
- Katharina Walgenbach ist Professorin für Gender und Diversity in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal.
Entstehungshintergrund
Das Jahrbuch Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft erscheint im Verlag Barbara Budrich. Die Redaktion des Jahrbuchs ist mit Jürgen Budde, Vera Moser, Barbara Rendtorff, Christine Thon und Katharina Walgenbach besetzt. Das diesjährige (2014) Jahrbuch heißt „Männlichkeiten. Geschlechterkonstruktionen in pädagogischen Institutionen“ und wird herausgegeben von Jürgen Budde, Christine Thon und Katharina Walgenbach. Es beinhaltet insgesamt elf Artikel, einen Tagungsbericht und eine Sammelrezension. Die Artikel sind aufgeteilt in die Kategorien Einleitung/Essay/Männlichkeit als professionelle Ressource in Institutionen/ Männlichkeit als Referenzpunkt für die Entwicklung institutioneller Strukturen/Pädagogische Orientierungen an Männlichkeiten in Institutionen/Offener Teil.
Aufbau und Inhalt
In der von den HerausgeberInnen verfassten Einleitung wird die Wahl des Themas begründet und eine erste Übersicht auf die einzelnen Artikel gegeben. Es wird auf die Aktualität und Brisanz des Themas „Männlichkeitskonstruktionen“ verwiesen und eine ganze Reihe von an die erziehungswissenschaftliche Geschlechterforschung gerichtete Fragen gestellt: „Wie werden Männlichkeiten und Professionalität in aktuellen Diskursen miteinander verknüpft? Inwiefern werden dabei traditionelle Stereotype von Männlichkeit reproduziert bzw. neue Formen von Männlichkeit gesucht? Wie werden männliche Fachkräfte in pädagogischen Berufen aktuell positioniert und welche Bedeutung haben Männlichkeitskonstruktionen im Hinblick auf pädagogische Zielgruppen? Wie lassen sich eingefahrene Thematisierungslinien von Männlichkeit aus der Perspektive einer erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung aufbrechen? Was ermöglichen, was verdecken theoretisch wie handlungspraktisch Diskurse um Männlichkeiten?“ (S. 12). Das Programm des Jahrbandes ist mit diesen Fragen grob umrissen. Sie fokussieren sich auf das Thema „Männlichkeitskonstruktionen in pädagogischen Institutionen“ (die, wie wir seit den 1970´er Jahren wissen, nicht geschlechtsneutral sind) (vgl. S. 13f).
Der einführende Beitrag wurde von dem kanadischen Erziehungswissenschaftler Wayne Martino verfasst und auf Englisch veröffentlicht. Es geht Herrn Martino in seinem Essay um die Politik der „Remaskulinisierungen im Bildungssystem“. Er zeigt auf, dass die diesbezügliche Forschung mit dem Diskurs über die neue Gruppe der Benachteiligten (gemeint sind die Jungs) begründet wird.
In dem folgenden Beitrag von Eva Breitenbach und Ilse Bürmann wird an die Thematik „Diskurse zur Steigerung des Anteils männlicher Erzieher“ angeknüpft. Anhand von Interviews werden Erzieher nach „Auffassungen und Ausgestaltungen der männlichen Geschlechtszugehörigkeit in ihrer frühpädagogischen Arbeit“ befragt.
Der Beitrag von Tim Rohrmann untersucht das Thema „Männer in Kitas. Zwischen Idealisierung und Verdächtigung“. Tim Rohrmann geht davon aus, dass die „Frage nach Männern in Kindertageseinrichtungen entscheidend mit dem Spannungsverhältnis zwischen Idealisierung und Verdächtigung zu tun hat“ (S. 67). Von meinem Alltagsverständnis her würde ich der These Rohrmanns keine größere Bedeutung zusprechen. Doch ist – wie Rohrmann zurecht betont – die „Sensibilität für sexuelle Übergriffe und Gewalt in Institutionen“ (S. 79) in den letzten Jahren deutlich gestiegen – was in der Folge zu einem Generalverdacht führen könnte, unter den Männer in Kitas heute gestellt sind.
Wiebke Bobeth-Neumann geht der Frage nach, „ob Geschlecht in der Institution Grundschule als dramatisierende und strukturierende Kategorie bezogen auf beruflichen Aufstieg dient“ (S. 86). Sie analysiert in ihrer Studie die Aufstiegswege von Grundschullehrerinnen und -lehrern unter einer geschlechtsbezogenen Perspektive.
In dem Beitrag von Jürgen Budde, Katja Kansteiner und Andrea Bossen werden Männlichkeitskonzeptionen in einer geschlechtsdifferenzierten Schulkultur untersucht. Darüber hinaus gibt der Artikel einen kurzen Überblick auf den Diskurs um Mono- und Koedukation, der im Laufe seiner Geschichte verschiedene Etappen durchlaufen hat (S. 105ff).
Rosemarie Godel-Gaßner und Rafael Frick gehen ein auf Theorie und Praxis von Schulwahlentscheidungen von Eltern mit männlichen Kindern. Dabei kommen sie zu einem überraschenden Ergebnis: Deutlich wird, dass die befragten Eltern für ihre Söhne vor allem Wert auf Aspekte legen, die den Bereichen Erziehungskonzept und Schulklima zugeordnet werden können. Leistungsbezogene Gesichtspunkte sind dagegen von deutlich geringerer Relevanz (S. 133).
Ruth Michalek, Thomas Fuhr und Gudrun Schönknecht verfolgen in ihrer empirischen Studie die Frage nach dem Zusammenhang von Männlichkeitskonstruktionen mit der Lern- und Leistungsmotivation von Jungen. Mit Hilfe des „Freiburger Jungeninventars“ unterscheiden sie unterschiedliche Typen von Männlichkeit und zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen Männlichkeiten und Schulart gibt (S. 167).
Marc Thielen beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der randständigen Männlichkeit und ihrer „pädagogischen Bearbeitung“. Er zeigt u.a., dass sich die „institutionelle Vorbereitung auf eine Berufsausbildung in der Lagerlogistik… über Praktiken zur Förderung männlicher Härte in Gestalt von körperlicher Stärke, Ausdauer und Disziplin“ (S. 181) vollzieht. Davon abweichende Verhaltensweisen „werden institutionell als unerwünscht markiert und damit geschlechtsbezogen sanktioniert“ (ebd.).
Es folgt ein Beitrag von Kim-Patrick Sabla und Julia Rohde zum Thema „Vergeschlechtlichte Professionalität – Zuschreibungen einer ´gelingenden´ Praxis qua Geschlecht“. Durch die Analyse von Gruppendiskussionen kann hier nachgewiesen werden, wie Geschlechterdifferenz durch professionell in der Sozialen Arbeit Tätige konstruiert wird. In ihrer Bewertung dieses Vorgangs bleiben die Verfasser eher zurückhaltend und betonen Vor- und Nachteile einer vergeschlechtlichenden Professionalität.
Der Beitrag von Jeannette Windheuser beschäftigt sich mit der Debatte über sexuellen Missbrauch. Angesichts (das Individuum) entmächtigender herrschaftlicher Diskurse plädiert die Verfasserin gegen Ende ihres Artikels für die Berücksichtigung eines erweiterten Erfahrungsbegriffs, in dem die Gefühle der Opfererfahrung und Ohnmacht von Betroffenen „nicht allein psychiatrisch in ihrer traumatisierenden Wirkung“ (S. 217) gesehen werden, sondern im Zusammenhang mit den in „Sexualität und Gewalt zutage tretenden Herrschaftsverhältnissen“ (ebd.) betrachtet werden.
Es folgt ein Bericht von Natascha Compes über die (internationale) Jahrestagung der Sektion Frauen- und Geschlechterforschung in der DGfE, die vom 2.-4. Oktober 2013 an der Bergischen Universität Wuppertal durchgeführt wurde.
Den Jahresband abschließend rezensiert Detlef Pech Bücher zum Thema „Jungen, Probleme, Männer, Krise, Pädagogik“.
Diskussion und Fazit
Das hier zu besprechende Jahrbuch ist durchaus lesenswert. Es zeichnet sich durch eine Wiedergabe des aktuellen Stands der Gender-Debatte in Bezug auf das gewählte Thema und durch großenteils auf qualitativ hohem Niveau verfasste Artikel aus. Die meisten der Artikel sind zudem auf der Grundlage von empirischen Projekten entstanden bzw. berichten über deren Ergebnisse. Diese Art von „Grounded Theory“ (in den Daten begründete Theorie) ist eine Absicherung für die Realitätsnähe der durchgeführten Analysen. Darüber hinaus gefällt auch die lockere Aufteilung des Bandes (ein englisches Essay, drei allgemeine Themen, ein offener Teil, ein Tagungsbericht und eine Sammelrezension), weil sie es ermöglicht, den verschiedenen Interessenlagen der Autorinnen gerecht zu werden.
Lesenswert!
Rezension von
Prof. Dr. Joachim Thönnessen
Hochschule Osnabrück, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Studium der Philosophie und Soziologie in Bielefeld, London und Groningen; Promotion in Medizin-Soziologie (Uniklinikum Giessen)
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